Wilson „Dorian“ demnächst in Dresden
Ein fabelhaftes Duo: Robert Wilson und Christian Friedel
Von Walter H. Krämer
Der Text zu „Dorian“ stammt von Darryl Pinckney nach Motiven von Oscar Wilde. Inszeniert hat der amerikanische Regisseur Robert Wilson – einer der bedeutendsten Theatermacher unserer Zeit und weltweit unterwegs. Seine Arbeiten verbinden Elemente aus Tanz, Performance, Architektur, Malerei, Musik und Schauspiel „Dorian“, Wilson arbeitete in seiner dritten Arbeit am Schauspielhaus Düsseldorf nach „Der Sandmann“ ein weiteres Mal mit dem Schauspieler Christian Friedel zusammen. Die Produktion des Düsseldorfer Schauspielhauses in Koproduktion mit dem National Kaunas Drama Theater und dem Staatsschauspiel Dresden – demnächst für drei Termine wieder in Dresden zu sehen.
Der Anstoß zu Darryl Pinckneys Text „Dorian“ kam von Robert Wilson selbst. Er hatte wenig Lust, den Roman „Das Bildnis des Dorian Grey“ zu bebildern und auf die Bühne zu bringen und so machte der Schriftseller Darryl Pinckney aus dem Stoff einen Abend über die Kunst und das Leben, indem er die Geschichte des Romans „Das Bildnis des Dorian Gray“, die der englischen Malerikone Francis Bacon und die des Autors Oscar Wilde miteinander verbindet. Drei Geschichten, in denen sich Erinnerungen an Erlebtes, Reflexionen und Gefühle überlagern und so zu einem assoziativen Erzählen werden.
Der Maler Basil Hallward ist besessen von seinem Modell Dorian Gray. Die Hauptfigur, der reiche und schöne Dorian Gray, besitzt ein Porträt, das statt seiner altert und in das sich die Spuren seiner Sünden einschreiben. Während Gray immer maßloser und grausamer wird, bleibt sein Äußeres dennoch jung und makellos schön. Der Roman fragt nach der Berechtigung einer Lebenseinstellung, die nur auf Genuss, der Freude des Augenblicks und der Vermeidung von Leid aus ist und kritisiert die moralische Verkommenheit der englischen Oberschicht. Und Oscar Wilde lässt es sich nicht nehmen, Bemerkungen über Kunst – als Proklamation oder Kritik – im Text zu äußern.
Der Dichter Oscar Wilde ist der Liebling der Londoner Gesellschaft – bis er wegen „unsittlicher Beziehungen“ zu seinem Geliebten Alfred Douglas von dessen Vater angezeigt wird und ins Gefängnis muss. Als gebrochener Mann wird er entlassen.
Ein dritter Erzählstrang bezieht sich auf den Maler Francis Bacon, dessen Modell und späteren Geliebten George Dyer. Francis Bacon überrascht den Kleinkriminellen beim Einbruch in sein Atelier. Statt die Polizei zu rufen, lässt er ihn Modell sitzen. Die beiden werden ein Paar. Letztlich überfordert von Reichtum und Ruhm bringt sich George Dyer um.
Das Besondere an diesem Abend – neben der Virtuosität, mit der Robert Wilson Licht, Maske, Kostüme, Text beherrscht und jedes Detail auf der Bühne minutiös plant, ist die Schauspielkunst von Christian Friedel. Abgesehen von einem Schatten, der in einigen Szenen auftaucht, bestreitet er den Abend ganz allein – singt, tanzt und spricht, dass es eine wahre Freude ist. Er zieht viele Register seiner Schauspielkunst und scheut auch nicht vor Showeinlagen zurück – der Broadway lässt grüßen.
Christian Friedel zeigt Schauspielkunst auf höchstem Niveau und ist ein kongenialer Partner für Robert Wilson, der ihm wohl nicht von ungefähr diese Solorolle anvertraute. Robert Wilson äußerte sich zu dem Schauspieler wie folgt: „Christian Friedel ist wie ein Prisma, das viele verschiedene Persönlichkeiten enthält. Er kann in einer Situation drin sein oder draußen, er kann der Maler sein und das Modell. Wie ein kleines Kind, dessen Emotionen sich von einem Augenblick auf den anderen ändern, kann er sekundenschnell zwischen diesen verschiedenen Persönlichkeiten hin- und herspringen. Er kennt die Reglosigkeit, er kennt die Bewegung, er kennt die Stille, er kann einen großen Klang erzeugen und ebenso den leisesten. Er kann tragische Situationen verkörpern, weil er als Darsteller die Komik beherrscht.“ *
Die Lieder stammen– bis auf den „Straßenkater“ – allesamt von Christian Friedel und seiner Band „Woods of Birnam“ (Texte von Alfred Douglas wurden als Vorlage genutzt und vertont) – und werden von dem Schauspieler auch live performt. Großartig und immer auch Momente, wo man als Zuschauer*in durchatmen kann.
