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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Richard Wagners Meistersinger als Karnevalsverein in der Bonner Oper

Ein berauschender Abend

Von Simone Hamm

Auf einer Leinwand ist das goldene Hakenkreuz über der Haupttribüne des Zeppelinfeldes in Nürnberg zu sehen. Noch bevor der erste Klang ertönt, wird es gesprengt. Eine neue Zeit hat begonnen. Ob der grausame Spuk vorüber ist, wird sich zeigen.

Ensemble; Chor, Extrachor und Statisterie des Theater Bonn, Foto: © Bettina Stoess

Regisseur Aron Stiehl läßt Richard Wagners „Meistersänger“ nicht mehr im 16. Jahrhundert spielen. Er verlegt die Handlung in die fünfziger Jahre, in einen großen Raum eines öffentlichen Gebäudes. (Bühne und Kostüme: Timo Dentler und Okarina Peter).

Stiehl hat die Oper von  Nürnberg an den Rhein verlegt. Der Johannistag wird zum Rosenmontag. Die Meistersingerzunft ist zum Karnevalsverein geworden, der das Brauchtum pflegen will.  Die Hüte sind zu närrischen Kappen mit Federn mutiert. Aus dem Verein kommt der Elferrat, der jede Karnevalssitzung leitet. Diesmal wird er den Sieger des Sängerwettbewerbs küren. Und die Funkenmariechen tanzen dazu.  So wird Wagners Oper unglaublich unterhaltsam, ja kurzweilig (und das bei 5 1/2 Stunden Aufführundgsdauer).

Wer am schönsten dichtet und singt, dem gibt Zunftmeister Veit Pogner (Pavel Kudinov) die Hand seiner Tochter. (Mit Spitzbart, langem Haar in weiß grünem Kostüm sieht er übrigens aus wie ein Mitglied des Kölner Reiterchorps Jan van Werth). Was nach einem alten Märchen klingt, in dem Frauen nicht über ihre Zukunft bestimmen durften, ist bei Wagner ein Ausdruck höchster Wertschätzung für die Kunst.

Mark Morouse, Martin Tzonev, Ralf Rachbauer, Mikhail Biryukov, Tae Hwan Yun, Joachim Goltz, Tobias Schabel, Foto: © Bettina Stoess

Der verarmte Ritter Walter von Stolzing (Mirko Roschkowski) verliebt sich in Eva, Pogners Tochter (Anna Princeva) und will mitsingen. Sein Widersacher ist Beckmesser (Joachim Goltz), der auch unbedingt gewinnen will. Und dann ist da noch der Schuster und Dichter Hans Sachs (Tobias Schabel), der Eva liebt und auch sie erwidert seine Gefühle  – bis sie Stolzing sieht. In einer ergreifenden Szene verzichtet der tiefmelancholische Hans Sachs auf die Teilnahme am Meistersinger Wettbewerb, er sei ein alter Witwer und Eva verdiene einen anderen. Diesem anderen – Stolzing wird er helfen, Beckmesser zu verunsichern.

Beckmesser singt vorm Fenster der falschen Frau, wird von derem Freund David verprügelt. Danach, am Ende des 2. Satzes, fallen alle übereinander her. So schnell ist aus einem freudigen Fest eine brutale Schlägerei geworden. Die Zivilisation steht immer noch auf dünnem Eis. Als die Wände des Vereinsheims Risse zeigen, lugt ein Hakenkreuz hervor.

Im Hintergrund sind rheinische  „Schwellköppe“ zu sehen, das sind die großen Köpfe aus Pappmaschee, mit denen die Politiker beim Rosenmontagszug verulkt werden, hier sind es die Populisten (und manche auch Faschisten) Trump, Putin, Meloni, le Pen, Weidel und Höcke. Das wirkt überhaupt nicht aufdringlich, sondern stimmig.

Und dazu dann Wagners Chor von der Kunst, die die Gesellschaft gestalten soll. Karneval war nie nur Kamelle werfen und Folklore. Karnevalwar und ist immer auch Widerstand gegen die Herrschenden, die Besatzer (daher die Uniformen und die Gewehre, aus denen Läufen Blumen gucken) gewesen und noch heute sind die Wagen im Rosenmontagszug derbe Satire.

Tobias Schabel, Mirko Roschkowski, Foto: © Bettina Stoess

Aber auch im Karneval gibt es die Traditionalisten – wie bei den Meistersingern. Die Meistersinger als Mitglieder des Karnevalsvereins sind Vereinshuber. Und alles soll bitte so bleiben, wie es immer war, auch die Musik. Da aber ist Hans Sachs davor.

André Kellinghaus leitet Chor und Extrachor kraftvoll. Beim großen Festumzug am Ende der Oper sind die über neunzig Chorsänger das jubelnde Volk.

Tobias Schabel ist ein wehmütiger, nachdenklicher Hans Sachs. Attraktiv, männlich hat er so ganz und gar nichts Onkelhaftes an sich. Ist vielmehr ein Held, der verzichtet. Und das bringt er stimmlich perfekt zum Ausdruck..

Stolzing ist Mirko Roschkowski (leider angezogen wie ein Hanswurst), sehr lyrisch, sehr eigen, sehr emotional. Sein Wettbewerbslied ist das Schönste.

In Bonn aber ragt vor allem Bariton Joachim Goltz als Beckmesser heraus. Bei der Premiere gab es sogar eimal Szenenapplaus für ihn. Er ist ein korrekter Langeweiler und sehr von sich überzeugt. Er ist klar, sicher – ja, selbestsicher und das vermag er in jeder Minute in seine Stimme zu legen. Großartig!

Pavel Rudinov als Pogner singt mit sonorem, sicheren Bass. Anna Princeva ist eine feinsinnige Eva mit heller, leuchtender Stimme. Sie trägt die rote Robe der Bonna, der Bonner Karnevalsprinzessin.

Lehrjunge David wird von Manuel Günther witzig dargestellt und – so das möglich ist – auch gesungen.

Das Beethovenorchester unter Dirk Kaftan spielt bravurös.

Ensemble; Chor, Extrachor und Statisterie des Theater Bonn, Foto: © Bettina Stoess

Ich war gespannt, wie Aron Stiehl die letzte Szene gestalten würde, wenn Hans Sachs von der heil’gen deutschen Kunst singt und es droht, pathetisch zu werden. Stiehl hatte eine wirklich beeindruckende Idee. Von allen Seiten nähern sich die Sänger, sie sind im Auditorium, auf den Gängen, auf der Bühne, überall singen sie und tragen dabei Papptafeln mit den Namen deutscher Künstler von Johann Wolfgang von Goethe bis Nina Hagen.

Stimmlich und musikalisch ist dieser Abend sehr stark. Aron Stiehls Inszenierung, in der von großer Traurigkeit, finsteren Spießertum bis hin zum Rausch wirklich alles zu sehen ist, trägt in jeder Szene.  Das Publikum am Premierenabend ist völlig aus dem Häuschen. Zurecht.

 

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