„Frankfurt for ever“ – Das Frankfurt von Carl Friedrich Mylius (1827–1916) vor dem städtischen Umbau
Ein Wegbereiter der Architekturfotografie
Von Petra Kammann
Von der Zeil, dem Eschenheimer Turm, dem Goethe-Denkmal über den Römer bis hin zum Mainufer hielt vor mehr als 150 Jahren der Fotograf Carl Friedrich Mylius die berühmtesten Sehenswürdigkeiten einer Stadt im Umbau gestochen scharf fest. Es zog den Chronisten seiner Zeit aber auch ins Umland – in den Taunus, auf den Feldberg, nach Kronberg, Königstein und nach Gelnhausen. Mit rund 80 seiner Arbeiten widmet das Städel Museum dem gebürtigen Frankfurter die erste große Einzelausstellung. Anlass war eine Schenkung aus Privatbesitz von 180 Fotografien, die den Bestand mit Aufnahmen von Carl Friedrich Mylius in der Städel Sammlung von 1867 an bestens ergänzt. Eine Schau, welche „die Frankfurter Seele streichelt“, wie Städeldirektor Philipp Demandt treffend bemerkte.
Christina Lemke (re), Kuratorin der Ausstellung und Sammlungsleiterin Fotografie im Städel-Museum, hier im Ausstellungsraum, Foto: Petra Kammann
Frankfurt erfand sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neu, bedingt durch die preußische Annexion und die damit verbundene Neuordnung, die eine rasante wirtschaftliche wie auch gesellschaftliche Entwicklung nach sich zog. Zwangsläufig führten Industrialisierung und Urbanisierung zu einschneidenden baulichen Veränderungen. Der Frankfurter Mylius wollte die historischen Orte seiner Stadt ebenso durch seine Fotoansichten verewigen wie auch die entstehenden Neubauten, Industrieanlagen und er wollte die moderne Infrastruktur dokumentieren. Und das tat er mit großer Kraftanstrengung, Präzision und gestalterischem Geschick für einen harmonischen Bildaufbau.
Als einer der Ersten in der jungen Frankfurter Fotografieszene hatte er sich Ende der 1850er-Jahre eben auf Architekturansichten spezialisiert und damit geschickt eine Nische besetzt. Er hatte nämlich begriffen, dass er, als er, der ursprünglich an der Dondorfschen Druckerei ausgebildete Lithograf, nach einer längeren Wanderschaft über Thüringen, Leipzig , Wien und Nürnberg schließlich in seine geliebte Vaterstadt zurückkehrte, sich dann an der Städelschule bei dem Malereiprofessor Becker weiterbildete. Ihm war bewusst, dass er es mit den in Frankfurt schon ansässigen etablierten Fotostudios, die sich vor allem auf Porträts spezialisiert hatten, nicht würde aufnehmen können, zumal er inzwischen eine 4-köpfige Familie zu ernähren hatte.
Carl Friedrich Mylius (1827-1916), Frankfurt am Main: Römerberg, ca. 1855, Albuminisiertes Salzpapier auf Karton, 25,8 x 23,2 cm © Städel Museum
Ihm war gleichzeitig bewusst, dass es den etablierten Porträtfotografen viel zu beschwerlich und zeitaufwändig ein würde, mit einem Kamerawagen durch die Stadt zu ziehen, immer auf der Suche nach einem ansprechenden Motiv. Die damals notwendige schwere technische Ausrüstung musste schließlich von Ort zu Ort transportiert und jede Fotografie direkt und in kurzer Zeit in dem Dunkelkammerwagen entwickelt werden. So gelangte Mylius mit seiner Architekturfotografie eben zu seiner Spezialität und er vermittelt uns heute noch ein Bild von der einst mittelalterlichen Stadt am Mainufer.
Vergleichbar ist seine konzeptionelle Vorgehensweise vielleicht mit der des Fotografenpaars Bernd und Hilla Becher aus der „Düsseldorfer Schule“, die jahrzehntelang mit ihrem legendären roten VW-Bulli inklusive der schweren Plattenkamera unterwegs waren, um die menschenleeren Industrieanlagen der westlichen Welt so objektiv wie möglich und in neutralstem, hellem Licht zu dokumentieren. Viele der von ihnen fotografierten Industriedenkmäler, Wassertürme, Gasbehälter, Silos oder Zechen sind inzwischen stillgelegt, ihre Bilder aber halten heute die Erinnerung an einst so wichtige Industrien wach.
Carl Friedrich Mylius (1827 – 1916), Blick von der Hauptwache in die Zeil, 1864–1866, Albuminpapier auf Karton, 17,8 x 23,5 cm © Städel Museum
Fast hundert Jahre früher waren Fortbewegung und Dokumentieren sicher noch mühsamer, zumal die Fotografiertechnik noch nicht so weit war. Und die Belichtungszeiten beim Kollodium-Nassplattenverfahren zwischen 13 und 20 Sekunden waren für bestimmte Darstellungen ohnehin nicht geeignet. Die Glasplatten waren nur in feuchten Zustand lichtempfindlich. Personen, Pferde oder andere Tiere in Bewegung konnten nur als Schlieren auf die Glasplatten gebannt werden, weswegen man selten Menschen auf den tiefenscharfen Bildern von Mylius findet. So sind es vor allem die die sogenannten Hockerinnen, auf die Kunden wartende Verkäuferinnen auf dem Markt am Römerberg oder stillstehende Pferdekutschen beim Blick von oberhalb der Hauptwache in die damals geradezu anmutig geschwungene Zeil. Ein Bild, das man heute nur mit Wehmut betrachten kann, wenn man auf das aktuell architektonische Durcheinander blickt…
Carl Friedrich Mylius (1827 – 1916), Blick über den Main mit Eisernem Steg und Dom, 1862–1866, Albuminpapier auf Karton, 12,6 x 23,3 cm © Städel Museum
Schaut man von dribbdebach nach hibbdebach über den neuerbauten „Eisernen Steg“ hinweg, den damals engagierte Frankfurter Bürger der Stadt zum Geschenk gemacht hatten, um die beiden Stadtteile zu verbinden, dann sieht man, dass in der Mitte der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts noch die „Kirche im Dorf“ war, will heißen, dass in der einstigen Freien Reichsstadt Frankfurt noch der Kaiserdom das mächtigste und höchste Gebäude der Stadt am Main war. Es erscheint heute vor der in den letzten Jahren mächtig gewachsenen Skyline geradezu schmächtig.
