„Im Angesicht des Todes“ – Eine kulturgeschichtliche Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt (1)
Riten zwischen Leben, Tod und Trauer
Ein erster knapper Rundgang von Petra Kammann
Der Tod hat so viele Gesichter wie das Leben… Um Tradition, Rituale, Kunstwerke und digitales Nachleben beim Umgang mit dem Tod in der jüdischen Tradition geht es in der neuen Ausstellung „Im Angesicht des Todes“ (1. November bis 6. Juli 2025). Sie zeigt rituelle Gegenstände, Audio- und Videoinstallationen sowie künstlerische Arbeiten. Dabei lenkt sie gleichzeitig den Blick auf das Leben selbst und gewährt Einblicke in die jüdischen Friedhöfe, die im Hebräischen „Häuser des Lebens“ („Beit HaChayim“) genannt werden. Jüdische Vorstellungen und Praktiken rund um Sterben, Tod und Trauer eröffnen vielschichtige Perspektiven, auch ganz praktische, auf das Leben und dessen Ende. Beim Verlassen des Friedhofs nach einer jüdischen Beerdigung, sagen die Trauergäste: „Auf Simches“, was so viel bedeutet wie: Mögen wir uns bei einem freudigen Fest wiedersehen! Das lässt Hoffnung aufkeimen…
Blick auf Felix Nussbaums letztes Gemälde, Triumph des Todes, 1944, Leihgabe aus dem Museumsquartier Osnabrück, Foto: Petra Kammann
Aufmerksamkeit schafft allein das Heruntersteigen in die „Unterwelt“, will heißen in die Ausstellungsräume des Jüdischen Museums für Wechselausstellungen, wo man in eine hell-dunkle Architektur aus Lehm und Licht des Offenbacher Künstlerkollektivs YRD.works, die geradezu etwas Metaphysisches hat, eintritt. Auf der erdfarbenen Wand fällt der Blick gleich zu Beginn unmittelbar auf ein Bild, das einem nicht mehr aus dem Kopf gehen will: das letzte Gemälde von Felix Nussbaum, das unmittelbar vor seiner Deportation und Ermordung in Auschwitz entstand. Gemalt in altmeisterlicher Manier, zeigt es eine Welt, die völlig aus den Fugen geraten ist. Anknüpfend an die Tradition des Totentanzes hatte der Maler Felix Nussbaum diesen Tanz der Verzweifelten, auf den Trümmern einer zerstörten Welt als Sinnbild für die Schoa geschaffen, der einen angesichts der aktuellen Bedrohung einer friedlichen Welt nicht zuletzt wegen seiner Aktualität nicht kalt lassen kann.
Auch Erik Riedel, Ausstellungsleiter des Jüdischen Museums, kuratierte die Ausstellung
Seitlich im Eingangsbereich wiederum wird das Motiv des personifizierten Todes in kostbaren illuminierten religiösen Schriften oder auch bildlichen Darstellungen präsentiert, bei denen immer wieder auch der geflügelte Todesengel eine Rolle spielt wie etwa in Else Meidners Gemälde „Frauenakt mit Todesengel“ von 1949. Manche der auch grausamen Motive erinnern geradezu an Dantes Inferno aus der „Göttlichen Komödie“. Wir alle müssen uns mit dem Tod auseinandersetzen. Und da erscheint es als tröstlich, dass die jüdische Tradition immer auch die Hinwendung an das Leben selbst auszeichnet, befand schon vor über einem Jahrhundert der Schriftsteller Scholem Alejchem (1859–1916).
Sara Soussan, Kuratorin für Jüdische Gegenwartskulturen, berichtete, dass sie vor drei Jahren auf die Idee zu dieser Ausstellung auf dem Alten Jüdischen Friedhof an der Battonnstraße mit den Gräbern vom 13.-18. Jahrhundert, der schon seit über 100 Jahren nicht mehr für konkrete Bestattungen genutzt wird, gekommen sei, sich dieses Themas intensiver zu widmen. Da habe sie bemerkt, dass immer wieder Menschen aus der ganzen Welt zu Besuch gekommen seien, sei es, um ihrer Familien oder jüdischer Gelehrter oder Rabbiner zu gedenken. Das habe sie in Gesprächen festhalten wollen. Als Zeichen der Verbundenheit mit den Verstorbenen würden die Besucher dort als Symbol des Weiterlebens Kerzen anzünden, singen und tanzen.
Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg sprach als Psychotherapeutin über die Bedeutung der Erinnerungskultur mit Sara Soussan, Foto: Petra Kammann
Immer wieder habe sie Gespräche geführt, die in einen Interview-Film „Der Gute Ort“ eingingen, der erstmals in der Ausstellung zu sehen ist. Der Unterschied zwischen Leben und Tod und die Notwendigkeit, sich von den Verstorbenen zu verabschieden, wird vor allem, und das auch in anderen religiösen Gemeinschaften, in der Trauer schmerzlich erfahrbar, die sowohl individuell als auch kollektiv erlebbar ist.
