home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

DAM-Architekturpreis 2025: Einhelliges Lob für ein „Gesamtkunstwerk“

Große Vielfalt bei den Nominierten – Nachhaltigkeit und Transformation gehören zu den Hauptkriterien

Von Uwe Kammann

Frankfurt? Immer noch eher eine Randnotiz, auch beim diesjährigen Architekturpreis des Deutschen Architekturmuseums (DAM). Ein unverdientes Aufmerksamkeitsdefizit, wenn man die 23 Projekte Revue passieren lässt, die es diesmal in die vorletzte Stufe des Wettbewerbs geschafft haben, die sogenannte Shortlist? Nein, eher nicht, wie die seit dem 1. Februar im Ostend-Ausweichquartier des DAM zu sehende Ausstellung dieser Letztauswahl und der darin zu findenden Finalisten nahelegt. Vielmehr drängt sich das Fazit auf: Die Bauszenerie ist sehr vielfältig, bietet auch ausreichend Gelungenes – doch schon auf den ersten Blick Herausragendes, gar Spektakuläres lässt sich nicht ausmachen.

DAM-Direktor Peter Cachola Schmal führt zum 1. Preis, dem Spore-Haus in Berlin, von aff Architekten, Foto: Petra Kammann

Auf den zweiten Blick allerdings offenbaren sich bei den Bauten, welche die Jury aus der Erstrunde (gut 100 Projekte, die aus einer umfangreichen Recherche mit einer breiten Vorschlags- und Expertenbasis hervorgegangen sind) gefiltert und im Einzelnen vor Ort untersucht hat, eine Reihe von Qualitäten, die durchaus vorbildlich sind.  Aber schon beim Quartett der Finalisten sind es wiederum höchst unterschiedliche Bauaufgaben, Typologien und Eigenarten, die gekürt wurden, zu kennzeichnen mit Stichworten wie Sanierung, Transformation, Wohnen und Kultur.

DAM-Kuratorin Christina Gräwe vor der Übersichtskarte der Nominierungen in Deutschland, Foto: Petra Kammann

Ein Bau stach/sticht dabei hervor wegen seines einzigartigen Charakters und der ungewöhnlichen Summe der Eigenschaften: das Spore-Haus in Berlin. Die Einzelstatements der Juroren lesen sich folgerichtig wie wahre Lobeshymmnen, kulminierend im Ausruf „Endlich wieder ein Gesamtkunstwerk!“ (Oliver Elser). Im bunten Positiv-Strauß finden sich Kennzeichnungen wie „archaisch und kraftvoll“, „selbstbewusst und selbstverständlich“, „experimentierfreudig“, „markante Setzung“, „großer Ideenreichtum“, bis hin zur Großperspektive: „So geht zeitgenössische Architektur“ – Bauherrschaft und Architekten sei ein „kleines Meisterwerk gelungen, das hoffentlich viele Nachahmer findet“.

Bei aller Euphorie: Diese Erwartung wird sicher eher enttäuscht werden. Denn ein Bauherr wie die Schöpflin-Stiftung aus Lörrach, die einen variablen Ort der Begegnung und des kulturellen Austausches schaffen wollte – mit Seminar- und Werkstatträumen, mit Ausstellungsflächen, einem Vortragssaal, einer Bibliothek, mit Ateliers, auch mit einem einladenden Foyer und Café sowie einer Dachterrasse –, einen solchen (auch großzügigen) Bauherren wird es so schnell nicht wieder geben. Der Muss-Begleitfilm (auf der DAM-Seite abzurufen) verdeutlicht die überaus sympathisch-humanen Züge des Spiritus Rector, der mit aff-Architekten das kongeniale Büro gefunden und gewählt hat, um im Berliner Stadtteil Neukölln (nicht der feinste, aber multi-kulti vom feinsten) einen in jeder Hinsicht offenen Kulturort zu schaffen. Die Spore-Initiative der Stiftung setzt sich für biokulturelle Vielfalt ein und bezeichnet ihr Haus in Berlin als „Plattform für Begegnung und Austausch“.

