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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Beyond White“ von Strelow & Walter Projects in der Galerie Heike Strelow

Jenseits von Weiß – die Sphäre reinen Lichts

Von Petra Kammann

Schwarz gilt als die dunkelste aller Farben so wie Weiß als die hellste gilt. Seit Malewitschs „schwarzem Quadrat“ von 1915, dem nicht genau 80 mal 80 schwarz bemalten Viereck, dem wenig später ein „weißes Quadrat“ folgte, haben beide unifarbenen Quadrate Kultstatus erreicht. Durch die Redaktion auf das Wesentliche, auf die Schattierungen von Licht, scheinen sie schwerelos zu schweben. Zero-Künstler wie Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker, die nach dem Zweiten Weltkrieg künstlerisch Tabula rasa machten und wieder bei Null (zero) anfingen, griffen auf der Suche nach neuen Wegen den Ansatz wieder auf, die Wirklichkeit radikal zu reduzieren. Der Einfluss dieser Avantgardekünstler ist auch in der Ausstellung „Beyond White“ spürbar, wo insgesamt 17 Künstlerinnen und Künstler ihre eigene künstlerische Handschrift zum Thema entwickelten, darunter auch Werke von Künstlern wie Oskar Holweck und Rolf Kissel, die eng mit der Zero-Bewegung verbunden waren. Beflügelnd wirkt die Reaktion auf die Farbe Weiß allemal.

Kerstin Walter (Strelow und Walter Kunst GbR) vor dem Gemälde des Leipziger Malers Ulf Puder, Foto: Petra Kammann

Minimalistisch weiß – auf den ersten Blick geradezu clean und neutral – wirkt der Ausstellungsraum der Galerie Heike Strelow selbst. Die Farbe Weiß, die häufig mit Hygiene und Reinheit assoziiert wird, ist in der Kunst durchaus emotional besetzt. Viele Künstler setzen die „Unfarbe“ Weiß gezielt ein, um Stimmungen oder Gefühle zu erzeugen. In der abendländischen Kultur steht sie häufig für Licht, Unschuld, Weisheit und meditative Ruhe, nicht zuletzt für das Symbol des Friedens. Man denke nur an die weiße Friedenstaube von Picasso als ein Symbol.

Galeristin Heike Strelow, fasziniert von der Vielschichtigkeit der monochromen Arbeiten von Eberhard Ross, Foto: Petra Kammann

Bewusst heisst es im schillernden Titel der Ausstellung aber auch „Beyond white“, also „Jenseits von Weiß“, denn da sind viele Schattierungen möglich, die nur auf noch weißerem Hintergrund in aller Subtilität erst erlebbar sind. Und immer wieder sind es die Künstlerinnen und Künstler selbst, die sich mit Fragen der Abstraktion, der Leere und der Beziehung zwischen Farbe und Raum auseinandersetzen. Ähnlich der Pause in der Musik hat die Leere, die Stille oder wie hier die „Unfarbe“ immer auch bewusste Wahrnehmungs- und Assoziationsräume bei den Zuhörern bzw. Betrachtern zur Folge. Durch die unausgefüllte Lücke kann man die Beziehung zwischen Licht, Schatten und Raum umso intensiver wahrnehmen.

Diesem reduzierten Prozess, der auch Grundlage des ZEN-Buddhismus ist, geht jedoch oft genug auch ein längerer und bisweilen schmerzhafter Arbeitsprozess voraus. Das wusste schon der ukrainische Suprematist, der Avantgarde-Künstler Kasimir Malewitsch (1879-1935): „Der Aufstieg zu den gegenstandslosen Höhen der Kunst ist mühselig und voller Qualen. Auch mich erfüllte eine Art Scheu bis zur Angst, mich von der Bilder-, Willens- und Vorstellungswelt zu trennen, in der ich lebte und die ich für die Wirklichkeit hielt.“

Der Künstler Eberhard Ross beim Christmas Cocktail in der Galerie, Foto: Petra Kammann

Davon kann auch der aus Krefeld stammende Maler und Zeichner Eberhard Ross ein Lied singen, der zum Christmas Cocktail in die Galerie gekommen war. Seine Bilder, die teils in seinem Atelier in Mülheim an der Ruhr, teils im Atelierhaus an der Schwedlerstraße entstehen, folgen einem mehrstufigen Prozess und einer mehrstündigen intensiven Zeichenarbeit ohne Unterbrechung, was bei großformatigen Arbeiten durchaus mal in die Knochen und in den Rücken gehen kann, wie der Künstler lakonisch bemerkt. Das Bild muss aus einem Guss entstehen.

Zunächst grundiert Ross seine Malfläche in mehreren Farbschichten, zeichnet mit feinstem Werkzeug auf den noch nicht ganz getrockneten Untergrund über Stunden so lange eine Endloslinie, bis „sich sein Gehirn völlig entleert“ hat, sagt er im Gespräch. Ein „dessin automatique“, ein Vorgang, der an die Arbeitstechnik der Surrealisten erinnert. In diesem, für Ross fast meditativen Vorgang des Zeichnens bzw. Eingravierens, entstehen zwischen Oberfläche und Tiefe auf der farblich changierenden Bildfläche Schwingungen visueller und rhythmischer Eindrücke von hoher Intensität. Unterbricht er diesen organischen Prozess oder trocknet der Untergrund zu schnell, so spiegelt sich diese Zäsur im unvollkommenen bis hin zum unbrauchbaren Ergebnis. Statt Schwerelogkit bleibt der andere Duktus der Hand sichtbar.

