„Macbeth“ von Giuseppe Verdi an der Oper Frankfurt
Zu Hause beim mörderischen Paar
von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt
Was für ein Premierenabend! Kurz vor Beginn der Oper war im Frankfurter Opernhaus die Sängerin Signe Heiberg aus Kopenhagen angekommen. Kaum Zeit zur Besprechung. Intendant Bernd Loebe teilte dem Publikum mit, dass Tamara Wilson, die Lady Macbeth singen sollte, nicht singen könne: ‚keine Stimme am Sonntagmorgen‘. Bei Oper extra hatte der Weltstar eine Kostprobe seiner Stimmkraft geben können. Was war daher zu erwarten?
Matteo Lippi (Macduff; halbrechts stehend in weißem Hemd) sowie Chor der Oper Frankfurt
Was für ein ungewöhnliches Ereignis erlebte das Publikum. Tamara Wilson mimte mit Verve Lady Macbeth und Signe Heiberg stand vorne rechts auf der Bühne, ihren Blick auf den Dirigenten gerichtet und sang und wie sie sang: eine ausdrucksstarke, wunderbare Stimme, die mühelos die Sopran-Höhen erreicht. Unglaublich synchron, ohne einander zu sehen.
Giuseppe Verdi (1813-1901) nennt Macbeth eine der großartigsten menschlichen Schöpfungen! Er bat den Librettisten Franceso Maria Piave in einem Brief 1846, sich einer erhabenen, knappen Sprache zu befleißigen – Ausnahme die Hexenchöre, die „vulgär, aber fantastisch und originell“ sein sollen. Der Dichter Andrea Maffei (178-1885), gelobt für seine Übersetzungen deutscher Klassiker, unterstützte Piave beim Libretto nach William Shakespeares ( 1564-1616) gleichnamiger, später Tragödie.
Dem Komponisten ist mit diesem Text ein einmalig-musikalisches Psychogramm gelungen. Die Musik charakterisiert individuell jede Figur und den Gemütszustand der Handelnden.
Angst beherrscht alle. Bei Macbeth und der Lady wird sie krankhaft. Die Liebe des Paares, anfangs noch innig und vertraut, wird brüchig. Ihr Geschlechtsverkehr wirkt wie ein Verzweiflungsakt, ein Festklammern.
Die Hexen – Frauen und Kinder verrrückt eingekleidet von der international arbeitenden Kostümbildnerin Doey Lüthi, suchen das Paar in ihrem modern gestylten Haus mit Fernseher (Video: Roland Horvath) auf. Die große Bühne lässt der Schweizer Bühnen- und Kostümbildner Etienne Pluss sich immer wieder bewegen. Lichtspezialist Olaf Winter vertieft die Szenen je nach Geschehen.
Die Ungleichheit zwischen den Herrschenden und ihrem Personal, das diensteifrig und unterwürfig hin- und herflitzt, wird durch die Bühnenkonstellation besonders deutlich.
R.B.Schlather, Foto:Renate Feyerbacher
Was lösen die Prophezeiungen der Hexen bei Macbeth aus? Die Frage habe ihn beschäftigt, sagt Regisseur R.B. Schlather im Gespräch mit Dramaturg Konrad Kuhn. „Auf welche emotionale Reise begibt sich Macbeth, wenn er anfängt, sie ernst zu nehmen?“ (Programmheft S.8) Das Bedürfnis nach Sicherheit haben alle, aber die Mächtigen besonders. Je mehr Macht sie bekommen, desto sicherer hoffen sie, sich fühlen zu können durch einen Apparat von Sicherheitsleuten.
Trotzdem entgehen sie nicht der Ermordung. König Duncan wird im Schlaf durch Macbeth, der zunächst zögert, ermordet. Schuldgefühle quälen ihn danach. Die Lady ist es, die das blutverschmierte Messer zum Tatort bringt, besudelt die Sicherheitskräfte mit Blut, so dass der Verdacht auf sie und auf Duncans Sohn, der nach England floh, fällt.
Nicholas Brownlee als Macbeth
Macbeth wird König. Dennoch geht die Mordlust des kinderlosen Paares weiter. Freund Banquo ist dran, sein noch minderjähriger Sohn (Juval Langheim-Halaf) kann entkommen. Hat die Aussage der Hexen den Auftragsmord provoziert? Beim Fest, auf dem drei Tänzerinnen auftreten (Choreografie: Gal Fefferman), zu dem das Herrscherpaar einlädt, sieht Macbeth plötzlich Geister und er bedrängt später Wahrsagerinnen, die einen Hexensabbat feiern, ihm die Zukunft zu offenbaren: vor Edelmann Macduff, dessen Kinder ermordet wurden, als er sich versteckt hielt, solle er sich hüten. Kein Mann, „von einer Frau geboren“ könne ihm gefährlich werden. Macduff wurde „aus dem Leib der Mutter geschnitten“. Er wird Macbeth ermorden. Nicht Macduff wird König, sondern Malcom. Malcom wird zum neuen König gesalbt.