Von außen wirkt das Haus – inklusive seines direkten, ebenfalls von aff entworfenen Nachbarn – eher monolithisch, trotz des glasoffenen Erdgeschosses. Innen offenbart es einen großen Reichtum an Räumen, spannungsvoll und überraschend in den Perspektiven (auch dies verdeutlicht der Film). Der Blick an die Decke zeigt eine raffinierte, leicht ornamental wirkende Konstruktion aus Betonrippen – auch dies überraschend, ebenso wie die Materialkombination aus Beton, Holz, Metall oder auch Baudraht – und natürlich auch der vorgesetzten Außenhaut aus Ziegeln (teilweise aus Altmaterial wiederverwendet). Auch auf der über eine außenlaufende Himmelsleiter zu erreichenden Dachterrasse findet sich Wiederverwertetes aus der eigenen Baugeschichte. Das alles ist eine Collage aus einem Guss und zugleich über die Kubatur eine klar konturierte Großform.

Zeigt die städtische Lage mit der Passage zum angrenzendem Friedhof beim ausgezeichneten Spore-Haus (der rechte Block) in Berlin-Neukölln, Foto: Petra Kammann

Zum Clou des Standorts gehört, dass die Gründerzeit-Blockform der quirligen Hermannstraße über diese massive ‚Setzung’ mit einem aufgelassenen, dicht bewachsenen Friedhof verbunden wird, dessen verbliebenes klassizistisches Tor die Fast-Zwillinge Spore-Haus und Publix (eine Journalisten-Heimat) als offenes Scharnier verbindet. Zweiter Clou: Weil das Gelände zur Einflugschneise des (ebenfalls aufgelassenen) Flughafens Tempelhof gehörte, stehen die damals notwendigen hohen Masten mit den markierenden Leuchtfeuern als markante Landzeichen unter Denkmalschutz – und bilden nun so etwas wie eine raumdefinierende künstlerische Intervention.

Skulptural wirkt auch ein Wohnkomplex, den Peter Haimerl (Studio for Architecture and Consulting) entworfen hat: als Wabenhaus. Es bildet natürlich einen ungewöhnlichen Kontrast im eher sterilen Neubaugebiet Messestadt Riem in München, das seit bald drei Jahrzehnten auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens entstanden ist. Bei der Erläuterung dieses „Cluster-Wohnens“ wirkt Haimerl geradezu enthusiastisch, sieht in den Wohnräumen mit den beidseitigen Anschrägungen der Fußböden einen deutlichen Raumgewinn, eine erstrebenswerte Abkehr vom üblichen Kisten-Einerlei der gängigen Investorenarchitektur und sogar ein individuelles Sparpotential: „Hier muss man keine Ikeamöbel anschaffen.“  Allerdings, so lassen die Fotos erkennen: Es braucht eine spezielle Maß-Möblierung (auch die entwirft Haimerl), um die Räume nutzen zu können – die Bewohner, so die sich einstellende Assoziation, werden Teil der leicht gestauchten sechseckigen Module, die der von der Modellhaftigkeit seiner Waben (die verschiedene Raumkominationen zulassen) überzeugte Architekt demnächst in Serie herstellen will. Das Außergewöhnliche hat allerdings auch schon Liebhaber gefunden, die Rückmeldungen seien ausgesprochen positiv.

Peter Haimerl bei der Erläuterung seines Wabenhauses, Foto: Petra Kammann

Mit diesem Wabenhaus beweist der vielfach ausgezeichnete Haimerl wieder einmal, welch’ ein willens- und ausdrucksstarker Architekt er ist. Auch im letzten Jahr hat er beim DAM-Preis beeindruckt, mit einem expressiven Musiksaal in einem traditionellem Ensemble. Und vor zehn Jahren hat er geradezu Furore gemacht, ebenfalls mit einem Konzertsaal. Das 2000-Seelen-Dorf Blaibach verdankt seiner Initiative eine neue Ortsmitte, in der ein Kubus aus Beton und Granitsteinen in schräger Dynamik das Bild dominiert – zunächst in der öffentlichen Meinung abgelehnt, inzwischen ein kultureller Anziehungspunkt weit über die (eigentlich abgelegene) Region der Oberpfalz hinaus.

