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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Städtische Bühnen Frankfurt: letzte Ausfahrt Irrtum?

Das Stadtparlament kann/muss einen Jahrhundertfehler vermeiden

 Von Uwe Kammann

Am zwölften Dezember soll es soweit sein und das Stadtparlament im vorläufig letzten Schritt über die Zukunft der Städtischen Bühnen in den Hauptfragen entscheiden. Die Magistratsvorlage M 177 ist eindeutig: alle Voraussetzungen schaffen für dieTrennung der Neubauten von Oper und Schauspiel, wobei dessen Standort an der Neuen Mainzer Straße sein soll, dort, wo jetzt die Sparkasse in einem langgezogenen U-Gebäude residiert. Grundvoraussetzung: Die Stadtverordneten stimmen einem vom Magistrat ausgehandelten Vertrag zu, wonach das Sparkassen-Grundstück zum Sofort-Preis von 210 Millionen Euro der Stadt für zwei Jahrhunderte verpachtet wird (also kein Kauf) und die Sparkassen-Mutter Helaba in direkter Nachbarschaft zum neuen Schauspiel einen 175-Meter-Turm errichten darf.

Beschlussvorlage M177  für die Sitzung des Stadtparlamentes am 12.12.2024 in Sachen Städtische Bühnen 

Ist das nun der finale Akt am Ende einer acht Jahre währenden Diskussion um die bauliche Zukunft der Städtischen Bühnen, einer Diskussion im Muster des Mäanders, mit vielen, auch überraschenden Wendungen? Wo selbst dieses nun endgültig favorisierte Modell einer „Kulturmeile“ ein paar Momente davor von der federführenden Kulturdezernentin abgeschrieben worden war? Ja, das könnte sein, bei einer derzeit mit 1,5 Milliarden Euro veranschlagten Endsumme für das Gesamtvorhaben (vor allem: Abriss der jetzigen Doppelanlage, Schaffung einer Übergangslösung für die Spielstätten, Neubau zweier Häuser, Grundstücksbeschaffung).

Die Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz, Foto: Uwe Kammann

Ja, es kann sein, dass sich nun eine Mehrheit im Stadtparlament findet. Das dann am Ende dieses Tages aufatmet: endlich ein Schlussstrich unter den schier endlosen Debatten, welche viele ermüdet und nicht wenige auch überfordert haben angesichts des schier überbordenden Zahlenmaterials in den umfangreichen Berichtsmatrixen der fleißigen Stabsstelle für die Bühnenzukunft. Selbst die Umfänge von Bäumen wurden dort aufgelistet, um mögliche Beeinträchtigungen der Wallanlagen zu erörtern.

Modell für das Schauspielhaus zwischen Neuer Mainzer Straße und Wallanlangen, Foto: Uwe Kammann

Aber, ein großes Aber: Die Stadtverordneten sollten an diesem zwölften Dezember mehrheitlich sagen: Nein, diese Entscheidung tragen wir nicht mit. Wir wollen noch einmal überlegen, bei einer klaren Vereinfachung der Lösungsmodelle. Wir wollen nicht einfach 210 Millionen ‚on top’ für einen Deal absegnen, der vor allem der Helaba betrachtliche Vorteile einbringt. Wir sehen im eingezwängten Standort an der im Ganzen und auf lange Zeit unwirtlichen Neuen Mainzer Straße nicht die Platz-Krönung für das Schauspiel. Und das Argument ‚Endlich!Zeitdruck’ kann uns schon lange nicht beeindrucken. Wo bald zehn Jahre ins Land gegangen sind, um der Zustandsbeschreibung ‚marode’ der Bühnenbauten eine Zukunftsperspektive abzugewinnen, da macht ein weiteres Jahr den Kohl nicht fett. Seriöser formuliert: Trotz der bisherigen Erörterungen ist die Zeit noch – oder: wieder – nicht reif. Nicht zuletzt die höchst angespannte Finanzlage erfordert eine neue, wesentlich stabilere Entscheidungsgrundlage.

Ein gewichtiges Argument hat jetzt – gerade noch rechtzeitig? – der Bund Deutscher Architekten (BDA) vorgebracht. Er fragt – in der Sache klar, in der Form eher dezent –, ob die nun beabsichtigten Grundstücksinvestionen an der Neuen Mainzer Straße „sinnvoll sind“; und begründet dies mit dem ausdrücklich begrüßten Vorhaben der Stadt, mit einem Interims-Campus im westlichen Gutleut-Viertel für die Oper eine Ausweich-Spielstätte und damit „Betriebssicherheit“ zu schaffen. Gleichzeitig wirke der Theaterbetrieb als „Impulsgeber für die weitere Entwicklung von Gutleut-West zu einem lebendigen und produktiven Quartier“.

