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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Lied und Oper: Gelungene Genre-Premiere in der Kronberg Academy

Mehr-als-Talente der Opernwerkstatt überzeugten mit reichem Repertoire

Von Uwe Kammann

Wer ab und zu das französische Radioprogramm „France Musique“ hört, der wird manchmal schon zur Frühstückszeit überrascht werden. Dann nämlich, wenn in der Moderation „Le Lied allemand“ angekündigt wird, das deutsche Lied also. Im Unterton ist immer ein leichtes Erstaunen wahrzunehmen (Exotismus?), aber noch viel stärker eine Bewunderung. Denn dieses Genre genießt international den Ruf einer gewissen Einzigartigkeit – wobei immer eines mitschwingt: Ja, das steht im musikalischen Reich vor allem für Romantik. In den Konzertsälen hat es „Le Lied“ hingegen, was den Publikumszuspruch angeht, nie ganz leicht. Das zeigte sich vor kurzem wieder bei einem großartigen Liederabend unter der Regie von Brigitte Fassbaender in der Oper Frankfurt, gewidmet der „Schönen Magelone“ von Johannes Brahms.

Das Opernstudio mit Brigitte Fassbaender zu Gast in der Kronberg Academy, v.l.: Brigitte Fassbaender, In Sun Suh, Anne Larlee, Andrew Kim, Abraham Bretón, Clàudia Ribas, Morgan-Andrew King, Foto: Patricia Truchsess von Wetzhausen 2024

Gespannt sein durfte man deshalb auf eine Kooperation der Frankfurter Oper mit der Kronberg Academy. „Große Oper – Starkes Lied“ war der Abend überschrieben. Auf der Bühne des schon beim Betreten immer wieder betörenden Casals Forum fielen dann bei der Einführung die bezeichnenden Begleittitel: Premiere, Experiment. Denn hier sollte in einem spannenden Ablauf vorgeführt werden, mit welchem Erfolg das hoch renommierte Opernstudio der Oper Frankfurt die besten Stimmen aus dem Nachwuchskreis fördert – eine Aufgabenstellung, welche natürlich ihre Entsprechung in der Arbeit der Kronberger Akademie findet (in einem Begleittext war von einer „gemeinsamen Mission beider Institutionen“ die Rede, nämlich als „Kaderschmiede für junge Musiktalente“ zu fungieren).

Mehr als folgerichtig war unter dieser Perspektive, dass sowohl Akademie-Direktor Raimund Trenkler als auch Opern-Intendant Bernd Loebe bei dieser Premiere gemeinsam verfolgten, was drei Sänger und eine Sängerin bei diesem Liederabend vortrugen – als Ensembleergebnis eines vorangehenden Meisterkurs, den niemand Geringeres geleitet hat als Brigitte Fassbaender. Sie, die einst auf allen Opernbühnen der Welt gefeiert wurde, versprüht auch im höheren Alter noch immer jede Menge an Dynamik und Lebendigkeit. So wie auch an diesem Abend, als sie ihre ‚Schützlinge’ (darf man es so sagen?) auf der Bühne mit sichtbarem Engagement bei jedem Ton mimisch begleitete, nachdem sie zur Einführung ihr ganz persönliches Hohe Lied auf eben dieses Genre gesungen hatte.

Brigitte Fassbaender liest aus ihrer Autobiografie eine Passage zum Genre Lied, Foto: Petra Kammann

Intime Zuwendung, genaue Innenschau, hohe Sensibilität: das gehörte zu den Stichworten. Aber auch: immerwährendes Abenteuer, eine ganz eigene Dramatik. Und dies bei einer Ausdrucksform, die auf andere Elemente der Darstellung weitgehend verzichtet. Diese engagierte Einführung versetzte das Kronberger Publikum im vollbesetzten Parkett in lustvolle Spannung: Was davon würde zu erleben sein? Nicht zuletzt: Weil diese als besonders deutsch eingeschätzte Kunstform von einem ganz internationalen Ensemble verkörpert werden sollte?