Der Architekt Ritz Ritzer(li) erläutert den Umbau eines Studentenwohnheims in München re: Martin Frölich und Ulrike Dix vom Spore-HausSiegerbüro, Foto: Petra Kammann

Eine dienend-rationale Lösung, aufbauend auf Bestehendem, hat der weitere Finalist aus München, bogewischs buero, geliefert. Hier haben die Architekten in der Studentenstadt Freimann ein scheibenförmiges, durch umlaufende Betonbalkone geprägtes Wohnheim aus den 1970er Jahren einer Generalsanierung unterzogen und dabei Kernelemente bewahrt. Ein entscheidendes Plus entstand, indem die Böden der alten Balkone den Apartments zugeschlagen wurden, was einen Gewinn um rund 2 Quadratmeter brachte, auf nun gut 16 Quadratmeter. Der zweite entstandene Pluspunkt: Die nun vorgelagerten (Flucht-)Balkone aus Gitterrosten verschaffen zusätzliches Tageslicht, und sie lassen das Haus von außen wesentlich transparenter und filigraner erscheinen, so wie auch durch entfernte Wände bei Foyer und Haupteingang ein wesentlich großzügigerer Eindruck entsteht. Die Umbaukosten betrügen, so Ritz Ritzer von bogewischs buero bei der Präsentation im DAM, für jedes der 426 Apartments zwischen 40.000 und 50.000 Euro. Die vom Studentenwerk verlangten Mieten lägen bei 350 Euro – für Münchner Verhältnisse also sehr günstig.

Wie in den vergangenen Jahren, so stachen auch diesmal wieder gelungene Transformationen bestehender Bauten hervor, gerade auch im Kultursektor. In die Finalrunde der letzten Vier schaffte es dabei ein Ensemble im brandenburgischen Finsterwalde, das jetzt unter dem Titel „Kulturweberei“ firmiert. Das Ganze ist ein Konglomerat, zu dem sowohl die Alte Weberei als noch nicht renovierter Industriebau gehört als auch unmittelbar angrenzende Bauten wie ein denkmalgeschütztes Kesselhaus mit einem markanten Schornstein und eine Schlosserei. Das Büro Habermann Architektur hat weitere Trakte errichtet, welche die Industrie-Anmutung mit einer Ziegel-Stahlrahmenfassade aufnehmen.

DAM-Kurator Yorck Förster vor dem ausgezeichneten Kulturbau in Finsterwalde, Foto: Petra Kammann

In einem inneren Block errichteten sie einen auch als Stadthalle genutzen Konzertsaal, der je nach Bedarf teilbar ist und sich unterschiedlichen Klangerfordernissen anpassen lässt. Im Jurytext wird es als „kleines Wunder“ bezeichnet, dass der Bau (Wettbewerbsjahr: 2012!) überhaupt zustande kam. Entscheidend war letztlich eine Volksabstimmung, auch sie sicherlich bemerkenswert, weil das Angebot eines Konzertsaals mit 640 Plätzen für eine 16.000-Einwohner-Kommune natürlich ambitioniert ist. Doch das Engagement aller Beteiligten scheint sich auszuzahlen, deshalb soll in den kommenden Jahren der Weg auch noch fortgesetzt werden mit einer Sanierung der Weberei – mit dem Ziel, den Komplex noch weiter zu öffnen.

