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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kunst und Kultur im Herzen Burgunds (3)

Das Hôtel Dieu – Ein Hospital für die Armen in Beaune

Von Petra Kammann

Bald ist es wieder soweit. Alljährlich pilgern Weinliebhaber ins burgundische Beaune. Am dritten Novemberwochenende nämlich findet in den Hospices de Beaune die legendäre Auktion der besten Burgunderweine statt. Da werden nicht nur die Trophäen an die besten Großen Gewächse verliehen, sondern auch an die „Jeunes vignerons“, die jungen Winzer aus Burgund, deren Weine übrigens jeweils zum Essen serviert werden. Da kann man etwa die lokale Küche mit den köstlichen Weinbergschnecken entdecken. Vor allem aber lohnt es sich, den besonderen Ort der Auktion, das „Hôtel-Dieu“, zu erleben. Einladend ist allein schon das Äußere des Hospizes mit seinen glasierten Schindeln, welche die warmen Herbstfarben der burgundischen Weinberge widerspiegeln. Dabei handelt es sich eigentlich um ein ehemaliges, 1443 von Jean Rolin gegründetes Krankenhaus, das bis 1971 betrieben wurde, in dem sowohl Alte, Behinderte, Waisen, Kranke, Gebärende als auch Notleidende aufgenommen wurden. Das Gebäude selbst, ein architektonisches Juwel, erbaut unter dem burgundischen Herzog Philipp dem Guten, wurde zum Wahrzeichen für Burgund, später ein Museum. Für jeden, der auf der „Route des Grands Crus“ unterwegs ist, ein Muss.

Der Innenhof des Hôtel-Dieu mit den besonderen Dächern aus verschiedenfarbig glasierten Terrakottaziegeln, Foto: Petra Kammann

Zur Geschichte des ungewöhnlichen Hospitals

Das für seine mehrfarbigen und streng gemusterten Dächer aus glasierten Ziegeln bekannte Hôtel-Dieu ist eines der seltenen Zeugnisse bürgerlich-ziviler Architektur des Spätmittelalters. Seine gotische Fassade, angelehnt an die flämische Ästhetik, beeinflusste die dortige Kultur, stand damals Flandern doch unter der Herrschaft des Herzogtums Burgund. Und Beaune wurde ein wichtiger Erinnerungsort für die ungewöhnliche Geschichte eines damals ausgesprochen innovativen Krankenhauses.

Modell der gesamten Anlage der Hospices de Beaune, Foto: Petra Kammann

Als Nicolas Rolin (*1376 in Autun; †1462 ebenda), der steinreiche Kanzler des burgundischen Herzogs Philipp des Guten (*1396 in Dijon; †1467 in Brügge), gemeinsam mit seiner adeligen Ehefrau Guigone de Salins (1403–1470) im Jahre 1443 die Hospices de Beaune gründete, wollten beide ein für die damalige Zeit revolutionäres Krankenhaus errichten, mit dem Ziel, Bedürftige aufzunehmen und umsonst zu versorgen, während sie vorsahen, dass reiche Leute dort gegen Entgelt behandelt werden sollten.

Das Stifterehepaar Nicolas Rolin und seine fromme Gemahlin Guigone de Salins,  Foto: Petra Kammann

Abschätzig soll Ludwig XI. über den aus Autun stammenden Rolin gesagt haben: „Er hat in seinem Leben genug Menschen in die Armut getrieben, dass er sie jetzt unterbringen kann!“ Wie auch immer. Eine Art Wiedergutmachung? Nun muss man sich das 15. Jahrhundert, Höhepunkt der Herrschaft der Valois, auch als ein Jahrhundert der bürgerlichen Dynastien vorstellen, die wie in Italien und Flandern auch in Burgund aufstiegen und Macht bekamen.

Herzöge wie Philipp der Gute umgaben sich nämlich seinerzeit mit sachverständigen und verhandlungsgeschickten Nichtadeligen wie Nicolas Rolin, der 30 Jahre lang das Amt eines Premierministers ausübte und auf diese Weise zu großem Reichtum gelangte, woraufhin er sich als großzügiger Mäzen betätigte.

Reich wurden auch die Säle mit Kunst bestückt, Foto: Petra Kammann

So konnte er allein mit 1000 Tourainer Pfund jährlicher Rente, die den Einnahmen aus der von ihm betreuten „Großen Saline von Salins“ entstammten, die Stiftung reich ausstatten und Regeln für die Leitung der Einrichtung festlegen, die er einem entsprechenden Maître übergab, der wiederum einer Gemeinschaft von „frommen Frauen“, Beginen aus dem flämischen Mechelen, vorstand. Beginen, diese neuartigen Ordensfrauen, nannte man in Flandern unverheiratete Frauen, die sich dazu entschieden hatten, in Abgeschiedenheit ein frommes Leben zu führen und ihr Leben Gott zu widmen, ohne deswegen ein klösterliches Gelübde ablegen zu müssen.