Modell für ein Kultur-Interimsquartier im westlichen Gutleutviertel, Foto: Uwe Kammann

Zusätzlich führt die vom 27. November datierte BDA-Stellungnahme weitere Vorteile bei der geplanten „operntauglichen Interimsspielstätte“ an: „Würden die Werkstätten hier dauerhaft in einem hochwerten Produktionshaus mit Probebühne angesiedelt, so könnte der Willy-Brandt-Platz als Standort der Doppelanlage erhalten bleiben.“ Als Ausweichquartier dabei immer mitgedacht: das Bockenheimer Depot. So dass, bei konsequenter Parallelität, jede Baumaßnahme in einem Zug zu bewältigen wäre.

Für den Willy-Bandt-Platz als Zentrum für Oper und Schauspiel zugleich sprach immer viel, nicht nur wegen der funktional hervorragenden Verkehrsanbindung. Hier sind bei der Gesamtgestaltung und neuen Nutzungen die großzügigsten und phantasiereichsten Lösungen möglich, hier ist die städtebauliche Chance weitaus am größten, ganz anders als beim Teilumzug an die schluchtartige Neue Mainzer Straße (der die Kulturdezernentin einst New-York-Feeling zusprach).

Die positive BDA-Feststellung zum Erhalt der Doppelanlage am jetzigen Standort ist natürlich von zentraler Bedeutung. Nicht zuletzt, weil diese Option in der stadtinternen Schlussrunde nicht völlig ausgeschlossen war, ebenso wie eine ‚Spiegellösung’ von zwei gegenüberliegenden Bauten am Willy-Brandt-Platz.

Symposium (2018) zur Bühnenzukunft im Chagall-Saal der Oper mit Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig, Foto: Petra Kammann

Zum Stichwort Doppelanlage gehört, heute mehr denn je, ein weiterer Argumentationskomplex: jener der Nachhaltigkeit, der Ressourcenschonung. Schon im Februar 2022 hatte sich die Frankfurter Sektion des Architektenverbandes klar für eine „Achtung des Bestandes“ und eine „nachhaltige Sanierung“ von Gebäuden ausgesprochen und dabei dem Umgang mit den Städtischen Bühnen „eine besondere symbolische Bedeutung“ zugesprochen. Was praktisch bedeutet: den 2020er Stadtverordnetenbeschluss ‚Neubau statt Sanierung’ zu revidieren.

Für den Erhalt der bestehenden Doppelanlage hat sich seit jeher vehement die Initiative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt ausgesprochen. Funktional werfe das keine Probleme auf, bestehende, teils noch junge Kernstücke von Oper und Schauspiel ließen sich unbedingt weiterverwenden. Auch zusätzliche Wünsche – wie nach einer größeren Öffnung und Multi-Nutzungen – ließen sich realisieren. Als Ideal gilt, möglichst viel der ‚Grauen Energie’ (alles bisher materiell Investierte) zu bewahren. Auch am Erscheinungsbild – einer damals auf radikale Modernität setzenden Baulösung aus dem Jahr 1962 – hängt die Initiative. Für sie ist die 120 Meter lange Glasfassade vor dem gemeinsamen Foyer von Schauspiel und Oper ein wesentliches Identitätsmal und die beste Erscheinungsform für ein demokratieprägendes (und geprägtes) Theater.

Dass viele gewichtige Argumente für eine Sanierung und nur wenige dagegen sprechen, war auch zentrale Erkenntnis eines im Sommer 2023 veranstalteten Symposions des urban future forum (nachzulesen unter: https://urbanfutureforum.org/stadtpolitisches-symposium-die-zukunft-der-theater-doppelanlage), getragen von bester professioneller Expertise renommierter Architekten. Fraglich ist, ob das Kulturdezernat und die Stabstelle überhaupt je ernsthaftes Interesse an dieser und anderen Interventionen hatten und haben. So wurden zwei verabredete Treffen mit BDA-Vertretern kurzfristig abgesagt.