Dieses Beispiel in Finsterwalde steht stellvertretend für ein Baugeschehen, das eines zeigt: in Deutschland sind herausragende Lösungen nicht an die Ballungsräume gebunden, auch in der sogenannten Provinz ist Vorbildliches zu finden. Als positiv konstatiert DAM-Direktor Peter Cachola Schmal, dass es auch eine merkliche Ausweitung der regionalen Schwerpunkte gibt, über die traditionell starken Länder Bayern, Baden-Würrttemberg und Berlin hinaus: eben mit Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg oder auch Schleswig-Holstein. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob der spärliche Erfolg in  Ländern wie Hessen oder Nordrhein-Westfalen etwas mit mangelndem Bewusstsein für die Förderung von Bauqualität zu tun hat, vielleicht auch mit einem nur gebremsten öffentlichen Engagement.

Dass Größe selbst kein Kriterium ist, wird schnell deutlich. Die beiden Antipoden finden sich diesmal in Berlin. Einmal mit dem kleinsten Bau, in den Dimensionen ähnlich wie im letzten Jahr eine Toilettenanlage in Weimar. Diesmal ist es ein so kleines wie schlichtes Café in einem Berliner Park, der – so wegen Drogenhandel – zu einem Unort zu werden drohte. Hier hat das Büro Sophie & Hans ganz unspektakulär mit einem so bescheidenen wie sauber gestalteten Holzbau einen Anlaufplatz geschaffen, der die sozialen Bezüge in eine neue Ordnung bringt und dabei sogar von Vandalismus verschont geblieben ist.

Saniertes Pressehaus am Alexanderplatz (Gerkan, Marg & Partner) mit den vorgelagertem Café und dem umlaufenden Fries, Foto: Uwe Kammann

Das größte/höchste Beispiel ist eine Sanierung des Pressehauses am Rand des Alexanderplatzes, zu seiner Entstehungszeit Anfang der 70er Jahre ein Musterbeispiel der DDR-Moderne (mit einem markant-expressiven Treppenturm an der Stirnseite), das fast der Neuplanung des Areals in den 90ern zum Opfer gefallen wäre. Das Hamburger Großbüro gmp (Gerkan, Marg und Partner) hat die Grundstruktur des scheibenförmigen Hochhauses erhalten, eine neue Fassade vorgehängt (nach einer zwischenzeitlichen, entstellenden Renovierung) und dem nach damaligem Stand isoliert platzierten Bau eine Teilummantelung mit einem angeschrägten Bürotrakt (orientiert an der Berliner Traufhöhe) angefügt. Das Ganze sieht überaus organisch aus, verströmt eine gewisse leichte Eleganz und wartet zudem noch mit einem freigelegten DDR-Zitat auf: einem Wandfries an einem herausgeschobenen Sockelcafé. Das wirkt wie ein Gruß zu dem umlaufenden Fries, das als leuchtender Augenfang zum Haus des Lehrers am Alexanderplatz gehört. Wie schon beim Kulturpalast in Dresden (2019 mit dem DAM-Preis ausgezeichnet) beweist gmp überzeugend, welche Qualitäten in der DDR-Moderne stecken und wie mit intelligenten Akzentuierungen sich die Potentiale auch unter heutigen Anforderungen heben lassen.

Umbau einer traditionellen Villa in Radebeul von Summacumfemmer Architekt*innen, Foto: Uwe Kammann

Überhaupt – und dies ist durchgehend auch bei der diesjährigen Preisauswahl (beginnend bei der Basis mit der Hundertschaft der enger diskutierten Bauten) zu erkennen –: Die lange geltende Herrschaft des Neubauens um jeden Preis ist gebrochen. Stattdessen gibt es zahlreiche Beispiele für Um- und Anbau, für Umwandlung/Transformation und Anverwandlung, für Sanierung und Renovierung, für behutsame Weiterentwicklung. Die Spannweite ist dabei groß, Dogmen sind glücklicherweise überwunden.

