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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Gelungene Wiederaufnahme von Händels „Rodelinda, regina de‘ Longobardi“ in der Inszenierung von Claus Guth in der Oper Frankfurt

Ein raffiniertes und zu Herzen gehendes Spiel von Licht und Schatten

Von Petra Kammann

Nach Stationen in Madrid (Teatro Real) in Lyon (Opéra de Lyon) und Barcelona (Gran teatre del Liceu) kam die 2017 in Madrid entstandene, gefeierte Inszenierung von Claus Guth von Händels Dramma per Musica Rodelinda 2019 an die Oper Frankfurt, 2020 gefolgt von Aufführungen in Amsterdam. Nun kehrt im Januar diesen Jahres die dreieinhalbstündige Opernaufführung in weitgehend neuer Besetzung wieder nach Frankfurt zurück. Die musikalische Leitung hat hier erstmals Frankfurts Kapellmeister Simone Di Felice. Regisseur Guth zeigt das Drama aus der ungewöhnlichen Perspektive des betroffenen Kindes Flavio, das zwar keine Stimme hat, sich aber durch Körperhaltungen und naive Zeichnungen ausdrückt, um mit der schwierigen Situation klarzukommen.

v.l.n.r.: Lawrence Zazzo (Bertarido), RafaÅ‚ Tomkiewicz (Unulfo) und Elena Villalón (Rodelinda), Foto: Barbara Aumüller

Hintergrund der Geschichte ist ein feingesponnenes Netz aus Intrigen, Verrat, Hass, Rachegelüsten aber auch Vergebung über den im siebten Jahrhundert entmachteten Langobardenkönig Perctarit alias Bertarido.

Zu Beginn erleben wir die schwarzgekleidete Königin Rodelinda, die um ihren Gatten Bertarido, den sie für tot hält, trauert. In einem Streit um den Thron von Mailand hatte der seinen Bruder Gundeberto getötet und war vor dessen Verbündeten Grimoaldo, dem Herzog von Benevento, zum Hunnenkönig geflohen. Seine Frau und seinen Sohn hatte er allein in Mailand zurückgelassen. Grimoaldo wiederum ist verliebt in Rodelinda, möchte sie heiraten und versucht unablässig sie zu betören, um als ihr künftiger Mann selbst Herrscher über Mailand zu werden. Manipuliert wird er dabei von Garibaldo, dem intriganten Herzog von Turin, der sich mit Hilfe von Bertaridos Schwester Eduige selbst des Throns bemächtigen möchte.

Als Bertarido aus dem Exil zurückkehrt und sich seiner Frau nach einigen Prüfungen zu erkennen gibt, lässt Grimoaldo ihn jedoch in den Kerker werfen. Eduige will zu guter Letzt ihrem Bruder helfen und gibt Unulfo den Schlüssel zum Gefängnis. Bertarido wird befreit. Garibaldo plant derweil, Grimoaldo hinterrücks zu ermorden. In letzter Minute kann Bertarido jedoch das Attentat verhindern und Garibaldo töten. Aus Dankbarkeit verzichtet Grimoaldo nun zugunsten Bertaridos auf Rodelinda und den Thron und heiratet nun doch Bertaridos Schwester Eduige, um mit ihr nach Pavia zu gehen, so dass Bertarido wieder glücklich als König mit seiner Gattin Rodelinda und seinem Sohn vereint ist. Das vielleicht nicht ganz so überzeugende Happy End tut der stringenten sängerischen und darstellerischen Leistung in dieser Inszenierung jedoch keinen Abbruch.

Rafal Tomkiewicz als Unulfo unter der Zeichnung vom rettenden Engel, Foto: Barbara Aumüller 

Schon während der Ouvertüre, gespielt vom renommierten Opern- und Museumsorchester, das der barockversierte Kapellmeister Simone di Felice dirigiert, herrscht gespannte Stille im Saal. Und bald schon wird das Publikum auf raffinierte Weise in die komplexe Handlung einbezogen, sei es durch die vereinfachenden projizierten Kinderzeichnungen (Rosa Voss) oder die geisterhaften Schatten die durch das Innere des streng gegliederten weißen Herrenhauses wandern. Phantastisch sowohl die Lichtregie von Joachim Klein wie auch das konzentrierte Bühnenbild (Christian Schmidt) auf verschiedenen Ebenen, das räumlich und emotional in die Tiefe führt. Das verwandlungsfähige Treppenhaus gewährt Einblicke in das Innere des Schlafgemachs der Königin und eine Etage tiefer an den Esstisch, an dem geliebt und gestritten wird, und unter dem sich Flavio verängstigt lauschend vor den Lügen und Drohungen der Erwachsenen versteckt, bis hin zum Keller, der zum Kerker wird. Das geräumige Treppenhaus führt die erregten Personen treppauf und treppab oder je nach Situation an die Balustrade, von der aus sie sich in den hinreißendsten Duetten besingen. Dann wieder werden die Protagonisten vor die Tür geschickt, wo sie sich an den klassischen Säulen des Hauses festhalten oder diese fast tänzerisch chaplinsek (gelungene Choreographie von Ramses Sigl) umspielen. Das realitätsnah geschilderte Geschehen findet seinen ganzen Reiz auch im weiteren Geschehen in poetischen Bildern, während die grotesken Maskenfiguren die linearen Zeichnungen und schattenhaften Geister, die das Haus mehr und mehr okkupieren, höhnisch doubeln und somit zum Leben erwecken.

