„Carol Rama“ – Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt
Passend zur diesjährigen Buchmesse und deren Gastland Italien zeigt die Schirn Kunsthalle eine Retrospektive der Turiner Künstlerin Carol Rama.
Von Corinne Elsesser
Ein internationaler Durchbruch ließ lange auf sich warten. Erst eine 1998 von Maria Cristina Mundici organisierte Ausstellung im Stedelijk Museum in Amsterdam, die anschließend im Institute of Contemporary Art in Boston zu sehen war, machte die vielseitige und oft provozierende Künstlerin Carol Rama international bekannt. An der 50. Biennale di Venezia erhielt sie 2003, mit immerhin schon 86 Jahren, den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.
Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Olga Carolina Rama wurde 1918 in Turin geboren, wuchs in bürgerlichem Milieu auf – der Vater führte eine mittelständische Firma für Autoteile – schrieb sich in den 1930er Jahren an der Accademia Albertina di Belle Arti di Torino ein, schloss ihr Kunststudium jedoch nicht ab. 1943 bezog sie eine Dachgeschosswohnung in der Via Napione, wo sie bis zu ihrem Tod 2015 lebte. In ihren über siebzig Schaffensjahren griff Rama verschiedene Kunstströmungen auf, blieb dabei aber immer eigenständig und dem Kunstmarkt gegenüber distanziert. Sie war mit Literaten, Komponisten und Architekten befreundet und fand einen ihrer frühen Förderer in dem Galeristen Felice Casorati, der ihr 1947 eine erste Einzelausstellung in Turin ausrichtete.
Übersichtliche Biographie der Künstlerin, Foto: Petra Kammann
Nun ist in der Schirn Kunsthalle eine von Dr. Martina Weinhart kuratierte und in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bern entwickelte Retrospektive als erste umfassende Gesamtschau Carol Ramas in Deutschland und – anschließend – in der Schweiz zu sehen.
Blick in den Raum der „Aquarelli“, Foto: Petra Kammann
Im ersten Raum begegnen dem Betrachter Gemälde in intensiven Rottönen aus verschiedenen Schaffensphasen, die bereits einige der Provokationen bereithalten, für die Rama steht. Insbesondere sind dies die anschließend gezeigten, zwischen 1936 und 1946 entstandenen, in zarten Wasserfarben gemalten „Aquarelli“. In ihrer erotisch-obszönen Thematik verstörten sie in jener Zeit wie auch noch heute, zeugen aber von einer Freiheit, die sich die junge Künstlerin nahm. Einschnitte in ihrem Leben dienen als Referenz, wenn der Vater im Zuge der Weltwirtschaftskrise seine Firma verlor, die Familie in die Armut stürzte, die Mutter sich in eine Nervenheilanstalt einliefern ließ. Als Rama die Zeichnungen 1945 in Turin ausstellen wollte, wurde die Ausstellung auf polizeiliche Anordnung hin noch vor der Eröffnung geschlossen. Zu anstößig waren ihre Themen wie Vulva, Masturbation, herausgestreckte Zungen, amputierte Körperteile, Prothesen. Erst 1978 konnten sie in der Turiner Galleria Martano gezeigt werden und zuletzt noch einmal 2022 an der 59. Biennale di Venezia.
Portraits und Figurendarstellungen in Öl aus den frühen Jahren sind reduziert auf minimale Konturen („Sguardo“, „Senza Titulo“, beide 1947) oder ganz in Auflösung begriffen („Senza Titulo“, 1944/45). Von hier findet Rama zur Abstraktion und schließt sich 1953 dem in Mailand von Gillo Dorfles, Bruno Munari und anderen gegründeten „Movimento per l’Arte Concreta“ (MAC) an. Sie malt jetzt feine abstrakte, lyrisch anmutende Bilder, 1954 „La linea di sete“, 1959 „Composizione“. Doch bald verlässt sie die Künstlergruppe wieder, ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit waren ihr zu wichtig.
Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann
In den 1960er Jahren verdichtet sie abstrakte Materialbilder zu „Bricolages“, die reliefartig in den Raum ausgreifen. Der von dem Ethnologen Claude Lévi-Strauss in „Das Wilde Denken“ etablierte Begriff „bricolage“ war von Ramas Freund, dem Schriftsteller Edoardo Sanguineti, 1964 mit ihrem Werk in Verbindung gebracht worden. Alltägliche Objekte werden in die Gemälde integriert und mit kunstfremden Materialien wie Klebstoff, Emaille, Sprühfarbe experimentiert. Robert Rauschenberg, der 1964 auf der Biennale prominent vertreten war, könnte hier Anregung gewesen sein.
Blick in die Ausstellung und auf das Fotoportrait von Carol Rama, Foto: Petra Kammann
Eine Reihe eindrucksvoller schwarzer Bilder lässt ebenfalls an amerikanische Künstler wie Rauschenberg oder Ad Reinhardt denken. „Riso Nero“ von 1960 zum Beispiel besteht aus einer monochromen, von Reiskörnern strukturierten schwarzen Fläche. In „Senza Titulo“ (1968) blicken künstliche Augäpfel aus einer abstrakten Form aus Klebstoff auf schwarzem Grund. Einen weiteren Höhepunkt bilden die „Gomme“, minimalistische Collagen aus Auto- und Fahrradschläuchen und informelle Kompositionen mit Gebrauchsobjekten. Eine Hommage vielleicht an den Vater und dessen beruflichen Bezug zu Reifen und zum Handwerklichen. Verschiedenfarbige, teils ausgebleichte Fahrradschläuche sind flachgewalzt auf die Leinwand montiert („Spazio anche piu che tempo“, 1970) oder im Bündel an groben Haken vor der Bildfläche aufgehängt („Definizione d’usura“, 1977).
Um 1980 greift Rama die Figuration ihrer frühen Arbeiten auf Papier wieder auf. Nun sind es mythologische Figuren, die in Verbindung mit „objets trouvés“ auf technischen Zeichnungen oder Stadtplänen als Bildgrund erscheinen („Mappa e pittura“, 1983).
Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Zwei großformatige Bilder aus dem Spätwerk runden den Ausstellungsparcours ab. „Esotica (II)“ mit einigen in Öl ausgeführten schuppenartigen Objekten neben einer roten Schlangenhaut, und „Ostentazione“, schematisierte Frauenfiguren auf einer technischen Konstruktionszeichnung, die von einem Bündel rudimentär auf die Leinwand montierter Bastfäden flankiert werden.
Carol Rama. Rebellin in der Moderne
Kunsthalle Schirn
Römerberg, 60311 Frankfurt
Bis 2. Februar 2025