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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Max-Beckmann-Preis 2025 ging an die Architektin Anna Heringer

Nachhaltigkeit als Synonym für Schönheit

Der renommierte Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt am Main wurde in diesem Jahr an die unkonventionelle deutsche Architektin Anna Heringer, die als Vertreterin des nachhaltigen Bauens und als Pionierin des Lehmbaus gilt, verliehen. Das entschied ein zehnköpfiges Kuratorium. Der Max-Beckmann-Preis erinnert an den bedeutenden Maler, Bildhauer, Grafiker und Autor Max Beckmann, der von 1925 bis 1933 als Künstler an der Frankfurter Städelschule gelehrt und gearbeitet hat, bevor er 1933  von den Nationalsozialisten gezwungen wurde, seinen Lehrstuhl aufzugeben und ins Exil zu gehen, erst nach Amsterdam, später nach New York, wo er 1950 verschied.

OB Mike Josef überreicht die Urkunde an die Architektin Anna Heringer, Foto: Petra Kammann

Um Max Beckmann nachträglich zu ehren, hat die Stadt 1978 den nach ihm benannten Preis eingerichtet, der jeweils am 12. Februar, seinem Geburtstag, verliehen wird. Anna Heringer ist nach Maria Lassnig, Barbara Klemm, Agnès Varda, Cindy Sherman und VALIE EXPORT  in diesem Jahr die sechste weibliche Preisträgerin und die erste Architektin dieser Auszeichnung, die seit 1978 insgesamt 16 Mal vergeben wurde.

Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums im Gespräch mit der Frankfurter Fotografin Barbara Klemm (Beckmann-Preisträgerin 2010), Foto: Petra Kammann

Warum wurde Anna Heringer ausgewählt? Ihre Karriere als Architektin ist so ungewöhnlich wie untypisch für eine Architektenlaufbahn. Die 1977 in Rosenheim geborene Heringer arbeitete 1996 in Bangladesch für eine NGO und machte dort erste Erfahrungen im nachhaltigen Arbeiten und Bauen.

Bereits mit ihrer ersten größeren Arbeit, der METI-Schule in Rudrapur, Bangladesch, wurde Heringer bekannt. Das zweistöckige Schulgebäude aus Lehm und Stroh, Bambus und Saris brachte ihr 2007 den Aga Khan Award for Architecture ein. Heringers Entwurf, der keinem strengen Raster gehorcht, sondern die lokalen Erfahrungen der Handwerker und Wünsche der Bewohner miteinbezieht, ist nicht nur in der Nutzung der natürlichen Ressourcen vorbildhaft, sondern auch durch den Einbezug des Wissens vor Ort.

Nach dem Studium der Architektur an der Kunstuniversität Linz kehrte sie zurück und realisierte in Zusammenarbeit mit Eike Roswag die METI-Handmade-School. Seither sind ihre Bauten in Asien, Afrika und Europa präsent. Und ihre Entwürfe werden auf den Architekturbiennale wahrgenommen. Ihr derzeit im Bau befindlicher Campus St. Michael in Traunstein wird eines der wenigen Gebäude Heringers und zugleich der erste freitragende und voll bewitterte Lehmbau in Deutschland sein.

Anna Heringer zugewandt im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen, Foto: Petra Kammann

In der Begründung der Jury heißt es: „Anna Heringer gilt als eine der renommiertesten Vertreterinnen des nachhaltigen Bauens und als Pionierin des Lehmbaus. Mit ihrem Konzept, die lokal verfügbaren Ressourcen zu nutzen, hat Anna Heringers Architektur das Potential, nicht nur die Bauindustrie, sondern das Bauen an sich mit all seinen sozial-ökologischen Implikationen zu revolutionieren. Sowohl in der Entwicklungshilfe als auch in der Transformation unserer Städte weist sie uns damit den Weg in eine nachhaltige Ausgestaltung der Zukunft. Sie erhält den Max-Beckmann-Preis 2025 der Stadt Frankfurt als eine der ersten Repräsentantinnen einer neuen Bewegung in der Architektur, die Gebäude weniger als Objekt, sondern Raumbildung als Prozess begreift. So entstehen unter Einbezug lokaler Materialien und Techniken im besten Sinne traditionelle Bauten, die dennoch fest im Heute verankert sind.“

