Denk Mal! Was aber bleibet? Oder sehen wir es nur nicht? – Erinnerungskultur – eine Serie
Erinnerungskultur 2 – Bertolt Brecht und Frankfurt
von Walter H. Krämer
Erinnerungen haben die Angewohnheit, nach einer Weile zu verblassen. Plötzlich verschwinden Bilder und Kunstwerke, prägende Persönlichkeiten, dann das ganze Lebensgefühl einer Aufbruchzeit von der Bildfläche. Das kann politische Hintergründe, bisweilen familiäre haben, manchmal auch einen Wechsel der Moden oder Wahrnehmungsweisen von neuen Generationen… Und doch gibt es Spuren im Verborgenen, die wir uns immer wieder zurück ins Bewusstsein holen.
Brecht-Verehrer Walter H. Krämer, hier vor dem Berliner Ensemble, rollt die Brecht-Rezeption in Frankfurt auf, Foto: Margarete Berghoff
Das waren andere Zeiten damals, als zu Bertolt Brechts 70. Geburtstag am 10. Februar 1968 die Büste des Dichters – gestaltet von dem Künstler Gustav Seitz – im Chagallsaal der Städtischen Bühnen enthüllt wurde und der damalige Oberbürgermeister Willi Brundert voller Stolz verkünden konnte: „Frankfurt, die Goethestadt, ist zur Brechtstadt geworden!“
v.l.n.r.: Harry Buckwitz, Peter Suhrkamp, Bertolt Brecht, © Suhrkamp-Verlag
Wesentlich zu verdanken hatte man diese Begeisterung für Bertolt Brecht und seine Stücke dem damaligen Generalintendanten der Städtischen Bühnen Harry Buckwitz, der seit 1952 mit seinen insgesamt 15 Frankfurter Brecht-Inszenierungen – davon 11 von ihm selbst als Regisseur – den nach dem Krieg in Westdeutschland heftig umstrittenen und bekämpften Autor nicht nur in Frankfurt am Main durchzusetzen, man ebnete und erleichterte seinen Werken auch den Weg auf die westdeutschen Bühnen.
Zum 70. Geburtstag des Schriftstellers und Dramatikers Bert Brecht stiftete der Patronatsverein den Städtischen Bühnen eine Bronzebüste. Die 1960 geschaffene Bronze wurde am 10.02.1968 enthüllt.
Brecht-Büste – Foto von Walter H. Krämer
Die Inschrift lautet:
BERTOLT BRECHT
1898–1956
BRONZEBÜSTE VON GUSTAV SEITZ
GESTIFTET VOM
FRANKFURTER PATRONATSVEREIN
FÜR DIE STÄDTISCHEN BÜHNEN
ANLÄSSLICH DES ABSCHIEDS VON HARRY BUCKWITZ
GENERALINTENDANT VON 1951–1968
NACH DEM KRIEGE WEGBEREITER DER STÜCKE BRECHTS
IM SCHAUSPIEL FRANKFURT UND IN DEN THEATERN DER
BUNDESREPUBLIK.
Der Name Bertolt Brecht ist mit der Stadt Frankfurt eng verbunden. Bereits 1923 inszenierte Richard Weichert am Schauspielhaus sein Drama „Trommeln in der Nacht“ und im Dezember 1926 die Uraufführung von dessen Einakter „Die Hochzeit“. Diese Inszenierung provozierte allerdings einen heftigen Theaterskandal und das Stück wurde abgesetzt – womit Brecht allerdings keinesfalls einverstanden sein konnte und es auch nicht war.
Als das Schauspielhaus 1927 bei „seinen“ Autoren wegen eines Beitrags für eine Festschrift anfragte, antwortete er schroff: „Ich verstehe Sie gar nicht! Selbstverständlich gehöre ich nicht zu dem ‚Kreis Ihrer Autoren‘. Das sagt Ihnen ein flüchtiger Blick auf Ihr Repertoire.“ (siehe hierzu auch: Brechtstadt Frankfurt. Zum 50. Todestag des Dramatikers in diesem Jahr von Dr. phil. Sabine Hock)
Ein Jahr später (1928) wurde seine (und Kurt Weills) „Dreigroschenoper“ an Arthur Hellmers Neuem Theater mit Theo Lingen als Mackie Messer und Brechts geschiedener Frau Marianne Zoff als Lucy ein großer Erfolg.
