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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Guercœur“ – Tragédie en musique von Albéric Magnard an der Oper Frankfurt

Das Leben ein vergiftetes Geschenk – doch die Hoffnung stirbt zuletzt

von Renate Feyerbacher

Was für eine außergewöhnliche Geschichte, was für eine musikalische Rarität. Wieder eine Ausgrabung: eine spannende Inszenierung, ein differenziert-tolles Bühnenbild, unterstützt durch eindringliche Schattenspiele, durch ideenreiche Kostüme, hervorragend ausgeführt von den Sängerinnen und Sängern, einem starken Chor und einem ausgezeichnet musizierenden Orchester unter Leitung einer feinfühligen Dirigentin. Fazit: die überwältigende Frankfurter Erstaufführung von Guercœur des französischen Komponisten Albéric Magnard (1865-1914) wurde vom Publikum mit Jubel bedacht.

vorne: v.l.n.r. Anna Gabler (Vérité), Judita Nagyová (Souffrance), Bianca Andrew (Bonté; kniend), Claudia Mahnke (Giselle) und Domen Križaj (Guercœur) sowie im Hintergrund sitzend Chor der Oper Frankfurt), Foto: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Guercœur, der sein Land in die Freiheit geführt hat, starb überraschend. Das ist zwei Jahre her. Die Seligkeit des paradiesischen Ortes hält er jedoch nicht aus, obwohl alle ihm gut zureden. Er möchte auf die Erde zurückkehren, um vor allem seine geliebte Giselle, die ihm am Sterbebett ewige Treue schwor, wieder in die Arme schließen zu können. Die Göttinnen Vérité – Wahrheit–(Anna Gabler), Bonté – Güte  (Bianca Andrew), Beauté– Schönheit (Bianca Tognocchi) und Souffrance – Leid  (Judita Nagynová) sind sich zunächst uneins, stimmen dann aber der Entscheidung von Vérité zu, ihm seine irdische Existenz wieder herzustellen.

Was zu erwarten war: in den zwei Jahren nach Guercœurs Tod haben sich die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse verändert. Und Giselle hat ihren Treue-Schwur gebrochen und sich nach zwei Jahren nach einer neuen Liebe umgesehen. Menschlich. Sie liebt Heurtal, den einstigen Schüler von Guercœur, und lebt mit ihm im Haus des Verstorbenen. Die Schuldgefühle, die sie plagen, werden jedoch dadurch verstärkt.

Konsul Heurtal geht seiner Arbeit nach und lässt Giselle allein. Vor ihr steht plötzlich der glückliche Guercœur und träumt von ihrer gemeinsamen Zukunft. Giselles Geständnis macht ihn fassungslos. Aber er hat die Größe, ihr zu verzeihen. Sie schläft ein und erzählt später, Guercœur sei ihr im Traum erschienen und habe ihr verziehen.

Claudia Mahnke (Giselle) und Domen Križaj (Guercœur), Foto: Barbara Aumüller

Was Guercœur, der sich zum Parlament begibt, dort erlebt, hat bürgerkriegsähnliche Momente. Viele Abgeordnete lasten ihm und der Demokratie die Missstände im Land an. Ein Tyrann muss her, der für Ordnung sorgt. Heurtal wird zum Diktator ernannt. Werden wir es 2025 besser machen? Guercœur wiederum versucht, sich Gehör zu verschaffen, aber selbst die, die ihn einst feierten, fallen über ihn her und töten ihn.

 AJ Glueckert (Heurtal; auf dem Tisch stehend) und Domen Križaj (Guercœur; fallend) sowie Chor der Oper Frankfurt, Foto: Barbara Aumüller

Nun ist er wieder im Jenseits – enttäuscht, bittet aber die Göttinnen um Verzeihung wegen seines Hochmuts. Er ist frustriert. Die Schachfiguren fegt er vom Schachbrett, verurteilt zu sinnlos wiederholtem Tun.

Opern-Plakat Strategie-Spiel Schach, Foto: Renate Feyerbacher

In einer langen Ansprache prophezeit Vérité, dass sich in ferner Zukunft der Traum von Liebe, Freiheit und Frieden erfüllen werde. Derzeit werden wir es noch nicht erleben. „L’Espoir“- Hoffnung – ist das letzte Wort der Tragédie.

„Nach rund zehn Minuten mündet dieses komplette Durcheinander in einen Marsch, mit dem sich alle einig sind, dass sie die Diktatur wollen. Das ist schon erschreckend aktuell“, nennt Regisseur David Hermann die Szene im Parlament (2.Akt). Dabei hat Albéric Magnard dieses Werk vor hundert Jahren komponiert und auch den Text verfasst. Beim Gespräch mit Dramaturgin Mareike Wink waren auch Bühnenbildner Jo Schramm und Dirigentin Marie Jacquot dabei. Ihre Meinung zum lustigen und leicht klingenden Marsch: „Mit diesem Zynismus beschreibt er die ‚Schlichtheit‘ des Volkswillens.“ An anderer Stelle betont sie, dass Magnard eine bürgerkriegsartige Szene komponierte, die an den Sturm auf das Kapitol 2021 in Washington erinnert. Bühnenbildner Schramm lässt den Zusammenbruch der Demokratie buchstäblich erlebbar machen. Ein dramatischer Moment.

