Museum Giersch präsentiert „OUR HOUSE“
Beeindruckende Schlaglichter auf das facettenreichen Thema Wohnen
Von Hans-Bernd Heier
Nichts ist so privat und öffentlich, so persönlich und politisch zugleich wie das Wohnen. Wie wohnen wir? Wieviel Wohnraum können wir uns leisten und wie gestalten wir ihn? Diese Fragen greifen im Museum Giersch in der Präsentation „OUR HOUSE. Künstlerische Positionen zum Wohnen“ zehn Künstler*innen in ihren Arbeiten auf. Jeder Ausstellungsraum ist einer Künstlerin bzw. einem Künstler gewidmet, die mit ihren Arbeiten dort „einziehen“.
Zilla Leutenegger „La Notte“, 2018, Paravent, Öl auf Aluminium (Monotypie); Courtesy of the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zürich; Foto: Ron Kamrau
Das Museum Giersch der Goethe-Universität am Schaumainkai befindet sich in einem Haus mit Geschichte: 1910 als Wohnvilla der Familie Holzmann gebaut, später Sitz der Spanischen Handelskammer, ist es seit dem Jahr 2000 ein Museum. Die ursprüngliche Funktion des Hauses kann man bis heute in der Atmosphäre der Räume spüren und ist Ausgangspunkt der Schau.
Francisca Gómez „3,5 qm (Ist jede Architektur bewohnbar?)“, 2016, Serie von 18 Fotografien; © Francisca Gómez
„Mit dieser Ausstellung zeigen wir nicht nur verschiedene künstlerische Perspektiven auf das Thema Wohnen, sondern öffnen die ehemalige Wohnvilla als öffentlichen Diskursraum. Dafür haben wir zahlreiche Wände entfernt und Fenster geöffnet, um den Charakter des Wohnhauses wiederherzustellen“, so Museumsdirektorin Ina Neddermeyer. Der Ausstellungstitel sei dabei programmatisch zu verstehen: Die erstmals öffentlich zugängliche Küche und das WG-Wohnzimmer laden zum Austausch ein und ermöglichen den Besuchern das Museum auf neue Weise zu erleben und mitzugestalten.
Kuratorin Dr. Katrin Kolk ergänzt: „Wohnen ist ein ebenso politisches wie persönliches Thema. Es geht um Identität, soziale Gerechtigkeit und Lebensqualität – das reflektieren die Künstler*innen in ihren Arbeiten. Zusammengenommen entsteht die Idee der Wohngemeinschaft (WG), vielleicht der politischste Moment der Ausstellung, denn hier stellt sich die Frage: Wie können wir eigentlich gemeinsam wohnen, wie leben wir miteinander?“
Karolina Horner „Familienalltag im Corona-Lockdown“, Porträt Familie L., 2020, Serie von 6 Fotografien; © Karolina Horner
Im Erdgeschoss und Treppenhaus beschäftigt sich Zilla Leutenegger in ihren ortsbezogenen Arbeiten mit der Wohnvergangenheit der schmucken Museumsvilla. Im ersten und zweiten Stock befinden sich neun ‚WG-Zimmer‘ mit jeweils unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema Wohnen. Matthias Weischer behandelt den Wohnraum als ästhetische Bühne. Susanne Kutter dagegen dekonstruiert ihn auf brachiale Weise. Die Frankfurter Fotografin Inge Werth dokumentiert mit ihrer kleinformatigen Fotoserie die Schlafzimmer von Menschen unterschiedlichster Gesellschaftsschichten. Robert Haas, ebenfalls Fotograf, zeichnet 1938 in Wien mit seiner Kamera die verlassenen Wohnungen geflohener jüdischer Bürger*innen in deren Auftrag auf.
Inge Werth, aus der Fotoserie „Im Bett“; o.J., Silbergelatineabzug, Historisches Museum Frankfurt, Inge Werth
Auch aktuelle gesellschaftspolitische Fragen werden reflektiert: beispielsweise setzt sich Francisca Gómez mit der prekären Wohnsituation geflüchteter Menschen auseinander, Karolina Horner und Elizabeth Ravn beschäftigen sich mit den Herausforderungen des Corona-Lockdowns.
Jana Sophia Nolle und Jakob Sturm widmen sich ortsspezifisch der äußerst angespannten Wohnsituation in Frankfurt am Main. Nolles Arbeit „Blue Blanket“ ist eigens für „OUR HOUSE“ entstanden. Der Werktitel nimmt Bezug auf die im Frankfurter Stadtbild häufig zu sehenden blauen Decken obdachloser Menschen. Die Rauminstallation zeigt ein fiktives, wohlhabendes Wohnzimmer, das auf umfangreicher Recherche realer Frankfurter Wohnzimmer basiert. In diesem Raum befindet sich auch eine nachgebaute Obdachlosenbehausung von Frankfurter Schlafstätten. Die Arbeit thematisiert die wachsende Diskrepanz zwischen Arm und Reich am Beispiel unterschiedlichster Wohnrealitäten.
Nachgebaute Obdachlosenbehausung von Frankfurter Wohnungslosen; Foto: Hans-Bernd Heier
Marcus Morgenstern und sein Team haben für die temporäre Museums-WG ein eigenes Ausstellungsdesign entwickelt, das neben der Küche im Erdgeschoss auch ein Wohnzimmer im ersten Stock umfasst, das die Besuchenden zum Verweilen und Austausch einlädt.
Die Ausstellung ist Teil des kürzlich vereinbarten Kooperationsprojekts „INTERIOR“ zwischen der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen Rüsselsheim, dem Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg, dem Kunstforum der TU Darmstadt, dem MGGU in Frankfurt, dem Kunsthaus Wiesbaden und dem Nassauischen Kunstverein Wiesbaden. Gemeinsam ist allen sechs INTERIOR-Partnerinstitutionen, dass sie ihren Platz in Gebäuden gefunden haben, die ursprünglich für andere Zwecke und nicht für eine kulturelle Nutzung errichtet wurden. Die Geschichten der Häuser aller INTERIOR-Kooperationspartner können unter: https://interior-rheinmain.de/de/ abgerufen werden. Die Kooperation INTERIOR wird gefördert durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain.
Die Schau „OUR HOUSE. Künstlerische Positionen zum Wohnen“ wird bis zum 16. Februar 2025 im Museum Giersch der Goethe-Universität gezeigt
Weitere Informationen
unter: www.mggu.de