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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt für Michel Friedman

Gegen Gleichgültigkeit – für Streitkultur

„Ein Bürger, ein Demokrat, ein Humanist, der für uns aufbegehrt“

Von Renate Feyerbacher

Mit einem Jahr Verspätung erhielt Michel Friedman, deutsch-französischer Publizist, Talkmaster, Jurist, Philosoph und ehemaliger Politiker, die Goethe Plakette der Stadt Frankfurt, einstimmig beschlossen. Dazu Friedman scherzhaft: „Was habe ich falsch gemacht?“

Urkunde zur Goetheplakette für Michel Friedmann, Foto: Renate Feyerbacher

„Die Goethe-Plakette wird an Dichter, Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler und andere Persönlichkeiten des kulturellen Lebens […], die durch ihr schöpferisches Wirken einer dem Andenken Goethes gewidmeten Ehrung würdig sind, vergeben. Sie wird in der Regel im Kaisersaal des Frankfurter Römers verliehen,“ so die Beschreibung der Auszeichnung.

Es heißt, er und der Oberbürgermeister hätten aufgrund ihrer vollen Terminkalender keinen gemeinsamen Termin für die Preisverleihung gefunden. Viele Freunde, Gleichgesinnte und Kunstinteressierte waren in den Kaisersaal des Römer gekommen, um Friedman zu ehren.

Oberbürgermeister Mike Josef nennt Friedman eine der stärksten Stimmen für Demokratie, Toleranz, gegen Rassismus und Antisemitismus. Er erinnert an Friedmans Rede im Hessischen Landtag anlässlich des 50. Todestages von Oskar Schindler. Da spach er die Abgeordneten der AfD direkt an. Es geht ihm um Demokratie und die Würde des Menschen.

„Michel Friedman bemüht sich voller Herzblut und Leidenschaft um den demokratischen Streit. Darum, miteinander zu reden und Argumente auszutauschen. Dabei hat er immer den Menschen im Fokus. Auch bei unseren gemeinsamen Schulbesuchen hört er den Schülerinnen und Schülern ernsthaft zu, an der Sache orientiert“, sagt Josef in seiner Begrüßungsrede.

Michel Friedman und OB Mike Josef, Foto: Renate Feyerbacher

Michel Friedman entstammt einer polnischen Familie jüdischen Glaubens. Nur seine Eltern und die Großmutter überlebten, die anderen Familienmitglieder nicht. Sie wurden durch die Nazis ermordet. Sie überlebten nur, weil Oskar Schindler (1908-1974) und seine Frau Emilie Schindler (1907- 2001) sie in ihrer Fabrik beschäftigt hatten. 1200 bei ihnen angestellte jüdische Zwangsarbeiter haben sie vor der Ermordung in den Vernichtungslagern des NS-Staates bewahrt.

Nach dem Krieg zogen Michel Friedmans Eltern und die Großmutter nach Paris, wo er 1956 zur Welt kam. Sie waren staatenlos. Mitte der 60er Jahr zogen die Eltern mit Michel nach Frankfurt, wo der Vater im Pelz-Großhandel tätig war. Die Großmutter blieb in Paris.

Keine Zugehörigkeit, kein Vertrauen, kaum Möglichkeit sich selbst zu bestimmen, sich immer fremd zu fühlen, ständige bürokratische Gängelung und Infragestellung, haben Friedman demoralisiert.

In seinem Buch FREMD schreibt er: „Warum in das Land der Mörder? [..] Deutschland; Ausländerbehörde, Angstbehörde, Abwehrbehörde, Wieder steht ihr in der Schlange, an der Hand euer zehnjähriger Sohn.                     [..] „Die Angst ist mein Lebensgefährte“. (Zitiert aus Fremd – Berlin Verlag 2022)

So geht es zurzeit immer mehr Menschen, die hier schon lange leben, Familie haben, einen Beruf ausüben und den Ruf „Ausländer raus!“ hören. Auch für sie ist Angst der Lebensgefährte.

In den 70ern dann die Einbürgerung: „Nicht mehr Ausländeramt. Jetzt: Einwohnermeldeamt. Nicht mehr bedroht und unerwünscht. Jetzt: geduldet. Endlich: das richtige Dokument. [..] Das Kind ist 18 Jahre alt und jetzt offiziell Deutscher.“

Später dann Zweifel: „Das Kind hat ein Visum für New York. Nichts wie weg. Große, weite Welt.“…  „Jetzt Blitzentscheidung: Das Kind zerreißt das Visum. Es bleibt. Es wird Deutscher.“

Michel Friedman sei in die Zeitlosigkeit des Traumas seiner Eltern hineingeboren und sie habe ihn eingeschlossen in einen unerfüllbaren Auftrag, die Schuld und die Angst der Eltern abzutragen. Trauergefängnis nennt er das. „Trauergefängnis. Jeden Tag neu.“

„Lebensaufgabe dieser Kinder: Eltern glücklich machen, Eltern stolz machen“, so die Laudatorin Carolin Emcke, Trägerin des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Es sei endlich Zeit gewesen, liebe Stadt Frankfurt, diesen Bürger zu ehren. Und sie beginnt ihre Laudatio mit Goethe: „Es ist Nacht, »Mitternacht« heißt es über der Szene im 5. Akt des Zweiten Teils von Goethes Faust. Und da treten sie auf, die vier grauen Weiber, wie Goethe sie nennt, eine nach der anderen, und stellen sich vor: „Ich heiße der Mangel, Ich heiße die Schuld, Ich heiße die Sorge, Ich heiße die Not.

