home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Exemplarisch. Die Ausstellung „Bewegung! Frankfurt und die Mobilität“ im Historischen Museum Frankfurt

Reizvolle Reminiszenzen und programmatische Zukunftsperspektiven

Von Uwe Kammann (Text und Fotos)

Frankfurtkundige werden zumindest zwei Objekte vermissen, wenn sie ihre Blicke über die niedrigen Insel-Plattformen der Ausstellung schweifen lassen, welche das Historische Museum unter einem Titel mit Ausrufezeichen präsentiert: „Bewegung!“. Was ist mit dem Fehlenden gemeint – nicht zuletzt, wenn man den neutraleren Untertitel ernst nimmt, nämlich „Frankfurt und die Mobilität“ –: Nun, einmal ein Exemplar der die Stadt zu Abertausenden überziehenden Fahrradbügel; und zum anderen ein Bewegungsmittel, das seit langem ebenfalls unübersehbar ist: das Auto.

Das war mal State of the Art beim Design der Straßenbahn-Haltestellen

Das Sicherungsobjekt der leicht gebogene Bügel, das Fahrrad, ist hingegen in vielerlei Form vorhanden. Schon eingangs in der Ausstellung ist es in Form einer Draisine, also eines durch Bein-Boden-Berührung vorangetriebenes Zweirads, ein schöner Blickfang. Manche werden es sicher auch als Kunstobjekt wahrnehmen, als potentiell entfernungsüberwindendes Readymade.

Fast noch schöner als Fahren: das Modell einer Draisine und eine Edelversion eines Klapprades

Das in der Stadt allgegenwärtige (und für viele Menschen nicht nur aus vielen Gründen sinnvolle und nützliche, zudem auch in der Vernetzung unersetzliche) Auto ist hingegen nur zweidimensional präsent: in Fotoform. Eines zeigt den automobilen Luxus der 30er Jahre: mit dem damals exquisit gestalteten Horch des Architekturfürsten Walter Gropius. Das einst hochmoderne Parkhaus an der Hauptwache ist zu sehen, auch die Zeil mit einer Koppelvision aus Autostraße und Hochbahn. Eine Parkuhr mit dem roten Sichtreiter „abgelaufen“ hat augenscheinlich Zeigecharakter, ebenso wie dokumentierte Protestformen im Dannenröder Forst gegen einen Autobahn-Ausbau. Auf einer Schrifttafel wird das längst überholte und verworfene 60er-Jahre-Ideal der autogerechten Stadt als gegenwartsbezogen aufgeführt, an anderer Stelle das gezeichnete Ich-fahre-gerne-Auto–Motto mit einer Grimasse versehen.

Superluxus der 30er Jahre: Der Adler des Architekten Gropius

Mithin, es ist beim Rundgang nicht zu übersehen: Das Versprechen der Ausstellung, sie lade dazu ein, „sich mit gegenwärtigen Planungen, Maßnahmen und Positionen der unterschiedlichen Akteur*innen auseinanderzusetzten“, wird nur unzureichend eingelöst. Vielmehr weist sie einen klaren Fokus auf: Es geht um das Vorbild Fahrradfahren als einzig zukunftsträchtig dargestellte Bewegungsform, genau so, wie sie die in dreimaliger Folge von den Grünen gestellten Verkehrsdezernenten nicht schöner hätten ausmalen (inspirieren?) können. Die studentische Vision einer Seilbahnverbindung zwischen Offenbach und Frankfurt hat zwar auch einen Platz bekommen, doch das ist kaum mehr als eine realitätsferne Gedankenspielerei.

Studentische Entwurfsvision aus Offenbach: eine Seilbahn als schwebendes Verkehrsmittel

Offenkundig ist hingegen: Zu sehen ist im Historischen Museum sozusagen eine dreidimensionale Übersetzung des im Frankfurter Mobilitätsdezernat ausgearbeiteten – derzeit durch einen Zwist in der Stadt-Koalition gebremsten – Masterplan Mobilität. In welcher Form er individuell und kommunalpolitisch umstritten ist, darüber klärt „Bewegung!“ nicht auf; die Tendenz ist eben eine ganz andere, und der Büchertisch am Ein- und Ausgang führt es noch einmal vor Augen: Es geht um den grundlegenden Einspruch gegen das Auto und um die vorbehaltlose Propagierung des Radfahrens.

