Fotografie, die Maßstäbe setzt – „Hierzulande“ in den Opelvillen
Robert Lebecks unbestechliches Auge für den entscheidenden Moment
Von Hans-Bernd Heier
Der bedeutende Fotograf Robert Lebeck schuf in vierzig Jahren ein umfangreiches Werk, das im Fotojournalismus und in der Porträtfotografie neue Maßstäbe setzte. Sein sicheres Gespür für aktuelle Themen und die Begabung, sie mit wenigen Bildern zu erfassen, setzte vielbeachtete Standards auf dem Gebiet der Reportage-Fotografie. Im Fokus der aktuellen Ausstellung in den Opelvillen Rüsselsheim stehen seine prägenden Deutschlandbilder von 1955 bis 1983, daher auch der ungewöhnliche Titel »Hierzulande«. Zu sehen sind in der sehenswerten Retrospektive über 150 Schwarz-Weiß-Fotografien, darunter Fotostrecken von Elvis Presley, Maria Callas oder Romy Schneider, aber auch noch nie veröffentlichte Fotografien Lebecks.
Robert Lebeck „Willy Brandt im Speisewagen“, Süddeutschland, 1973; © Archiv Robert Lebeck
Mit seinen Aufnahmen dokumentierte Robert Lebeck die kleinen und großen Szenen des Alltags in der alten Bundesrepublik und hielt damit ein Stück Zeitgeschichte fest. Gleichzeitig fand der Fotojournalist Zugang zu Persönlichkeiten wie Willy Brandt, den er für mehr als zwei Jahre begleitete. Er dokumentierte seinen Wahlkampf und Wahlsieg sowie die ersten Schritte im Amt des Bundeskanzlers. Zahlreiche Porträtfotografien von Romy Schneider zeugen von dem hohen Vertrauen, das die Schauspielerin dem Fotografen entgegenbrachte. Auch Maria Callas, Alfred Hitchcock oder Joseph Beuys hielt er subtil und ebenso eindringlich fest.
Lebeck fotografierte, wenn geküsst, getrunken und getanzt, aber auch, wenn geweint und gelitten wurde. Mit seiner charismatischen Gabe zur stillen Beobachtung kam er den Menschen nahe. „Bei seiner Arbeit interessierten den Fotoreporter stets die Menschen mehr als die Ereignisse; er richtete den Blick oft auf das Kleine, wenig Beachtete und wurde mit persönlichen Aufnahmen zu einem scharfsichtigen Illustrator und visionären Deuter der Geschichte“, erläutert Kuratorin Dr. Beate Kemfert, Vorstand der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim.
Cordula Lebeck, Leiterin des Archivs Robert Lebeck, und Kuratorin Beate Kemfert bei der Pressevorbesichtigung; Foto: Hans-Bernd Heier
Geboren wurde Robert Lebeck 1929 in Berlin und als 15-Jähriger in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs zur Wehrmacht eingezogen. 1945 geriet er an der Ostfront in Gefangenschaft. Zurück in Deutschland besuchte er das Fürstenberg-Gymnasium in Donaueschingen, legte dort sein Abitur ab und absolvierte ein Studium der Völkerkunde in Zürich und New York. Nach dem Studium entschloss sich Lebeck, die Laufbahn eines Fotografen einzuschlagen und eignete sich als Autodidakt die Grundlagen der Fotografie an. Erste Aufträge erhielt er zunächst von diversen Heidelberger Zeitungen, dann fotografierte Lebeck für die bekannte Illustrierte »Revue«, deren Redaktionsbüro er ab 1955 in Frankfurt am Main leitete.
Seine Karriere als Fotoreporter setzte Lebeck bei dem renommierten Magazin »Kristall« fort. Gleich während seiner ersten großen Reportage im Ausland gelang Lebeck ein besonderer Coup, der ihn international bekannt machte: Er fotografierte, wie ein junger Kongolese den Degen des belgischen Königs Baudouin bei dessen Staatsbesuch 1960 – während der Unabhängigkeitsfeiern des Kongos – stahl. Seine ungewöhnlichen Fotoreportagen machten 1962 den »Stern« auf ihn aufmerksam, der Lebeck für sein festes Reporterteam engagierte. Nach einem Intermezzo als Chefredakteur bei »Geo« kehrte er zum »Stern« zurück, wo Lebeck bis 1994 bleiben sollte.
