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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Haus, Hof, Bilder, Bücher und Atelier verbrannt – Das letzte Buch der Illustratorin Stephanie Lunkewitz in Los Angeles

„Ich war Eva Diamant“ –  Die Geschichte der Auschwitz-Überlebenden Eva Szepesi

Die deutsche Illustratorin und Gestalterin Stephanie Lunkewitz lebt seit rund zehn Jahren mit ihrem Mann Bernd F. Lunkewitz, dem früheren Verleger des Aufbau Verlags, ihren beiden Söhnen und ihrer Tochter in Los Angeles. Ihr  Haus, das sie sich dort aufgebaut hatten, wurde während der kalifornischen Brandkatastrophe restlos zerstört. Dabei fielen ihre Illustrationen wie auch die wertvolle Buchsammlung ihres Mannes – darunter kostbare Erstausgaben und signierte Exemplare – restlos den Flammen zum Opfer. Das Letzte, was ihr Mann noch aus den Trümmern retten konnte, waren die Illustrationen zu ihrem neuesten, gerade in Deutschland erschienenen Buch „Ich war Eva Diamant“ (Ariella Verlag). Darin wird die bewegende Geschichte der Auschwitzüberlebenden Eva Szepesi für Kinder nachvollziehbar geschildert. Eva Diamant war der Mädchenname des ungarisch-jüdischen 12 Jahre alten Mädchens, das sich brutal von den Eltern trennen und allein unter unwürdigen Bedingungen leben musste und 1945 durch die Sowjetarmee befreit wurde. Petra Kammann wollte mehr darüber erfahren.

Stephanie Lunkewitz in ihrem –  inzwischen durch das L.A.- Feuer vernichteten Atelier – bei der Illustration ihres Buches über Eva Szepesis Auschwitz-Geschichte

Petra Kammann: Spätestens seit dem vergangenen Jahr ist Eva Szepesi im Bewusstsein vieler Deutscher, denn da hielt sie im Bundestag die jährliche Ansprache zur Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus. Aber ich vermute, Sie wussten schon früher etwas über sie, da die Entstehung eines Buches oft eine längere Vorlaufzeit hat. Wie wurden Sie auf diese Geschichte aufmerksam?

Stephanie Lunkewitz: Eva Szepesi erzählt den Kindern in den Schulen ihr Überleben in Auschwitz. Auch ich hörte ihr zu und erinnerte mich an den Satz von Elie Wiesel: „Jeder der heute einem Zeitzeugen zuhört, wird selbst ein Zeuge werden“ und dachte an ein Kinderbuch. Die Reise dieses zwölfjährigen Mädchens durch das Inferno in Auschwitz, das eine kalte Hölle für unschuldige Menschen war, erschütterte mich sehr. In Dantes „Göttlicher Komödie“ quälen Satan oder Luzifer ihre schuldigen Opfer, aber hier taten Menschen dies den unschuldigen Mitmenschen an. Ich hatte sofort schon die Vorstellung eines Buches über dieses singuläre Verbrechen in der Geschichte der Menschheit, aber war noch nicht bereit dafür. Ich musste noch vieles lernen, darunter auch die jüdische Kultur und Tradition und die Perfidie des Nationalsozialismus.

Die inzwischen 92-jährige Auschwitz-Überlebende Eva Szepesi am 19. Januar in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Foto: Petra Kammann

Auf welche Weise haben Sie sich ihr als Person genähert? Das Buch ist in der Ich-Form erzählt. War das für Sie beide schmerzhaft?

Eva erzählt mit einem leichten ungarischen Akzent. Ich hörte ihr zu und machte Notizen. Als ich mit meinem Mann und den Kindern 2015 nach Kalifornien umzog, besuchte ich sie meistens zweimal im Jahr in ihrer Wohnung im Nordend Frankfurts. Sie erzählte mir viele Erlebnisse. Einiges davon muss man nicht Kindern oder Jugendlichen erzählen, aber den Kern ihrer Geschichte in Auschwitz haben wir gemeinsam gestaltet.

Erinnerung an Vater und Tochter in Budapest, Illustration: Stephanie Lunkewitz

Sie gehören zu einer anderen Generation, in der es kaum noch Zeitzeugen gibt. Welche Gedanken – wie zum Beispiel die Wahl der gestalterischen Mittel – haben Sie sich zu Beginn bei der Entstehung des Buches gemacht?

Die Häftlinge, die Bewacher, deren Kleidung und die Gebäude des Lagers farblich und realistisch darzustellen war etwas schwierig, weil Farben diese Bilder für Kinder schöner machen. Die Bilder entwarf ich mit Bleistiftzeichnungen und übertrug sie mit einem Projektor auf Aquarellpapier und malte die 18 Bilder dann mit Gouache Technik. Auf meinem Instagram Account poste ich mehr als 600 Portraits von Personen, die zu den Armen und Reichen der Menschheit gehören, so wie auch die Häftlinge im Lager Auschwitz.

Die Geschichte beginnt in Ungarn. Sie selbst sind im Anhaltinischen noch zu DDR-Zeiten aufgewachsen. Ungarn war seinerzeit durchaus ein beliebtes Ziel der DDR-Bürger. Kannten Sie Ungarn? Falls nicht: Wie konnten Sie sich in das Denken und Fühlen und in das Atmosphärische des dortigen Alltags hineinversetzen?