Die Auswahl auf dem Büchertisch weist den richtigen Weg

Auch ein anderer zentraler Punkt der Frankfurter Mobilität kommt reichlich kurz: der Luftverkehr. Während in der Dauerausstellung des Historischen Museums exemplarische Objekte des Flughafens zu sehen sind (übrigens daneben auch ein ‚richtiges’ Auto aus Frankfurter Produktion), klärt die Sonderausstellung vor allem mit Schaubildern über die geographisch abgestuften Teppiche des Fluglärms auf oder erinnert an die harten Kämpfe um die Startbahn West.

Staunen über die Video-Idylle rund um den Eschersheimer Turm

Auch künstlerisch ist die Intention des Kuratorenteams zu erkennen, vor allem bei der in allen bisherigen Besprechungen positiv erwähnten großflächigen Video-Animation von Jan Kemensky. Er führt im Morphing-Verfahren vor, wie sich der Verkehrsknotenpunkt Eschersheimer Turm wandelt, indem die Autos und die Straßenmöblierung verschwinden und stattdessen eine begrünte Oase für Fußgänger entsteht. Die Arbeit sucht die vermeintliche Idylle noch zu steigern durch einen Rückblick in die Vergangenheit: Pferdefuhrwerke und Bierkutscher umkreisen dort den mittelalterlichen Turm – rührende Mobilitätsträume aus dem Baukasten verklärter Historie.

Fußgestützte Bewegungsformen der Damenwelt: auf Rollen und rein per Pedes

Bei diesem Stichwort übrigens ist die Ausstellung wegen reizvoller Fundstücke sehr zu loben. Frühe Stufen einer Mobilität der Moderne werden mit heute lauter Nostalgie hervorrufenden Objekten veranschaulicht; seien es Rollschuhe für – sicher eher vornehme – Damen der Gesellschaft; oder, Sinnbild menschlicher Entschleunigung, seien es hübsche Schnürstiefel zum Flanieren. Auch ein frühes Beispiel stilvoller Bekleidung für Fahrrad-Damen kann ins Verzücken setzen, nicht zuletzt deshalb, weil moderne Funktionshüllen nicht unbedingt das allerraffinierteste Modeideal verkörpern. Die Frankfurter Küche mit Kleinelementen wie Lebensmittelschüben einzubeziehen, das wiederum ist eine originelle Idee: weil dieser Typus ja die Wege der Hausfrau bei der Arbeit (sozusagen Mikro-Mobilität) größtmöglich rationalisieren sollte/wollte.

Fahrrad-Funktionskleidung aus einer Zeit vor der Elasto-Wurstpelle

Auch Relikte aus der Postkutschenzeit – vom notwendigen individuellen Zeitmesser des Kutschers über das Signalhorn bis zum Stationsschild – sind als Zeugnisse für eine Zeitreise ebenso erinnerungsselig wie – ist ein solches Design schon so lange her? – die Haltestellenschilder der guten alten Straßenbahn. S- und U-Bahnen, die Aufbruchsschwergewichte der späten 70er Jahre, sind dagegen weniger anschaulich materialisiert. Aber dann wäre in den kuratorischen Augen vielleicht das Lastenfahrrad weniger prominent inszeniert worden. Hier hingegen nimmt es eine ganze Präsentationsinsel ein, gleich gegenüber dem Grünzauber des verwandelten Eschersheimer Turms. Und die dazugehörigen Botschaften des Öko-Verkehrsclubs VCD („Mobilität für Menschen“) hätten nicht so dominieren können.

Zentrales Objekt heutigen planerischen Entzückens: das Lastenrad

Was natürlich in direkter Nachbarschaft auch nicht fehlen darf: das vom grünen Dezernat herbeigewünschte Modell von „Superblocks“, hier am Beispiel Bockenheim. In der Praxis bedeutet das, einzelne Stadtviertel durch streng geregelte Zugangssperren weitgehend vom Autoverkehr abzuschirmen. Man könnte das als Exklusion statt der sonst immer und überall geforderten Inklusion verstehen und bezeichnen. Die Initiatoren werden dies (oder zu erwartende negative Begleiterscheinungen wie Gentrifizierung) aber vehement bestreiten. Für sie ist das weitgehende Zurückdrängen des Autoverkehrs in der Stadt von vorneherein gut.