So gibt es bei der Bauaufgabe Wohnen eine gelungene Kombination von Sanierung und Umbau einer traditionellen Villa in Radebeul (Summacumfemmer Architekt*innen) – und als modernen Gegenpol ein vollkommen transparentes, als schwebende Konstruktion errichtetes Wohnhaus (Peter Grundmann Architekten) in Neukieritsch, an einem der Seen gelegen, die aus der Flutung früherer Braunkohlegruben entstanden sind. Diese Lage nutzt das Haus aus, stelzt sich sogar über eine improvisiert-lässige Konstruktion mit seinen drei Geschossen ins Wasser. Das hat Witz, ist mutig – und natürlich überaus individuell.

Leicht und schwebend: das individuelle Haus am See von Peter Grundmann Architekten, Foto: Petra Kammann

Zu den soliden gemeinschaftsbezogenen Positionen gehören (beim DAM-Preis nun schon seit einigen Jahren hervorgehoben) genossenschaftliche Modelle wie jenes in Frankfurt, bei dem neun Wohneinheiten in klassischer Straßenrandlage mit vormontierten Elementen errichtet wurden, so dass auch Kosteneinsparungen zu realisieren waren. Dass eine raffinierte Profilglasfassade – auf pastelligem Grund – wie das berühmte Tüpfelchen auf dem I wirkt, trägt natürlich zu zusätzlicher Aufmerksamkeit bei (DGJ Architektur).

Dass der Kirchenbau, der gerade in den 60er Jahren eine Blütezeit erlebte, inzwischen eher zu einem Umbauprogramm, zu einer Transformation der Zwecke und Funktionen geworden ist, hat sich schon lange abgezeichnet. Beim diesjährigen Wettbewerb ist der interessante Fall einer inneren Neuinterpretation der Kirche in einem früher weitläufigen, inzwischen aufgeiösten Klosterkomplex zu studieren (Brückner & Brückner Architekten). Der Kern dieser früheren Gesamtanlage in Neumarkt in der Oberpfalz, die Christuskirche, wurde im Innern radikal umgestaltet: im Sinne eines absolut puristischen Raums in strahlendem Weiß, blickkonzentriert auf eine neue Apsis, die wie eine Hohlskulptur wirkt, der als Zwischenblickfang ein hocheleganter schwarzer Altar vorgelagert ist, der vom 70er-Jahre-Designer Verner Panton stammen könnte. Der Gemeinde wurde diese (ultraprotestantische?) Renovierung im Vorfeld per Video ans Herz gelegt. Ob die auf ähnlichen Purismus setzende, gerade abgeschlossene Umgestaltung der Hedwigskathedrale in Berlin (die wiederum erzkatholisch ist) im nächsten Jahr einen Platz im DAM-Preisverfahren bekommt?

Das Umweltbildungszentrum in Augsburg von Hess/Talhof/Kusmierz, Foto: Petra Kammann

Dass das ganz und gar säkulare Stichwort Nachhaltigkeit allgegenwärtig ist, wird niemanden verwundern (wobei die Praxis vielgestaltig ist); und dass der Baustoff Holz unübersehbar Feste feiert (in perfekter Form beim Umweltbildungszentrum in Augsburg von Hess/Talhof/Kusmierz), ist ebenso augenscheinlich. Wobei verblüffend ist, mit welcher Liebe zu traditionellen Handwerkstechniken die Bauteile verwendet und verbunden werden (so beispielhaft beim IBA Collegium Academicum in Heidelberg (DGJ Architektur). Auch Kurioses ist zu finden: Die hölzerne Stirnwand des Lernhauses für Bildung in Nabburg lässt schmunzeln, weil sie an ein überdimensioniertes Vogelhaus erinnert (Max Otto Zitzelsberger).

