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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Sidi Larbi Cherkaouis Choreografie „Ihsane“ in Köln

Ein Abend, gewidmet der Schönheit

von Simone Hamm

Von allen zeitgenössischen Choreografen ist Sidi Larbi Cherkaoui der Vielseitigste. Die Ideen für seine Werke holt er von überall her. In „Sutra“ überlässt er jungen Shaolin-Mönchen die Bühne, in „Villa Adriana“ korsischen Sängern. Er tanzte Flamenco mit Maria Pagès. „TeZuKa“ zeigt das Leben des Mangazeichners Osamu Tezuka. In „Ukiyo-e „widmet sich der Kintsugi-Technik: Zerbrochenes wird wieder zusammengefügt, beschädigtes Porzellan mit Goldlack geklebt. Cherkaoui vertanzt Klassisches: Strawinskys „Feuervogel“ und Ravels „Bolero“ und holt Marina Abramovic dazu. Er choreografiert für Beyonceund Madonna. Und er inszeniert Opern. In Köln zeigte der Genfer Ballettdirektor „Ishane“.

Rosenszene aus  dem Gastspiel „Ihshane“ in Köln, Foto: Flip van Roe

Der Sohn einer flämischen Katholikin und eines marokkanischen Vaters, geboren in Antwerpen, lebt von Kind an in verschiedenen Kulturen.

Seit 2022 ist er Ballettdirekter in Genf und kann mit phantastischen Tänzern arbeiten.

In seinen letzten beiden Choreografien wird er persönlich wie nie. In „Vlaemsch“ geht er auf die Kultur seiner Mutter ein. In Köln würde jetzt auf Einladung von tanz.köln „Ihsane“ gezeigt, mit Tänzern des Ballett des Grands Théâtre und Mitgliedern von Cherkaouis Ensemble Eastman.

„Ihsane“ ist dem früh verstorbenen Vater gewidmet. Im Arabischen bedeutet das „Ihsane“ Güte, Zuneigung. Aber noch eine andere Assoziation schwingt bei „Ihsane“ mit. In Lüttich wurde 2012 ein junger homosexueller Mann marokkanischer Herkunft beim Verlassen eines Clubs zu Tode geprügelt. Sein Name war Ihsane.

Der Tanzabend beginnt in einer Schule. Der Lehrer bringt seinen Schülern – und dem Publikum – etwas auf Arabisch bei, er malt den Text mehr, als dass er schreibt. Der Lehrer kann sanft sein, aber er schlägt die Schüler, wenn sie unkonzentriert sind.

Immer ist da das Schöne, das Prächtige wie das überbordende Bühnenbild aus Schnitzereien, Teppichen in den Farben Rot und Gold, und die prächtigen bunten Kostüme mit floralen Mustern von Amine Bendriouich. Und immer ist da rohe Gewalt, wenn ein Mann einen anderen niederschlägt und sein Körper von anderen weggetragen wird oder in einem Video von Maxime Guislain ein Schaf geschlachtet und einem jungen Mann im Lammfell auf der Bühne die Kehle durchgeschnitten wird.

Droht das Stück in Kitsch abzugleiten in dieser Sequenz oder ist es nur meine Assoziation vom Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinweg nimmt? Lange kann ich nicht darüber nachdenken, denn die Totenfeier wird zu einem Fest des Lebens. Sidi Larbi Cherkaoui weiß um die Gewalt und denkt doch radikal positiv. Weich und warm ist das Licht das die Lichtdesignerin Fabiana Piccioli setzt. Es ist unglaublich schön anzusehen, wenn die Hände kreisen. Das Ensemble steht ganz eng beieinander, hebt die Hände, formt sie zu geometrischen Figuren. Jeder macht eine andere Bewegung, und doch kann man harmonischer nicht tanzen.

Szene aus „Ihsane“, Foto: 

Sie tanzen auch eine Art Reigen, fassen einander bei den Händen. Sidi Larbi Cherkaoui weiß zu verhindern, dass das in Folklore abrutscht. Er vereint die Maghrebinische mit der europäischen Welt – die Ornamente, das Bunte verschwinden, es bleibt ein weißer Vorhang. Die Tänzer tragen jetzt Bodies. Ein Kubus senkt sich auf die Bühne, der an die Kabbala erinnert. Alle Tänzer verschwinden darin. Als sie wieder herauskommen, tragen sie Lichter auf die stockfinstere Bühne.

Die Live-Musik von Jasser Haj Youssef klingt (bisweilen sensibel akustisch verfremdet) marokkanisch, gespielt wird meisterhaft auf Oud, Perkussionsinstrumenten, Geige und Klavier. Dazu singt Fadia Tomb El Hage betörend. So kann das Publikum noch tiefer eintauchen in die Welt von Cherkaouis früh verstorbenen Vater.

Lange habe ich darüber nachgedacht, warum mich – trotz begeisternder Szenen und vollendeter Schönheit “ Ihsane“ nicht so bewegt hat wie etwa „Babel“, jenes atemberaubende Gesamtkunstwerk aus Bewegung, Mimik und Livemusik, das von der babylonischen Sprachverwirrung erzählt. Ich glaube, dass es weit weniger mit der Choreografie zusammenhängt als vielmehr mit der Aufführungsstätte. Als Sidi Larbi Cherkaoui eingeladen wurde, ging man davon aus, im neueröffneten Opernhaus spielen zu können. Bislang aber werden Ballette und Opern immer noch im Ausweichquartier Staatenhaus gezeigt.

Da kann auch ein sehr großer Mensch nicht sehen, was vorn am Boden getanzt wird. Und auch die ungeheuren Bilder, für die Cherkaoui bekannt ist, wenn nämlich, wie in „Ihsane“ die Tänzer ganz nah bei einander stehen, wie eine sich wiegende Pyramide, die Hände voller Rosen, wirken nicht, wenn die untersten beiden Reihen der Tänzer nicht zu sehen sind. Was ich mir wünsche: dass das Ensemble noch einmal kommt – und an der neueröffneten Oper die Chance hat, zu zeigen, was es kann.

 

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