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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Das Tanztheater Wuppertal zeigt Pina Bauschs Choreografie „Viktor“

Tanz des Lebens – Tanz des Todes

von Simone Hamm

Auf dem meterhohen Erdwall, der die Bühne auf drei Seiten umgibt, geht jemand mit einer Schippe. Unermüdlich läßt er Sand auf die Bühne rieseln. Es wirkt, als sei es eine riesige Ausgrabungsstätte. Oder ein Grab. Eine glamouröse Tänzerin im roten Kleid (Julie Shanahan) betritt die Bühne. Ihre Lippen sind knallrot geschminkt. Es scheint, als habe sie keine Arme. Minutenlang steht sie da und lächelt ins Publikum. Dann legt ein Tänzer ihr einen Pelzmantel um und sie gehen. So beginnt „Viktor“ von Pina Bausch, entstanden 1986 in Rom.

 
Ensembleausschnitt: Frauen tragen Männer, Foto: Oliver Look

Dort hatte Pina Bausch mit ihren Tänzern und dem Bühnenbildner Peter Pabst einige Woche gastiert. Jetzt ist „Viktor“ in Wuppertal wiederauFgeführt worden. Mit 28 Tänzern und 28 Statisten. Letztere sind ältere Männer, die meist an Tischen sitzen oder sich langsam zur Musik bewegen.

„Viktor“ ist eine Collage aus hundert getanzten Bildern. Fragmente einer Erzählung. Bilder des ungestümen Lebens und Bilder des Todes.

Eine Frau erstickt unter dem Mantel, den ein Mann ihr überwirft. Ein lebloses Paar wird verheiratet, der Priester bewegt ihre Körper, ihre Köpfe. Eine Frau wird in einen Teppich gerollt. Trauernde gehen langsam in einer langen Schlange über die Bühne.

In „Viktor“ zeigt Pina Bausch Machtstrukturen: Zwei Männer zwingen eine Frau dazu, ein menschlicher Brunnen zu sein. Unter dem Wasserstrahl, der aus ihrem Mund läuft, waschen sie sich. Andere Männer machen sich am Gesicht einer Frau zu schaffen, ziehen deren Lippen hoch zu einem Lachen.

Emily Castelli, Foto: Oliver Look 

Alles ist käuflich: Eine Tänzerin zeigt wieder und wieder ihr Dekolleté. Ein Mann läuft durchs Publikum und verkauft Postkarten. Und einen Revolver. Eine Aktionärin versteigert in atemberaubenden Tempo kleine Hunde. Lebendige Schafe werden getauscht.

Pina Bausch zeigt Einsamkeit. Eine Frau (Emily Castelli) sitzt auf dem Boden. Verschränkt die Arme über dem Kopf, beugt den Oberkörper vor, schüttelt die langen Haare, schiebt sich immer weiter vor. Eine Ballerina stopft Kalbfleisch in ihre Ballettschuhe, bevor sie auf Spitzen zur Musil von Tschaikowski tanzt.

Und Pina Bausch zeigt die pure Lebenslust. Frauen in bunten Kleidern tragen Männer. Paare tanzen inniglich miteinander. In einer langen Reihe kommen Tänzerinnen eine nach der anderen auf die Bühne und werfen ihre Köpfe vor und zurück. Die langen Haaren fliegen. Die Tänzer bilden eine Kette und gehen durchs die Zuschauerreihen. Männer wirbeln über die Bühne. Dominique Mercy ist der coole und zugleich melancholische Mann im Café, den Mantel lässig über die Schulter geworfen, die Zigarette in der rechten Hand. Überhaupt wird ununterbrochen geraucht. Auch Wein getrunken und es wird gegessen. Aus reinem Vergnügen.

Pina Bausch 2008 beim Musikpreis im Lehmbruck-Museum Duisburg, Foto: Petra Kammann

Pina Bausch ist  2009 plötzlich und völlig unerwartet gestorben. Die nachfolgenden Direktoren wechseln häufig. Neue Tänzer standen auf der Bühne. Alle waren gespannt, wie das werden würde. Und dann begeistert. Pina Bauschs Werke haben auch mit den neuen Tänzern  nichts von ihrer ungeheureren Kraft verloren.

Pina Bausch, die das Genre Tanztheater quasi erfunden hat, ist so modern wie eh und je. Ihre fragmentierten Szenen, die selten miteinander verbunden sind, ihre Vignetten wirken lange nach. Sie sind zeitlos. Pina Bausch spielt wild mit der Musik. Bei „Viktor“ mischt sie Volksmusik aus der Lombardei, Tschaikowski, Chatschaturjan, Musik aus New Orleans, russische Walzer, traditionelle amerikanische Tanzmusik der 30er Jahre.

Wie immer bei Pina Bausch sind die Tänzer groß und kein, spindeldürr und muskulös, jung und alt. Mit Andrey Berezin tanzt eine Tänzerin in ihren Fünfzigern. Julie Shanahan ist über sechzig. Bei anderen Kompanien wären sie längst ausgemustert worden oder dürften, wenn überhaupt, in der Sektion der älteren Tänzer auftreten.

Scheint zu schweben: Julie Shanahan, Foto: Evangelos Rodoulis

Sie alle tanzen gleichermaßen mit Kraft und Anmut. In einer der schönsten Szenen des Abends schwingt Julie Shanahan in einer langen Abendrobe (Kostüme: Marion Cito) an Ringen übers Parkett. Geradewegs in den Himmel. Ein Moment wie aus einem Traum.

Dann beginnt alles wieder von vorne, nur viel, viel schneller. Und bricht ab. Wer aber Viktor nun wirklich ist, das bleibt ein Geheimnis. Dunkelheit. Frenetischer Applaus.

Dieser Abend ist ein Geschenk.

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