Johan Simons bringt Elena Ferrantes „Meine geniale Freundin“ auf die Bochumer Bühne
Frauen im Patriarchat – Ferrantes neapolitanische Saga
von Simone Hamm
Mit der Umsetzung dicker Romane für die Bühne hat Johan Simons Erfahrung. So ließ er Dostojewskis 1000 Seiten langen Roman „Die Brüder Karamasow“ spielen mit herausragenden Schauspielern, einem faszinierenden Bühnenbild, (etwa Ikonen, Kerzen, ein großer weißer Hund, dunkle Glocken im 1. Akt), mit hinreißenden Kostüme, die diesen siebenstündigen Abend zu einem Hochgenuss machten. Jetzt hat Johan Simons sich Elena Ferrantes vierteilige, über 1700 Seiten erzählte Geschichte einer Frauenfreundschaft vorgenommen. Koen Tachelet hat die Bücher für die Bühne bearbeitet. Das Stück heißt wie der erste Band der Quadrologie: „Meine geniale Freundin“.
Jele Brückner, Stacyian Jackson (v. li.) © Jörg Brüggemann / Ostkreuz
Schuhe, Stühle und Tische auf der sich drehenden Bühne, sonst nichts. Sechs Stunden lang führt Johan Simons das Publikum, das dreimal die Plätze wechselt, sogar auf der Bühne sitzt, also die Perspektiven wechselt, durch das Leben zweier Frauen vor dem Hintergrund der italienischen Geschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und des frühen 21. Jahrhunderts. Gezeigt wird etwa der Kampf der Roten Brigaden gegen die Faschisten. Und am Ende gewinnt doch der Neoliberalismus.
Lila und Lenú werden 1944 in einem armen Vorort von Neapel geboren, den sie nur„Rione“(Stadtviertel) nennen. Das wird ihr Leben für immer beeinflussen. Die beiden sind befreundet, rivalisieren miteinander. Die eher schüchterne, fleißige Lenú ist die Hauptfigur. Ihr gegenübergestellt ist Lila: realistisch, bodenständig, unangepasst und faszinierend fremd zugleich. Die Frauen ergänzen einander.
Lila heiratet jung, bekommt ein Kind von einem anderen, von Nino, einem Schwerenöter, der sie bald verlässt, macht Geschäfte mit der Camorra, flieht vor ihrem brutalen Mann, arbeitet in einer Fleischfabrik.
Elena geht fort, studiert, wird Schriftstellerin, heiratet einen Professor, den Sohn aus einer Großbürgerfamilie. Beide Frauen leben im Patriarchat, können sich nicht so bewegen, wie sie wollen. Sie leiden unter der Gewalt der Männer, werden bedroht, belogen, ja vergewaltigt, kämpfen sich aus unglücklichen Ehen heraus. Jede auf ihre Weise.
Sie sind stark – und sie werden stark gespielt. Jele Brückner ist Lenú, Stacyian Jackson ist Lila.
Die Nebenfiguren hingegen sind nicht richtig ausgearbeitet. Zudem spielt jeder Schauspieler, jede Schauspielerin gleich mehrere Rollen. Sie ziehen sich ununterbrochen Jacket oder Rock an und aus, verändern ihre Stimmen und werden zu einem, einer anderen: zum Mafiaboss, Schwulen, Fabrikbesitzer, zur gedemütigten Ehefrau, zur erfolgreichen Verlegerin.
Über die Bühne werden Bilder von Neapel, Filmausschnitte projiziert. Und Lenú und Lila in Großaufnahme. Sie werden gefilmt von Kameras auf den Holztischen, an denen sie sitzen.
Die Frauen schimpfen über das Patriarchat, die Studenten über den Kapitalismus. Ein Slogan reiht sich an den anderen, eine Parole an die andere. Das ist zu plakativ und berührt deshalb niemanden. Aber es ist auch zu simpel, als dass es den Intellekt anspricht, die Zuschauer zum Nachdenken über politische Verhältnisse anregt. Johan Simons Konzept, den Armen und Unterdrückten von Neapel, allen voran den Frauen, eine Stimme zu geben, kann so nicht aufgehen.
Stacyian Jackson, Jele Brückner (v. li.) © Jörg Brüggemann / Ostkreuz
Die Szenen wechseln schnell. Es werden fürchterliche Missstände gezeigt, etwa, dass der Fabrikbesitzer die schönsten Arbeiterinnen zu sich ruft und sie dann vergewaltigt. Das mag im Italien der sechziger Jahre so gewesen sein, dürfte heute aber in dieser Selbstverständlichkeit nicht mehr vorkommen. Elena Ferrante hatte solche Szenen minuziös beschrieben, ihre Leser und Leserinnen ganz tief in das Leben ihrer Protagonistinnen, in die damalige Zeit eintauchen lassen. Das gelingt der Bühnenadaption nicht. In der Aufführung wurde „Meine geniale Freundin“ zu einem Stück von gestern.
Nur einzelne Szenen schaffen es, zu berühren. In der schönsten Szene des Abends begegnen sich Lenú und Nino, der Mann, den Lenú schon von Kindheit an liebt und der der Vater von Lilas Kind ist, wieder. Beide sind verheiratet, beide haben Kinder. Sie drückt ihre kleine Schreibmaschine an die Brust, sie ist doch eine erfolgreiche Schriftstellerin geworden, hat den Aufstieg aus dem Problemviertel geschafft. Nino (William Cooper), lang, schlaksig, tanzt zu einem Song von Sam Cooke um sie herum: „Bring It On home To Me“. Lenú ist hingerissen. Sie glaubt ihm alles, was er verspricht.
Nino bleibt Nino, bleibt verheiratet, hat Affären. Am Ende kehrt Lenú ins „Rione“, nach Neapel zurück. Allein mit ihren Kindern. Bei einem Ausflug verschwindet Lilas zweites Kind, später dann sie selber. Sie bleibt unauffindbar.
Manche Szenen an diesem langen Abend sind furios, werden lange im Gedächtnis bleiben. Doch die – wie immer in Bochum – phantastischen Schauspieler bekommen nicht genug Raum, die Figuren haben keine Möglichkeit, sich – abgesehen von den beiden Hauptdarstellerinnen – wirklich zu entwickeln. Ein langer Abend.
Aber es gibt auch Stärkung für die Zuschauer. In einer der Pausen werden italienische Vorspeisen gereicht.
„Meine geniale Freundin“ ist in dieser Spielzeit im Bochumer Schauspielhaus noch zu sehen am:
So 23.2.2025
Sa 29.3.2025
So 30.3.2025
Fr 18.4.2025