Köstlich übrigens auch eine weitere Fotografie vom „Eisernen Steg“, auf der man noch das damalige anfügte Kassenhäus’chen sieht. Darin musste Brückenzoll bezahlt werden musst. So wurde zur Finanzierung der Brücke beigetragen, so dass die engagierten Bürger schon bald die Brücke der Stadt schenken konnten.
Aufgezogenen Mylius-Portrait der Gebrüder Mohr, daneben die berühmte Ariadne auf dem Panther-Skulptur von Dannecker, Foto: Petra Kammann
Mylius‘ besonderes Augenmerk liegt neben der Dokumentation des alten Stadtkerns inklusive der darin befindlichen Denkmäler und der engen „Judengasse“ dann auch auf dem neu entstehenden Stadtteil Westend. Dort lagen die repräsentativen Wohnhäuser wohlhabender Bürger, die er im Auftrag der Eigentümer fotografierte. Außerdem entstand hier als neues städtisches Erholungs- und Vergnügungsareal der Palmengarten mit dem berühmten Gesellschaftshaus vor dem Brand.
Carl Friedrich Mylius (1827 – 1916) Frankfurt am Main: Das Gesellschaftshaus im Palmengarten vor dem Brand, 1871 – 1875 Albuminpapier auf Karton © Städel Museum
Zu Mylius‘ Auftraggebern zählten Privatpersonen, städtische Ämter, Stiftungen, Gesellschaften und Vereine wie der neu gegründete Taunus-Wanderclub. Die strategisch günstige Lage Frankfurts wie auch die politische und historische Bedeutung eröffneten ihm weitere Absatzmärkte. Seine Fotografien wurden zu einem beliebtes Souvenir, da es noch keine Postkarten gab. So präsentierte Mylius den Bildungsbürgern und hier verkehrenden Diplomaten die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Als geschäftstüchtiger individueller Kleinunternehmer bot er den Durchreisenden wie den Rheinreisenden, die einen Abstecher nach Frankfurt machten, sogar auch Alben und Mappen an mit verschiedenen Ansichten von Doms Römer und den Denkmälern der Geistesgrößen Goethe, Schiller oder Gutenberg oder der beliebten Skulptur „Ariane auf dem Panther“ von Dannecker.
Blick auf das Mainpanorama von Mylius in der Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Herausragend in der Schau ist Mylius’ Mainpanorama aus den Jahren 1860/61, wofür er das nördliche und das südliche Mainufer – eine etwa zweieinhalb Kilometerlange Strecke – in 31 Einzelbildern aufnahm. Was für eine ungeheure Leistung zur damaligen Zeit! Für jedes der Einzelbilder musste er seine schwere Kamera um rund 100 Meter versetzen. Dass dabei ein paar Lücken oder leichte perspektivische Ungereimtheiten entstanden, ist nicht verwunderlich. Da stieß die Fotografie aufgrund begrenzter Aufnahme- und Drucktechniken damals an ganz andere Grenzen als die Maler mit Blick auf die freie und weite Natur.
Als Fotograf hat Mylius die Erinnerung an zahlreiche Orte in der Mainmetropole bewahrt, die es heute so nicht mehr gibt, und damit hat er zugleich den zeitgeschichtlichen Wandel einer Stadt dokumentiert, die sich auch heute immer wieder neu erfindet. Das macht die Bilder auch nicht nur für Lokalpatrioten interessant.
Bei einem Ausflug an den konzentrierten und übersichtlich gestalteten Schauraum gleich neben dem Eingang im Städel, in dem oft die Zeichnungsausstellungen stattfinden, kann man völlig ungestört mit den Augen noch einmal durch die verschiedenen Zeitschichten des 19. Jahrhundertsund durch das mittelalterliche Frankfurt reisen und dabei ästhetisch erleben, wie – unabhängig vom historischen Stil – architektonische Gestaltungsprinzipien so etwas wie einen organischen städtischen Zusammenhalt schaffen können.
FRANKFURT FOREVER! FOTOGRAFIEN VON CARL FRIEDRICH MYLIUS
bis 1. Juni 2025
Städel Museum,
Schaumainkai 63
60596 Frankfurt am Main
Besucherservice:
+49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de
Öffnungszeiten:
Di, Mi, Fr, Sa, So + Feiertage 10.00–18.00 Uhr, Do 10.00–21.00 Uhr
DIE ZEITREISE ZUM NACHSCHAUEN UND NACHLESEN EN DÉTAIL:
Anhand der exzellent gedruckten Abbildungen in dem Buch von Eberhard Mayer-Wegelin, Das alte Frankfurt am Main 1855-1890. Photographien von Carl Friedrich Mylius aus dem Verlag Schirmer&Mosel (Buchhandelsausgabe 49,80 €, broschierte Museumsausgabe 39,80) kann man die radikalen Veränderungen im Straßenbild der Mainmetropole nochmal nach dem Besuch der Ausstellung Revue passieren lassen. Ein Muss für jeden, der sich für die Gestaltung von Städten interessiert!