Oberbürgermeister Mike Josef, gleichzeitig Vorsitzender der Jury, sagte über sie: „Ich freue mich sehr, dass der diesjährige Max-Beckmann-Preis an eine Architektin geht, die das Ökologische Bauen revolutioniert“, und weiter:„Ihre Erfahrungen und ihr Engagement in Asien und Afrika schärfen den Blick für den Umgang mit unserer Umwelt und liefern entscheidende Impulse für den ökologischen Umbau Frankfurts. Anna Heringers Architekturkonzept wird zum Motor für eine Neuausrichtung des Bauens auch in den Industrienationen.“

Beste Stimmung im vollbesetzten Kaisersaal, Foto: Petra Kammann

Zur feierlichen Preisverleihung im vollbesetzten Kaisersaal im Frankfurter Römer zog der Oberbürgermeister in seinem Grußwort an sie Preisträgerin Parallelen zum „Neuen Bauen“ von vor genau 100 Jahren: „Sie steht mit ihrer Arbeit in der Tradition innovativer und zukunftsweisender Ideen in der Architektur. Wie das Neue Bauen der 1920er Jahre Frankfurt heute prägt, gibt auch ihre Architektur wichtige Impulse für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft.“ Und damit stellte er sich in die Tradition des einstigen Bürgermeisters Ludwig Landmann, der das „Neue Frankfurt“ unterstützt hatte, aber leider auch das Land verlassen musste.

Nachhaltigkeit und Schönheit

Die Dezernentin für Kultur und Wissenschaft Ina Hartwig stellte die herausragende Rolle von Heringer in ihrem Fachgebiet heraus: „Nachhaltigkeit ist für Heringer immer auch mit dem Aspekt der Schönheit verbunden. Dies trifft insbesondere für ihren Umgang mit dem Baustoff Lehm zu, der die Ästhetik der Gebäude unterstreicht, angefangen beim Entwurf bis hin zum fertigen Haus.“ Und es gehe nicht allein darum, nachhaltige Materialien einzusetzen, sondern auch darum, die Ästhetik eines Gebäudes neu zu akzentuieren.

Die Laudatio hielt die renommierte Architekturkritikerin Laura Weißmüller, Foto: Petra Kammann

Die Laudatorin Laura Weißmüller, 2024 mit dem Preis des BDA für Architekturkritik ausgezeichnet und Redakteurin im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, verwies in ihrer Rede besonders auf Heringers Verdienst, Mensch und Umwelt ins Zentrum ihrer Architektur zu stellen: „Anna Heringer beweist, dass es geht: Architektur zu bauen, die gut für den Menschen ist und für die Natur. Ihr unermüdlicher Kampf für den Einsatz von Lehm leistet wichtige Pionierarbeit, ist Lehm doch nicht nur der älteste, sondern auch der nachhaltigste Baustoff der Welt – auf den Baustellen im Westen jedoch immer noch ein Exot. In ihrer Arbeit manifestiert sich Heringers außergewöhnlicher Mut: Mut, andere Architektur zu bauen als die, die der Kanon der Moderne seit Jahrzehnten vorgibt – und die heute unseren Planeten zu zerstören droht. Mut anders zu entwerfen, mit den Händen in Lehm nämlich und dem starken Vertrauen in das eigene Bauchgefühl. Aber auch Mut zu seinem eigenen Ziel zu stehen: Die Welt besser und schöner zu hinterlassen.“

