Der zweite Liederabend der Spielzeit an der Oper Frankfurt: „Die schöne Magelone“ von Johannes Brahms
Märchenhafte Geschichte, lyrische und dramatische Stimmungsbilder
Von Petra Kammann
Die romantische Geschichte von der schönen Königstochter Magelone und ihrem geliebten Grafen Peter von Provence von Ludwig Tieck ist zu schön, um wahr zu sein. Von der märchenhaften Erzählung und den darin enthaltenen Gedichten hat Johannes Brahms sich zu seinem einzigen Liedzyklus inspirieren lassen, den er in 15 abwechslungsreichen Romanzen vertonte. Der Liedzyklus erschließt sich jedoch erst durch das unmittelbare Wechselspiel von Rezitation und Gesang, vor allem, wenn die verbindenden Texte von einer so erfahrenen Sängerin, Regisseurin und Rezitatorin wie Brigitte Fassbaender mit warmer ausdrucksstarker Stimme gesprochen werden, bevor der Gesang des jungen Nachwuchsbaritons Konstantin Krimmel einsetzt. Das einfühlsame Spiel des langjährigen Klavierbegleiters Wolfram Rieger tat ein Übriges zu dem besonderen Abend in der Oper Frankfurt.
Nicht nur die in tiefes Schwarz gehüllte Bühne ist auf das Wesentliche konzentriert: ein historischer Stuhl und ein Tisch für das zu lesende Buch, und zur Linken ein geöffneter Flügel, der Pianist und die Rezitatorin in Schwarz gekleidet, nur der Sänger trägt ein weißes, leicht gefältetes Hemd, um sich aus dem Dunkel zu erheben.
Und dann hebt Fassbaender mit ihrer klaren Stimme an, um in die Rahmenhandlung einzuführen, bevor dann immer wieder zwischendurch Lieder mit Klavierbegleitung erklingen. Sie geben ein Stimmungsbild vom Auf und Ab der Gefühle der Protagonisten wieder. Wilhelm Tieck hat die alte provenzalische Geschichte aus dem 15. Jahrhundert eben im romantischen Sinne modernisiert, in dem er nicht nur die Handlung gestrafft hat, sondern vor allem Emotionen wie Liebe, Sehnsucht und Verzweiflung herausstellt. Sie geben den Ton an, der sich in den lyrischen Passagen, den eingefügten 18 Gedichten, ausdrückt.
Kurz zur Rahmenhandlung. Als siegreicher Ritter beeindruckt der unbekannte Graf Peter die neapolitanische Königstochter Magelone auf dem Turnier. Nach und nach verlieben sich die beiden ineinander. Doch ist Magelone schon einem anderen versprochen. So tauschen die beiden ihre Botschaften heimlich über ihre Amme aus. Als Zeichen der Liebe schenkt Peter ihr drei kostbare Ringe. Als die einander Liebenden gemeinsam in der Nacht fliehen, rasten sie ermattet im Wald. Gerade als Peter überglücklich entdeckt, dass die sanft schlafende Schöne die drei Ringe versteckt an der Brust trägt, stiehlt ein Rabe sie. Peter verfolgt ihn. Beim Versuch, sie wieder aus dem Wasser zu fischen, wird er in einem Kahn aufs wilde Meer getrieben und gerät in türkische Sklaverei. Fortan betreut er am Hof des Sultans die Gärten. Zwei Jahre vergehen, er kann nicht wieder zurückkehren und verharrt in Melancholie. Da verliebt sich die Sultanstochter Sulima in ihn. Doch bevor es zu einem heimlichen Treffen mit ihr kommt, flieht er abermals und er gelangt durch Fischer just zu der Wiese, auf der Magelone in einer Holzhütte lebt. Er erzählt ihr, was ihm zwischenzeitlich widerfahren ist. Da gibt sie sich zu erkennen und die beiden reisen frohen Mutes zu seinen Eltern, heiraten und bauen auf der Wiese einen Sommerpalast zum Gedenken, dass sie sich dort wiederfanden. Und sie singen an dieser Stelle jedes Jahr dasselbe Lied: „Treue Liebe dauert lange“.
