Ehrengastland Italien 2024 „Verwurzelt in der Zukunft“ – Der Ehrengastpavillon von Stefano Boeri
Treffen mit dem Mailänder Architekten auf der Piazza
Petra Kammann sprach mit Stefano Boeri
Nach 36 Jahren kehrte Italien als Ehrengast zur Frankfurter Buchmesse zurück. Unter dem Motto „Verwurzelt in der Zukunft“ präsentierte das Land ein vielfältiges Programm, das Tradition und Moderne verbinden sollte. Nicht alles gelang, wohl aber der vom italienischen Architekten und Stadtplaner Stefano Boeri entworfene ca. 2.300 Quadratmeter große Ehrengastpavillon, der den symbolträchtigen Ort der Piazza gestaltet hatte, an dem sich Vergangenheit und Zukunft im Namen einer verbindenden Kultur begegnen sollten. Inspiriert war er von den klassischen Merkmalen einer historischen italienischen Piazza, die Öffnungen auf die Geschichte wie auf die Zukunft ermöglicht. Mit ihren Bogengängen und Säulen, der Arena und dem Caffè Letterario wurde die Piazza außerdem zu einem pulsierenden Ort, an dem mehr als 80 Veranstaltungen und Autorenlesungen stattfanden.
Der italienische Architekt und Stadtplaner Stefano Boeri (Boeri Architetti) im Ehrengastpavillon, Foto: Petra Kammann
Stefano Boeri erhielt 2014 in Frankfurt den International Highrise Award des DAM für den ,Bosco Verticale‘, Foto: Petra Kammann
Petra Kammann: Gerade mal 10 Jahre sind es her, dass Sie in Frankfurt den Internationalen Hochhaus Preis 2014/15 für Ihren begrünten Hochhausbau, den ,Bosco Verticale‘ in Mailand ausgezeichnet wurden. Ihr damals innovatives ‚bewaldetes Hochhaus‘ schien Ausdruck des allumfassenden menschlichen Bedürfnisses nach Grün zu sein. Die beiden verhältnismäßig kleinen Wohntürme im Mailänder Norden wurden Teil einer umfangreichen Quartiersentwicklung. Das Projekt mit der vertikalen Bepflanzung – so klang es damals – sei definitiv ein Vorbild für die Bebauung dichter Gebiete auch in anderen europäischen Staaten. Sie haben das Projekt in asiatischen Staaten weiterverfolgt. Und nun haben Sie sich einem eher konservativen Projekt zugewandt. Für den italienischen Verlegerverband AIE „rekonstruierten“ Sie einen historischen Platz. Geht das zusammen und wie kam es dazu?
Stefano Boeri: Zunächst einmal empfinde ich auch meinen ,Bosco Verticale‘ als durchaus klassisches Gebäude. Denn, wenn man in die Geschichte der Architektur schaut, so spielt traditionell bei den italienischen Gebäuden immer auch der Garten eine ganz wichtige Rolle, sogar schon im Mittelalter. Und hier für die Messe haben wir uns für den typischen städtischen Platz entschieden. Denn eine von Säulengesäumte, gepflasterte Piazza hat ausgesprochen kommunikative Aspekte, was ja für eine Messe wichtig ist. Die Piazza ist gewissermaßen eine Allegorie auf das Leben, das auf einem Platz in der Stadt stattfindet.
Eröffnung des Ehrengast-Pavillons mit der offiziellen italienischen Delegation, Foto: Petra Kammann
Eine weitere Verbindung ist der ökologische Gedanke. So zeigt die Firma Kartell eine Sonderausstellung mit Produkten, die mit der Kultur und den Wurzeln des Made in Italy verbunden sind, die in die Zukunft blicken und dabei die Umwelt respektieren. So wurden etwa verschiedene Oberflächen im Pavillon mit Ecological Panel® der Firma Saviola aus 100 Prozent recyceltem und wiederverwertbarem Holz hergestellt.
Und warum haben Sie denn so ganz unterschiedliche Säulen gewählt? Empfinden Sie das nicht als postmoderne Spielerei?
Wir haben ganz bewusst sechs verschiedene Säulentypen mit den entsprechenden Kapitellen, die für die westeuropäischen Kultur typisch sind, ausgewählt, zum Beispiel Athener Säulen, also dorische, ionische und korinthische. Sie bilden mit dem Portikus so eine Art Alphabet urbaner Kultur. Die Erinnerung daran wollten wir wachhalten.