Aktualisierte Ausstellung im Deutschen Architektur-Museum zu europäischen Bühnenbauten, Foto: Uwe Kammann

Hilfestellung gab und gibt es auch vom Deutschen Architekturmuseum (DAM), so mit einer – gerade aktualisierten – Ausstellung über neue Bühnenbauten in Europa. Auch, 2019, mit einer ausführlich begründeten Preis-Auszeichnung für den Dresdner Kulturpalast, ein höchst erfolgreich umgewandeltes früheres DDR-Gebäude. Aus allem ging und geht leicht hervor: Frankfurt ist nicht Kopenhagen und nicht Oslo, die dort viel gerühmten Theaterbauten gehorchen ganz anderen Voraussetzungen, nicht zuletzt einer: sie liegen am Meer. Dresden wiederum zeigt, dass eine ganztägige Publikumsöffnung und Zusatznutzungen auch bei bester Nutzung des Bestandes möglich sind.

Ausschnitt eines Fotos der Kölner Oper in der Ausstellung im DAM, Foto: Uwe Kammann

Auch Düsseldorf wird bald beweisen, was bei diesen Zielsetzungen möglich ist. Während das oft vorgehaltene Schreckensbeispiel einer nicht enden wollenden Sanierung im Bestand – Oper und Schauspiel in Köln – vor allem mit dem Standort Köln zu tun hat: der Name der Stadt gilt als Synonym für organisatorische Unfähigkeit.

Was nun die Kosten betrifft – sie fielen in den städtischen Berichten immer zu Lasten einer Sanierung aus -, so lassen sich hier viele, ganz viele Fragezeichen setzen. Sie reichen von den angesetzten Baukosten und Interims-Investionen bis zu den aufgeführten Risikoaufschlägen. Fest steht jetzt lediglich eines: Das Modell Kulturmeile verschlingt wegen des zusätzlichen Aufwands für das nicht-städtische Grundstück 210 Millionen mehr – das ist wahrlich keine Kleinigkeit.

Neues Theater in München für 130 Mio Euro , Ausstellungsfoto im DAM, Foto: Uwe Kammann 

Was wiederum die Investitionen für neue Häuser angeht, so zeigen Beispiele wie in Straßburg und München, dass sie nicht unbedingt 300 bis 400 Millionen kosten müssen. Das neue Münchner Volkstheater, im DAM vorgestellt, hat 130 Millionen gekostet. Die vom Publikum begeistert aufgenommene neue Isar-Philharmonie, ein Interims-Konzerthaus, wurde für 40 Millionen Euro errichtet.

Und wenn schon Zahlen zählen soll: Die mit höchstem bautechnischen Aufwand und viel kunsthandwerklichem Einsatz betriebene, nun weitgehend vollendete Sanierung der ausgebrannten Kathedrale Notre Dame in Paris hat bislang rund 550 Millionen Euro erfordert – so dass die Spenden von gut 850 Millionen noch gar nicht ausgeschöpft werden mussten (bei einer von Deutschland- oder Frankfurt-Tempo weit entfernten Planungs- und Bauzeit von viereinhalb Jahren). Wer der Angabe traut, dass das neue Frankfurter Quartier Four am Rossmarkt mit ausgedehntem Sockelbereich und vier himmelsstürmenden Türmen jetzt bei zwei Milliarden Euro liegen soll, der wird bei den veranschlagten, mittelschweren Schwindel erregenden Bühnen-Summen ohnehin ins Grübeln kommen.

Himmelsstürmer im bald vollendeten Quartier Four für 2 Milliarden Euro, Foto: Uwe Kammann

Mithin: Alles, wirklich alles spricht dafür, dass die Stadtverordneten die Magistratsvorlage M 177 nicht mit einem Seufzer der Erleichterung (endlich!; nichts wie abgehakt!) annehmen. Und dass sie damit den Magistrat beauftragen, die Verhandlungen mit Sparkasse und Helaba mit dem Ziel eines endgültig fixierbaren Erbbaurechtsvertrages zu beenden. Und dass der Magistrat weiter, wie es unter den folgenden Punkten V bis XII beschrieben wird, alle Vorbereitungen für die Realisierung des Kulturmeilen-Modells treffen soll, um die Ergebnisse dann zu einem abschließenden Beschluss vorzulegen. Zu diesen Aufträgen gehört auch eine „aktualisierte Kostenprognose des Gesamtprojekts“.

