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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Werner-Holzer-Preis für Auslandsjornalismus: eine Auszeichnung nicht zuletzt für Mut

Ehrung im Frankfurter Kaisersaal für Paul Ronzheimer, Friederike Böge und Bojan Panjevski

Von Uwe Kammann

„Was hätte wohl Werner Holzer dazu gesagt?“ Melanie Amann, stellvertretende Chefredakteurin des Spiegel, konnte sich die kleine mediale Spitze nicht verkneifen, als sie ihre Laudatio auf Paul Ronzheimer anstimmte, der mit dem nun zum dritten Mal vergebenen Preis für Auslandsjournalismus ausgezeichnet wurde. Werner Holzer, Namenspatron dieses Preises, war lange Jahre hochrenommierter Kopf der linkspositionierten Frankfurter Rundschau – als Auslandskorrespondent und dann legendärer Chefredakteur. Paul Ronzheimer wiederum ist Reporter und Vizechef der Bild-Zeitung, im Vorurteils-Pressespektrum also eher ganz anders verortet.

Auslandsjournalismus-Hauptpreisträger Paul Ronzheimer (Bild, Die Welt), alle Fotos: Uwe Kammann

Doch Amann ließ keinen Zweifel an ihrer hohen kollegialen Wertschätzung für Paul Ronzheimer, „den Weltreporter, der sie alle hatte, und meistens zuerst“. Alle: dass bezieht sich speziell auf die repräsentativen Köpfe heutiger Konfliktländer, am auffälligsten vielleicht in der Ukraine, wo Ronzheimer den Krieg von Anfang an intensiv begleitet und sehr früh aufschlussreiche Interviews mit Präsident Selenskyi geführt hat – und wo er zugleich immer wieder von der vordersten Linie der Kriegsfront berichtet hat, ganz unmittelbar und hart. Die Leser kannten bald alle sein Gesicht unter einem Stahlhelm, erlebten ihn auch in begleitenden Videos, wussten, dass die Schutzweste keine Angeber-Staffage war.

Laudatorin Melanie Amann, Stellvertretende Spiegel-Chefredakteurin

„Ungefiltert im besten Sinne“, so charakterisierte Amann die inzwischen auch in der Springer-Schwester Welt zu findende Arbeitsweise Ronzheimers, gekennzeichnet auch von „unglaublichem Mut“. Und weiter: Ja, er ergreife auch Partei, halte dabei aber Grenzen ein. Dazu erfinde er immer wieder neue Formen und Formate, sei beispielsweise in Livestreams oder in einem eigenen Podcast präsent – all das stehe für eine herausragende journalistische Leistung. Das Lob goss sie in eine Schlussformel: „Wir alle sind Paul“.

Der so anspielungsreich Geehrte zeigte sich gerührt, die Umarmung mit der Laudatorin zeigte, dass sie wesentliche Punkte seiner Ziele und Überzeugungen getroffen hatte. Und zugleich relativierte er – der sich in Ländern wie Syrien, Afghanistan, Iran, Libanon, Sudan immer einem äußersten Risiko ausgesetzt hat – dies eigene Verhalten: Die Menschen und Kollegen, mit denen er dort zusammenarbeite, sie bewiesen einen noch viel größeren Mut. Ohne sie, ohne ihre Kenntnisse und Kontakte, sei diese Arbeit als Auslandsreporter gar nicht möglich. Und noch eines bekräftigte Ronzheimer – dessen Karriere im unscheinbaren Lokalen begonnen hat – in seiner Dankesrede als Merkpunkt: Analysen und Kommentare zu schreiben, das sei nicht das Schwerste. Hingegen: „Reporter, das ist das wichtigste“.

 Nachdenklich im Gespräch: Preisträger Paul Ronzheimer 

Hier hätte er natürlich die Spiegel-Spitze zurückspielen können, mit einem kleinen Hinweis darauf, dass dieses Magazin vor einiger Zeit seinen Ruf stark lädierte, als es auf die gefälschten Reportagen des zuvor mehrfach preisgekrönten Journalisten Claas Relotius hereingefallen war, einfach, weil diese Reportagen bestimmte inhaltliche Positionen der Redaktion anschaulich zu unterfüttern schienen. Denn Relotius reportierte nicht nach dem berühmten Diktum von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein: „Sagen, was ist“, sondern nach der Devise: Schreiben, was vermeintlich gewünscht wird, weil es in eine bestimmte Richtung passt.

