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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Chatam Sofer – Ein Frankfurter Bub in Preßburg

Wie ein Frankfurter im 18. Jahrhundert in der heutigen Hauptstadt der Slowakei Brücken schlug und zum anregenden Vorbild wurde

Von Christian Weise 

Vor einem „Silbersee“, wie meine betagte Freundin Erika solche Auditorien nennt, wurde am Dienstagabend in den historischen Frankfurter Römerhallen eine interessante, nur zehntägige Ausstellung eröffnet.
Thema ist der Oberrabbiner von Preßburg, Chatam Sofer. Er lebte 1762-1839, stammte aus Frankfurt und wirkte rund 33 Jahre als prägender Oberrabbiner im heutigen Bratislava, ungar. Pozsony, slowakisch Presporok, damals aber Preßburg.

Lithographie Chatam Sofers (Rabbi Mosche Schreiber-Sofer) von Josef Kriehuber, circa 1830; heute in der Wiener Albertina , Photo: Wikimedia

Seine Herkunft aus der damals größten jüdischen Gemeinde Deutschlands war ihm so wichtig, dass er nie ausließ zu erwähnen, dass er aus Frankfurt stammte. Ebenso wichtig war Moses oder Mosche Schreiber, wie er eigentlich hieß, zu betonen, dass er klein sei, „katan“. Das traf auf seine Körpergröße zu, vielleicht war es außerdem ein Wortspiel gewesen sein mit seinem Spitznamen, Chatam, ein hebräisches Akronym für „Einsichten in die Tora des Moses“, vielleicht war es ein sympathisches Understatement. Jedenfalls verstand Chatam Sofer (Schreibweise auch Chasom Sopher) sein Wirken als einen demütigen Dienst an den Menschen und natürlich an der Tora.

Von den zahlreichen ehrenvollen Grußworten der Ausstellungseröffnung nur zwei Zitate: Daniel Neumann, Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Hessen und brillantester Redner, betonte, wie sehr das Wirken Chatam Sofers ein wertvoller Bestandteil unseres gemeinsamen Erbes sei.

Daniel Neumann, Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Hessen, Foto: Christian Weise

Imrich Donath aus Bad Homburg, Honorarkonsul der Slowakei, der die Ausstellung initiiert hatte, berichtete, wie beeindruckt er als kleiner Bub davon war, als 1952 in Bratislava viele Menschen eintrafen, um Chatam Sofers zu gedenken. Darüber hinaus wusste Donath auch sehr viel Interessantes über die historische Tora-Rolle von Sala zu berichten, die seine Familie mehrfach trickreich rettete und die heute ihren Platz in Theresienstadt gefunden hat.

In der kleinen Ausstellung zu Chatam Sofer in den Römerhallen finden sich nach Bildern zu seiner Frankfurter Heimatgemeinde auf mehreren Stellwänden Zeugnisse seines Lebens, das er gestaltend vor allem in Preßburg verbrachte, wo er eine einflussreiche Jeschiwa gründete, in der – anders als in Frankfurt –  traditionelle orthodoxe Talmudgelehrsamkeit gepflegt wurde. Einige der besseren Fotos wurden auf Leinen gedruckt. Zu sehen sind mehrere deutsche und slowakische Büchlein über den Oberrabbi, vor allem großformatig wie Talmudausgaben zwei von sieben Bänden seiner „Fragen und Antworten“, die posthum von 1841 bis 1912 in Preßburg, Wien und Krakau erschienen.

Fragen und Antworten. Auflagen von 1895 und 1901

Die von Chatam gegründete Jeschiwa wurde durch einen Brand zerstört, der Nachfolgebau ist ebenfalls nur als Foto erhalten.

Jeschiwa von Preßburg

Ferner zeigt die Ausstellung Spendenbescheinigungen der Rabbinatsschule von 1929 bzw. 1935/36 wie eine vergrößerte Replik der 10-Euro-Münze der slowakischen Bank mit Motiven Chatam Sofers. Sie verdeutlichen neben anderen Exponaten des großen Oberrabbiners Nachwirken.

Spendenbescheinigung mit Chatam Sopher im Briefkopf

Spendenbescheinigung der „Jeschiba“ aus dem Jahre 1935/36 zu Gunsten der Armen im Heiligen Lande

10-Euro-Münze zum 250. Geburtstag Chatam Sofers

Ein Foto der Synagoge von St. Georgen zeigt die einzige Wirkungsstätte des Rabbis, die bis heute erhalten ist. Alle anderen Synagogen und Häuser wurden zerstört

Zum Nachleben Sofers gehört auch: Simon Sofer, ein Enkel Chatams, wurde 1944  als 90-Jähriger in Auschwitz ermordet.

Einen weiteren wichtigen zweiten Akzent der Ausstellung zeigt kollagenartig ein Bildschirm in mehreren Bilderserien: die wechselvolle Geschichte des jüdischen Friedhofs von Bratislava: 1942 wurde der jüdische Friedhof im Zuge von Arbeiten zur Verlegung eines Straßentunnels weithin zerstört, die Gebeine der Verstorbenen wurden umgebettet. Nur die Gräber der Preßburger Rabbiner ließ man auf Protest hin an ihrem Ort, ummantelte das Ganze mit Beton. Später waren die Gräber durch eine Falltür im Rasen zugänglich – ein Kuriosum, heißt es im Wikipedia-Artikel. 2002 wurde die Grabstätte des verehrten Chatam Sofers und seiner Amtsbrüder neugestaltet wieder zugänglich gemacht. Eine architektonisch spannende Lösung lässt durch 35 (?) in die Erde schräg eingelassene dicke Glasplatten Licht von außen in die nun unterirdische Grablege einfallen.