Berührend die Arie der trauernden Rodelinda (Elena Villalón), Foto: Uli Aumüller

In den Arien und Duetten der Protagonisten erleben wir auf herzzerreißende Weise die Irrungen und Wirrungen der Liebe mit all ihren Höhen und Tiefen. Rodelinda, die kubanisch-amerkanische Sopranistin Elena Villlalón, zieht einen von Anfang an in Bann. Mit ihren graziös-eleganten Bewegungen und ihrer wandlungsfähigen Stimme verzaubert sie das Publikum selbst in ihrer Trauer um den totgeglaubten Ehemann Bertarido, der im Streit um die Thronfolge seinen eigenen Bruder getötet, sie und ihren geliebten und bei ihr schutzsuchenden Sohn Flavio (konsequent durch die Tänzerin Irene Madrid repräsentiert) zurückgelassen hat, klingt ihre sängerische Klage ergreifend.

Grimoaldo, ursprünglich mit Bertaridos Schwester Eduige (Zanda Svede) verlobt und diese nun abwehrend, wirbt um die schöne Königin der Langobarden Rodelinda, die sich seinem Liebeswerben in den verschiedensten Situationen widersetzt. Poetisch, um nur ein Bild herauszugreifen, zerfleddert sie den wunderschönen Strauß roter Rosen, den er ihr verehrt und verstreut die Rosenblätter in ihrem Schlafgemach. Sie will Bertarido über den Tod hinaus die Treue halten und spielt die daraus gewonnene Stärke und Klarheit gekonnt aus.

v.l.n.r.: Scheusal Garibaldo (Bozidar Smiljanic) und Josh Lovell als Grimoaldo, Foto: Barbara Aumüller

Neben Elena Villalón als Rodelinda, die neben ihrer wandlungsfähigen Stimme auch darstellerische Qualitäten zu bieten hat und dementsprechend viel Beifall erhielt, sind auch in dieser Aufführung die zunächst aggressiv bis bissig und im Auftritt moderner erscheinende Mezzosopranistin Zanda Svede als Eduige und der ausdrucksstarke Bozidar Smiljanic als Garibaldo aus dem Ensemble der Oper Frankfurt zu erleben. Statt des fabelhaften Countertenors Andreas Scholl, der 2019 die Partie des Bertarido sang, übernahm der amerikanische Countertenor Lawrence Zazzo in der Wiederaufnahme die Rolle des Bertarido. Als er verkleidet vor dem Schloss auftaucht und auf seine Grabplatte schaut, beschwört er mit weicher sanfter Stimme sein Schicksal mit der sehnsuchtsvollen Arie: „Dove sei, amato ben – wo bist du Geliebte.“  Insgesamt entfaltete er sowohl stimmlich als auch darstellerisch eine ganze Gefühlspalette zwischen Sehnsucht, Selbstmitleid, Wut und Verzweiflung. Gelungen auch der polnische Countertenor Rafal Tomkiewicz, der als Unulfo an der Oper Frankfurt ein gekonntes Hausdebüt vorlegte.

Da Sohn Flavio als Leidtragender des grausamen Intrigenspiels als Geisel genommen und zum Spielball des Machtkampfs wird, erweitert er durch seine Sicht das Geschehen um eine zusätzliche Dimension. Sein Blick auf das Schicksal wie auch auf das unlautere Spiel der handelnden Erwachsenen bringt uns durch sein „ungelenkes“ Verhalten sein Blick auf das Geschehen umso näher, zumal es durch Händels vielgestaltige, hochemotionale Musik unterstützt wird. Ein besonderer Reiz entsteht neben dem realitätsnah geschilderten Geschehen durch die poetisch krakeligen Kinderzeichnungen (Rosa Voss), die auf das Bühnenbild projiziert werden, durch den Einsatz der grotesken Maskenfiguren (Moe Gotoda / Madeline Ferricks-Rosevear / Gorka Culebras / Antonio Rasetta /Guillaume Rabain / Volodymyr Mykhatskyi), die das Haus und das sich darin mehr und mehr abspielende Leben okkupieren, es doubeln und dadurch zum Leben erwecken.

