Buchmesse 2024 Ehrengastland Italien: Das Städel präsentiert große Meister der Zeichenkunst des italienischen Barock
Faszinierende Zeichnungen der Graphischen Sammlung von Carracci bis Bernini
Von Hans-Bernd Heier
„Radici nel Futuro“ – „Verwurzelt in der Zukunft“ lautet das Motto des diesjährigen Gastland Italien. Parallel dazu zeigt das Städel Museum unter dem Titel „Fantasie und Leidenschaft: Zeichnen von Carracci bis Bernini“ die 90 schönsten italienischen Barockzeichnungen aus dem eigenen kostbaren Bestand. Die mit Feder und Pinsel, schwarzer Kreide oder Rötel ausgeführten Blätter der großen Meister der Zeichenkunst des italienischen Barocks sind Skizzen, Studien oder präzise Einzelwerke. Sie beeindrucken durch ihre schwungvolle Linienführung, ihr dramatisches Hell-Dunkel und ihre außergewöhnliche Ausdruckskraft. Die Hälfte der Blätter wird erstmals öffentlich ausgestellt.
Ferdinando Galli da Bibiena, Werkstatt Säulenhalle, links ein Portal, frühes 18. Jh., Feder, braun und blau laviert; Städel Museum
Das 17. Jahrhundert war in Italien eine Zeit der Veränderungen. Die Kunst des Barock setzte auf Bewegung und Dynamik, Kontraste und das Spiel von Licht und Schatten. Diese Merkmale sind nicht nur in den Gemälden und Skulpturen, sondern auch in den Zeichnungen der Zeit zu entdecken. Die Künstler studierten Einzelmotive, Figurengruppen, Haltungen, Gewänder und Bewegungsabläufe. Sie zeichneten nach der Natur, entwickelten komplexe Bilderzählungen und schufen Entwürfe für großformatige Werke. Die emotionale Bandbreite reicht von zarten und intimen bis hin zu expressiven und teils auch grausamen Darstellungen.
Gian Lorenzo Bernini „Männliches Porträt im Dreiviertelprofil nach rechts“, ca. 1635, schwarze und weiße Kreide, Rötel, auf braun präpariertem Papier; Städel Museum
Mit ihren Zeichnungen schufen die Barock-Künstler nicht nur die Grundlagen für ihre Gemälde, Skulpturen oder Druckgrafiken, sondern stellten auch die Eigenständigkeit des Mediums unter Beweis. „Die beindruckende Schau wendet sich damit einem Medium zu“, wie Städel-Direktor Dr. Philipp Demandt in dem profunden Begleit-Katalog schreibt, „das für viele im Schatten der prächtigen Ausstattungsprojekte und großformatigen Gemälde der Barockzeit stehen mag, dem aber schon in der Entstehungszeit ein besonderes Interesse von Künstlern, Kunstkennern und Sammlern galt“. Die Sammlungsleiterin für die Graphische Sammlung bis 1800 im Städel Dr. Astrid Reuter ergänzt: „Die Faszination der Zeichenkunst liegt in der Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten. Betrachtend werden die Besucherinnen und Besucher Zeugen eines kreativen Prozesses, der von der beiläufigen Skizze bis zum ausgearbeiteten Werk reicht. Im Umgang mit Kreide, Feder oder Pinsel zeigt sich die Sicherheit der künstlerischen Ausführung, wird aber auch das Zögern, Verwerfen und Neubeginnen sichtbar“.
Giovan Gioseffo dal Sole „Madonna mit dem Kind“, um 1700 (?),Öl auf geripptem Büttenpapier; Städel Museum
Die Ausstellung ist nach den wesentlichen geografischen Zentren und Schulen der barocken Zeichenkunst Italiens geordnet. Die beiden wichtigen Kunstzentren Bologna und Rom sind mit zahlreichen Werken vertreten, ihnen folgt Florenz, während Genua, die oberitalienische Region Marken und Neapel nur anhand weniger Beispiele vorgestellt werden. „Durch eine offene Ausstellungsarchitektur wird ein inspirierender Dialog zwischen den verschiedenen Schulen sowie ein Vergleich der künstlerischen Ausdrucksformen und Techniken und dargestellten Themen möglich“, so die Kuratorin. Nicht berücksichtigt ist diesmal Venedig, dem 2006/2007 eine eigene Ausstellung „Von Tizian bis Tiepolo. Die venezianischen Zeichnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts aus der Graphischen Sammlung im Städel Museum“ gewidmet war.
Die Zentren und die einflussreichsten Künstler sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden: Bologna gilt bis heute als eines der bedeutendsten Zentren der italienischen Barockkunst. Hier wirkten die Brüder Annibale und Agostino Carracci sowie ihr Cousin Ludovico, die mit ihrer „Accademia degli Incamminati“ (Akademie der auf den rechten Weg Gebrachten) eine Reform der Kunst einleiteten. In Abgrenzung von den Manierismen der zeitgenössischen Kunst strebten sie nach größerer Wahrhaftigkeit und rückten das Naturstudium ins Zentrum ihrer Tätigkeit. Neben den Carracci war Guercino einer der produktivsten Zeichner in Bologna. Seine einfühlsame Ausdruckskunst wurde von Johann Friedrich Städel, dem Begründer von Frankfurts bekanntesten Museum, besonders geschätzt, wie die große Zahl der Erwerbungen von einst dem Künstler zugeschriebenen Werken zeigt.