Robert Lebeck „Romy Schneider am Set“, 1976; © Archiv Robert Lebeck
Lebecks großes Vorbild war der renommierte Fotograf Erich Salomon mit seinen Fotoserien „Berühmte Zeitgenossen in unbewachten Augenblicken“ (erstmals 1931 erschienen). Salomons Devise, die Porträtierten die Anwesenheit der Kamera nicht spüren zu lassen, aber den Mut zu notwendigen Indiskretionen zu bewahren, leitete den Fotoreporter insbesondere beim Umgang mit den Mächtigen. So gerieten seine Bilder von Winston Churchill 1956 bei einem Empfang im Palais Schaumburg in Bonn, dem damaligen Sitz des Bundeskanzlers, zu einer Hommage an Salomon, den “König der Indiskretion“. Lebeck hatte sich, wie es heißt, hinter einem Vorhang versteckt, bis der Gastgeber Konrad Adenauer rief: „Ist denn kein Fotograf mehr da?“ Wie gerufen ergriff Lebeck die Gelegenheit. „Es gelangen ihm unzählige Aufnahmen, die sowohl als Zeitdokumente der Bonner Republik wie auch als zeitlose Varianten des Spiels um die Macht und Menschlichkeit den spezifischen emotionalen Moment ihrer Protagonisten bewahren“, so Cordula Lebeck.

Robert Lebeck „Heimkehrer mit Mutter und Sohn im Durchgangslager Friedland, 1955″; © Archiv Robert Lebeck
Die Arbeiten der sehenswerten Schau in den Opelvillen sind chronologisch gehängt und in zwölf Themenblöcken gegliedert: angefangen mit den „Heimkehrern“. Im September 1955 verhandelte Bundeskanzler Konrad Adenauer in Moskau über die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen aus sowjetischen Lagern. Am 9. Oktober sollte der Transport der sogenannten Spätheimkehrer auf dem Grenzbahnhof in Herleshausen ankommen. Niemand wusste, wer dabei sein würde. Robert Lebeck, mit gerade mal 26 Jahren zum neuen Redaktionsleiter des Frankfurter Büros der „Revue“ bestellt, berichtete noch vor der Konkurrenz über dieses denkwürdige Ereignis. Es entstand eine emotional tiefgehende Bilderzählung mit dem Titel „Heimkehr der Zehntausend“.

Robert Lebeck „Auf der Karl-Marx-Straße, Berlin-Neukölln“, 1961; © Archiv Robert Lebeck
Besonders erwähnt sei neben den außergewöhnlichen Foto-Reportagen über Romy Schneider, Maria Callas, Elvis Presley, Alfred Hitchcock und Joseph Beuys noch die Foto-Dokumentation „Deutschland im März“ von 1983. Seine Motive für die spontane Reise fand Lebeck in ausgelassen feiernden Karnevaljecken, einem sterbenden Wald im Schwäbischen, Hunger und Armut am Hamburger Hafen oder einer alten Dame, die Unterwäsche im Sonderangebot unter die Lupe nimmt. Mit diesen Aufnahmen dokumentierte Robert Lebeck, der sich nie als Fotokünstler, sondern stets als Fotoreporter verstand, die kleinen und großen Szenen des Alltags in der alten Bundesrepublik und hielt damit ein Stück Zeitgeschichte fest.
Als die Reportage dann auf zwölf Doppelseiten im Stern erschien, gab es heftige Proteste: Die Bild-Zeitung beispielsweise veröffentlichte einen vernichtenden Kommentar. Dazu merkte Lebeck lapidar an: „Dabei war ich einfach nur offenen Auges durch Deutschland spaziert. Für meine Landsleute war ich dennoch ein Nestbeschmutzer“.
1991 erhielt Robert Lebeck den Dr. Erich Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) und 2007 den Henry Nannen Preis für sein Lebenswerk. Sein Werk wurde in zahlreichen Ausstellungen gezeigt und in Fotobüchern veröffentlicht. Lebeck hat sich neben seiner Tätigkeit als herausragender Fotograf auch als Sammler alter Fotografie einen Namen gemacht. 2014 starb Lebeck in seiner Heimatstadt Berlin.
Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt mit der Sparkassenstiftung Lüneburg und dem Archiv Robert Lebeck. Die grandiose Schau ist noch bis zum 15. Juni 2025 zu sehen und wird von einem umfangreichen Begleitprogramm ergänzt.
Ein besonderes Schmankerl:
am Faschings-Samstag, 1. März, und am Faschings-Sonntag, 2. März, haben alle Gäste freien Eintritt, die als Maria Callas, Elvis Presley, Joseph Beuys oder Alfred Hitchcock verkleidet kommen.
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