Bei der Preisverleihung im Kaisersaal des Römers lag die Betonung erkennbar auf der Augstein-Grundlinie. „Berichten, was Sache ist“, so formulierte es beispielsweise Welt-Chefredakteurin Jennifer Wilton als unumstößlichen Grundsatz in ihrer Laudatio auf Bojan Panjevski vom Wall Street Journal, der ebenso wie Friederike Böge von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) mit einem 2. Preis ausgezeichnet wurde.

↑ Preisträger Bojan Panjevski (Wall Street Journal) und
↓ seine Laudatorin Jennifer Wilton, Chefredakteurin Die Welt

Eine „oft überraschende Recherche“ bescheinigte Wilton dem Wall-Street-Journal-Journalisten. Die Jury lobte in ihrer Begründung dessen „Hartnäckigkeit“ und seine Fähigkeit, „immer wieder tiefe Einblicke und überraschende Hintergründe“ zu vermitteln, so dass er „eine sehr eigenständige Stimme vor allem aus Europa und Russland“ bilde.

Bei Friederike Böge hat die Jury beeindruckt, wie „gewissenhaft und präzis“ sie die Welt wahrnehme und beschreibe und dabei immer neue Ansätze suche, so mit den Schwerpunkten Afghanistan, China und Iran. Auch in ihrer Laudatio hob Antje Pieper – stellvertretende Leiterin der ZDF-Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen sowie Moderatorin des auslandsjournals des Sendersdie Fähigkeit der FAZ-Korrespondentin hervor, „andere Lebenswirklichkeiten“ und damit eben „mehr als die üblichen Sichtweisen“ zu vermitteln.

 

↑ Preisträgerin Friederike Böge (FAZ) und
↓ Laudatorin Antje Pieper(ZDF-auslandsjournal) 

Auch Böge (die inzwischen aus der Türkei berichtet) wies, wie schon Paul Ronzheimer, auf die wichtige Funktion der lokalen Mitarbeiter hin. Und – dies hatte der Bild-Journalist ganz allgemein auch auf publizistische Institutionen wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemünzt – auf Grundqualitäten jener Medien und Redaktionen, die noch ein stabiles Korrespondentennetz knüpfen, statt einfach Journalisten bei besonderen Ereignissen und Anlässen zu einer Drei-Tage-Geschichte herauszuschicken. Kontinuität und Konstanz: Das könne, so Böge, eben dazu führen, auf einer Konferenz den Präsidenten des chinesischen Spargelverbands kennenzulernen, der dann als wichtiger und vertrauenswürdiger Informationsvermittler hilfreich sei.

Bojan Panjevski nannte als positive Grundeigenschaft der Arbeit vor allem eines: „Vertrauen ist die einzige Währung“. Und, für ihn ebenso wichtig: „Man muss Fakten und Gefühle trennen“ (wahrscheinlich eine Erklärung, dass er und die Wall-Street-Journal-Redaktion von der US-Wahl „nicht überrascht“ waren). Auch eine Warnung/Mahnung stellte der Journalist noch an den Schluss seiner Dankesrede: „viel weniger Haltung“.

Damit bezog er eine klare Gegenposition zu einem Appell von Michel Friedman, dem Vorstandsvorsitzenden des Werner-Holzer-Instituts, das – neben anderen Aktivitäten – den Preis ausrichtet; und zwar unter der generellen Zielsetzung, „eine Welt zu schaffen, in der Journalisten gestärkt werden, um relevante, authentische und bedeutungsvolle Geschichten zu erzählen.“  Wie also lautete Friedmanns emphatisch vorgetragene zentrale Forderung in seinem Grußwort? Genau so: „Es geht um Haltung“.