Das berühmte Huhn im Topf – Beste Küche auch für die Armen, die von den frommen Schwestern versorgt wurden, Foto: Petra Kammann

Die blauweiß gekleideten Ordensschwestern wurden damals eigens zur Versorgung der Kranken aus dem flämischen Mechelen geholt. Administrativ geschickt, vertraute Rolin die Ordnung des geistlichen Lebens Kaplänen an, während sich der Kanzler höchst persönlich um die Weiterentwicklung des „Hôtel-Dieu“ sowie um die Ausweitung der Ländereien im Weinbaugebiet, der Domaine an der Côte de Beaune, kümmerte. Nach seinem Tode im Jahre 1461 betraute er seine geliebte und vornehme Gemahlin Guigone de Salins mit der Sorge für das weitere Wohl des Hospizes.

Einzelbetten für Jedermann im „Saal der Armen“, Foto: Petra Kammann

Die als „Palast für die Armen“ gedachte karitative Einrichtung wurde fortan von den Stiftern der sorgsamen Pflege der Beginen anvertraut. Im großen Armensaal, der „Salle des Pôvres“ und in der „Salle Saint-Hugues“ für die Bessergestellten sieht man, dass Kranke in Einzelbetten bestens behandelt und versorgt wurden. Voller Stolz erzählte mir ein älterer Museumswärter, dass er noch hier im Hospital geboren wurde und diesen Ort bis heute als eine Art Heimat empfindet, in der er sich aufgehoben fühlt. Das Hospital war sogar bis Anfang der 1970er Jahre in Betrieb, bevor am Rande des historischen Zentrums von Beaune ein modernes Krankenhaus gebaut war, das den Entwicklungen in der Pflege auf Dauer besser gerecht wurde.

Die frommen Schwestern waren auch in der Pflege der Kranken tätig, Foto: Petra Kammann  

Danach wurde das Hôtel-Dieu zu einem Museum umgestaltet, was in Anbetracht der künstlerischen und medizinhistorischen Schätze, die hier beherbergt sind, auch durchaus Sinn machte, allein schon der besonderen Einrichtungsgegenstände, der Wandteppiche, Gemälde, der medizinischen Gerätschaften und Entwicklung der Pflegepraktiken wegen.

Die Küche war mit allem bestens ausgestattet, Foto: Petra Kammann

Heute kann man die Küche und die Apotheke besichtigen, die einen gute Eindruck vom dortigen Alltag vermitteln. Dazu finden sich in jeder Ecke prächtige Ausstellungsstücke: Stilmöbel, kostbare Gemälde, Bildteppiche, mehrfarbige Deckenbalken, Fayence-Gefäße. Rolin hatte sich mit der reichen Kultur Flanderns beschäftigt und wollte da mithalten bzw. diese überbieten.

Die hauseigene Apotheke, die medizinisch auf dem neuesten Stand war, Foto: Petra Kammann

Caritas und Nächstenliebe als oberste Gebote galten für die Schwestern der Hospices de Beaune übrigens auch noch in schwierigen Zeiten des 20. Jahrhunderts, wo sie sich an der Widerstandsbewegung gegen die Kollaborations-Regierung beteiligten und den Widerstandskämpfern zu Hilfe kamen. So versteckten sie unter großem eigenen Risiko Gefangene, zum Beispiel Maurice Drouhin, der von der Gestapo bedroht wurde. Er konnte in den unterirdischen Gängen des Hospitals aus dem 13. Jahrhundert Zuflucht finden.

Der Saal ist von einem halbrunden Gewölbebogen überspannt, der auf mächtigen farbig bemalten Holzträgern ruht, Foto: Petra Kammann

Heutzutage steht jedes Jahr unter einem verbindlichen Motto, zu dem es zahlreiche Veranstaltungen im Programm gibt: Ausstellungen, Workshops, Aufführungen und Konzerte, die an die Geschichte dieses jahrhundertealten Ortes erinnern. In  diesem Jahr ist und war es eben die „Charité“, in der ja das lateinische Wort „Caritas“ steckt. Zweifellos eine Hommage an alle, die sich für die Kranken eingesetzt haben und noch immer einsetzen, von den Krankenhausschwestern bis zu den Pflegern, von den Spendern bis zu den Wohltätern. Heute würde man vielleicht von gesellschaftlicher Verantwortung und Teilhabe sprechen.