Skizziertes Modellprojekt für einen Opern-Neubau am Willy Brandt-Platz, Foto: Uwe Kammann

Nein, so lauten nicht nur vereinzelte Appelle aus der Stadtgesellschaft oder eben auch aus renommierter Architektenschaft: Nein, es sollte noch einmal so dringlich wie intensiv nachgedacht werden, ob nicht eine Sanierung und eine gründliche funktionale Ertüchtigung der bestehenden Doppelanlage die weitaus bessere Lösung ist. Für das Haus selbst, für die Kulturszene, für die stadträumliche Gestaltung, für die innerstädtische Vielfalt. Ein solches Innehalten ist angesichts der ohnehin verstrichenen, entschlusslosen Zeit unbedingt zu vertreten. Schon jetzt ist vorherzusagen: Angesichts der Vorlaufzeiten bei Wettbewerben, Entwürfen und  Planung für zwei neue Häuser wird dort vor 2035 kein Vorhang aufgehen. Beim Modell Doppelanlage ließe sich hingegen Zeit einsparen, vor allem dann, wenn es um eine Sanierung ginge.

Zu diesem Prozess des Neu-Nachdenkens muss auch gehören, sich vom vordergründig positiven Begriff der Kulturmeile zu trennen. Er sollte am Anfang – leicht erkennbar: Aha-Erlebnis, Werbung, Stadtmarketing – als eingängige Bezeichnung das spezielle Modell einer Verlagerung schmackhaft machen, in fortführender Ergänzung/Konkurrenz zur Erfolgsformel Museumsufer. Bei näherem Hinsehen ist aber klar: Das ist eine reine Kopfgeburt. Beim Museumsufer reihen sich die Häuser tatsächlich sicht- und erlebbar aneinander. Bei der Nord-Süd-Meile gibt es große Abstände vom Jüdischen Museum bis zur Alten Oper. Und ob eine Kleinstfiliale des Weltkulturenmuseums in einem Turm am Ende der Neuen Mainzer Straße das vollmundige Versprechen erfüllen kann, Teil des Ganzen zu sein, ist mehr als fraglich.

Blick aus dem Bühnenfoyer mit den Wolken von Zoltan Kemeny, Foto: Petra Kammann

Zu politischer Größe gehört auch – leider viel zu selten –, scheinbar felsenfest gefügte Positionen noch einmal in Frage zu stellen, wenn bestimmte Argumentationen sich als zunehmend gewichtig erweisen, hier also: Gesamtkonzeption, städtebauliche Zielsetzung, Nachhaltigkeit, Finanzen. Nicht zuletzt der Punkt Finanzen hat hohes Gewicht. Ist eine Gesamtsumme von mehr als 1,5 Milliarden Euro zu vermitteln, wo es doch in der Stadt viele dringende Ausgaben, gerade auch im Bildungssbereich, zu stemmen gilt? Und wo sich ohnehin der Eindruck aufdrängt, dass die städtische Ausgabenpolitik kritisch hinterfragt werden muss hinsichtlich der Prioritäten: Sind 10 Millionen für ein Zoo-Restaurant zu rechtfertigen, ist der hohe städtische Anteil für ein herbeigewünschtes Haus der Demokratie (projektiert mit 150 Millionen) wirklich gut zu begründen?

Das alles sollte den Stadtverordneten noch einmal gründlich durch den Kopf gehen. Offen und ohne Vorbehalte sollten sie erörtern und prüfen (und dies gilt auch für das Kulturdezernat, ebenso für den Oberbürgermeister): Was können wir verantworten, was nützt der Stadt? Niemand wird den Verantwortlichen und Entscheidern diese zusätzliche Denkpause übelnehmen. Vor allem dann nicht,, wenn sie einen großen Irrtum und einen Jahrhundertfehler verhindern hilft.

Und was werden die Stadtverordneten schlussendlich entscheiden?, Foto: Uwe Kammann

Vielleicht übrigens werden manche an eine Aktion denken, die auf vorbildliche Weise gezeigt hat, worin sich Bürgersinn auszeichnet, wie er zu gewinnen ist und was er vermag. Als das Städel-Museum seine unterirdische Erweiterung für die Exponate der zeitgenössischen Kunst geplant und dann verwirklicht hat, konnte es sich auf eine erfindungsreich inszenierte Spendensammlung stützen, visuell attraktiv verkörpert durch das Bauarbeiter-Fußwerk der gelben Stiefel. Mit einem Ertrag, der bewies: Ja, es gibt ihn, einen ausgeprägten Bürgersinn in dieser Stadt, welche sich immer als frei verstand und dem Adel nur auf dem Krönungsweg huldigte. Bürgersinn und Theater, das verträgt sich gut. Deshalb, dies die Hoffnung und der Appell im hiesigen Advent, sollte das Stadtparlament am 12. Dezember mit bestem Beispiel vorangehen.

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