„Spiegelneuronen“: eine Tanzvorstellung der ganz anderen Art – Sasha Waltz und Rimini Protokoll
Die Welt als Wille und Spiegel
Von Simone Hamm
Die Bühne ist ein riesiger Spiegel, in dem sich die Zuschauer sehen können. Den ganzen Abend lang. „Spiegelneuronen“ hat Stefan Kaegi von Rimini-Protokoll diesen Abend betitelt, zu dem tanz.köln ans Kölner Schauspiel eingeladen hat. Spiegelneuronen, das sind Nervenzellen, die bei der Ausführung, ja schon bei der Planung einer Handlung aktiv werden. Sie lassen uns die Handlungen, die Bewegungen und sogar die Gefühle anderer kognitiv nachempfinden.
Stefan Kaegi / Rimini Protokoll, „Spiegelneuronen“ bei den Salzburger Festspielen, Foto: Bernd Uhlig
Im Publikum sitzen sieben Tänzer aus dem Ensemble von Sasha Waltz, unterstützt von 20 Statisten. Sie geben sich aber nicht als Ensemblemitglieder zu erkennen. Ein Tänzer hebt den Arm, winkt, beugt sich vor. Und langsam macht das Publikum mit. Eine außergewöhnliche Choreografie. Manche lassen sich anstecken, bewegen sich synchron miteinander. Andere bleiben den ganzen Abend über reglos sitzen.
Das ist das Thema des Abends: Wer macht mit, wer bleibt stoisch? Wer läuft mit, wer leistet Widerstand? Wo endet das Ich und wo beginnt das wir? Wer gehört zur Gruppe? Wer ist allein? Neben mir sitzt ein junger Tänzer und stupst mich an, nimmt meine Hand. Da kann ich nicht still bleiben. Er zieht mich hoch, dreht mich. Um mich herum drehen sich andere. Luftballons fliegen ins Publikum. Dann wird es ruhiger.
Stimmen von Neurowissenschaftlern, Biologen und Psychologen sind zu hören, die Sätze sagen wie:
„Most of us wouldn’t equipped at all to live independently of other humans. We form a society togetmhr which is a little bit like an organism.“ („Die meisten von uns wären überhaupt nicht darauf eingerichtet, unabhängig von anderen Menschen zu leben. Zusammen bilden wir eine Gesellschaft, die ein bisschen wie ein Organismus ist.“)
Doch wie selbstbestimmt sind wir wirklich?
„So do I have some control over what’s happening?“ „You will never have control no over yourself, no over others“ („Hast Du Kontrolle über das, was geschieht?“ „Du wirst nie Kontrolle haben, weder über Dich selbst noch über andere.“)
Stefan Kaegi / Rimini Protokoll, „Spiegelneuronen“ 2024 , Foto: Bernd Uhlig
Die ganz großen Fragen werden gestellt. Die nach einer stabilen Gesellschaft, die doch zugleich Veränderung braucht. Eine Frage, die in der Kunst immer wieder gestellt wurde, etwa in Wagners „Meistersingern“.
Nicht jeder, der nicht mitmacht, will anders sein als die andern. Sind sie überheblich ?(Ich tanze doch auch nicht, wenn Macarena gespielt wird und alle die gleichen Bewegungen machen sollen. Das ist Kinderkram.) Sind sie scheu? (Im Spiegel kann jeder sehen, wie ich tanze und das will ich nicht.) Können sie sich einfach nicht mitreißen lassen von der Musik, die zu Techno wird?
Ärgern sie sich vielleicht? (Da habe ich vierzig Euro bezahlt, um mich den ganzen Abend im Spiegel zu sehen und mit den Händen zu wedeln!) Waren Ihnen die (übrigens miserabel vorgetragenen) Sätze der Wissenschaftler zu banal? Hätten sie sich professionelle Stimmen gewünscht?
Hatten sie etwas anders erwartet? Eine Choreografie von Sasha Waltz?
Darauf geben die Wissenschaftler keine Antworten. Ganz bewusst nicht. Dieser Abend lädt zum Weiterdenken ein. Er endet mit Creep von Radiohead:
„Ich will die Kontrolle haben. Ich will einen perfekten Körper. Ich will eine perfekte Seele. …Ich wünschte, ich wäre besonders… Aber ich bin ein Ekel… Ich bin ein Spinner… Was zum Teufel mache ich hier?…Ich gehöre nicht hierher.“
Es gibt viele, die mitsingen.