Die Drehbühne mit dem angedeuteten Bonner Kanzlerbungalow und der dazugehörenden Moore-Plastik macht viele Szenen möglich und sichtbar: den Tod und die Beerdigung, das nüchterne Jenseits, den Parlamentssaal mit den Chormitgliedern als Abgeordnete. Virgine Déjos als Gast hat den Chor ausgezeichnet einstudiert. Das Licht, das Joachim Klein wieder zu verantworten hatte, beeindruckt durch die Personen-Schatten. Sybille Wallum hat sich einprägende Kostüme ausgedacht.

David Hermann, Foto: Renate Feyerbacher

David Hermann, Träger des Theaterpreises DER FAUST (2023), inszeniert seit zwanzig Jahren an der Oper Frankfurt. Warten auf heute (2022) und Aus einem Totenhaus ist einerseits eine menschlich-einfühlsame, andererseits politisch-orientierte Inszenierung gelungen. Der deutsch-französische Regisseur versteht es, die Personen je nach Charakter überzeugend zu führen.

Er ist den Gedanken des Komponisten nahe, der politisch interessiert, sozial engagiert war, sich für Frauenrechte einsetzte und oft radikal handelte. Albéric Magnards Leben verlief dramatisch. Als er 49 Jahre alt war, das war 1914, erspähte er deutsche Soldaten vor seinem Landgut in Baron. Frau und Töchter hatte er in Sicherheit gebracht. 

Die Aufforderung, sich zu ergeben, ignoriert er und schießt mit seinem Armee-Gewehr. Einer der deutschen Soldaten ist sofort tot, ein anderer verwundet. Die deutschen Kavalleristen erwidern das Feuer. Die Gebäude geraten in Brand, der Komponist kommt in den Flammen um und mit ihm seine Manuskripte und Partituren. Auch das Manuskript seiner Oper Guercœr, entstanden zwischen 1897 und 1901, wurde vernichtet. Glücklicherweise besaß sein Komponistenfreund Guy Ropartz (1864-1955) einen Klavierauszug und konnte so das Werk rekonstruieren.

Als junger Jurist war Magnard mehrfach in Bayreuth. Durch die Musik von Richard Wagner fand er zur Musik, die fortan sein Lebenswerk bestimmte. Die Juristerei hängte er daraufhin an den Nagel. Sein Werkkatalog ist schmal, aber seine Werke haben eine wunderbare musikalische Sprache. Der nach und nach zunehmende Hörverlust verbittert ihn allerdings.

Domen Križaj am Premierenabend, Foto: Renate Feyerbacher

Der slowenische Bariton Domen Križaj gehört seit fünf Jahren zum Ensemble. Er singt die Titelpartie: den freiheitsliebenden, stolzen, menschlichen Charakter, ein Illusionist oder auch ein Idealist. Seine große, einprägsame Stimme und sein vielschichtiges Spiel machen aus der Rolle ein Erlebnis. Sie sei, so sagt er im Gespräch nach der Premiere, für ihn weniger anstrengend gewesen als die Rolle des Prinzen von Homburg, die er im Herbst 2024 realisierte.

Claudia Mahnke nach Oper extra am 19.1.2025,  Foto: Renate Feyerbacher 

Mezzosopranistin Claudia Mahnke, ein Urgestein des Ensembles, gab als Giselle ein herausragendes Rollendebüt. Ihre facettenreiche Darstellung begeistert. Der Titel Kammersängerin wurde ihr an der Staatsoper Stuttgart, zu der sie ehemals gehörte, erneut an der Oper Frankfurt verliehen. Weltweit steht sie auf allen bedeutenden Opernbühnen. Eine sehr sympathische Künstlerin.

Der amerikanische Tenor AJ Glueckert, der als Erik 2016/17 in Der fliegende Holländer an der Metropolitan Opera New York sein Debüt gab, wurde gleichzeitig ins Frankfurter Ensemble aufgenommen. International sind seine Auftritte. In Frankfurt sang er 2022 den Walther von Stolzing in Die Meistersinger von Nürnberg und vor einem Jahr die Titelrolle in Der Traumgörge. Gesang und Spiel waren beeindruckend.

AJ Glueckert nach Oper extra am 19.1.2025, Foto: Renate Feyerbacher

Auch in der Tragödie Guercœur überzeugt Glueckert in der Rolle des Heurtal. Scharf ist seine Stimme als zukünftiger Diktator bei der Auseinandersetzung im Parlament. Seine Gesten lassen Schlimmes ahnen.

Wieder ein großartiger Opern-Abend – ausgeführt von den Mitgliedern des Frankfurter Ensemble, dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester und dem Chor und Extrachor. Man sollte diesen Opern-Abend nicht versäumen.

Weitere Aufführungen und Veranstaltungen:

am 13.,16.,21. und 23. Februar, am 1. und 8.März.

Michel Friedman im Gespräch mit Herfried Münkler über Freiheit am 18.2.

Trailer: https://oper-frankfurt.de/de/oper-frankfurt-zuhause/?id_media=471

Telefonischer Vorverkauf:
069-21249494

Online-Tickets:

www. oper-frankfurt.de/tickets

 

 

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