„Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten?“ Zwei Seiten einer Medaille. Eine umfassend vielgesichtige Schau im Städelmuseum
„Near het leven“- „Wie im wahren Leben“. Rembrandt und seine Malerkollegen schauen genau hin
Von Petra Kammann
Amsterdam in Frankfurt – Eine kleine Sensation nach der Ausstellung „Nennt mich Rembrandt!“ vor drei Jahren. Diesmal präsentiert das Städel Museum die Bildniskunst der Rembrandt-Zeit mit herausragenden Gruppenbildnissen des Amsterdam Museums, die in diesem Umfang erstmals in Deutschland zu sehen sind, ergänzt durch herausragende Werke Rembrandts und seiner Zeitgenossen aus dem eigenen Sammlungsschatz. Rund 100 Gemälde, Skulpturen und Druckgrafiken, darunter angereiste Meisterwerke aus dem Rijksmuseum in Amsterdam, dem Metropolitan Museum of Art in New York, dem Koninklijk Museum voor Schone Kunsten in Antwerpen oder dem Muzeum Narodowe in Warschau sind in Frankfurt zu sehen. Dabei erfahren wir etwas über den Alltag im sogenannten „Goldenen Zeitalter“, dem 17. Jahrhundert, in der „Boomtown“ Amsterdam.
Wegführung in die untere Etage des Museums in Schwarz-weiß, Gegenüberstellung des Verlegers und Regenten Isaac Comelin mit dem Aktmodell Marie de la Motte, Foto: Petra Kammann
Hat man im Städel die in minimalistisches Schwarz gehaltenen Räume im Peichl-Gebäude durchschritten, dann leuchten im eigentlichen Ausstellungsraum unten die Bilder ganz besonders intensiv auf. Ja, es war eben auch ein strahlendes, ein „Goldenes Zeitalter“ der Malerei, von dem seit dem 17. Jahrhundert die Rede war. So stoßen wir schon gleich zu Anfang der Schau auf ein Gemälde von Johannes Lingelbach, das uns einen Hinweis darauf gibt, woran es wohl liegen mag. Seine Darstellung ist wie der Eintritt in das blühende Leben einer aufstrebenden Stadt selbst. Man erlebt sie ganz unmittelbar auf einem großen Marktplatz mit dem emsigen Treiben vieler verschiedener handelnder und diskutierender Menschen auf dem Gemälde „Ansicht des Dam mit dem im Bau befindlichen neuen Rathaus“, wobei man die dargestellte städtische Szenerie aufgrund der vorab ausgestellten Karten, Stadtpläne und historische Stiche nicht zuletzt durch eine Ansicht aus der Vogelperspektive von 1534 auch noch räumlich-geographisch einordnen kann.
Johannes Lingelbach ,Ansicht des Dam mit dem im Bau befindlichen neuen Rathaus, 1656, Öl auf Leinwand 122,5 × 206 cm, Amsterdam, Amsterdam Museum
Auf diesem lebendigen Bild von Johannes Lingelbach (ca. 1622 – 1674) mit den differenzierten Farbschattierungen des Marktplatzes entsteht gerade am zentralen Dam-Platz ein größeres Stadhuis, ein prächtiges Rathaus, das in fertigem Zustand dann auch eher einem Königspalast ähneln wird, was bezeichnenderweise daher seit 1808 bis heute sogar immer noch Königspalast genannt wird. Kein Wunder, hat sich doch die beschauliche Siedlung an der Amstel gerade zu Rembrandts Zeiten mit dem neuen Selbstbewusstsein der Bürger zu dem europäischen Zentrum des Welthandels entwickelt, und damit einhergehend hat sich auch die Bevölkerung verdreifacht. Außerdem wird der Stadtraum noch durch neue Verkehrswege, durch Grachten, erschlossen und erweitert.
