Haydns „Schöpfung“ und die „Elektra“ von Strauss in der Kölner Oper
Adlerschwingen und grenzenlose Raserei
Gleich mit zwei Neuinszenierungen eröffnete die Kölner Oper ihre Spielzeit.
Von Simone Hamm
Eigentlich sollten die „Schöpfung“ und „Elektra“ an der renovierten Oper Köln, dem eindrucksvollen Ripahn Gebäude aufgeführt werden. Doch wie jedes Jahr aufs Neue verzögert sich die Fertigstellung des Opernhauses. So zeigte man die beiden Opern im Ausweichquartier Staatenhaus.
Sebastian Kohlhepp (Uriel), Francesca Merolla (Satan), Alex Rosen (Rafael), Tänzer*innen, Foto: © Sandra Then
Die „Schöpfung“
Haydns „Schöpfung“ ist ein Oratorium, eine Lobpreisung Gottes und seiner Erschaffung der Welt. Es ist durchweg positiv. Gottes Werk hat Gutes hervorgebracht. Haydn hat auf drei Quellen zurückgegriffen: das Buch Genesis, das Buch der Psalmen und John Miltons Genesis-Epos „Paradise Lost“.
Oratorien werden eigentlich in Kirchen oder Konzertsaalen aufgeführt. In Köln ist aus dem Oratorium eine Oper geworden. Regisseurin und Choreografin Melly Still setzt das Buch Genesis zunächst sehr simpel um. Wenn es regnet, heben Leute Gießkannen an und lassen es daraus regnen, wenn es Licht wird, trägt der Chor Taschenlampen im Mund. Wenn ein kühner Adler seine Schwingen hebt, kommt jemand in Unterhosen auf die Bühne und macht Bewegungen, die daran erinnern, wie Kinder im Kindergarten fliegen spielen.
Aber Still will auch Kontrapunkte setzen. Sie will Adam und Eva ganz kurz vor dem Sündenfall zeigen. Den Engeln Gabriel, Uriel und Raphael stellt sie eine Teufelin gegenüber. (Francessca Merolla in dieser stummen Rolle). Sie verführt erst Adam, dann Eva, bietet ihnen einen Apfel an. Die Teufelin kommt nicht allein, sie ist umringt von den Geistern der Hölle, einer Gruppe von jungen Leuten, die rhythmische Bewegungen machen, sich zusammenkauern, Tiere imitieren.
Adam und Eva tragen Gewänder, auf denen die nackten Figuren aus Albrecht Dürers Gemälde zu sehen sind, die nur die Scham mit Blättern bedeckt haben. Die Chorsänger tragen prachtvolle Gewänder aus vier Jahrhunderten, an die Wand werden Buchtitel aus eben jenen Jahrhunderten projiziert.
Szenisch ist das alles ein wenig fragwürdig. Musikalisch hingegen ist der Abend hingegen exzellent. Das Gürzenich Orchester unter der Leitung von Marc Minkowski, der Chor der Kölner Oper und großartige Solisten tragen den Abend. Alex Rosen als Erzengel Raphael hat allein mehr Bühnenpräsenz als die herumwuselnde Teufelin und ihr Gefolge zusammen. Er singt stark, sicher, wohltönend. Kathrin Zukowski ist ein wunderbarer, sanfter Erzengel Gabriel und Sebastian Kohlhepp ein wohlartikulierender Uriel.
Alex Rosen übernahm an dem Abend, als ich sie Oper sah, auch den Part des Adam. Er hielt seinen starken, volltönenden Bassbariton zurück, um im Duett Evas lyrisch leise Stimme (Guilia Montanari) nicht zu übertönen. So klangen sie zart und poetisch.
Solisten, Chor und Orchester füllten den Raum und ließen die Frage aufkommen, ob es einer Bebilderung mit Tanz und Teufeln, Buchtiteln und Regen wirklich bedurft hätte.
„Elektra“ – Ein grenzenloser Wahn
Elektras Hass kennt keine Grenzen. Sie will ihre Mutter, die ihren Vater ermordet hat und deren Mann töten. Das soll ihr Bruder Orest tun. Doch Elektras Hass ist mehr. Sie kennt kein anderes Gefühl mehr, ist wie von Sinnen. Roland Schwab hat diese Wucht von Richard Straussens „Elektra“ in seiner Inszenierung auf die Bühne der Kölner Oper gebracht. Er zeigt durchweg kaputte Menschen. Elektra ist wahnsinnig, Klytemnestra, ihre Mutter ist ein Wrack, das nur an Stöcken gehen kann. Die Mägde der Herrin scheinen Untote zu sein. Orest wird zwar die Mutter töten, also das tun, was Elektra für seine Pflicht hält, kann das aber nicht aushalten, schlitzt sich sofort nach dem Mord die Kehle auf. Überhaupt ist literweise Blut zu sehen. An Händen, Hälsen, auf Gesichtern, Kleidern.
Astrid Kessler, Allison Oakes, Foto: © Matthias Jung
Piero Vinciguerra hat ein bedrückendes Bühnenbild geschaffen Da herrscht Dunkelheit, da stehen Pfeiler mit Lichtröhren, die kaltes Licht geben, da sind Gestalten zu sehen, die über die Bühne huschen, später blutige Männer, Zombies, Gefangene, einen Ring um den Hals, daran zwei Ketten. Sie ziehen vergeblich daran. Der Hof von Mykene wird reduziert auf Dunkelheit und Horror.
Elektra tanzt nicht an diesem Abend. Schwab lässt sie sterben, gebunden an zwei Seilen zwischen den Pfeilern. Hoffnung gibt es nicht. Die Apokalypse naht, so seine einfache Botschaft.
Allison Oakes, die ihr Rollendebut als Elektra gibt, ist eine Rasende: wild, laut, furios. Feinheiten hat Schwab nicht vorgesehen für diese Rolle. Und so singt sie diese auch nicht. Sie ist die personifizierte Rache. Lioba Braun ist die selbstgerechte Klytämnestra. Bisweilen ein wenig ironisch.
Felix Bender dirigiert das Gürzenich Orchester so, wie Schwab inszeniert hat: sehr wuchtig. Und doch gibt er den Musikern sehr viel mehr Raum. So sehr sie auch voller Kraft spielen, so bleibt da immer auch Raum für Nuancen.