Zum Abschluss der Festwoche zur 50-Jahr-Feier des Opernhauses 1930 wurde die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ mit der Musik von Kurt Weill gegeben. Nach der Premiere am 16. Oktober 1930 hetzte die Presse gegen das „trostlose Machwerk“ und in den Frankfurter Nachrichten war zu lesen: „So endet das Opernhausjubiläum glücklich in der Kloake“.
Das rief die Nationalsozialisten auf den Plan und während der zweiten Vorstellung, mitten im zweiten Akt, stürmten Dutzende von Randalierern unter der Parole „Deutschland erwache!“ das Opernhaus, unterbrachen mit Gebrüll und Pfiffen die Vorstellung, warfen Stinkbomben und Feuerwerkskörper ins Publikum.
Nach dem Krieg (1949) wurde im Komödienhaus, einem Nachkriegsprovisorium der Städtischen Bühnen in einer Sachsenhäuser Turnhalle, „Herr Puntila und sein Knecht“ aufgeführt.
Eine der ersten Premieren der Städtischen Bühnen im wiederaufgebauten „Großen Haus“, dem früheren Schauspielhaus am heutigen Willy-Brandt-Platz, war am 30. Januar 1952 Brechts Oper „Das Verhör des Lukullus“ mit der Musik von Paul Dessau.
Schon wenige Monate später – am 16. November 1952 – brachte Buckwitz die deutsche Erstaufführung des Parabelstücks „Der gute Mensch von Sezuan“. Anderthalb Wochen nach der erfolgreichen Premiere nutzte jedoch der CDU-Fraktionsvorsitzende Hans Wilhelmi seine Etatrede in der Stadtverordnetenversammlung zu heftigem Protest gegen die Aufführung. Es sei nicht zu vertreten, so wetterte er, dass „in unserer heutigen politischen Situation von einem zum Kommunismus sich bekennenden ‚Dichter‘ ein derartiges Propagandastück“ ohne jeden künstlerischen Belang gespielt werde, worin zudem „das Göttliche in schamloser Weise lächerlich gemacht“ werde.
In die öffentliche Diskussion, die er damit entfachte, schaltete sich auch Ernst Beutler ein. Der Direktor des Freien Deutschen Hochstifts interpretierte das Stück als „ein eminent christliches Märchen“, mit dessen Inszenierung sich die Städtischen Bühnen auf die Tradition des Theaters als moralische Anstalt besonnen hätten: „So lange die Leitung unseres Theaters menschlich und künstlerisch so ernste Wege geht, wie in dieser Aufführung des Stückes von Brecht, sollten wir sie unterstützen. Sie hat es schwer genug.“
Die Brecht-Büste von Gustav Seitz wurde nach dem Opernhausbrand in einer Abstellkammer zufällig wiedergfunden. Die dazugehörige Metalltafel nicht. Das Foto von Barbara Klemm ist ein Beweis dafür, dass es diese Metalltafel gegeben hat, Foto: Barbara Klemm
1955 setzte Harry Buckwitz in Frankfurt die westdeutsche Erstaufführung von „Der kaukasische Kreidekreis“ an. Wieder kam es zu Protesten, diesmal vonseiten der christlichen Arbeiterbewegung. Doch der Generalintendant ließ sich in seiner künstlerischen Überzeugung nicht beirren.