Kurator Prof. Jochen Sander bei der Erläuterung der „Brotverteilung“ auf dem Gemälde von 1627 eines Unbekannten, möglicherweise von David Vonckboons, Foto: Petra Kammann
Was aber machte die Anziehungskraft dieser wachsenden protestantisch geprägten sich entwickelnden Handelsmetropole aus? Der Arbeitsmarkt in Amsterdam war ebenso prosperierend wie es die religiöse Toleranz war. Ähnlich wie in der freien Reichsstadt Frankfurt wird zudem an der Amsterdamer Börse gehandelt. Hier hatte man wegen der geographischen Nähe zum Meer jedoch noch weitere Expansionsmöglichkeiten als am Main. 1602 bzw. 1621 werden die Ostindischen und Westindischen Handelskompanien gegründet. Mit Anteilsscheinen schaffen die eifrigen Kaufleute in kurzer Zeit in Asien, Afrika und Amerika auf diese Weise ein gewaltiges Kolonialreich, das ihren Reichtum in ungeahntem Maße mehrt. Und ob der damals garantierten Religions- und Gedankenfreiheit blühen daher in dieser Zeit neben dem erfolgreichen Handel auch die Wissenschaften und die Künste, weswegen man halt vom „Goldenen Zeitalter“ sprach. „Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt„, zitiert Städel-Direktor Philipp Demandt die sprichwörtlich gewordene Weisheit aus Shakespeares „Kaufmann von Venedig“, denn neben dem neuen Reichtum wächst auch das Elend weiter.
Blick in die Ausstellung, Raum der XXL-Gemälde, Foto: Petra Kammann
Passend zu den jeweiligen Themen sind in der Ausstellungsarchitektur die Stellwände farblich hinterlegt wie etwa die goldenen Fonds hinter den fast raumsprengenden Tableaus, die einst an den Wänden der Amsterdamer Schützenhäuser mit ihren repräsentativen Gruppenbildnissen, den „XXL-Gemälden“, wie es in der Ausstellung heißt, hingen, bevor sie ins Amsterdam-Museum wanderten. Dazu zählt etwa die „Mahlzeit der Armbrust-Schützen unter Hauptmann Jakob Becker und Leutnant Jason Roth“ aus dem Jahre 1632 von Nicolaes Elias Pickenoy. Interessant, auf welche Personen oder Kleidungsstücke wiederum das Leuchten der goldenen Farbe auf dem Gemälde fällt. Zu den riesigen „Figurenpanoramen“ zählt auch Giovevert Finks „Aufzug der Armbrust-Schützen unter Hauptmann Joan Huydekoper von Frans van Waveren“ aus dem Jahre 1648. Zweifellos zählen sie zu malerischen Prunkstücken dieser Schau. Aber nicht nur.
Natürlich ist die Stadt auch mit ihren Spekulationen von gelegentlichen Börsencrashs getroffen. Man denke nur an die exotischen Zwiebeln, die „Tulpen aus Amsterdam“, mit denen die Spekulanten 1637 in kürzester Zeit auch auch mal viel Geld verlieren können. Wie auch immer: „Wir werfen einen ungeschönten Blick auf die Amsterdamer Wirklichkeit im 17. Jahrhundert und nehmen Bezug zur aktuellen Diskussion um eine Neubewertung des ‚Goldenen Zeitalters‘ in den Niederlanden. In den Meisterwerken Rembrandts und seiner berühmten Zeitgenossen zeigt sich eine Stadt im Umbruch, gekennzeichnet durch tiefgreifende ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen“, erläutert Demandt den neuartigen Zugang dieser Schau zum „Goldenen Zeitalter“.
Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Es gab zwar einen starken Arbeitsmarkt und eine religiöse Toleranz, wo alle auf ein besseres und freieres Leben hoffen. Doch war es nicht allen Menschen vergönnt. Porträtiert wurden zunächst vor allem die Erfolgreichen und Tüchtigen und je reicher, desto prächtiger. Gewinner und Verlierer wie Banker, Chirurgen, Dienstmägde, Bettler und Prostituierte, sie sind in dieser Schau zwar nebeneinander anzutreffen, jedoch in anderer Gewichtung, was Größe, Ausstattung, Vorder- und Hintergrund angeht. Die erfolgreichen Bürger feiern sich selbst, strotzen nur so vor Selbstbewusstsein, was sich nicht zuletzt in ihrem Körperumfang widerspiegelt und sie tragen den „wohlverdienten“ Erfolg in Gruppenporträts mit entsprechender Kleidung, mit Kopfbedeckung bzw. mit Standesschmuck, mit Schwertern und Hellebarden zu Markte und wollen sich dabei gegenseitig übertrumpfen.
