Gauthier Dance Company und Freunde im Kölner Staatenhaus
Fast, furios & serious – eine Gala der besonderen Art
von Simone Hamm
So hatten sich die Macher von tanz.köln ihre Ballettgala mit Eric Gauthier nicht vorgestellt. Die Oper hätte längst eröffnet sein sollen und die Gala der Auftakt zu künftigen Tanzabenden dort. Es kam anders. Seit fast zehn Jahren wird die Oper saniert, die Kosten belaufen sich mittlerweile auf 1,3 Milliarden Euro. Fertiggestellt ist sie noch immer nicht. Also präsentierte Eric Gauthier seine Kompanie und viele Gäste im Ausweichquartier Staatenhaus. Dass es trotz der beeinträchtigten Sichtverhältnisse ein großer Abend wurde, ist Eric Gautiers Charme beim Moderieren, der geschickten Auswahl und natürlich dem Können aller Tänzer und Tänzerinnen zu verdanken.
Anne Teresa de Keersmakers „Fase, Four Mouvements“, Foto: File Deprez
Der Abend beginnt mit zwei Ausschnitten von Anne Teresa de Keersmaker aus „Fase, Four Movements“ zur repetitiven Musik von Steve Reich. Es ist ein Schlüssselwerk de Keersmakers. Sie hat es 1982 – da war sie gerade Anfang zwanzig – choreografiert und in den letzten vierzig Jahren immer selbst mit getanzt. In Köln tanzen Madison Vomastek und Jasmine Ashtari vom Opera Ballet Flandern. In „Piano Phase“ wippen federn, drehen sie sich in parallelen Linien. Sie tragen pastellfarbene Kleider. Ihre Röcke schwingen. Ihre beiden Schatten sind auf der Leinwand zu sehen – und ein dritter, in dem die beiden Tänzerinnen zu einer einzigen Figur verschmelzen. Sie scheinen auf ihren derben Turnschuhen zu gleiten. Zunächst sind ihre Bewegungen vollkommen synchron, dann verschieben sich die Bewegungen der Arme, der Beine, des Kopfes um einen Hauch. Genauso wie die minimalistische Musik sich fast unmerklich ändert. Perfekter können Musik und Tanz nicht harmonieren.
Anne Marie de Kersmakers Choreographie mit Madison Vomastek und Jasmine Ashtari, Foto: File Deprez
Bei „Clapping Musik“ ist nur das Klatschen von vier Händen zu hören. 12 Minuten lang. Wieder zuerst synchron, dann geht ein Musiker einen Takt weiter, während der andere die originale Version beibehält. Madison Vomastek und Jasmine Ashtari, jetzt in Bluse und Hemd, folgen dem Klatschen, tanzen, gehen langsam von einer Ecke der Bühne in die andere, und wie bei „Piano Phase“ sind ihre Schritte zunächst ganz gleich, bevor sie sich fast unmerklich unterscheiden. Das ist reine Abstraktion, höchste Konzentration.
Die Choreografie der Stunde stammt von Philippe Kratz und wird derzeit auf etlichen Bühnen gezeigt. Zurecht. Zu der monotonen und doch aufreibenden Musik von Mark Pritchard and the Fields tanzen Casia Vengoechea und Toon Lobach. Choreograf Philippe Kratz hatte sich für sein Werk „O“ von zwei humanoiden Robotern inspirieren lassen, die miteinander agieren können. In Köln antwortete er auf die Frage Eric Gauthiers, ob dieses Stück etwas mit KI zu tun habe, er wolle dazu gar nichts sagen.
Choregraphie von Philipp Kratz, Foto: Vito Lorusso
Seine Choreografie solle für sich selbst sprechen. Und das tut sie auch: Immer wieder neue Schritte, immer wieder neue Formationen zu der gleichförmigen und doch spannenden, vibrierenden Musik zogen die Zuschauer in Bann. Das war genauso bei der Choreografie „I“, zur Musik von Soundwalk Collective: Unterm Neonlicht ist die Einsamkeit zu spüren und auch die Sehnsucht danach, ihr zu entfliehen.
Gianni Notarnicola tritt in zwei kurzen Choreografien auf. Man hätte gern mehr von dem dynamischen, quirligen Tänzer gesehen. Ebenso wie von Arianna di Francesca. Denn auch ihr spanischer Tanz (wie bei Notarnicolas Tanz auch eine Choreografie von Nadal Zelner) machte Lust auf mehr.
In „Pacopepepluto“ (Choreografie: Alejandro Cerrudo) tanzten drei Tänzer zur Musik von Dean Martin: kühn, kraftvoll, witzig, fast nackt.
Wabi-Sabi ist eine Weltanschauung, die Vergangenes akzeptiert und die Schönheit im Unvollkommenen, Unbeständigen und Unvollständigen unseres Lebens sucht. „Wabi-Sabi“ lautet der Titel einer Choreografie von Sofia Nappi, die natürlich alles andere als unvollkommen, unbeständig und unvollständig ist. Zu einer Art Zirkusmusik tanzen zwei Tänzer und eine Tänzerin (Adriano Popolo Rubbio, Paolo Piancastelli, Glenda Gheller Komoco) in weiten Hosen, zeigen Stärke Unmut, Spaß.
Hofesh Shechter, Foto: Jeanette Bak
Zum Schluss gibt es eine Choreografie von Hofech Shechter zu sehen, des Hauschoreografen der Gauthier Dance Company. Hofesh Shechter ist Hofesh Shechter: laut, bunt, kraftvoll, exakt. Von der einen zur anderen Minuten wechseln sanfte Schritte mit wilden rasanten ab, so dass man schon vom Zuschauen erschöpft ist. Jeder Tänzer ist trotz des großartigen Zusammenspiels ganz eigen.
Und oft ist Shechter wie in „Contempary dance „0.2. oft auch ein wenig ironisch. Zuerst kommt Poptanz: Disco, weite Sprünge. Dann der neue 2.0. Tanz. Gerade zu unerbittlich sind die Rhythmen (Shechter schreibt die Musik fast immer selbst). Doch dann erklingt ein Song, den man schon fast nicht mehr hören kann: „I did it my way“ von Frank Sinatra. Es sind diese Wechsel von Musiken, von Tanzstylen, die Shechters Choreografien so spannend machen. Nach drei Stunden wirken die Tänzer der Gauthier Dance Company und ihre tanzenden Gäste erschöpft und glücklich. Für mich hätte es noch lange weitergehen können.