Denn, unabhängig davon, dass der Regisseur der Meinung ist, dass man nicht alles verstehen muss, ist der Abend eine große Herausforderung und erfordert höchste Konzentration. Die Texte – einige davon über Band von Darryl Pinckney in englischer Sprache eingesprochen – sind sehr assoziativ und sprunghaft und man ist schnell überfordert von der sprachlichen Vielfalt.
Hier kommt dem Schauspieler Christian Friedel eine besondere Bedeutung zu, indem er dem Publikum hilft, das Stück zu sehen und zu hören und ihm Raum für eigene Gedanken lässt. Er zieht den Assoziationsfluss des Textes an sich heran und fragt sich, was hat das mit mir und dem Publikum zu tun? Was bleibt von mir übrig? Wie relevant ist meine Kunst? Was bedeutet Kunst überhaupt für uns? Was ist Schönheit?
Es gibt dafür keine eindeutigen Antworten und der Abend bleibt damit frei interpretierbar. Die große Kunst des Spielers ist es, die formale Struktur der Inszenierung und seiner Choreographie von außen zu verinnerlichen und dann Eigenes hinzufügen, souverän mit den Vorgaben umzugehen. Nicht jedem Schauspieler gelingt das – Christian Friedel schon. Und genau das macht den Reiz und das Besondere des Abends aus – sich dem Text und der Bildgewalt der Inszenierung nicht einfach unterzuordnen, sondern ihr etwas Eigenes entgegenzusetzen, mit den Elementen szu pielen und dadurch das Publikum mit auf diese Bild- und Gedankenreise zu nehmen.
Gegliedert in drei Teile – Prolog (Song „Alley Cat“ von Peggy Lee) und Epilog (Song „Alley Cat“ – arrangiert von Woods of Birnam) exklusive – wird im ersten Teil in der dritten Person („Er konnte einfach nicht unterscheiden zwischen falsch und richtig. Wie ein Straßenkater. Like an alley cat“*), im zweiten vom Ich („Ich suche im Durcheinander von Blechtuben und vertrockneten Pinseln nach dem, der mich gemacht hat.“*) und im dritten vom Du („Du erfüllst mich mit einem Verlangen danach, alles über das Leben zu wissen.“*) gesprochen.
Lieder, inszenierte Umbaupausen, Video- und Filmeinspielungen – der Regisseur lässt wenig aus. Eindrucksvoll der eingespielte Blick auf ein einsames Haus in einer Schneelandschaft (Todesbild).
Ein grandioser Theaterabend dank Robert Wilson und Christian Friedel. Nach diesen 90 Minuten weiß man wieder, warum man ins Theater geht, was die Kunst für uns bedeutet und was sie so wertvoll macht. Theater und Film können allerdings nur ein Sprungbrett sein –springen müssen wir als Zuschauer*innen dann schon selbst. Ausverkaufte Vorstellungen und Standing Ovations für Christian Friedel und das Team. Von wegen, es will keiner mehr ins Theater gehen und das Publikum schwindet. Qualität ist nach wie vor gefragt und setzt sich durch.
Besetzung
Dorian: Christian Friedel
Konzept, Regie, Bühne, Licht: Robert Wilson
Kostüm: Jacques Reynaud
Originalkomposition: Woods of Birnam
Video: Tomasz Jeziorski
Make-Up-Design: Manu Halligan
Sound-Design: Torben Kärst
Dramaturgie, musikalische Beratung: Konrad Kuhn
Dorians Schatten: Jeremia Franken
Stimme im Radio: Darryl Pinckney
P.S. Die Zitate * sind dem Programmbuch zur Aufführung entnommen.
Termine im Staatsschauspiel Dresden / Schauspielhaus:
27. + 28. + 29.12.2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten — keine Pause
https://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/monatsplan/
https://robertwilson.com/calendar
s. auch Artikel von Simone Hamm:
→ Dorian – Ein magischer Abend von Bob Wilson