Vieles ließe sich noch anführen, um zu zeigen: Es gibt gute, vorbildliche und individuell nachahmenswerte Alltagsarchitektur im gesamten Spektrum des Baugeschehens, oft von jungen, erfrischend unkonventionell arbeitenden Büros. Architektur fürs normale Leben, wenn man will, weitab des Spektakulären. So werden die Kinder in manchen Orten mit Freude in ihre Kita und ihre Schule gehen, allein weil die Bauten einladend sind, phantasievolle Räume bieten, über intelligente Raumlösungen die Bewegungen selbst zu einem pädagogischen Programm geraten lassen. Dabei verzeichnet man mit Staunen, dass das neue Gymnasium in Langenhagen (gernot schulz : architekten) eine Neuerung anpreist – nämlich Lernhäuser statt aufgereihter Klassenräume –, die Hans Scharoun als pädagogische Ideallösung schon Ende der 50er Jahre in perfekter Form in Lünen realisiert hatte. In der holzbestimmten Konstruktion mit umlaufenden Galerien allerdings bietet Langenhagen ein ganz anderes Bild, weit entfernt von den organischen Vorgaben Scharouns.

All diese Linien der gegenwärtigen Entwicklung lassen sich bestens studieren in der Publikation, welche den DAM-Preis wieder in gewohnt solider Form begleitet und unter dem fortlaufenden Serientitel firmiert: „Deutsches Architektur Jahrbuch 2025“ (erschienen bei DOM publishers, Berlin). Dass auf dem Cover auch klein zu lesen ist „German Architecture Annual 2025“ hat seinen guten Grund, weil die Beiträge auch in engischer Übersetzung zu lesen sind. Bemerkenswert – weil leider bei dieser Thematik an anderer Stelle nicht garantiert – ist die außerordentliche sprachliche Qualität dieser Beiträge, sowohl bei den von Juroren erstellten Beschreibungen und Charakterisierungen der nominierten Bauten als auch – ausführlicher – bei den Ausführungen  zu den Finalisten. Das ist, bei allen individuellen Unterschieden, jeweils eine verständliche Hinführung. Auch das Bildmaterial mit Außen- und Innenaufnahmen ist von hoher Qualitität, vermittelt eine gute visuelle Annäherung an die Eigenschaften und Qualitäten der Bauten. Den Herausgebern Yorck Förster, Christina Gräwe und Peter Cachola Schmal (allesamt DAM) kann man zu dieser Arbeit nur gratulieren.

Sie sind in gleicher Funktion als Herausgeber verantwortlich für den „Architekturführer Deutschland 2025“, der als Parallelpublikation nicht nur zu empfehlen, sondern als Begleitung unerlässlich ist. Denn hier ist das ganze Spektrum der Hunderter-Erstauswahl zu begutachten, aus welcher die 23 für die Shortlist nominierten Arbeiten herausgefiltert wurden. Das alles ist im schmaleren Hochformat zwar wesentlich knapper dargestellt, aber es ist nützlich, um einen ersten Eindruck zu gewinnen – und um vielleicht nach eigenem Urteil den einen oder anderen Akzent zu setzen.

Die Factory in Lissabon als ausländisches Beispiel von Julian Breinersdorfer Architekten, Foto: Petra Kammann

Das Jahrbuch selbst bietet auch, wie in jedem Jahr, wieder einen Überblick über besonders interessante Projekte deutscher Architekten im Ausland. Diesmal gehört ein adaptiver Umbau eines traditionsreichen Baus in Lissabon dazu, mit einer sehr markanten Holzkonstruktion (Julian Breinersdorfer Architekten), eine ganz andere Lösung und Dimension als beispielsweise die Hightech-Architektur, mit der Ingenhoven Architects im Rahmen des DAM-Preises für ihre herausragenden Leistungen beim Export der Dienstleistung Architektur gewürdigt wurden.