Bartholomeus van der Helst (ca. 1613 – 1670), Die Vorsteher des Kloverniersdoelen, 1655. Öl auf Leinwand, Amsterdam Museum
Und das umso lieber in Gruppenbildern, welche sie in gleichgesinnter Umgebung zeigen und unmittelbar vorführen, wie sie alle miteinander genüsslich trinken und prassen. Ganz diskret im Hintergrund erscheint da nur eine Dienstmagd. Solche Bilder hängen dann in den Schützen- oder Gildehäusern. Dabei lässt sich die einflussreiche Bürgergesellschaft am liebsten von dem meisterhaften Rembrandt (1606-1669), der selbst gar nicht aus Amsterdam stammt, porträtieren. Man denke nur an die monumentale „Nachtwache“, das bekannteste Amsterdamer Schützenstück und zugleich eines der berühmtesten Gemälde überhaupt, die fest im Rijksmuseum verankert und damit unausleihbar ist.
Eine der Ankerfiguren mit Bettelschale, Foto: Petra Kammann
Immerhin sehen wir hier in der Schau einen Abglanz in Form eines vom Rijksmuseum ausgeliehenen kostbaren Aquarells, eine Kopie der „Nachtwache“ von Jacob Colijns (1614/15–1686), der sie den Jahren 1653-1655 gemalt hat. Auch hier bekommt man schon einen Begriff davon, dass Rembrandt einen unbestechlichen Blick hat, dem nichts entgeht auch nicht, dass das Prekariat oft kaum identifizierbar, sich allenfalls an den Rändern der Stadt tummelt. Einer der Gründe, weshalb sich die Ausstellungsmacher dafür entschieden, sieben Ankerfiguren zu den entsprechenden Exponaten in Themenkomplexen zu stellen, die einen durch die Ausstellung begleiten.
Blick in die Ausstellung, Petra Kammann
Nach dem Vorbild der Amsterdamer Schützengilden lassen sich auch die Mitglieder der Chirurgengilde in großformatigen Gruppenporträts darstellen, wo der Vorsteher der Gilde, ein akademisch ausgebildeter Mediziner, eine öffentliche Vorlesung hält und am Leichnam demonstriert, wie seziert wird, hier werden am Beispiel des Skeletts eines englischen Piraten anatomische Kenntnisse vermittelt.
Das Fragezeichen im Ausstellungstitel „Rembrandts Amsterdam – Goldene Zeiten?“ weist darauf hin, dass die wirtschaftliche und kulturelle Blüte der Rembrandt-Zeit neben der Leistung des Erreichten nicht zuletzt auf einer aggressiven Handelspolitik der Vereinigten Niederlande beruhte. Wie sonst hätten sie von den Kolonien in Asien und Südamerika sowie von der Versklavung der Menschen profitieren können?
Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Zwar ziehen Menschen aus ganz Europa nach Amsterdam, in der Hoffnung, dort ihr Glück zu machen, aber sie erfahren auch, dass so eine Boomtown durchaus ihre Schattenseiten hat. Nicht zuletzt profitiert sie vom Handel mit versklavten Menschen, von denen etliche in prekären sozialen Verhältnissen leben. Hinzukommt, dass Kriege, Armut, religiöse und politische Verfolgung in Europa für eine stetig wachsende Migration in die Niederländische Republik sorgten, wovon Amsterdam besonders betroffen war.
Jacob Adriaensz Backer (1608–1651), Die Regentinnen des Burgerweeshuis, 1633/34, Amsterdam Museum (Leihgabe Stichting Spirit – Rooms Catholiek Jongens Weeshuis)
Angesichts des massenhaften Elends hatte die florierende Stadt daher auch in zahlreiche soziale Einrichtungen, die in den einstigen 19 stillgelegten katholischen Klöstern untergebracht wurden, investiert, so in Waisenhäuser, Obdachlosenunterkünfte, Alters- und Pflegeheime und sogar auch in städtische Gefängnisse, in denen man damals schon versuchte, die straffällig Gewordenen wieder zu resozialisieren. So müssen kleinkriminelle Männer etwa im Rapshuis brasilianisches Rotholz raspeln, das für die Färbung von Stoffen verwendet wird, während straffällig gewordene Frauen und Prostituierte im Spinhuis Handarbeiten anzufertigen haben. Solchen und ähnlichen Institutionen wie auch einem Bürgerwaisenhaus steht hier eine strenge schwarzgekleidete Regentin mit blütenweißem Mühlsteinkragen wie Aechje Oetgens (1561-1639) vor. Da sie einer reichen Kaufmannsfamilie entstammt, entscheidet sie selbst noch in hohem Alter, wer dort das Sagen hat und drückt dies auch in ihrer Körperhaltung aus.