Michel Friedmann, Vorstandsvorsitzender des Werner-Holzer-Instituts

Zuvor hatte er „Wissen und Verstand als die entscheidenden Faktoren“ genannt, um in „diesen fragilen Zeiten“ die Grundwerte und -ziele Demokratie und Freiheit gegen angemaßte Macht von Autokraten zu verteidigen. Konkret und leidenschaftlich plädierte er für eine auch waffengetragene Unterstützung der Ukraine und für eine eindeutige Hilfe „gegen Despoten“. Man müsse „Putin und Russland“ – gegen Versuchungen der Bequemlichkeit – eigene Stärke entgegensetzen, nicht zuletzt „mit der Straffung der eigenen Wirbelsäule.“

Friedrich Merz umriss in seiner Festansprache die journalistischen Mittel, welche alle dem zentralen Hauptziel dienen müssten: Orientierung zu leisten. Und dies in einer durch „Aufruhr und Unordnung“ gekennzeichneten Welt. Es gehe – bei zunehmender Komplexität und der damit verbundenen Schwierigkeit, sich einen Überblick zu verschaffen – darum, „mit Augen und Ohren vor Ort“ dazu beizutragen, „die Welt zu verstehen“.

Friedrich Merz. Parteivorsitzender der CDU und Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Unions-Parteien

Auch der CDU-Vorsitzende verwies auf den gerade auch angesichts vieler „dunkler Orte“ notwendigen Mut, um aufklärerische Arbeit zu leisten und eine „kritische Öffentlichkeit“ herzustellen, immer mit dem Ziel, „das freiheitliche und humanistische Erbe“ zu bewahren.

Dunkle Orte und viele Fragen

Dunkle Orte: Dieses Stichwort von Friedrich Merz war der eigentliche Grundtenor des Werner-Holzer-Preises für Auslandsjournalismus. Nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den beiden vorausgegangen Auszeichnungen, speziell für die Hauptpreistäger Katrin Eigendorf und Ulf Röller. Auch bei den beiden ZDF-Auslandskorrespondenten standen der Ukraine-Krieg und das China-Imperium im Mittelpunkt der journalistischen Arbeit.

Zur durchgehenden Linie bei der Auslandsberichterstattung und dortigen Einsätzen gehört: Viele der dunklen Orte (Oberbürgemeister Mike Josef sprach neutral von „blinden Flecken“) sind nur unter größten Gefahren oder gar nicht zugänglich, sie werden bewacht und abgeschottet von Despoten, Autokraten, Kriegsherren, Terrorbanden, Verbrechern. Hunderte von Journalisten sitzen im Gefängnis, wurden und werden verfolgt, kaltgestellt, ermordet. Das weltweite Netz als Mega-Medium ist kein Garant für weltweites Wissen, nicht einmal für weltweite Aufmerksamkeit. Von wirksamem Handeln und institutionellem Schutz ganz zu schweigen.

Es gibt gut begründete Listen für vernachlässigte Themen. Bei den zahlreichen ebenso vernachlässigten, oft völlig übersehenen Orten haben wir oft wenig Ahnung, kaum verlässliche Informationen und in der Regel keinerlei Gewissheit. Eben, weil sie völlig unzugänglich sind, weil jede individuelle Annäherung einem Todesurteil gleichkäme. Solche Einschränkungen gelten schon dann, wenn Konflikte und Kriege in den bekannten Regionen mit bekannten Machtstrukturen stattfinden.

Ganz unabhängig davon: Es braucht eine besondere persönliche Kraft, um hinzugehen, hinzusehen und auch darüber zu berichten. Erforderlich ist nicht nur außergewöhnlicher Mut, sondern in vielen Fällen auch die Fähigkeit, mit einem inneren Spannungsfeld umzugehen. Was kann ein Reporter aushalten, welche seelische Hornhaut braucht er, um die schlimmsten Auswüchse menschlichen Handelns zumindest äußerlich zu ertragen und dem heimischen Publikum zu vermitteln?

Sebastiåo Salgado mit seiner Frau Lélia bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (2019) in der Paulskirche

Sebastiao Salgado, der von hohem menschlichen Engagement getragene brasilianische Fotograf, konnte und wollte nach den von ihm dokumentierten Gräueln im Uganda-Krieg für einige Zeit keine Kamera mehr in die Hand nehmen. Ganz anders als James Nachtwey, einer der Herausragenden unter jenen Fotografen, welche die conditio humana als unendliche Folge von Armut, Elend, Unterdrückung, Grausamkeit und Tod wahrnehmen. Sein Credo, unermüdlich wiederholt: Er wolle auch die härtesten Bilder aufnehmen in der Hoffnung, die Menschen aufzurütteln und damit in der Welt etwas zum Besseren zu bewegen.