Eine Hommage an den „Garten der Einfachen“, Foto: Petra Kammann

Zeit sollte man sich nehmen, um an diesem idyllischen Ort die „Selbstlosigkeit“ oder den „Dienst am Anderen“ zu reflektieren. Das lässt sich besonders gut, indem man sich in den Gründerhof setzt, der kürzlich als „Échos Polychromes“ im Sinne einer zeitgenössischen Hommage an den Garten der Einfachen, bepflanzt wurde…

Vor allem aber sollte man nicht das Juwel des Museums verpassen, das Polyptychon des „Jüngsten Gerichts“ des großartigen flämischen Malers Rogier van der Weyden (*1398 in Tournai † in 1464 Brüssel). Das Gemälde ist das absolute Highlight dieses Rundgangs.

Ursprünglicher Ort des Flügelaltars von Rogier van der Weyden in der Kapelle des Krankensaals, Foto: Petra Kammann

Hinter dem Altar in der Kapelle des Krankensaals befand sich ursprünglich das Gemälde vom „Jüngsten Gericht“, ein in Gold-, Rot- und Blautönen leuchtendes „Polyptychon“, das Nicolas Rolin wohl dem bedeutenden flämischen Maler Rogier Van der Weyden in Auftrag gegeben hatte. Dieser aus mehreren, zusammenklappbaren Teilen bestehende (daher der Name „Polyptychon“) Flügelaltar, den man ursprünglich vor allem an Sonn- und Feiertagen in geöffnetem Zustand bewundern konnte, wurde in der übrigen Zeit geschlossen.

Thema ist das Gericht am Jüngsten Tage. Das sollte den Sterbenden die letzten Dinge vor Augen und in Erinnerung rufen, um ihnen auf diese Weise die Gelegenheit zu geben, ihre Sünden zu beichten und sich von Sünde reinzuwaschen, bevor man stirbt. Heute ist wohl wegen der ursprünglichen Anmutung des Saales dort eine Kopie (s.o.) zu sehen und das Original wegen der Kostbarkeit und Fragilität in einem geschützten Ausstellungsraum im Nebengebäude. Nicht zuletzt musste der kostbare Altar im Laufe der Jahrhunderte auch mehrfach renoviert werden.

Ausschnitt: Christus als Richter auf dem Regenbogen und der goldenen Weltkugel thronend, darunter der Erzengel Michael mit der Gerechtskeitswaage, Foto: Petra Kammann

Zweifellos ist das Gemälde, das nach der Französischen Revolution erst einmal verschwunden war und 1836 wiederentdeckt wurde, heute ein Schatz von unnennbarem Wert. Ein wahres Kleinod in den Sammlungen des Museums im Hôtel-Dieu, wo es sich nun im einstigen „Zimmer des Königs“, der „Salle Saint-Louis“ in Nähe kostbarer Tapisserien, welche Guigonne de Salins in Auftrag gegeben hatte sowie anderer Preziosen befindet. Hier fanden sich bedeutende Könige Frankreichs ein wie u.a. Louis XIV. Heute kann das Publikum in diesem Saal ständig die sechs Tafeln des früher geschlossenen und die neuen des geöffneten Altars betrachten.

Reichtum der Natur auf der kostbare Tapisserie von Guigone de Salins im Museum, Foto: Petra Kammann

Im Herbst zeigen sich die Hospices in ihrem ganzen Umfang, wenn dann auch die Weinkeller des Hôtel-Dieu – Hospices de Beaune besichtigt werden können und Einblicke in die Archive des Weinverkauf gewährt werden. Da wundert es nicht, wenn man auf „Premiers Crus“ stößt, die heute noch den Namen der so weitsichtigen wie bescheidenen edlen Gemahlin Guigone de Salins tragen, die Rogier van der Weyden auf der Rückseite des Flügelaltar entsprechend, bescheiden gekleidet, kniend und in Demut verewigt hat.

Porträt von Guigone de Salins auf der Rückseite von van der Weydens Flügelaltars, Foto: Petra Kammann

Zurück zum Monat November: Schon im Vorfeld des „glorreichen Wochenendes“ finden aus den Fässern umfangreiche Verkostungen statt, um den neuen Jahrgang zu bewerten.

In der Weinversteigerung auch „Premier crus“ der Hospices de Beaune, gewidmet der Stifterin Guigone de Salins

Werden hohe Preise bei der Weinaktion im November erzielt, so wird der gesamte Burgunderwein-Jahrgang teuer, was natürlich bedeutsam für den Erhalt des Hospizes ist, das vor allem durch die Erträge aus den Weinbergen finanziert wird. Da möchte man den Weinliebhabern und -sammlern zurufen: Investieren Sie in einen guten Wein: „A Votre santé! A Notre Santé!“ „Auf Ihre und auf unsere Gesundheit!“  

Und nehmen Sie sich, wo gerade vieles auseinander zu brechen droht, die Stifter zum Vorbild. Damals wurde dank ihrer klugen Vorausschau und guten Pflege aller selbst die Pest überwunden!

→ Kultur pur: Eindrücke einer Wein- und Gastronomie-Reise durch Burgund (1)

→ Burgund: Kunst und Kultur im Herzen Frankreichs (2)

 

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