Faust fürchtet sich, fürchtet die Ungewissheit: „Doch deine Macht, o Sorge, schleichend groß, ich werde sie nicht anerkennen!“ Die Sorge haucht ihn an und Faust erblindet.

„Michel Friedman hat die Sorge nicht blind, sondern nurmehr schärfer sehend gemacht“, verlassen hat sie ihn nicht. Er kenne diese vier Grauen Weiber von Anfang an, so Emcke. Sie bestimmen sein Leben, sie durchziehen sein Werk. Es koste Anstrengung und Mut, „sich dem zerstörerischen Kraftfeld zu widersetzen, sie umzuwandeln in Schöpferisches“. Friedman, der kein Goethe-Fan ist, wird dennoch dieser Bezug gefallen haben.

Er leistet Widerstand gegen Zerstörung der Demokratie, gegen Rassismus, gegen Hass, gegen jedwede Ausgrenzung von anders Lebenden, anders Denkenden.

Kulturdezernentin  Ina Hartwig und Laudatorin Carolin Emcke, Foto: Renate Feyerbacher

Carolin Emcke: „Wir haben es nicht verdient, dass einer wie Michel Friedman es auf sich nimmt, es uns zu erklären, in seinen Büchern, seinen Reden, seinen Gesprächen, seinen Interventionen, im Fernsehen, in Theatern, in Parlamenten, auf Demonstrationen, auf der Straße, in leisen, kleinen Formaten oder in großen, wir haben es nicht verdient, dass er Worte sucht und findet und sie aneinanderreiht, wie Perlen auf eine Kette aufzieht, eins nach dem anderen, wissend, dass es nicht genügen wird, um die Not abzutragen, aber auch wissend, dass es die Lücke nicht zu schließen vermag, die da klafft zwischen denen, die wirklich schuldig sind und es weiterhin leugnen oder mit unangemessener Leichtigkeit oder hohlem Pathos vor sich hertragen, und denen, die völlig unschuldig versehrt, gezeichnet, verletzt und verstümmelt wurden und die sich schuldig fühlen, dass sie, anders als so zahllose Andere, überlebt haben.“

Oliver Reese (rechts) kam eigens aus Berlin, um Friedman zu beglückwünschen, Foto: Renate Feyerbacher

Der ehemalige Frankfurter Schauspiel-Intendant Oliver Reese, heute Intendant des Berliner Ensemble, war aus Berlin gekommen. Seit zehn Jahren spricht Friedman dort in der Reihe Friedman im Gespräch mit Künstlerinnen, Künstlern, Politikerinnen, Politikern, Migrantinnen, Migranten und queeren Menschen. Friedman im Dialog heißt es nun in der Oper Frankfurt. Da spricht er mit einer Persönlichkeit über ein Werk der Spielzeit. Im Gespräch mit dem Schauspieler Lars Eidinger ging es um Obsession in der Oper Lulu.

„Friedman hat die Debattenkultur unserer Stadt geprägt und bereichert den öffentlichen Diskurs in Deutschland entscheidend“, betont Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig.

Die Belebung der Streitkultur liegt Friedman am Herzen. In seinem Buch „Streiten? – Unbedingt- ein persönliches Plädoyer“  (Spiegel Bestseller 2021) schreibt er: „Der Streit ist wunderbar, herausfordernd, schmerzhaft, anstrengend, hoffnungsvoll, kränkend, sinnlich, leidenschaftlich, still und leise, laut und brüllend, kognitiv und emotional – hört nie auf.“ So geführt, würde es keine Spaltung, keine Entzweiung untereinander geben.

Chansonkönigin Katharina Mehrling, Foto: Renate Feyerbacher

Die junge Katharina Mehrling aus Berlin, geboren in Hanau, genannt Berlins Chansonkönigin, begeisterte durch wunderbare Chansons. Ihr Repertoire ist groß. Brecht gehört dazu, aber auch Jazz und Operette. Eine Entdeckung. Margareta Dillinger, Mitbegründerin des Tigerpalast Varieté Theaters, sprach sie nach der Preisverleihung an und ermutigte sie zur Kontaktaufnahme. Übrigens erhielt Margareta Dillinger in diesem Jahr ebenfalls die Goethe Plakette der Stadt Frankfurt.

Ein emotionaler Abend für die Menschen – „ich liebe Menschen“ – in Frankfurt.

 

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