Architektur als Aufruf zum Wandel einer „sturen Idealistin“

Anna Heringer dankte in ihrer Rede der Stadt Frankfurt und der Jury für ihren Mut, „eine herausfordernde Architektur auszuzeichnen. Herausfordernd deshalb, weil ich meine Architektur immer auch als Aufruf zum Wandel sehe. Ich bin eine sture Idealistin. An der Realität mag ich mich nicht orientieren. Das gibt mir nicht die nötige Kraft, um Dinge zum Positiven zu verändern. Deshalb fokussiere ich mich vehement auf die Aspekte in meinem Leben, die ich beeinflussen kann.“

Anna Heringer bei ihrer Dankesrede, Foto: Petra Kammann

Zum Ende ihrer Dankesrede stellte sie fest: „Nachhaltigkeit ist keine Frage von Ressourcen, technischer Innovation oder Geld. Es ist eine Haltung: eine ethische Haltung und eine Geisteshaltung. Und genau da müssen wir uns weiterentwickeln.“ Schönheit sei für sie nichts anderes als ein formaler Ausdruck von Liebe. Statt des Merksatzes „form follows function“, der eine kühle rationale Architektur hervorgebracht hat, schließt sie ihre Rede mit dem Satz: „form follows love“. So blickt sie mit Optimismus und positiver Ausstrahlung auch in die Zukunft von sich anders entwickelnden Städten.   pk

 

DER PREIS

Mit dem Max-Beckmannn-Preis ehrt die Stadt Frankfurt hervorragende Leistungen in den Bereichen Malerei, Grafik, Bildhauerei und Architektur. Die Auszeichnung wird seit 1978 alle drei Jahre am 12. Februar, dem Geburtstag des Künstlers, vergeben und ist mit einem Preisgeld von 50.000 Euro einer der am höchsten dotierten Preise für Künstler in Deutschland. Die Verleihung erfolgt im Kaisersaal des Römers.

DAS KURATORIUM

Dem Kuratorium gehören an: Oberbürgermeister Mike Josef, Kulturdezernentin Ina Hartwig, die Vorsitzende des Kultur- Wissenschaft- und Sportausschusses Julia Eberz, Stadtverordnetenvorsteherin Hilime Arslaner, der Bildhauer an der HfG Offenbach Prof. Mike Bouchet, Städeldirektor Dr. Philipp Demandt, die Architektin und Professorin für Entwerfen und Gestalten an der Frankfurt University of Applied Sciences Prof. Claudia Lüling, die Direktorin des Frankfurter Kunstvereins Franziska Nori, der Kunstkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dr. Stefan Trinks, sowie die Malerin und Grafikerin an der Städelschule Prof. Haegue Yang.

Das Goldene Buch der Stadt Frankfurt tut Wahrheit kund…

ZUR PERSON

Anna Heringer ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und zahlreicher Architekturpreise, darunter der New European Bauhaus Prize, der OBEL Award und der Global Award for Sustainable Architecture. Die Architektin ist Co-Initiatorin von Dipdii Textiles, einer Frauenkooperative für faire Textilkunst und Kleidung, die Frauen im ländlichen Bangladesch zu einem guten Leben verhilft. Mit zahlreichen Architekturpreisen geehrt, ist sie 2010 im MoMA Teil der Ausstellung „Small Scale, Big Change“. Anna Heringer hatte außerdem Gastprofessuren in Harvard, an der ETH Zürich und München inne. 2010 wurde ihr die UNESCO-Ehrenprofessur für Lehmbau, Baukultur und nachhaltige Entwicklung verliehen und sie lehrt als Praxisprofessorin an der Universität Liechtenstein. Mit Martin Rauch entwickelte sie die Entwurfsmethode des „Clay Storming“. Durch die Technik „Clay Storming“ erfahren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie intuitiv das Entwerfen mit dem formbaren Werkstoff Lehm sein kann. Ihre Arbeiten wurden vielfach veröffentlicht und unter anderem im MoMA New York, im V&A Museum in London und auf der Biennale in Venedig ausgestellt.

 

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