Carl-Franz Hutterer wiederum, der als Kameramann für das ZDF mit Hans-Dieter Grabe die Kämpfe in Vietnam aufgenommen hat, bekannte im Interview seinen emotionalen Zwiespalt. Auf dem Lazarettschiff hätten seine Tränen das Okular der Kamera benetzt; in einem US-Jet hingegen habe ihn Wut erfasst – seine Emotionen seien folglich durch die Situationen selbst beeinflusst worden.

Die Kamera hat als technisches Medium den Vorteil, dass sie Bilder liefert, die immer noch – einmal unabhängig betrachtet von heutigen leichten Fälschungsmöglichkeiten – unmittelbarer wirken. Dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte: Trotz der Pauschalität ist an dieser Behauptung natürlich vieles dran. Darum ist der kamerabewehrte Augenzeuge wegen der direkten Anschauung immer noch unverzichtbar, körperlich aber sicher auch am stärksten gefährdet. Unvergessen der Augenblick, als Joachim Gauck eine Jubiläumsfeier des Grimme-Preises nicht mit einem Lob begann, sondern sichtlich erschüttert mit einer gerade eingetroffenen Nachricht: Die Fotografin Anja Niedringhaus war in Afghanistan ermordet worden.

Der schreibende Journalist hat den Vorteil einer in der Regel größeren körperlichen Distanz. Und dazu jenen der nuancierenden, der interpretierenden Beobachtung und der differenzierten Schilderung (Sagen, was ist!?) sowie der anschließenden Einordnung. Dem Verlust an Oberflächen-Authentizität der Wirklichkeits-Ausschnitte kann er eine abstrahierende Wahr-Nehmung gegenüberstellen. In der Hoffnung und mit dem Versprechen, sie glaubwürdig  zu vermitteln  – und Glaubwürdigkeit zugesprochen zu bekommen.

All’ diese Aspekte spielen in eine Auszeichnung für Auslandsjournalismus hinein. Was auch bedeutet: Die in vielfacher Weise erschwerten Bedingungen in Krisen- und Kriegsgebieten – auch in anti-aufklärerischen, gewaltdurchdrungenen, weitgehend oder gar vollkommen abgeschotteten Regionen – spielen bei der Bewertung wesentlich mit hinein.


Viel Applaus und große Zustimmung für die Preisträger im vollbesetzten Kaisersaal des Römers

Nicht umsonst war in der jetzigen Frankfurter Feier durchgehend ein Wort zu hören: Mut. Und es bedeutete sicher mehr als eine zeitgeistige Geste, dass alle Preisträger und Laudatoren sich umarmten und duzten. Das sprach für mehr als lediglich eine Anerkennung gemeinsamer professioneller Standards, sondern auch für eine tiefergehende kollegiale Verbundenheit.

Diese Besonderheit heißt natürlich auf der anderen Seite auch: Journalisten in den ‚normaleren’ Ländern haben es schwerer, diese Auszeichnung zu bekommen. Obwohl auch ihre Arbeit wesentlich und wertvoll ist im Sinne der Orientierung und Einordnung, wie eingangs von Mike Josef, Michel Friedmann und Friedrich Merz als oberste Kategorie genannt. Manches ist – gerade wegen der vermeintlichen Nähe und damit der Besserwisserei der heimischen Redaktionen – auch schwerer zu beurteilen:

Mithin: Wie steht es beispielsweise um die inneren Verhältnisse in Frankreich, Italien, Schweden, Großbritannien, den USA? Die Entwicklungen haben jedenfalls gezeigt: oft nicht so, wie es mehrheitlich die eigene journalistische Sichtweise nahegelegt hat. Geschuldet eben dieser Einstellung, womöglich auch jener Eigenschaft, die jetzt im Kaisersaal so unterschiedlich bewertet wurde, sprich: der Haltung?

Eines ist das grundsätzlich Gute an einem solchen Preis: Er ist nicht nur mit hochverdientem Lob und mit öffentlicher Anerkennung für herausragende Arbeiten verbunden, sondern auch mit Fragen. Solchen, die weiterführen. Ganz im Sinne des Preisstifters, welcher auf Journalismus setzt als „treibende Kraft für positive Veränderungen“.

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