In der Brahms’schen Musik fängt es im ersten Teil der erwachenden Liebe zunächst einmal ruhig an. Und dann benutzt der romantische Komponist eine ganze Spannbreite an Darstellungsmitteln. Wunderschön weich melodiös und zurückgenommen klingt die Romanze im Wald, als Peter den Mantel auf dem Waldboden ausbreitet und Krimmel das „Schlaflied“ fast hauchend singt: „Ruhe, süß Liebchen im Schatten der grünen dämmernden Nacht“, auch im Saal erlebt man die Zerbrechlichkeit des Glücks und die konzentrierteste Stille… Es sind die stärksten Momente des „Nachwuchssänger des Jahres“.
Umso dramatischer gerät die Szene auf dem stürmischen Meer, wo auch das auftrumpfende Piano die Möglichkeiten des Instruments ausschöpft, und es klingt, als würde ein ganzes Orchester die emotional aufwühlende Situation begleiten. Beim Wechsel von Szene zu Szene spürt man das Einvernehmen der drei agierenden Künstler, wenn sie sich per Blickkontakt austauschen. Ihr Zusammenspiel steigert sich zum Ende hin noch mal. Man merkt, dass die inzwischen 85-jährige Fassbaender, die Krimmels Part selbst zum Abschluss ihrer Sängerinnen-Karriere gesungen hat, jede Silbe dieses Melodrams kennt und jeden Einsatz verinnerlicht hat. Das Timing beim Szenenwechsel ist perfekt. Unmerklich leise summt sie mit, dirigiert leicht mit der Hand und feuert immer wieder den Sänger wie den Pianisten mit Blicken und Gesten an. Als sie selbst noch als Sängerin auftrat, hat sie daneben auch die Rezitatorenrolle ausgeübt.
Fassbaender hat die romantische Geschichte verinnerlicht, Foto: Uli Konstantin Krimmel (Bariton)
„Ich wollte immer einen Charakter kreieren, eine Rolle gestalten, emotional ausdeuten und bis an die Grenzen gehen. Das ist etwas, was man als Regisseur bei den Mitspielern erreichen muss: Dass sie Barrieren abbauen, innere Grenzen überspringen und sich ganz in den Charakter vertiefen, den man darzustellen hat“, sagte sie einmal in einem Interview auf die Frage, warum sie heute Regiearbeit mache. Das ist ihr an diesem Liederabend als Rezitatorin wie als Regisseurin vollkommen gelungen. Ihre Liebe zur Sprache zu den besonderen Worten, auch altmodisch ungewöhnlichen Worten, die aus ihrem Mund völlig selbstverständlich und unverkitscht klingen, überträgt sich unmittelbar. Natürlich auch ihre Liebe zur Musik und zum Gesang.
Das wiedergefundene Glück, das Happy End zum Schluss, korrespondiert mit der Eingangsrede und schließt gewissermaßen den Kreis dieses berückenden Zusammenspiels, bei dem Literatur und Musik einander perfekt ergänzten. Das Publikum dankte es ihr und den beiden anderen Musikern mit lang anhaltendem Applaus. Und auf Fassbaenders Neuinszenierung des Parsifal noch in dieser Spielzeit darf man gespannt sein.
Lange Signierschlangen im Anschluss, v.l.: Rieger (Klavier), Brigitte Fassbaender (Rezitation), Konstantin Krimmel (Bariton)
Weitere Liederabende in dieser Saison:
17. Dezember 2024 : Clara Kim, Sopran / Nombulelo Yende, Sopran / Iurii Iushkevich, Countertenor
25. Februar 2025: Louise Alder, Sopran / Mauro Peter, Tenor
18. März 2025: Matthew Polenzani, Tenor
08. April 2025: Francesco Meli, Tenor
13. Mai 2025: Georg Zeppenfeld, Bass
03. Juni 2025: Asmik Grigorian, Sopran