Dabei helfen vor allem Rituale, um das Unerträgliche erträglicher zu machen, sie schaffen zudem Resilienz, wie die im Iran aufgewachsene Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg, die auch Erfahrungen aus ihrer eigenen psychologischen Praxis einbrachte, bemerkte. Das wird auch in den klug zusammengestellten praktischen, künstlerischen wie spirituellen Exponaten deutlich. Dieser Erfahrung widmet die Ausstellung zudem einen eigenen Reflexionsraum, der zu einer teilnehmenden Auseinandersetzung mit der persönlichen Trauer einlädt.
Schnörkellos und ungesäumt: das letzte Hemd, Foto: Petra Kammann
Einen besonderen Raum widmet die Ausstellung sowohl dem gemeinschaftlichen Gedenken an die Pogrome des Mittelalters, als auch an die Opfer der Schoa und des Massakers vom 7. Oktober 2023 in Israel. Soussan geht zudem im weiteren Verlauf des Rundgangs auf die jüdische Erinnerungspraxis ein, welche sowohl die Namen der Verstorbenen als auch der Sterbeorte im kollektiven Gedächtnis aufbewahrt, die beim Kaddisch, dem traditionellen Trauergebet, immer wieder ausgesprochen werden, das mit den Worten „Erhoben und geheiligt werde sein großer Name in der Welt“ beginnt, und das die Hinterbliebenen gemeinsam am Grab sprechen.
Blick in die Ausstellung auf die Fotografien der stillen Orte auf dem Neuen Jüdischen Friedhof von Laura L. Padgett, Foto: Petra Kammann
Wie es in der heutigen Bestattungspraxis aussieht, zeigt nicht nur „das letzte Hemd“, das weiß und ungesäumt ins Licht gehängt ist, sondern auch der schlicht gezimmerte schnörkellose Holzsarg. Mittels ihrer großformatigen sachlichen Fotografien gewährt Laura J. Padgett, die in Cambridge geborene Frankfurter Künstlerin, Einblicke in die stillen Räume auf dem „Neuen Jüdischen Friedhof“, wo die Übergangsriten wie etwa die Totenwaschung heute noch unmittelbar am Verstorbenen vollzogen werden.
Ausstellungskuratorin Sara Soussan erläutert die Vorstellungen der kommende Welt nach dem Tod, Foto: Petra Kammann
Der letzte Ausstellungsraum, wenn man bei diesen unterirdischen, leicht labyrinthisch aus Begehungsboxen angelegten Stadt mit schmalen dunklen Gängen und hellen Öffnungen nach obenhin von Raum sprechen kann, beschäftigt sich mit jüdischen Vorstellungen und Quellentexten zur „Olam Haba“ (hebräisch: die kommende Welt), der Sehnsucht nach ewigem Leben, die keine eindeutigen Antworten geben. Bedeutet „Gan Eden“ gar das Paradies und „Gehenna“, die Hölle? Gibt es überhaupt eine Nachwelt? Fragen, denen man sich nicht entziehen kann.
Prof. Dr. Mirjam Wenzel lädt zum Mitmachen und zur Teilhabe an, Foto: Petra Kammann
Eine abschließende Video-Installation, für die man sich eigens Zeit lassen müsste wie auch für die anderen Videos und Audio-Beiträge, entlässt die Besuchenden mit Fragen und Assoziationen, nicht zuletzt auch hinsichtlich der gemeinsamen Vorstellungen über die Welt nach dem Tod, sei es in der jüdischen oder der christlichen Tradition, sei es in anderen Jenseitsvorstellungen. Hier können sich die Besucher durch schriftliche Kommentare in ein Buch einbringen. Und hier lassen sich etwa Steine zum Auflegen auf die jüdischen Gräber bemalen.
Eines wird beim ersten Besuch klar. Ein Wiederkommen ist notwendig und wird ebenso inspirierend sein. Am Thema kommt keine(r) vorbei. Allein die zeitgenössischen Kunstwerke und Installationen erfordern eine eigene Betrachtung. „Wir vertrauen auf die Kunst“, hatte Mirjam Wenzel die Einbeziehung dieses weiterführenden Mediums kommentiert. Am kommenden Sonntag findet eine Begegnung mit der Künstlerin Ruth Patir aus Tel Aviv statt, die bislang den Pavillon auf der Biennale in Venedig noch immer nicht aufgeschlossen hat. Denn noch immer sind nicht alle Geiseln befreit. Aber das ist eine andere Geschichte. Hier in der Schau kommentiert sie ihre ausgestellte Video-Arbeit „My father in the Cloud“, die sie nach dem Tod ihres Vaters mit einem Avatar schuf.
Zur Ausstellung „Im Angesicht des Todes“ erscheint ein Katalog in englischer und in deutscher Sprache. In 17 Beiträgen legen namhafte Expertinnen und Experten neue medizinische Forschungsergebnisse dar, diskutieren ethische Fragen, gehen auf religionsvergleichende Perspektiven ein oder zeichnen nach, welche Rolle der Tod in Kunst- und Kulturgeschichte spielt. Hrsg. von Erik Riedel, Sara Soussan, Mirjam Wenzel, Verlag Hentrich & Hentrich ISBN: 978-3-95565-672-0, Preis: 28,00 EURO
Jüdisches Museum Frankfurt
Bertha-Pappenheim-Platz 1
60311 Frankfurt am Main
Tel: + 49 (0) 69-212-35000