Rembrandt Harmensz van Rijn, Bettler, auf einem Erdhügel sitzend, 1630, Radierung, Städel Museum
Das Ausstellungsteam, allen voran Prof. Dr. Jochen Sander, hervorragender Kenner der niederländischen und flämischen Malerei, hatte sich mit seinen Kuratoren und Kuratorinnen nach langen Vorüberlegungen sogar schon vor sieben Jahren zum Ziel gesetzt, die Gesellschaft der Zeit möglichst breit abzubilden, etwa mit Rembrandt-Radierungen, die Bettler zeigen, und auch mit Exponaten zu Waisenhäusern und Zuchthäusern. Nicht nur die letzte Rembrandt-Ausstellung vor drei Jahren verschaffte ihm die nötige Anerkennung, über viele Jahre hatte er Kontakte zu den renommierten Ausstellungshäusern gepflegt, so dass er nun an die kostbaren Leihgaben kam.
Pieter Pietersz (1540/41–1603), Ein Mann bedrängt eine Frau am Spinnrad, ca. 1560–70, Amsterdam, Rijksmuseum
Anrührend unter den Exponaten ist vor allem aber die Geschichte einer Außenseiterin, Immigrantin und Affekttäterin, deren grausamen Tod Rembrandt in einer feinen Federzeichnung festgehalten hat. Es ist die Geschichte der gerade mal 18jährigen dänischen Else Christiaens (1646-1664), die bei einer „Schlafmutter“ Unterschlupf gefunden hatte. Ihr Erspartes ist aufgebraucht, und sie kann die Miete nicht mehr aufbringen, die „Vermieterin“ schlägt sie und will sich der letzten Habseligkeiten des armen Mädchens – noch ein halbes Kind – bemächtigen. Nach einem handfesten, eskalierenden Streit erschlägt Else sie im Affekt mit der Axt, wird kurz darauf zum Tode verurteilt und auf die Galgeninsel Volewijk geschleppt und zur Abschreckung als warnendes Signal zur Schau an einen Pfahl geknüpft. Die schockierende Nachricht von der Hinrichtung eines armen Mädchens zog nicht nur viele schaulustige Amsterdamer an, sondern auch Rembrandt mit der Folge, dass er ihren Tod zeichnerisch festhielt und diese grausame Geschichte in den Akten der reichen Stadt nicht vergessen wurde.
Blick auf Max Liebmanns „Freistunde im Amsterdamer Waisenhaus“ aus dem Bestand des Städel Museums, Foto: Petra Kammann
Es muss wohl als ein Glücksfall bezeichnet werden, dass das Amsterdam-Museum wegen Sanierung geschlossen werden musste und deshalb einen Teil seiner Sammlung an das Städel Museum ausgeliehen hat, das seinen eigenen herrlichen Fundus auch noch einmal in diesem Kontext ins rechte Licht rücken konnte mit eigenen Rembrandt-Zeichnungen und Werken aus der Zeit und nicht zuletzt auch mit einer sehr viel moderneren Darstellung einer Waisenhaussituation, mit dem eindrücklichen, zwischen 1891-1882 entstandenen impressionistischen Gemälde des Berliner Malers Max Liebermann „Freistunde im Amsterdamer Waisenhaus“, das 1899 trotz des Widerstands einiger Frankfurter Bürger im Städel Einzug hielt. Bis Ende des 19. Jahrhunderts scheint sich in der Sache nicht soviel getan zu haben, gäbe es nicht das besondere und andere breitere Licht des großartigen Malers, das seitdem anders auf die Szene fällt.
Es leben die Künstler wie Jakob van der Sluis, der sich aus dem Waisenhaus emporgearbeitet hat!, Foto: Petra Kammann
REMBRANDTS AMSTERDAM. GOLDENE ZEITEN?
Eine Ausstellung des Städel Museums in Kooperation mit dem Amsterdam Museum
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
Ausstellungsdauer: 27. November 2024 bis 23. März 2025
Kurator: Prof. Dr. Jochen Sander (Stellvertretender Direktor und Sammlungsleiter Holländische, Flämische und Deutsche Malerei vor 1800, Städel Museum)
Projektleitung: Corinna Gannon (Wissenschaftliche Volontärin, Holländische, Flämische und Deutsche Malerei vor 1800, Städel Museum) Ausstellungsdauer: 27. November 2024 bis 23. März 2025
Information: www.staedelmuseum.de
Besucherservice und Führungen: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de