Außenansicht des Friedhofs mit Glasplatten

Ein interessantes Begleitheft mit Aufsätzen von drei kompetenten Autoren bereichert und informiert alle Interessierten. Kuratiert wurde es wie auch die Ausstellung von Imrich Donath und dem Deutschen Kulturforum östliches Europa (Potsdam). Eine Reihe wichtiger Institutionen waren in das Projekt eingebunden und förderten die Ausstellung.

Das Grabmal Chatam Sofers

Geplant war die Ausstellung ursprünglich für 2022, musste aber wegen der Covid-Pandemie ausgefallen und findet nun anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz statt, worauf die Redner genauso eingingen wie auf den zunehmenden Antisemitismus.

Der Wunsch mehrerer Redner war es ein möglichst junges Publikum anzusprechen, das zufällig oder geplant am Römer vorbeikommt. Bei der Eröffnung der Ausstellung indes waren keine Kinder oder Jugendliche zu sehen, obgleich ihr Thema doch ist: ein hochbegabter Frankfurter Bub, der in Osteuropa Karriere machte.

Die Karriere Chatam Sofers ist eingeschrieben in die Spannung zwischen jüdischer Aufklärung (Haskala – für sie stünde beispielsweise Moses Mendelssohn und Frankfurt) und Traditionalismus. War deshalb keiner der Frankfurter Rabbiner bei der Eröffnung anwesend?

Die Verehrung Chatam Sofers und sein Gedenken sind Phänomene, die im gelebten Alltag heutzutage abständig geworden zu sein scheinen und Fragen an uns stellen: Besuchen wir heutzutage regelmäßig Gräber oder Gedenkstätten etwa Goethes, Lessings, Thomas Manns oder der Heiligen Elisabeth, so wie hier zu lernen ist, dass Menschen jene von Chatam Sofer oder seiner Mutter Raisle (Rösel) Schreiber (96jährig gest. 1822) auf den Friedhöfen in Bratislava in Frankfurt aufsuchen?

In der Medienbranche nennt man dies „Anlässe“ oder „occasions“, die dazu dienen, Medien aufmerksam zu machen. Beim Gedenken geht es hingegen um ein nach innen gekehrtes Verankern der Identität und ein gemeinsames Feiern der Zusammengehörigkeit, Phänomene, die geschichtsbewussten und traumatisierten Gemeinschaften eigen sind.

Grabstein für Raisle Schreiber bei der Einweihung 2013. Foto: Raphael Herlich

Zum Ausklang der Ausstellung bereits am kommenden Donnerstagabend den 13. Februar wird die Preßburger Klezmer-Band spielen.

Preßburger Klezmer-Band – Foto: Internetpräsenz von http://www.klezmer.sk

Vielleicht gelingt es den Organisatoren ja noch, wenigstens eine Schulkasse eingeladen, um die Ausstellung für eine thematische Einheit im Geschichtsunterricht mit verschiedenen Referaten zu nehmen: es gibt viel „Silber“ zu entdecken und kennenzulernen in der uns zumeist gedanklich fernen Slowakei: eine lange, komplexe deutsch-ungarisch-österreichisch-slowakisch-jüdische Geschichte, eine interessante Stadtgeschichte Bratislavas, die auch einen künftigen Stadtschreiber des deutschen Kulturforums wert wäre, Akzentuierungen zwischen einem traditionalistischen und aufgeklärten Judentum, Fragen nach Druckorten jüdischer Literatur, Vergleiche zwischen Tschechien (Prag) und der Slowakei (Bratislava), eine angespannte politische Positionierung zwischen Europa und den verschiedenen (mittel-)osteuropäischen Staaten, insbesondere auch zur Ukraine, die Geschichte der Fragen-und-Antworten-Literatur (Erotapokriseis) von der Antike über Byzanz zu frühneuzeitliche Katechismen und halachische Diskussionen bis in die Gegenwart. Und nicht zuletzt auch schließlich die Klezmer-Musik, die auf eigene Weise zwischen Tradition und Moderne, Verstand und Gemüt Brücken schlägt.

Bei der Vernissage wurden die Grußworte von vier Musikstücken gerahmt, gespielt vom Geiger der Frankfurter Oper Sergio Katz.

Sergio Katz – Foto: Christian Weise

Link zum PDF des Ausstellungshefts und Verweis auf die Finissage:

Chatam Sofer. Finissage der Ausstellung in Frankfurt – Deutsches Kulturforum östliches Europa e.V.

Weiterführende Literatur:

Eine historische Dokumentation zum Friedhof aus der Zeit vor der Neugestaltung findet sich in der ZEIT 19/1992 von Dagmar Wienand, Im Untergrund.

Die letzten Lexikonartikel mit Hinweisen auf Chatams publizierte Werke:

  1. Vielmetti, Art. Schreiber (Sofer, Hatam Sofer), Moses, in: ÖBL 11 (1999), 197-198.

Carsten Wilke, Art. Sofer, Sofer, Moses, in: NDB 24 (2010), 536-537.

Sofers Hauptwerk, seine Responsen:

Sefer she’elot u-teshuvot ḥatam sôfer ha-Meor. Hrsg. von Daniel Bitton. 7 Bde. Jerusalem 2011. (ursprünglich Pressburg bzw. später Krakau und Wien 1841-1912).

Eine englische Ausgabe:

Chasam Sofer, Commentary on the Tora. Selected and adapted by Yosef Stern, London 1996 (Engl. Auswahlübers.)

Zu einzelnen Stichworten finden sich interessante Beiträge in der Zeitung „Jüdische Allgemeine“

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