„Die Kunst, Erlebnisse zu erfinden. HOFMANNSTHAL. SZENEN“ im Deutschen Deutschen Romantik-Museum
Fäden spinnen und Imaginationsräume inszenieren
Von Walter H. Krämer
Noch bis zum 12. Januar 2025 ist die Ausstellung „Die Kunst, Erlebnisse zu erfinden. HOFMNNSTHAL. SZENEN“ – kuratiert von Katja Kaluga und Konrad Haumann – im Deutschen Romantik Museum Frankfurt zu sehen. Sie beschließt das 150jährige Jubiläumsjahr von Hugo von Hoffmannsthal (1874-1929). In 14 Szenen wird Hofmannsthals poetisches Verfahren in der Frankfurter Ausstellung vorgestellt. Dabei steht seine Arbeitsweise – das Verweben von Texten, Motiven und Gattungen – im Zentrum. Hoffmannsthal entwirft keine geschlossenen Werke, sondern Szenen, die auf unterschiedliche Weise Gestalt annehmen können: als durchgeplanter Theater- oder Opernabend, als Essay in einer bestimmten Zeitschrift, als Pantomime, als Film oder als Festival.
Ausstellungseröffnung: Begrüßung durch die Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts, Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, Foto: Alexander P. Englert
Grundlage der Ausstellung ist Hoffmannsthals Nachlass, der zu großen Teilen im Freien Deutschen Hochstift verwahrt wird. Auf dem Weg in das Untergeschoss des Museums, den Ernst Max von Grunelius-Saal, begegnet man einem Zitat von Hugo von Hofmannsthal aus dem Jahre 1905
Annäherung an Hoffmanntsthals Denkweise: immer der Spur des zarten Fadens nach, Foto: Petra Kammann
Dieses Zitat, so der Kurator Konrad Haumann, legt eine Spur für den Zugang zur Ausstellung. Wir – gemeint sind also auch wir als Besucher und Besucherinnen – sind existenziell bedroht, stehen am Abgrund und können uns nur daraus befreien, indem wir geistige Fäden legen, uns unsere Wirklichkeit erzählend selbst gestalten: was wäre gewesen, wenn … Es geht also – und darin ist Hofmannsthal ein wahrer Meister und Könner – um für die Kunst, Erlebnisse zu erfinden, einen eigenen poetischen Raum zu erschaffen. Besonders eindrucksvoll – neben seinen Theaterarbeiten – sind hier Briefe an seine Eltern und seine spätere Frau Gerty.
Brief vom 23-jährigen Rainer Maris Rilke an Hofmannsthal, Foto: Freies Deutsches Hochstift
„Frisch ausgepackt“ ist gedacht als Prolog zur Ausstellung und ein Hinweis darauf, dass es noch im Jahr 2024 gelungen ist, zwei Originalbriefe käuflich zu erwerben. Beide Briefe beziehen sich auf das gleiche Ereignis – nämlich auf eine Aufführung am Wiener Burgtheater am 18. März 1899. Der eine Brief ist von Rainer Maria Rilke, der 23jährig aus Prag angereist war, um diese Aufführung zu sehen und von rauschhafter Begeisterung spricht (Frisch ausgepackt / In Angst und Andacht) und der andere von Hugo von Hofmannsthal an Karl Kraus (Frisch ausgepackt / „Herr Kraus, ich trinke nicht aus fremden Gläsern“),
Damit zeigt sich, dass die Arbeit mit und für Hugo von Hofmannsthal eine nicht enden wollende Geschichte ist und auch bleiben wird.
Einblicke in die Biographie durch die dreidimensionale Stereoskope; Foto: Alexander P. Englert
Biografische Hinweise und Lebensdaten dürfen – so ein ungeschriebenes Gesetz – in keiner Ausstellung fehlen. Die beiden Kuratoren haben sich hier für einen „biografischen Tunnel“ entschieden: entlang einer Bilderwand, bestückt mit vielen auch seltenen und noch nie gezeigten Fotos, blickt man in einzelne Lebensstationen des Künstlers.
Eine durchaus vergnügliche und informative Sicht auf Lebensdaten. So sieht man beispielsweise mittels Brille Hugo von Hofmannsthal dreidimensional im Salon des gemieteten Landhauses in Rodaun mit Möbeln des 18. Jahrhundert. Im Hintergrund Gerty von Hofmannsthal in der Türe zum Schlafzimmer. Die Stereoskopie (Raumbild) macht’s möglich.
Stereoskopie: Hugo und Gerty von Hofmannsthal im Salon ihres Landhauses in Rodaun bei Wien, um 1902 (Freies Deutsches Hochstift)
Auch ein Foto von der Beerdigung seines Sohnes Franz (1903-1929) ist zu sehen. Nur die beiden Geschwister Christiane (1902-1987) und Raimund (1906-1974) konnten daran teilnehmen. Hofmannsthal selbst verstarb am gleichen Tag, dem 15. Juli 1929, nach einem zweiten Schlaganfall im Beisein seiner Frau Gerty.
Daneben lernt man dank zweier kurzer Filmsequenzen den Künstler auch in Bewegung kennen. Sie wurden erst kürzlich entdeckt und dem Museum zur Verfügung. In der ersten Filmsequenz zieht Hofmannsthal den Hut – fast wie zur Begrüßung der Besucher*innen seiner Ausstellung – und die andere zeigt ihn entspannt inmitten von Freunden und Förderern der Salzburger Festspiele.