Blick auf die Buchmessen-Piazza, unter dem lichtbestirnten Himmel, Foto: Petra Kammann
Nun haben Sie aber die dahinterliegende Fensterfont abgedeckt, die einen Blick auf den lebendigen Frankfurter Messeplatz zugelassen hätte? Stattdessen ist es hier auf der Piazza ziemlich dunkel. Warum haben Sie das so entschieden?
Auf einer Messe ist es tagsüber immer laut und quirlig. Und hier auf der Piazza sollten die Besucher im Trubel auch ein bisschen zur Ruhe kommen, sich entspannen und sich auf das Buch und seine besondere Geschichte konzentrieren. In dem abgedunkelten Raum mit den glitzernden Oberlichtern erlebt man außerdem so etwas wie einen antiken Sternenhimmel – eine Anspielung auf die Geschichte des italienischen Platzes, an dem man auch abends leben und und sich in die Nacht hinein träumen kann.
Durchblicke von der Piazza aus, Foto. Petra Kammmann
Dazu ist die klassische Piazza zwar ein von Gebäuden begrenzter und eingefasster Platz, nicht aber ein geschlossener, sondern ein nach allen Seiten hin offener Ort. Einerseits kann man sich auf den Treppenstufen niederlassen, aber auch von dort aus durch die Bogengänge in die angrenzenden Räume gelangen, die thematisch jeweils einer anderen Ausstellung gewidmet sind. Von den Öffnungen aus gibt es wiederum Durchblicke auf den lichtbestirnten Platz im Inneren. Und in den Seitenräumen trifft man auf italienische Kunst, Design und Handwerk, die zusätzlich durch multimediale und interaktive Installationen erfahrbar sind.
Ein Seitenraum zeigt das antike Pompeji und seine Schätze nach dem Vulkanausbruch, kuratiert vom Ministerio della Cultura, Foto: Petra Kammann
Welchen Themen sind die anderen Räume denn gewidmet? Und welche Rolle spielte dabei das Motto des diesjährigen Ehrengastlandes „Radici nel Futuro“ („Wurzeln in der Zukunft“), an dem es durchaus auch Kritik gab?
Da entdeckt man zum Beispiel bedeutende Werke der klassischen Kunst aus den italienischen Nationalmuseen, die eine Art historische Grundlage bilden. Aber man trifft auch auf Aldo Manuzio, den ersten Erfinder des Taschenbuchs am Ende des 15. Jahrhunderts, der übrigens auch die kursive Schrift, die sogenannten Italics, erfunden hat.
Ein anderer Schwerpunkt gilt dem ersten Erfinder des Taschenbuchs Aldo Manuzo und Venedig in all seinen Facetten, Foto: Barbara Walzer
Das Material wurde von der Venice International University, einem internationalen Zentrum für Hochschulbildung und Forschung auf der Insel San Servolo in Venedig, erarbeitet und zur Verfügung gestellt.
Das Thema Machtspielchen wurde häufig vernachlässigt, Foto: Petra Kammann
Auch eine Ausstellung über Machiavelli mit der Reflexionen über das, was Führung und Macht bedeuten kann, ist dabei.
Und welche Rolle spielte die Literatur?
Natürlich ist die Piazza auch der Veranstaltungsort für die aktuellen italienischen Autoren und Autorinnen. Aber es gibt zum Beispiel auch eine Galerie mit den Köpfen bedeutender italienischer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, denen gewissermaßen die teils tragische Geschichte ins Gesicht geschrieben ist („scritto in faccia“), wie es auf der Begleittafel lautet. Sie wurde von The Italian Literary Agency (TILA) organisiert.
Galerie mit Porträts der bedeutendsten italienischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, Foto: Petra Kammann
Oder denken Sie nur an eine Ausstellung mit den Werken von dreißig jungen Illustratoren, die von der neuen italienischen Künstlergeneration erzählt, welche die Kinderbuchmesse in Bologna zusammengestellt hat, um nur einige der vertretenen Themen zu nennen.
