„Man kann auch in die Höhe fallen“ – Eine Lesung des Autors Joachim Meyerhoff aus seinem neuen Roman
Der Dalmatiner im Publikum und die Whiskey trinkende Mutter
Von Simone Hamm
Joachim Meyerhoff kommt nicht wirklich an in Berlin. Das nonchalante Wien fehlt ihm. Die latente Aggressivität in Berlin, das permanent Kopfschütteln der Berliner allen Alters, jeder Herkunft, jeden Geschlechts macht ihn ratlos. In der U-Bahn rempelt er einen Mann an. Am Geburtstag seines kleinen Sohnes benimmt er sich so daneben, dass alle Kinder ihn verständnislos anstarren. So kann es nicht weitergehen. Er flieht aufs Land zu seiner Mutter. Dort will er wieder gesund werden und schreiben. Anekdoten aus seinem langen Theaterleben. Doch die quirlige selbstbewusste 86-jährige Mutter macht ihm einen anderen Vorschlag. Warum er immer nur übers Theater und über die toten Verwandten schriebe? Er solle ein Buch über sie schreiben. Jetzt. Dann könne sie es noch lesen…
Schauspieler und Autor Joachim Meyerhoff, Foto: Heike Steinweg / Kiepenheuer & Witsch
Und so macht sich Meyerhoff an die Arbeit, begleitet seine Mutter beim Rasenmähen, beim Schwimmen im Meer, porträtiert sie. Und dazwischen flicht er Erinnerungen an sein reiches Schauspielerleben ein.
„Man kann auch in die Höhe fallen“ heißt der 6. Band aus der Reihe seiner Erinnerungen „Alle Vögel fliegen hoch“. Daraus hat er er an der Bonner Oper in der Reihe „Quatsch keine Oper“ gelesen. Meyerhoff ist ein brillanter Rezitator. Wenn er Dialoge mit der Mutter nachspricht, ist er kein Schauspieler, der in verschiednen Rollen schlüpft. Ganz unmerklich verändert er seine Stimme. Das schafft eine große Spannung und lässt geistreiche Pointen noch witziger erscheinen.
Er liest den Anfang des Buches, als er aus Berlin kommt, ein Jammerlappen, der sich selbst bemitleidet und von der Aktivität und Dynamik seiner 86-jährigen Mutter schier überrumpelt wird. Meyerhoff liest von einem Schauspielerkollegen, der ein Blackout hat, das aber nicht einsehen will und munter improvisiert – bis es wirklich nicht mehr weitergeht. Er liest von Dalmatinern auf der Bühne, die ein Klatschen im Zuschauerraum missverstehen. Das ist rasend komisch. Meyerhoff zu hören ist fast besser, als ihn zu lesen.
Doch Meyerhoff hat den Alltag vitaler alter Menschen mit Krankheit und Verzweiflung in anderen Büchern schon besser wiedergegeben. Sein neues Buch hat nicht die Kraft von „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“. Darin erzählt Meyerhoff, wie er als Schauspielschüler bei seinen Großeltern, einer ehemaligen Schauspielerin und einem emeritierten Professors für Philosophie in München lebt.
Er betrachtet deren merkwürdige Rituale, stellt nach und nach fest, dass nicht nur mittags und abends reichlich getrunken wird, sondern schon morgens beim Zähneputzen. „Man kann auch in die Höhe fallen“ reicht auch nicht an Meyerhoff letztes Buch „Hamster im hinteren Stromgebiet“ heran, in der er die Geschichte seines Schlaganfalls sehr locker und witzig erzählt, ohne jedes Selbstmitleid.
Dennoch ist „Man kann auch in die Höhe fallen“ wieder ein echter Meyerhoff. Mit der wunderbar akkuraten Beschreibung des kaputten Berlin, das letztlich auch seine Bewohner kaputt macht, dem er das Landleben gegenüberstellt, ohne es zu idealisieren. Die Gelegenheit, ihn auf der Lesereise zu sehen und zu hören, sollte man sich nicht entgehen lassen.
Joachim Meyerhoff
Man kann auch in die Höhe fallen.
Roman
Kiepenheuer&Witsch
358 Seiten
26.00 €