Die Botschaften sind eindeutig, der Absender ist allpräsent

Dass eine solche nicht selten ultradogmatisch vorgetragene Zielsetzung ebenso strittig ist wie die dazugehörige Methodik, dass der Streit um die Verkehrspolitik in Frankfurt ein zentrales Thema ist, dafür hätte die Ausstellung eine eigene Darstellungsform finden müssen, als Modellforum für ein Pro und Contra. Allein zwei, drei Sätze in den kurzen Einführungstexten bilden nur ein Feigenblatt über der Blindstelle. Die explizite Frage auf einer Texttafel „In welcher Mobilitätskultur möchten wir leben und welche Visionen sind damit verknüpft?“ wird in der Ausstellung nur höchst einseitig beantwortet, der Lobby-Verband Verkehrsclub Deutschland (VCD) ist überpräsenter Propagator und Taktgeber.

Der Verkehrsclub Deutschland gibt in der Ausstellung die Richtung vor

Das ebenfall lesbare programmatische Versprechen, die Ausstellung lade dazu ein, „sich mit gegenwärtigen Planungen, Maßnahmen und Positionen der unterschiedlichen Akteur*innen auseinanderzusetzten“, wird nur unzureichend, eigentlich gar nicht eingelöst.

Für manche ein Ideal: das Exklusionsprinzip der geschlossenen Viertel

Natürlich wurde an Reaktionsmöglichkeiten gedacht, bereitliegende Blätter und Buntstifte regen zu eigenen Ideenskizzen für die Mobilität in einer menschenfreundlichen Stadt an. Diese Skizzenform auch als künstlerische Intervention zu präsentieren, gehört zum kuratorischen Grundkonzept. So sehen wir gleich im ersten Teil der Ausstellung das Neben- und Gegeneinander von normalen Straßen und solchen, die mit den inzwischen omnipräsenten roten Fahrradstreifen zum kommunalen Königsweg der neuen Mobilität umgestaltet wurden. An anderer Stelle wird karikaturenhaft vorbildliches und schlechtes Verhalten nebeneinandergestellt – die Einstellungen und Positionen sollen klar sein.

Klar ist, mit wem das Publikum seine Sympathien teilen soll

In der Hauszeitschrift des Historischen Museums, der „Schneekugel“, werden die einzelnen Stationen von „Bewegung!“ in knapper Form vorgestellt und erläutert, unter prägnanten Überschriften wie „Vom Pferdebus zur Elektrischen“, „Logistiksystem Post“, „Hauptsache autogerecht“, „Frankfurt hebt ab“, „Unter die Erde“, „Per Pedale“. Dies verschafft einen guten ersten Überblick, so wie im Museum selbst das moderne Begleitmedium des Media-Guide die Orientierung erleichtert. In der „Schneekugel“ findet sich auch ein ausführliches Interview mit Heiko Nickel, dem Leiter der Strategischen Verkehrsplanung im Frankfurter Mobilitätsdezernat. Dieses Interview liest sich wie der Leitfaden für die Konzipierung und Gestaltung der Ausstellung – ein Gleichklang der Ideen, Auffassungen und Perspektiven.

Ein schönes Bild gleich am Anfang: die Einladung zur Medien-Führung

Doch unabhängig davon, ob man Theorie und Praxis der darin beschriebenen und beschworenen Verkehrswende teilt: Es lohnt sich sehr, die noch bis Mitte September laufende Ausstellung zu besuchen – nicht zuletzt, um ein ganz bestimmtes Zeitgeistdenken – konsequentes Gendern inklusive – kennenzulernen. Und um, wie erwähnt, viele reizvolle Gegenstände in Augenschein zu nehmen, und seien es so ausgefallene wie das Grundmodul der Buchstaben-Blätterautomaten für die Zielanzeigen im Flughafen.

Fast jeder kennt das Rattern der Flughafen-Anzeigetafeln – es kommt von diesen Modulen

Was unbedingt zum empfehlen ist: auch den Katalog (Societätsverlag)  zu kaufen. Denn er bietet zwei Dutzend pointierte Texte zu einzelnen Komplexen und zu weiterführenden Überlegungen der Ausstellung. Auch hier findet sich ein Interview mit dem städtischen Verkehrsstrategen Heiko Nickel – was noch einmal den Stellenwert dieses im Masterplan Mobilität kondensierten Ansatzes belegt. „Bewegung! Frankfurt und die Mobilität“: Es gibt viele Gründe, sich in Bewegung zu setzen, um diese Ausstellung zu besuchen. Sie ist exemplarisch, in vielerlei Hinsicht. Und nicht der geringste Vorteil: Sie befindet sich am mittigsten in der Mitte der Stadt.

Ein Relikt aus alten Zeiten – Die Ausstellung selbst ist bis zum 14. September im Historischen Museum Frankfurt zu sehen

Comments are closed.