Ja, ich bin als Kind mit meiner Familie in den Sommerferien nach Ungarn gereist, aber die jüdische Gemeinde in Ungarn hat nur noch etwa neunzigtausend Mitglieder, etwa so wie auch die jüdische Gemeinde in Deutschland. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in beiden Ländern mehr als fünfhunderttausend jüdische Menschen.

Veränderung im Klassenraum, Illustration Stephanie Lunkewitz

Die Machthaber in den Regierungen und Behörden Deutschlands und Ungarns schürten den Hass gegen die jüdische Minderheit. Die von Eva erzählten Geschichten ergänzen die Illustrationen. Schon bevor sie den Judenstern tragen musste, wollten Ihre Schulfreunde nicht mehr mit ihr spielen. Diesen Judenhass begreife ich noch immer nicht.

Als die Gewalt einsetzt, was wollten Sie zeigen, was nicht? In den Transportzügen, im KZ selbst? Was ist Ihrer Meinung nach zumutbar? Es handelt sich ja um ein Kinderbuch. Wie lässt sich bei bildlicher Darstellung vermeiden, dass aus den Traumata der betroffenen Erwachsenen Albträume der Kinder werden? Welche Mittel haben Sie gewählt, um Grausamkeit, Kälte und Tod darzustellen? Oder auch die Befreiung durch die Rote Armee?

In dieser Geschichte sind die Menschen der staatlichen Gewalt ausgesetzt. Die Selektion durch einen SS-Mann entscheidet ihr Schicksal, ob sie noch ein paar Monate länger leben können. Auch der Struwwelpeter von Heinrich Hoffmann zeigt Grausamkeit und Tod, aber als mögliche Folge eigener Fehler, die jeder vermeiden könnte. In Auschwitz gab es keinen Ausweg. Ich traf im Holocaust Museum in Los Angeles einige Überlebende, die mir von ähnlichen Erlebnissen in Auschwitz und anderen Lagern erzählten. Auch Eva hätte noch eine Woche im Lager nicht überlebt.

Wie man sich das Leben in Auschwitz vorstellen kann, Illustration Stephanie Lunkewitz

War es wichtig für Sie oder für die Kinder, das nicht wirklich glückliche Ende der Geschichte (Verlust beider Eltern) durch ein halbes Happy End zu versüßen? Wo haben Sie da angesetzt? Haben Sie darüber auch mit Ihren eigenen Kindern gesprochen? Wenn ja, wie sehen die es?

Die jüdischen Gemeinden in Deutschland kennen die Geschichte der Shoah, aber aus meiner Sicht ist es besonders die Verantwortung der nicht-jüdischen Deutschen, auch der in Deutschland lebenden 6 Millionen Muslime, die Jugend darüber aufzuklären. Das Buch ist für das Alter ab 12 Jahren empfohlen. In dem Alter sind Kinder und Jugendliche schon reif, auch problematische Themen zu verstehen. Ich hoffe, dass Lehrer dieses Buch in der Schule verwenden und die wichtige Geschichte der Shoah den Schülern erklären.

Was bedeutet es für Sie, dass mit dem Großbrand in Kalifornien, an dem Ort, an dem etliche deutsche Exilanten Zuflucht gefunden hatten, Ihre künstlerische Arbeit vernichtet wurde und ausgerechnet die Illustrationen für dieses Buch gerettet werden konnten?

Meine Familie und ich, wir haben am 7. Januar 2025 unser sehr schönes Haus an der Küste des Stadtteils Pacific Palisades in dem Feuersturm verloren. Die mehr als zehntausend Bücher unserer Bibliothek, die Sammlung der Gemälde, der Skulpturen, des Porzellans und des Silbers, der Möbel aus der Zeit des Klassizismus und des Jugendstils sind mit der gesamten Einrichtung dieses schönen Gebäudes verbrannt. Alle Akten, Tagebücher, Dokumente, Fotos und Andenken sind zerstört. Aber die Familie hat das überlebt. Wir werden neu anfangen und ich erinnerte mich, dass vor ein paar Wochen Joe Alexander, ein Überlebender der Shoah, an seinem 103. Geburtstag sagte: „Never give up hope and believe that tomorrow will be a better day.“

 

DAS BUCH

„Ich war Eva Diamant“
von Eva Szepesi und
Stephanie Lunkewitz
Illustrationen: Stephanie Lunkewitz
Ariella Verlag
60 Seiten, Farbig
Gebunden, ab 12 Jahre
ISBN978-3-945530-47-418,95 EUR (D) 19,50 EUR(A)

STEPHANIE LUNKEWITZ

In Zusammenarbeit mit Eva Szepesi hat Stephanie Lunkewitz dieses Buch gemeinsam konzipiert und realisiert. Die ausdrucksstarken neorealistischen Bilder von Lunkewitz führen an dieses schwierige Thema heran. Die Illustratorin wurde in Deutschland geboren, erhielt ihr Diplom für Design von der Universität Burg Giebichenstein.
Danach studierte sie Kunstgeschichte an der J. W. Goethe Universität in Frankfurt am Main sowie Picture Book Writing und Business an der University of California, Los Angeles.
Heute lebt sie mit ihrem Ehemann und den drei Kindern in Los Angeles, USA.

 

→ Die Bilderbuchwelten der Stephanie Lunkewitz

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