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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Und was auf der Straße passiert…

Streetlife und Streetart

von Walter H. Krämer

In dem Buch „Rebellin der Straße. Weiblich und Wohnungslos“ (Verlag Rowohlt) spricht eine mittlerweile 60-jährige als ehemalige Leidensgenossin zu den Frauen, detailreich und mitreißend in einer einfachen Sprache und berichtet eindrücklich von ihrem Leben, ihrem Engagement und über das Versagen der Politik beim Thema Wohnungslosigkeit. Für das Schreiben des Buches holte sie sich Hilfe und Unterstützung bei dem Kölner Journalisten Albrecht Kieser. Linda Rennings, selbst einst obdachlos, kämpft heute für Frauen auf der Straße. Mit ihrem Verein „Heimatlos in Köln“ bietet sie konkrete Unterstützung für den harten Alltag.

Bilder einer neuen Obdachlosigkeit, Collage von Walter H. Krämer

Ihr schonungsloser Bericht steht exemplarisch für die Erlebnisse vieler Frauen, die auf der Straße besonderen Gefahren ausgesetzt sind. Wir als Leser / Leserin haben durch die Lektüre die Möglichkeit, den täglichen Kampf der steigenden Zahl obdachloser Menschen wirklich zu verstehen und vielleicht unserer Sichtweise auf diese Menschen und ihr Schicksal zu hinterfragen.

Laut einem Bericht der Bundesregierung waren zum 31. Januar 2022 rund 263.000 Menschen wohnungslos / vorübergehend ohne Bleibe. Die Zahl der Obdachlosen, also Menschen, die auf der Straße oder in provisorischen Behausungen leben, wird auf 37.400 im Jahr 2022 geschätzt. Und man kann davon ausgehen, dass die Zahlen weiter gestiegen sind.

Der derzeitige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte wiederholt, die Unterstützung für wohnungslose Menschen zu verbessern. Es gebe „Lücken im Hilfesystem, und nicht alle Hilfen kommen an“, sagte Steinmeier in einem Interview mit einer Obdachlosenzeitung.  Hilfsangebote müssten besser zugänglich gemacht und die betroffenen Menschen stärker dabei unterstützt werden, passende Angebote zu finden und zu nutzen.

Linda Rennings war eine der vielen Obdachlosen in unserer Gesellschaft und erzählt in ihrem Buch „Rebellin der Straße. Weiblich und Wohnungslos“ – gerade bei Rowohlt erschienen -, von ihren größtenteils deprimierenden und demütigenden Erfahrungen: „Das ist mir erhalten geblieben, das Wissen um den geringschätzigen Blick, das abwertende Urteil, die mangelnde Gleichberechtigung oder Wertschätzung, die unsereinem entgegenschlägt. Den Kampf, den wir zeitlebens führen müssen, wenn wir uns draußen behaupten wollen.“

Und sie erzählt von ihrem Stress nach dem Aufwachen: „Als Obdachloser bist du eigentlich auch im Stress. Du hast auch deinen Plan – deine Tagesstruktur ist nur anders. Ich fange morgens an, wenn ich wach werde. Jeder normale Bürger zu Hause im Badezimmer – was macht der, wenn er wach wird? Der geht aufs Klo, weil er muss“, sagt Linda Rennings und fährt fort: „Männer stellen sich irgendwo an einen Baum oder in eine Ecke. Unschön. Aber machbar. Dir platzt weder die Blase, noch musst du dir in die Hose machen. Frauen auf der Straße haben vor allem am Morgen dieses Problem: Wo kann ich in Ruhe meine Notdurft verrichten?“

Auch das ist eine neue Realität in Frankfurt, Collage: Walter H. Krämer

Fast eine halbe Million Menschen in Deutschland haben keine Wohnung. Was besonders für Frauen gefährlich werden kann – sind sie doch besonderen Schwierigkeiten und Bedrohungen ausgesetzt: zum Beispiel der Gewalt durch Männer, und der Gefahr, von Zuhältern abhängig gemacht und ausgebeutet zu werden.

Obdachlos geworden durch Krankheit, einhergehend mit dem Verlust ihres Jobs. Keine Arbeit bedeutete kein Geld mehr für Mietzahlungen und als Folge die Räumung aus ihrer Wohnung. Plötzlich stand sie auf der Straße und ein langer Leidensweg begann. Ein fast klassischer Weg in die Obdachlosigkeit.

Ihre Mutter konnte sich nicht um sie kümmern, den Vater hat sie nie kennengelernt. Deshalb wuchs sie größtenteils bei ihrer Großmutter auf und weil die Großmutter sich durchschlagen musste, war die Enkelin häufig auf den Straßen der Stadt unterwegs. Sie streifte durch Mülheim, „im Sommer haben wir uns von den Obstbäumen in den Gärten bedient, es war schön, aber wir haben auch die Armut und das Elend gesehen“.

 Obwohl ihre Oma bettelarm war, habe sie sie wie eine Prinzessin behandelt. Kurz vor Lindas 18. Geburtstag stirbt jedoch ihre Oma. Erst bei der Beerdigung am Dünnwalder Friedhof habe sie verstanden: „Die kommt nicht wieder. Oma ist tot.“ Nach der Beerdigung saß Linda Rennings stundenlang vor dem Grab. „Oma war doch der einzige Mensch, den ich hatte. Ansonsten war ich ja als Kind schon obdachlos.“

Jahre später, als sie nach einer gescheiterten Ehe mit einem gewalttätigen Partner auf der Straße landete, schlief sie für rund eineinhalb Jahre auf dem Friedhof, ganz in der Nähe des Grabs ihrer Oma. „Da, und nur da“, sagt sie, „habe ich mich sicher gefühlt“.

Clayd, eine Mischung aus Collie, Husky und Schäferhund, ist seit 13 Jahren an ihrer Seite. „Für Menschen, die niemanden haben, sind Hunde überlebenswichtig, gerade für Frauen“, sagt sie. „Auf der Straße schützen Hunde vor Räubern und vor sexuellen Übergriffen.“

To whom it may concern, Collage von Walter H. Krämer

Das Buch habe sie nicht alleine für sich geschrieben, sondern vor allem dafür „dass das Thema obdachlose Frauen wieder in die Gesellschaft, in die Medien, in die Öffentlichkeit getragen wird“.

Linda Rennings wohnt heute wieder in einer Wohnung und vermisst gleichzeitig manchmal die vermeintliche „Freiheit“ der Straße. Sie und der von ihr gegründete Verein „Heimatlos in Köln“ unterstützt Frauen, die auf der Straße leben und die von der Gesellschaft ihrer Meinung nach noch viel stärker übersehen werden als obdachlose Männer.

Sie wünscht sich eine Wärmestube, ein mobiles Beratungsangebot und ein Nähcafé für obdachlose Frauen. Begleitet Menschen u.a. bei Behördengängen und ist mit ihrer Jacke, auf der fett „Streetworker“ steht, Ansprechpartnerin für die Wohnungslosen am Wiener Platz in Köln.

Das Buch

Linda Rennings

Rebellin der Straße

Weiblich und wohnungslos

Mitwirkung von: Albrecht Kieser

Rowohlt Taschenbuch,

14 Euro

 

 

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