Hasserfüllte Auseinandersetzung zwischen Eduige (Zanda Svede) und Rodelinda (Elena Vicllalòn), Foto: Barbara Aumüller

Das Drama nimmt vor allem im zweiten, von Hass geprägten Akt an Fahrt auf. Das spiegelt sich in der Dynamik der Stimmen und den gegensätzlichen Ansichten der beiden Rivalinnen im gegenläufigen Treppenhaus wider. Die verschmähte Eduige, die Grimoaldo immer noch liebt, begegnet Rodelinda (Elena Villalòn) und misshandelt sie. Händels Musik unterstreicht Rodelindas außerordentliches moralisches und dramatisches Format, von den Abgründen tiefster Trauer bis zu den Ausbrüchen größter Wut, die stimmlich die ganze Palette beherrscht. So forderte sie ihrerseits von Grimoaldo, den sie unter Druck vorgibt heiraten zu wollen, dass er vor ihren Augen den Sohn Flavio tötet. Der aber entsetzt dieses Verbrechen nicht begehen will.

Berater Garibaldo, ein echt grausamer und machtlüsterner Bösewicht mit mächtiger Stimme (überzeugend der Bassbariton Bozidar Smiljanic), macht ihm jedoch in einer dramatischen Arie klar, dass ein Tyrann nur herrschen könne, wenn er grausam ist. Unulfo, früherer Kanzler und Vertrauter von Bartarido, ist schockiert über diese These, hofft aber auf Einsicht des Königs, der sich selbst bemitleidet und seinen Liebesschmerz als Metapher für sein eingekerkertes Herz deutet.

Als Eduige zufällig im Garten ihren Bruder Bertarido wiedererkennt, der ihr versichert, dass er keine Königsmacht anstrebt, sondern nur seine Frau Rodelinda und seinen Sohn Flavio retten will, gibt er sich seiner Frau zu erkennen. Und schon trifft  Grimoaldo das Paar in Umarmung an, lässt  Bertarido verhaften und verlangt dessen Tod. Das im Treppenhaus von Balkon zu Balkon gesungene Abschiedsduett des Paares voller Schmerz  „Io abbraccio – ich umarme“, das geradezu an eine Julia und Romeo-Szene erinnert, verinnerlicht ihr tief empfundenes Leid.

Im 3. Akt der dreieinhalbstündigen Aufführung verfolgt man u.a. dank des genialen Bühnenbildes die fortschreitende Handlung gebannt bis zum Schluss, zumal die Wendungen des Schicksals durch die Drehbühne immer wieder in Bewegung gehalten wird. Man sieht, wie sich Bertarido durch ein in den Kerker heruntergelassenes Schwert von den Fesseln befreien kann. Er tötet den Bösewicht Garibaldo und verhindert somit die Ermordung des schlafenden Grimoaldos. Und Eduige bekennt sich zu ihrem Bruder.

Wunderschön die Arie “Con rauco mormorio – Mit heiserem Murmeln“ und vor allem das Abschiedsduett Rodelinda – Bertarido, zu Herzen gehend gesungen von Elena Villalòn nund Lawrence Zazzo.

Bemerkenswert auch, wie der Einfluss der Natur durch anmutige Videos von Natur Andi A. Müller heraufbeschworen wird, etwa das projizierte Hirtenidyll, das ebenso auf die Fassade des steinernen Hauses  gezaubert wird wie der Zypressenwald mit den Gräbern der langobardischen Könige. Sie geben der ideenreichen Inszenierung und dem von Simone Di Felice souverän geleiteten und das sich bis zum Schluss hin noch steigernde Museumsorchester eine zusätzliche Dimension, die das aufmerksam-begeisterte Publikum mit dem entsprechenden Applaus honorierte. Gut, dass es im Januar noch weitere Aufführungen dieser selten gespielten Händel-Oper gibt.

Riesenapplaus für die fabelhaften Darsteller und Sänger der ersten Reihe, v.l.: Irene Madrid, Rafael Tomkiewicz, Josh Lovell, Elena Villalón, Lawrence Zazzo, Zanda Svede, Bozidar Smiljanic, Foto: Petra Kammann

 

Rodelinda – Oper in drei Akten von Georg Friedrich Händel
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Musikalische Leitung: Simone Di Felice
Inszenierung: Claus Guth
Szenische Leitung der Wiederaufnahme: Axel Weidauer
Bühnenbild, Kostüme: Christian Schmidt
Licht: Joachim Klein
Video: Andi A. Müller
Choreografie: Ramses Sigl
Dramaturgie: Konrad Kuhn

Besetzung:

Rodelinda: Elena Villalón
Bertarido: Lawrence Zazzo
Grimoaldo: Josh Lovell
Eduige: Zanda Švéde
Unulfo: Rafał Tomkiewicz
Garibaldo: Božidar Smiljanić
Flavio: Irene Madrid
Maskenfiguren: Moe Gotoda / Madeline Ferricks-Rosevear / Gorka Culebras / Antonio Rasetta /Guillaume Rabain / Volodymyr Mykhatskyi)

Weitere Vorstellungen:

18. und 26. Januar um 18 Uhr

9. und 14. Februar 2025 um 15.30 Uhr

Besprechung der Frankfurter Aufführung von 2019:

„Rodelinda, Regina De Longobardi“ von Georg Friedrich Händel im Opernhaus Frankfurt

 

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