Blick auf  das Gemälde „White wiriting“ von Eberhard Ross in der Galerie Heike Strelow, Foto: Petra Kammann

Zeugen eines anderen Beispiels vom Umgang mit dem Material wie Biegen, Falten, Stauchen und Dehnen zeigen uns die Werke von Duks Koschitz, die auf diese Weise zu Skulpturen werden. Koschitz  verortet seine Arbeit als „barocken Minimalismus“, denn der Architekt, Geometer und Objektkünstler erforscht, wie aus einer einzelnen Fläche durch simple Faltung verschachtelt konkav-konvexe barocke Räume entstehen. In Weiß erscheinen seine weißen Obekte noch skulpturaler als auf den von ihm behandelten Verkehrsschildern, mit denen er experimentierte und für die er auch bekannt ist. Wunderbar witzig nennt er seine hier ausgestellten Objekte „quadratische Einfalt mit Einfachverdrehung“ und öffnet damit den Raum der Kreativität und des Denkens darüber, dass Dinge veränderbar und niemals eindimensional zu sehen sind.

„Quadratische Einfalt mit Einfachverdrehung“- Skulpturen von Duks Koschitz, Foto: Petra Kammann

In der Mitte des Galerieraumes steht eine veritabel raumgreifende Skulptur von Nadja Adelmann, einst Städelschülerin von Tobias Rehberger. Um den besonderen Reiz ihrer Skulptur Mediopassive I, Handmade paper, neodymium, magnets, powder-coated aluminum im Raum zu erleben, muss man um sie herumgehen, um die gestalterischen Raffinessen zu entdecken. Auf einem weißen Metallständer sind horizontal systematisch in Reih und Glied handgeschöpfte Blätter auf ein Drahteil gespannt. Gehalten werden sie in der Mitte nur durch zwei Magnetkugeln. Im Vorübergehen werden sie durch den damit verbundenen Windhauch in Schwingung versetzt. Eine ebenso technisch wie auch handwerklich perfekte, eine kraftvolle wie auch poetisch zarte Arbeit.

Blick auf die Arbeit Mediopassive I, Handmade paper, neodymium, magnets, powder-coated aluminum von Nadja Adelmann, Foto: Petra Kammann

Von besonderer Qualität sind auch die Arbeiten des kürzlich verstorbenen Frankfurter Künstlers Rolf Kissel (1929-2024), der Anfang der 60er Jahre parallel zu den Avantgardekünstlern der Zero-Bewegung die dritte Dimension, die Farbe Weiß, entdeckte. In seinen „Licht-Reliefs“ rhythmisierte er die hellste Farbe durch vertikale Holzlamellen. „Mit Weiß zu arbeiten ist für mich wie Ein- und Ausatmen. Ich liebe die Fülle der Leere“, sagt der ebenfalls dem ZEN-Buddhismus nahestehende Frankfurter Künstler. Und früh schon hatte er die Nase vorn. Bereits 1961 konnte Kissel mit seiner ersten Einzelausstellung in der legendären Frankfurter Zimmergalerie Franck, dem „Wohnzimmer der Moderne“ in der Böhmerstraße 7, aufwarten, wo damals seit der Galerieeröffnung im Jahre 1949 künstlerisch alles auf Anfang und Avantgarde stand.

Galeriemitarbeiterin Anastasia Dovhan zwischen den Arbeiten von Kissel (li) und Hollweck (re), Foto: Petra Kammann

Mit seiner Vorliebe für die Monochromie und speziell für die Farbe Weiß trifft er sich außerdem mit dem von der Zerogruppe geschätzten Saarbrücker Künstler Oskar Holweck (1924-2007), der als Pionier der europäischen Papierkunst – besonders sehenswert hier sein „Reißrelief“– betrachtet wird. Er brachte die Auswirkungen des Lichts auf Oberflächen, in Hohlräumen und durch die Eigenschaften von Materialien selbst zum Ausdruck.

Bemerkenswert sind neben vielen anderen Objekten die auf Negativfilmen entstandenen subtilen und auf  Aludibond entwickelten und ausgearbeiteten „Lichter“ von Nicole Ahland, deren zart weiße Fensterkonturen man erst mit Abstand wahrnimmt, ebenso wie die Komposition des Gemäldes vom Leipziger Maler Ulf Puder, der seinen Landschaftstraum in Weiß, eine angedeutete Berglandschaft in Eis und Schnee malte. Weil solche Eindrücke bald zu verschwinden drohen, hat er sie vermutlich schlicht „Stille“ genannt.

Das ist es wohl auch, was etliche der in der Galerie Heike Strelow ausgestellten Arbeiten eint: eine ungeheure Konzentration und Stille. Ein zarter Hinweis auch auf ein White Christmas, das demnächst wohl kaum zu erwarten ist, und das uns diese Besinnung bescheren würde?

Info zur Ausstellung

BEYOND WHITE
bis 25. Januar 2025 mit Werken von:

Nadja Adelmann / Nicole Ahland / Felix Becker / Artjom Chepovetskyy / Björn Drenkwitz / Oskar Holweck / Mathias Kessler / Rolf Kissel / Duks Koschitz / Leonie Mertes / Laura Mietrup / Ulf Puder / Eberhard Ross / Lena Marie Schütte I /Herbert Warmuth /  Alyona Volkova / Hendrik Zimmer

Galerie Heike Strelow
Lange Straße 31
60311 Frankfurt am Main

www.galerieheikestrelow.de
www.strelowundwalter.de

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