Und tatsächlich, allein diese Namen der jungen Mehr-als-Talente (durchaus schon bekannt in der Opernwelt) ließen aufhorchen. Denn es wirkten mit: die aus Portugal stammende Mezzosopranistin Clàudia Ribas, der mexikanisch-spanische Tenor Abraham Bretón, der südkoreanische Andrew Kim und der aus Neuseeland stammende Maori Morgan-Andrew King. Diese Internationalität des heutigen Musiklebens komplettierten in der Klavierbegleitung die koreanische Pianistin In Sun Suh, seit 2011 Solorepetitorin und Coach an der Oper Frankfurt, sowie die kanadische Pianistin Anne Larlee, seit 2016 dort in gleicher Funktion tätig.

v.l.: Brigitte Fassbaender, Anne Larlee, Clàudia Ribas, Foto: Patricia Truchsess von Wetzhausen 2024

Die Dramaturgie des Abends war zweifach intoniert: eher „schwermütig und ernst“ im ersten Teil, dann „relativ heiter“ – mit dem Schwerpunkt auf der ewigen Thema Liebe – nach der Pause, so charakterisierte Brigitte Fassbaender die Zussammenstellung und Reihenfolge des Repertoires. Eine Frage werden sich viele im Publikum gestellt haben (auch die Moderatorin hatte sie angeschnitten): Wie würden Sängerin und Sänger mit der deutschen Sprache umgehen können (ja nicht ihre Muttersprache), wie würden sie die Empfindungen ausdrücken können, wie die Nuancen auskosten und konturieren – bei der ohnehin immensen Aufgabe, die Texte absolut sicher und sinngenau zu memorieren?

Schnell wurde klar: Das Studium dieser klassischen Lieder hat immense Früchte getragen, nie war auch nur eine Spur von Fremdheit zu vernehmen. Und so erklangen die Lieder der ganz Großen des Genres – wie Robert Schumann, Franz Schubert, Johannes Brahms, Ludwig von Beethoven, Hugo Wolf, Richard Strauss, Edvard Grieg – in jeweils auf vertrauten Formen basierenden Interpretationen. Manches Mal vielleicht ein wenig zu dramatisierend, zu kontrastierend in den Mitteln, zu individuell-ausdrucksbetont. Aber in den großen Bögen beeindruckte bei allen, wie intensiv sie sich mit dem Liedrepertoire der Klassiker beschäftigt hatten. Am reifsten – auch wegen der sinnlichen Wärme ihrer Stimme – wirkte sicher die Mezzosopranistin Clàudia Riba, ihre Interpretation des Brahms-Lieds „Von ewiger Liebe“ verströmte genau das, was Brigitte Fassbaender eingangs beschworen hatte: die der Liedform besonders innewohnende Innigkeit.

Zur Erkenntnis des Abends gehört aber sicher auch: Stimmliche Kraft muss im verhältnismäßig kleinen Saal gezügelt werden, er ist mit seinen rund 600 Plätzen eben viel intimer als der Zuschauerraum in einem großen Opernhaus (in Frankfurt sind es knapp 1400 Plätze). Die Akustik selbst, das bewies der Abend, unterstützt durchaus nicht nur kammermusikalische Arrangements, sondern gibt auch der Kunstform Gesang einen außergewöhnlichen Rahmen: wegen der analytischen Feinheit, die gleichwohl keine Kälte, sondern instrumentelle Wärme verströmt.

Gemeinsames Singen der vier Solisten „Guten Abend, gut‘ Nacht“, Foto: Petra Kammann

Geradezu beseelt war das Publikum dann, als am Schluss – herbeiapplaudierte Zugabe – die vier Mitwirkenden als Ensemble das vielleicht bekannteste aller deutschsprachigen Lieder gemeinsam sangen: „Guten Abend gut‘ Nacht“  in der Vertonung von Johannes Brahms, die  das ursprüngliche Volksgedicht unsterblich machte. Wohl keines der Brahmslieder ist in der ganzen Welt so bekannt und beliebt wie dieses Wiegenlied, das 1868 als viertes der Fünf Lieder für eine Singstimme mit Klavier aus der Sammlung Des Knaben Wunderhorn von Achim von Arnim und Clemens Brentano hervorgegangen war. Die Kronberger Fassung gehorchte auch den Hauptstichworten des Abends, Premiere und Experiment. Denn jeder im Vierer-Ensemble sang in seiner Muttersprache – mit einem verblüffenden Effekt, nämlich einem nuanciert schwingenden Einklang.

Der wiederum wird sicher viele im Publikum animiert und bestärkt haben: unbedingt wiederzukommen bei der Wiederauflage dieses Kronberger/Frankfurter Zusammenspiels, genau am 5. Juni nächsten Jahres. Das Experiment, so das vielgehörte Urteil im Foyer, hat sich gelohnt, die Premiere war gelungen – und hat dem internationalen Musik-Wallfahrtsort Kronberg Academy eine ganz neue Note hinzugefügt.

 

→Der zweite Liederabend der Spielzeit an der Oper Frankfurt: „Die schöne Magelone“ von Johannes Brahms

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