Kinder- und Jugendbuch-Illustratoren, ausgewählt von der Kinderbuchmesse in Bologna, Foto: Petra Kammann
Ein Raum ist auch der grenzüberschreitenden slowenisch-italienischen Kulturhauptstadt Europas 2025 gewidmet, von der wir noch hören werden: Nova Gorica und Gorizia. Kurzum, ein Ort, an dem die Vergangenheit – die Wurzeln – und die Zukunft nebeneinander bestehen und die dazu einladen, das Italien von gestern und von morgen zu entdecken. Und natürlich können im Pavillon auch Bücher gelesen werden: Allein die Ausstellung „Books in Italy“ präsentiert mehr als 600 Bücher, die dank der Buchmesse von Verlegern aus der ganzen Welt ausgewählt wurden.
Der „grüne Raum“ der „Books on Italy“, Foto: Petra Kammann
Glauben Sie denn, dass die Piazza heute immer noch dieselbe Funktion hat wie vielleicht noch vor einigen Jahren, als es in den Innenstädten noch viel mehr kleine Läden und Handwerksbetriebe gab. Dabei haben sich nach und nach doch die Zentren der Innenstädte eher entleert, manchmal sind sie sogar verödet, sei es, weil heute Etliches per Internet bestellt wird und die kleinen Läden leerstehen, sei es wegen der überhöhten Mieten und Grundstückspreise in den Städten. Hat da nicht eine große Transformation stattgefunden? Und betrifft das nicht auch die Piazza?
Natürlich ist die Piazza vielfach wegen damit verbundener Kunstwerke nicht zuletzt für Touristen interessant. Und nicht umsonst hat sie viele Filmregisseure inspiriert, weil dort die Geschichten spielen. Ich bin überzeugt, dass sich heute immer noch alles auf der Piazza abspielt, die Liebe, die Tragödien, der Streit. Es ist in sich ein ganz farbiger Ort, an dem Begegnungen stattfinden. Es ist einfach ein Ort der Lebensfreude. Ein Ort, an dem gelacht und natürlich auch gestritten wird. Da, wo Menschen zusammenkommen, entsteht auch so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl, sei es politisch oder religiös. Jede Stadt hat so ihren eigenen Platz, an dem Menschen Gemeinschaft erfahren. Und was die Form und Gestaltung der Plätze angeht, so hat jede italienische Stadt eine andere Piazza. Das trifft auch auf Städte in Deutschland und auf andere europäische Städte zu.
Stefano Boeris Blick auf die italienische Piazza, die auch in zahlreichen Filmen den Hintergrund bildet, Foto: Petra Kammann
Sie selbst haben den Highrise Award seinerzeit in der Paulskirche –und damit an einem Ort der Demokratie – verliehen bekommen Und nun geht es in Frankfurt darum, wie man diesen Platz als Ort für die Demokratie sinnvoll gestalten könnte. Würde Sie so eine solche Gestaltung als Architekt auch interessieren?
Wenn ich mehr darüber weiß, vielleicht.
Stefano Boeri 2014 in der Frankfurter Paulskirche bei der Verleihung des Hochhaus-Preises vom DAM, Foto: Petra Kammann
Glauben Sie, dass man in der Innenstadt überhaupt noch für Menschen bauen kann, die finanziell nicht bestens wohlbestallt sind? Ich nehme an, dass die Kosten in Ihrem ,Bosco Verticale‘, das inzwischen zum Kultgebäude geworden ist, gewaltig sind, es dazu noch kostenintensiv ist, weil die die Pflanzen und Bäume an der Fassade ständig bewässert werden?müssen?
In Milano waren damit natürlich vor allem noch ganz viele Entwicklungskosten verbunden, weil wir die Situation für die dafür brauchbaren Pflanzen über Jahre untersucht haben. In der Tat sind es in Mailand inzwischen eher begüterte Familien, die dort wohnen. In Holland, in Eindhoven zum Beispiel, haben wir gerade solche Erfahrungen gemacht, dass dort und ebenso in Frankreich oder in der Schweiz solche Häuser entstanden sind, und das mit geringeren bezahlbaren Mieten.
Ist ein solch bepflanztes Haus nicht vielleicht auch besonders für südliche Gegenden geeignet, wo die Pflanzen üppiger wachsen?
Jaja. Das stimmt schon. Es gibt aber sicher immer wieder neue Formen der Transformation unter den aktuellen klimatischen Bedingungen. Auch das ist die Zukunft…