Christofano Allori „Studie eines Knabenkopfes mit Schirmmütze,“ um 1600, zwei verschiedene Rötelkreiden über Spuren von Kohle auf wohl mit Kreide weiß präpariertem Büttenpapier; Städel Museum, Schenkung der Stiftung Gabriele Busch-Hauck
Größe und Schönheit der Stadt Rom verwiesen auf die päpstliche Vormachtstellung in der Welt. Im 17. Jahrhundert wurden enorme Summen in die Errichtung und Ausstattung von Kirchen und Palästen investiert und die besten Künstler für die Ausführung der Kunstwerke angelockt. Die Stadt war eine riesige Baustelle. Architekten, Maler und Bildhauer strömten aus ganz Italien und aus vielen Ländern in die Kunstmetropole.
Zu den herausragenden Künstlern dieser Zeit zählt Gianlorenzo Bernini, der aus Neapel stammte und durch die Förderung der Herrscherfamilie Barberini zu Ruhm gelangte. Sein Männliches Porträt im Dreiviertelprofil nach rechts zeigt einen selbstbewussten jungen Mann. Dieses Porträt verdeutlicht, dass Bernini, der heute vor allem als Bildhauer und Architekt bekannt ist, auch als Zeichner überzeugte. Ähnlich erfolgreich wie Bernini war auch der aus der Toskana stammende Pietro da Cortona. Die breite Wirkung seiner auf Pathos und Bewegung zielenden Kunst zeigt sich auch im Werk zahlreicher Künstler seines Umkreises.
Annibale Carracci „Ruhende Venus“, um 1602, Feder und Pinsel in Braun über schwarzer Kreide, mit weißer Kreide gehöht, auf blauem Büttenpapier; Städel Museum
In Florenz erlangte die Zeichenkunst bereits im 16. Jahrhundert unter dem Einfluss von Giorgio Vasari (1511 – 1574) große Bedeutung. Er gehörte zu den Mitbegründern der ersten Akademie – der „Accademia del Disegno“ –, die den Grundstein für die Künstlerausbildung in Rom, Paris und an anderen Orten legte. Gefördert von der einflussreichen Familie der Medici schufen Künstler wie Jacopo da Empoli und Stefano della Bella meisterhafte Werke. Zu den besonders einfühlsamen Werken gehört Cristofano Alloris Studie eines Knabenkopfes mit Schirmmütze (um 1600), dessen offener und leicht fragender Blick den Betrachter sofort in den Bann zieht.
Die oberitalienische Region Marken weist vielfältige künstlerische Einflüsse auf und hatte mit Urbino bereits in der Renaissance ein wichtiges Kunstzentrum. Sie ist in der präsentierten Auswahl lediglich durch einen Künstler vertreten: Filippo Bellini, dessen ausschließlich religiösen Werke sich durch ihren klaren Aufbau, eine ausdrucksstarke Gestik und emotionale Eindringlichkeit auszeichnen.
Die Republik Genua wurde im 17. Jahrhundert „La Superba“ – die Prächtige – genannt. Hier entstanden große Paläste, und die Kunst der Stadt erlebte einen regen Austausch mit anderen europäischen Regionen. Von der produktiven Kunstszene Genuas zeugen die Werke Giovanni Benedetto Castigliones, friedvolle Szenen eines harmonischen Miteinanders von Mensch und Tier in der Natur. „Castiglione nutzte“, Reuter zufolge, „eine eigenwillige Technik: Er feuchtete den Pinsel mit Leinöl an, bevor er ihn in das Pigment tauchte. Dies erzeugte eine besondere Wirkung auf dem Papier, da die Ränder der Striche leicht verwischten und durch die unterschiedliche Transparenz und Deckkraft des Pinselauftrags eine besondere Tiefe entsteht“.
Ausstellungsansicht „Fantasie und Leidenschaft“; Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz
Unter der Herrschaft der spanischen Vizekönige entwickelte sich Neapel im 17. Jahrhundert zur drittgrößten Stadt Europas. Der Spanier Jusepe de Ribera, der 1616 nach Neapel kam und zum Hofmaler des spanischen Gouverneurs ernannt wurde, prägte die Kunstszene. In seiner Werkstatt lernten einige der bedeutendsten neapolitanischen Maler der Zeit. Zu den eigenwilligsten Künstlerpersönlichkeiten gehörte Salvator Rosa. Er war ein leidenschaftlicher Zeichner, dessen unerschöpfliche Fantasie in unzähligen Skizzen lebendig wird.
Die wissenschaftliche Bearbeitung der Zeichnungen wurde ermöglicht durch die großzügige Förderung der Frankfurter Stiftung Gabriele Busch-Hauck. Im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts konnten zahlreiche neue Erkenntnisse zu einzelnen Künstlern und ihrer Arbeitsweise, zu den dargestellten Themen und verwendeten Techniken sowie zeitgenössischen und späteren Sammlern gewonnen werden. „Pünktlich zum Ehrengastauftritt Italiens auf der Frankfurter Buchmesse freuen wir uns, diese Auswahl herausragender Werke der Zeichenkunst des italienischen Barocks der Öffentlichkeit vorzustellen“, freut sich Demandt.
Die Schau „Fantasie und Leidenschaft: Zeichnen von Carracci bis Bernini“, die uns noch einmal den reichen Zeichnungsbestand des Städels ins Bewusstsein ruft, ist bis zum 12. Januar 2025 im Städel in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung zu bewundern; weitere Informationen unter: