Achim Freyer inszeniert Don Carlos von Giuseppe Verdi am Staatstheater Meiningen
Wie aus einer Hand geschaffen – eine Grand Opéra
Von Margarete Berghoff
Giuseppe Verdi schrieb Don Carlos für die Pariser Oper aus Anlass der Weltausstellung 1867. Er schrieb sie als Grand Opéra in 5 Akten und in französischer Sprache. Wenig später wurde die Oper ins Italienische übersetzt. Es gibt insgesamt sieben Fassungen. Diverse Kürzungen musste diese wunderbare Oper über sich ergehen lassen. Kürzungen, die zum Teil den Inhalt weniger verständlich machten und die Motivationen der Personen nicht klar zum Ausdruck brachten. Das Staatstheater Meiningen hat sich für eine der ersten französischen Fassungen von Don Carlos entschieden. Es wird französisch gesungen, was in vielen Momenten die Klangfarbe der Oper entscheidend verändert. Kennen wir doch eher die gekürzten italienischen Versionen.
Marianne Schechtel als Prinzessin Eboli, Foto: Christina Iberl
Don Carlos spielt in Spanien um 1570 zur Zeit der Inquisition und des Achtzigjährigen Krieges, der viel Leid über große Teile von Europa brachte. Die Eheschließung des spanischen Infanten Don Carlos mit der Prinzessin Elisabeth von Valois soll den Krieg zwischen Frankreich und Spanien beenden. Damit beginnt die Geschichte um Don Carlos. Seine große Liebe Elisabeth wird aber nicht ihn, sondern seinen Vater Philipp den Zweiten heiraten. Eine Tragödie nimmt damit ihren Lauf.
Die Oper beginnt mit der Begegnung von Don Carlos und Elisabeth im Wald von Fontainebleau. Wie ein Blitz durchfährt beide die Erfahrung der Liebe auf den ersten Blick. Holzarbeiter beklagen zeitgleich ihre durch den Krieg verursachte Not. Damit ist das Thema der Oper gesetzt.
Das Genre Grand Opéra, welche um 1830, nach der Französischen Revolution in Frankreich, als neue bürgernahe Opernform entstand, zeigt menschliche Schicksale im Konflikt mit den politischen Zuständen in ihrer Zeit. Zeigt den unentrinnbaren Einfluss, den politische Umstände auf den einzelnen Menschen haben und zum Verdruss der damaligen adeligen Gesellschaft auch, dass der wachsende politische Wille des Volkes die Macht des Adels bedroht.
Don Carlos Ensemble, Foto: Christina Iberl
In Meiningen werden die intimen, meist heimlichen Begegnungen, zwischen den Protagonisten zu einer Art Kammerspiel. Diese Momente wechseln mit groß angelegten Szenen mit dem Chor, der das Volk verkörpert. Gezeigt werden Menschen als Täter, Opfer, Gewinner und Verlierer in ihrer Zeit, im Geflecht von Politik und Geschichte.
Achim Freyer, verantwortlich für Regie, Bühne und Kostüme, hat wie immer seine unverkennbare Handschrift eingebracht. Hier schöpft der 90jährige Maler und erfahrene Theatermacher aus seinen Einsichten, Erkenntnissen, Überzeugungen, Versuchen und Ideen eines langen Lebens. Regie, Bühne, Kostüm, alles ist wie aus einem Guss. Die typischen klaren Farben, die Lichtstimmungen und die Symbole, mit denen Freyer gezielt umgeht, sind eine Sprache für sich, die sich dem Publikum intuitiv erschließt.
Personenregie, Körpergesten, Bewegungsabläufe, alles geschieht hier in zeitlupenhafter Bewegung, gegenläufig oder synchron. Die Sängerschauspieler, die schwarzen durchsichtigen Gazevorhänge, die immer wieder neue Räume schaffen, und auch die abstrakten Gemälde auf der Rückseite der Bühne, alles ist in kaum wahrnehmbarer Bewegung.
Matthew Vickers als Don Carlos + Dara Hobbs als Elisabeth von Valois, Foto: Christina Iberl
Hypnotisch und wie in Trance agieren die Sänger*innen mit Körpergesten, die im ersten Moment befremdlich wirken, im Laufe des Abends aber zu einem ganz natürlichen Ausdruck der einzelnen Charaktere werden. Man stelle sich die Inszenierung ohne diese Gesten vor, es würde etwas fehlen. Die Körpergesten helfen den Sänger*innen, in ihre Rollen zu finden und tragen sie über weite Strecken.
Lange Arien wurden durch sehr langsame Gänge, oftmals von links nach rechts über die gesamte Bühnenbreite, mit den Hand- und Armgesten zu spannenden und tiefgründigen Erzählungen der einzelnen Personen. Zusammen mit den ebenso sehr langsamen Bewegungen der Bühnenteile bewirkte das eine starke Konzentration auf den Moment, auf die Musik und eine Art schwebende Schwerelosigkeit.
Kein Moment der Länge oder der Bedeutungslosigkeit. Eine Inszenierung, die Schillers Drama Don Carlos unmissverständlich erzählt und die einzelnen Charaktere und ihre Motivationen offenlegt. Es gibt in Don Carlos vordergründig böse Charaktere, doch Schiller und Verdi zeigen auch ihre andere Seite, ihre Verletzlichkeit, ihre Verzweiflung, die ihren grausamen Handlungen zugrunde liegen. Diese Momente haben Verdi zu musikalischen Höhepunkten inspiriert, mit einer Sogwirkung, der man sich nicht entziehen möchte.
Die Form der Grand Opéra sollte ein Gesamtkunstwerk sein, in dem alles miteinander verschmilzt, zur Einheit wird. Musik, Gesang, Regie, Bühne, Licht, Kostüm, Körpersprache, Farben und Räume. Das ist in dieser Inszenierung gelungen. Nichts steht außerhalb, alles verbindet sich zum „Gesamtkunstwerk“. Regie, Bühne, Kostüm, aus einer Hand geschaffen, das zeigt sich bei Achim Freyer immer wieder als Glücksfall.
Die Farben seiner abstrakten Kostüme, der Adel farbig und weiß, das Volk schwarz mit ein wenig weiß, vermitteln in ihrem Symbolwert die Gefühle und Gedanken der Personen, welche sich in ebenso abstrakt gestalteten Räumen bewegen. Hier in einer Welt, die Moral und Ethik verloren hat, in der es auf Kosten vieler Menschen nur einen Gewinner gibt, die Kirche.
Besonders die beiden Frauenrollen trugen die Dramaturgie der Oper und überzeugten durch ihren Ausdruck und durch ihre wunderschönen Stimmen.
Prinzessin Eboli (Tata Tarielashvili), eine tiefe Mezzosopran Stimme mit außergewöhnlichem Timbre, ist eine glückliche Besetzung. Es gelang ihr sowohl stimmlich, als auch schauspielerisch die Zerrissenheit der Eboli darzustellen.
Elisabeth von Valois (Dana Hobbs) mit ihrer engelsgleichen Sopranstimme, zog das Publikum in Bann. Rein und klar in den Höhen, feinste Nuancen aber auch kräftige Töne, beides meisterte sie mit Brillanz.
Don Carlos (Matthew Vickers / Dramatischer Tenor) und der Marquis von Posa (Johannes Mooser / Bariton) schwören sich lebenslange Treue mit dem Ziel, für ein Ende des langen Krieges zu kämpfen und das Leiden der Bevölkerung in Flandern zu beenden. Ihre Freundschaft bleibt in dieser Inszenierung ein wenig blass und vermittelt sich mit nur wenig Leidenschaft. Verdi hat für sie ein prägnantes musikalisches Thema geschrieben, das hier aber keine so große Bedeutung erhält.
4 Matthew Vickers als Don Carlos + Tomasz Wija als Mönch + Shin Taniguchi als Marquis von Posa.Foto: Christina Iberl
Philipp der Zweite (Seljuk Hakan Tirasoglu/ Bass) überzeugte stimmlich sowohl als Herrscher, als auch als verzweifelter Ehemann der Elisabeth von Valois.
Der Großinquisitor (Mark Hightower/ Bass), 90 Jahre alt, gebrechlich, taub und blind. Ein Fossil des Machtmissbrauchs. Mit einer Bassstimme, die das Fürchten lehrt.
Der Mönch und die Stimme des toten Karl des Fünften (Tomasz Wija / Bariton) erschien und zog mit seiner Stimme und seinem Gestus sofort alle Aufmerksamkeit magisch auf sich.
Der Page (Sata Maria Saalmann/ Sopran) erfrischte mit quirligen Auftritten und schöner Stimme. Sie verkörperte Humor und Freude in all dem düsteren Geschehen.
Tief unten im Orchestergraben sitzen die Musiker eng beieinander. Der GMD Killian Farrell dirigiert das Meininger Orchester. Der Klang fügt sich in das Gesamtkunstwerk ein. Nie dominant, sondern mit den Sänger*innen verschmelzend. Ein seltenes bereicherndes Klangerlebnis.
Freyer setzt auf Eindeutigkeit in der Interpretation der politischen Verhältnisse. Er setzt sie in klare Bilder um. Er spielt nicht nur mit Andeutungen. Und das macht diesen Don Carlos modern. Das rebellierende Volk kniet nieder, wenn der Großinquisitor es befiehlt. König Phillip der Zweite kuscht vor dem Großinquisitor, denn auch er ist letztendlich nur eine Marionette in diesem grausamen unmenschlichen Spiel. Die Institution Kirche hält die Fäden fest in der Hand und hat sich mit der Inquisition ein Machtinstrument geschaffen, das auch vor Königen nicht Halt macht.
Die Gestaltungskraft Achim Freyers überzeugt. Seine Interpretation von Don Carlos und seine manchmal wie Narren wirkenden Figuren sind zeitlos. Menschen, die es verstehen, sich an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu bereichern oder Menschen, die an ihrer Brutalität zerbrechen, das ist und war immer schon ein Spannungsfeld von ungeheurer Tragweite.
Wie ein Hoffnungsschimmer liegen über der Schwere des Inhalts von Don Carlos, die Helligkeit und Farbigkeit der phantasievollen Ausstattung. Eine Kunst, die Achim Freyer perfekt beherrscht.
Die nächsten Termine:
12. + 21.12. 2024 + 31.01.2025 jeweils um 19 Uhr im Großen Haus
Einführungen