Die Schauspielerin Käthe Reichel, die als Gast des Berliner Ensembles auf Brechts Empfehlung die Rolle der Grusche übernahm, versuchte als angebliche Anwältin des Autors, sich gegen die Regie und deren Vorgaben durchzusetzen. Brecht, der zu den Proben nach Frankfurt kam, wurde von Buckwitz um Hilfe gebeten. Er sah sich die nächste Probe wortlos an. Nach einer Stunde erhob er sich und sagte völlig gelassen zur Reichel: „Wenn du mir nicht endlich anfängst, Theater zu spielen, so trete ich dich in den Hintern.“ Die bestürzte Darstellerin fragte nach dem Verfremdungseffekt. Brecht antwortete: „Wir inszenieren keinen Verfremdungseffekt, sondern ein Theaterstück.“
Auch nach dem Tod von Bertolt Brecht (14. August 1956) nutzte Harry Buckwitz die Möglichkeiten, die Brechts Werk bot. Er brachte in Frankfurt u. a. die Uraufführung von „Die Gesichte der Simone Machard“ (1957) und die Inszenierung von „Mutter Courage und ihre Kinder“ mit Therese Giehse in der Titelrolle (1958).
Nach dem Berliner Mauerbau 1961 kam es noch einmal zu wütenden Protesten in der Stadtverordnetenversammlung gegen Buckwitz‘ Inszenierung von Brechts „Leben des Galilei“.
Harry Buckwitz äußerte sich selbst zu Bertolt Brecht und den Inszenierungen seiner Stücke in Frankfurt am Schauspielhaus wie folgt: „Im ersten Jahr meiner Tätigkeit als Generalintendant in Frankfurt am Main habe ich den „Guten Mensch von Sezuan“ inszeniert, und damals war Brecht oft in Frankfurt und beobachtete meine Proben. Dabei hat er oft energisch eingegriffen und viele Gespräche innerhalb und außerhalb des Theaters machten ihn zu meinem wichtigsten Mentor. Er war ein herrlicher Zuhörer, ein unbestechlicher Zuschauer in den Proben.“ *
Harry Buckwitz inszenierte in Frankfurt jedes Jahr ein Stück von Brecht. Auch in dem Jahr, als das Verbot, Brecht zu spielen, durch die Adenauer-Regierung ausgesprochen wurde. Da war Harry Buckwitz gerade mitten in den Proben für den Kaukasischen Kreidekreis: „Man verlangte von mir, die Inszenierung abzubrechen. Auf Grund meines Vertrages, der mir künstlerische Freiheit garantierte, habe ich mich geweigert das zu tun. Man drohte mir mit der fristlosen Entlassung. Es kam zu Auseinandersetzungen im Frankfurter Stadtparlament, und nur die vernünftige Haltung der SPD-Fraktion verhinderte, daß die Inszenierung verboten wurde. Wir brachten also den „Kaukasischen Kreidekreis“ heraus, und es war sehr bewegend, daß ein großer Teil der vernünftigen Bevölkerung Frankfurts dieser Inszenierung mit großen Ovationen ihre Zustimmung gab. Brecht wurde während dieser Zeit in der BRD boykottiert. Ich galt als einziger, offensichtlich Vogelfreier, dem man den ‚Verrat an der Nation‘ durchgehen ließ.“ *
Eine Metalltafel an der Wand informierte über die Werke Brechts, die in den Jahren 1951 bis 1968 im Haus inszeniert wurden, Foto: Barbara Klemm
Nach dem Opernhausbrand im Jahre 1987 war die Büste es Stückeschreibers Bertolt Brecht verschollen. Rudi Seitz, Kunstbeauftragter des Kulturamtes, hat sie dann eher zufällig in der Bibliothek des Museums für Moderne Kunst wiederentdeckt – allerdings ohne die dazugehörige Würdigungstafel. Im Auftrag des Patronatsvereins hat dann Günter Maniewski eine neue Tafel entworfen, die den einstigen Schauspielintendanten Harry Buckwitz als „Wegbereiter der Stücke Brechts am Schauspiel Frankfurt und der Bundesrepublik“ ehrt. Enthüllt wurde diese restaurierte Büste dann im Jahr 1998.
Brecht-Büste heute mit der Gedenktafel von Maniewski, Foto: Petra Kammann
Die Brecht-Büste mit der neuen Tafel ist derzeit zu finden im Foyer von Schauspiel Frankfurt- seitlich an einer Wand kurz vor dem Eingang zur Panoramabar.