Wie immer, gehört zum Jahrbuch ein informativer Anhang mit einer Reihe von Sachinformationen zum Thema Architektur, aber natürlich auch ein zusätzlicher inhaltlicher Akzent über einen zentralen Essay. In ihm beschäftigt sich der auf Frankfurter Stadtplanung spezialisierte FAZ-Journalist Günter Murr mit den Perspektiven unserer Innenstädte. Die – viele Faktoren zeigen es – einem bedeutsamen Strukturwandel unterliegen, weil bisherige Funktionen (eher mit der Vorsilbe ‚mono’ versehen) teils radikalen Änderungen unterliegen, speziell beim Handel. Murr zeichnet dies nach, zeigt auch anhand externer Experten Perspektiven auf, so mit anzustrebenden Mischnutzungen unter gastronomischen und kulturellen Vorzeichen. Ob sich das ökonomisch unterfüttern lässt (wer kann sich das leisten?, was ist Grundlage neuer kultureller Angebote?), bleibt eher vage. Bedauerlich ist, dass Murr dem vielbeschworenen Thema Aufenthaltsqualität nur einen winzigen Abschnitt widmet, das Stichwort Schönheit dabei ebenso nur streift wie die völlig gegensätzlichen Auffassungen zur Verkehrspolitik. Obwohl doch die visuellen, die architektonischen und stadträumlichen Vorzüge (oder eben die entsprechenden abstoßenden Eigenschaften) die Attraktivität einer Stadt wesentlich beeinflussen.

Dass auch Fragen des Klimawandels die künftige Stadtgestaltung beeinflussen werden (und es teilweise schon tun), ist inzwischen im Bewusstsein vieler Bürger angekommen. Welche Möglichkeiten es gibt, welche auch bereits realisiert werden, ist Thema eines Interviews von DAM-Direktor Schmal mit Mustafa Rasch vom Stuttgarter Büro SL Rasch. Erörtert werden darin temporäre Verschattungslösungen, vornehmlich über fest installierte Schirme und  bewegliche Dachkonstruktionen. Als Haupthindernis identifiziert Rasch in Deutschland Ängstlichkeit, fehlende Visionen und Ideen zur Modernisierung. Sein Positiv-Beispiel sind die steuerbaren Dachsysteme im saudi-arabischen Medina, ein hochentwickeltes technologisches Projekt, auf welches das Land sehr stolz sei. Mit einer solchen temperatursenkenden Lösung, so Rasch, lasse sich der Aufenthalt für Menschen viel angenehmer machen.

Auch dies also ist ein Aspekt, zu dem das Architekturjahrbuch Anregungen gibt. Immer mit dem Grundgedanken, dass es um ganzheitliche Ansätze geht, dass mit dem individuellen und dem öffentlichen Bauen immer auch die höchst komplexen Bezüge des Zusammenlebens verbunden sind, welche gleichwohl nicht ohne die speziellen Bedingungen und Perspektiven des Einzelnen gedacht werden können. Dies alles drückt sich, keine Frage, gerade auch im diesjährigen Best-Bau des Wettbewerbs aus, eben im Spore-Haus.

Vielleicht wird in zwei, drei Jahren dann auch Frankfurt mit den Insignien aff Architekten bei den Finalisten auftauchen, Denn das Büro hat den Wettbewerb um den Umbau der Hugenottenhalle in Neu-isenburg gewonnen, die Realisierung steht jetzt an. Das Stichwort Transformation hat in den letzten Jahren so manches Projekt beflügelt und in der öffentlichen Diskussion nach vorne gebracht. Warum sollte es nicht auch hier so sein?

 

ARCHITEKTURFÜHRER DEUTSCHLAND 2025

Yorck Förster, Christina Gräwe, Peter Cachola Schmal (Hg.)
Erschienen bei DOM publishers, Berlin / 2024
Softcover, 135 × 245 mm, 224 Seiten, 600 Abbildungen
ISBN 978-3-86922-898-3
Deutsch
Im Museumsshop online und
im Buchhandel erhältlich für 28,- EUR

 

 

 

DEUTSCHES ARCHITEKTUR JAHRBUCH 2025

Yorck Förster, Christina Gräwe, Peter Cachola Schmal (Hg.)
Erschienen bei DOM publishers, 2025

Im Museumsshop und im Buchhandel
erhältlich für 38,- EUR 

 

 

 

Comments are closed.