Schottland wurde zum Schlachthaus. Der Chor der Geflüchteten aus Schottland klagt: „Bedrängte Heimat! Der süße Name ‚Mutter‘ passt nicht länger zu dir, jetzt, wo du für Deine Kinder zu einem einzigen Grab geworden bist.“ (4. Akt)
Verdi stellt das mörderische Paar in den Mittelpunkt – anders als Shakespeare. Bei ihm spielt Lady Macbeth nach dem ersten Mord keine große Rolle mehr, anders in der Oper.
Das Ehepaar Macbeth hat keine moralischen Momente, die es hindert, Gewalt, die sie selbst letztendlich erfahren werden, auszuüben. Lady Macbeth ist die Triebkraft bei dieser Entwicklung. Sie nennt ihren Mann mehrfach mutlos. Ist sie die eigentliche Macht-Süchtige.
Tamara Wilson als Lady Macbeth und Nicholas Brownlee als Macbeth
Will sie aus ihrer verantwortungslosen Rolle als Frau herauskommen, um mit bestimmen zu können? Die schlafwandelnde Lady Macbeth gesteht am Ende ihre Taten. Immer wieder spricht sie vom Blutfleck, den sie weghaben will. Der Wahnsinn bringt sie um.
Die Musik ist mal witzig, mal ausgelassen, oft sehr dramatisch, mal leidenschaftlich – eine einmalige Partitur. Die Musikerinnen und Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters spielen sie wieder in Höchstform.
Thomas Guggeis, Foto:Renate Feyerbacher
Generalmusikdirektor der Frankfurter Oper, der junge Thomas Guggeis, dirigiert das Werk mit großer Umsicht, mit Einfühlungsvermögen, kraftvoll und leitet Sängerin Signe Heiberg. Überschwänglich werden das Orchester und ihr Chef gefeiert.
Ein herausragendes Operndrama, das auch durch den Hexen- und den Flüchtlingschor Dynamik und Tiefe erreicht. Manuel Pujol, Chordirektor des Opernchores an der Staatsoper Stuttgart, hat die Auftritte einstudiert. Ein gelungenes Debüt an der Oper Frankfurt.
Und was für ein Sängerteam: Signe Heiberg, die am Rand der Bühne großartig singend, Tamara Wilson, die trotz Erkrankung eine schauspielerisch-mimische Superleistung bot, ersetzte.
Nicholas Brownlee, Foto: Renate Feyerbacher
Nicholas Brownlee, im vierten Jahr Ensemblemitglied, eroberte als Macbeth mit seinem stimmgewaltigen Bassbariton die Bühne. Auch seine Darstellung ist exzellent: mal leidenschaftlich, mal zweifelnd, mal angstvoll, mal heuchlerisch, mal wütend. Eine sehr anstrengende Rolle. Sein Hans Sachs in den Meistersinger von Nürnberg wurde 2022 in Frankfurt begeistert gefeiert. Bei den Bayreuther Festspielen sang der US-Amerikaner in diesem Jahr und nun den Wotan im Ring des Nibelungen (Regie: Tobias Kratzer) an der Bayerischen Staatsoper.
v.l.n.r.: Juval Langheim-Halaf als Fleance und Kihwan Sim als Banquo
Auch Kihwan Sim als Banquo eine Wucht – ebenbürtig zu Brownlee als Macbeth. Die Stimme des gebürtigen Koreaners, seit 2012/13 Ensemblemitglied, hat eine beeindruckende Tiefe. In Lulu machte er aus dem Tierbändiger eine Paraderolle, als Figaro war er in Le nozze di figaro der Star (wieder im Spielplan)
Matteo Lippi, Foto: Renate Feyerbacher
Der italienische Tenor Matteo Lippi, der bei Mirella Freni ausgebildet wurde, gibt sein Debüt an der Oper Frankfurt. Auf allen europäischen Bühnen singt er die bedeutenden Opernrollen. In Frankfurt begeistert er als Macduff mit einer klaren, festen Stimmhöhe. Der Macbeth-Mörder ein Gewinn für den Opernabend.
Die Ensemblemitglieder Kudaibergen Abildin, der in der Rolle des Malcolm später zum König gekrönt wird, Karolina Bengtsson als Kammerfrau der Lady Macbeth, Erik van Heyningen als Arzt sowie Pilgoo Kang in verschiedenen Rollen komplettieren den außergewöhnlichen musikalischen und inszenatorisch gelungenen Abend.
Weitere Aufführungen:
29. Dezember,
1., 4.,12., 17. Januar
1. Februar 2025
Telefonischer Kartenverkauf: 069 213-49494