Bevor es dann in den eigentlichen Ausstellungsraum geht, noch kurz Abstecher in den Studienraum mit den 42 Bänden und rund 28.500 Seiten der kritischen Hofmannsthal Ausgabe: „Eine Zeit muß vergehen, hier bleiben kann ich nicht, aber wieder kommen kann ich, dachte er, und bald als der gleiche und als ein anderer.“ (Zitat aus dem unvollendeten Roman „Andreas“ von 1913)
Blick in die Ausstellung, die nach Themen aufgebaut ist, Foto: Petra Kammann
Der eigentliche Ausstellungsraum – ein Mittelding zwischen Archiv und Bühnenraum – beinhaltet 14 Stationen und einen Epilog. Alle beschäftigen sich in unterschiedlicher Weise mit dem Leben und Werk Hofmannsthal. Es sind Mosaiksteine seines Lebens, die man als Besucher eigenständig zusammensetzen kann:
Szene 01 / Schloss Fürchtezwist – Szene 02 / In dem Wien des Canaletto – Szene 03 / Adler, Lamm und Pfau – Szene 04 / Moderne und Ornament – Szene 05 / O Gerty, greifen sie zur Feder – Szene 06 / Elektra! Elektra! – Szene 07 / Heilung durch van Gogh – Szene 08 / Import/Export – Szene 09 / Quellen der Kunst, Schutzgeister des Lebens – Szene 10 / Produktionsgemeinschaft „Rosenkavalier“ – Szene 11 / Arbeit an der Instabilität – Szene 12 / Reclame-Comitée – Szene 13 / Konservative Revolution – Szene 14 / Kassiert, annulliert, ausgelöscht – Epilog / Gerty von Hofmannsthal im Exil.
Beginn der Ausstellung mit „Schloss Fürchtezwist“, Foto: Alexander P. Englert
Es sind jeweils große Stellflächen in Form einer Karteikarte. An der Vorderseite eine Vitrine mit Originaldokumenten, die transkribiert die Besucher in die Hand nehmen können. Auf der Rückseite in Großformat ein Aspekt der Geschichte, die auf der Vorderseite entworfen wird. So beispielsweise das Elternhaus in der Salesianergasse 12 in Wien, die Ehefrau Gerty lebensgroß oder ein Bild aus dem Film “Der Rosenkavalier“. So ergänzen sich Archiv und Bühne.
Die Beziehung zu den Eltern – besonders zur Mutter – muss man als symbiotisch bezeichnen. Erhalten sind mehr als 1.700 Briefe an die Eltern, in denen Hugo sich in andere Welten hineinphantasiert, um der bedrückenden Nähe und Enge der Familie zu entkommen. Auch mit seiner späteren Ehefrau Gerty unterhielt er einen lebhaften Briefwechsel. Dieser umfasst insgesamt 973 Briefe – wovon allerdings nur 110 von Gerty stammen, die sich darin ebenfalls als eindrucksvolle Schreiberin erweist. Geschuldet ist der ausführliche Briefwechsel auch der Tatsache, dass Hugo von Hofmannsthal häufig fern von seiner Familie unterwegs war. Und ihm das Briefe schreiben die Möglichkeit bot, sich Geschichten auszudenken.
Die beiden Ausstellungskuratoren Konrad Heumann und Katja Kaluga vor dem Plakat der Salzburg-Werbung, Foto: Petra Kammann
Es ist für Hofmannsthal existentiell, Zeitebenen zu überblenden und seine Texte an ein konkretes Publikum zu adressieren. Seien es persönliche Briefe, Essays oder Theaterstücke. Hoffmannsthal denkt das Publikum immer mit. Es geht ihm – insbesondere auch für die Salzburger Festspiele – darum, für Künstler und Publikum eine „vorübergehende Heimat“ zu kreieren.
Bücher und deren Lektüre sind für ihn, wie er seinem Buch „Der Tisch der Bücher“ schreibt, eine Möglichkeit, „dem Kerker des eigenen Ichs zu entfliehen“; gleichzeitig sind sie Auslöser und Ideengeber seiner künstlerischen Produktivität.
Grafische Entwürfe für „Elektra“, die das Erscheinungsbild prägen, Foto: Petra Kammann
Bezogen auf die Theaterarbeit des Dichters zeigt die Ausstellung beispielhaft die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Max Reinhardt und dem Komponisten Richard Strauss. Diese Zusammenarbeit mit den Theaterleuten wird zunehmend ein wichtiger Teil seiner Autorenschaft.
Mit der Uraufführung der „Elektra“ 1903 begann eine Zusammenarbeit, die nicht nur für Hofmannsthals schriftstellerische Existenz bedeutend war, sondern in gleichem Maße die künstlerische Tätigkeit des Regisseurs Max Reinhardt beeinflusste.
In der Rolle der Elektra glänzte und verausgabte sich die Schauspielerin Gertrud Eysoldt durch ihr sehr körperbetontes und expressives Spiel. Eine Spielweise, die heute kaum noch auf deutschen Bühnen zu sehen ist. Eine Ausnahme bildet hier allerdings die Schauspielerin Lilith Stangenberg in ihrer Rolle als Antigone am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Eine expressive und beeindruckende Performance mit starker Bühnenpräsenz.
Kritiken der expressiven Schauspielerin Gertrud Eysoldt, Foto: Petra Kammann
Der Bühnenraum war für Hofmannsthal nie nur eine dekorative Kulisse, sondern ein äußerst lebendiger Akteur, der emotionale Zustände auszudrücken vermag. Zur Realisierung seiner „Bühne als Traumbild“ arbeitete Hofmannsthal eng mit Regisseuren wie Max Reinhardt, mit Künstlern und Bühnenbildnern wie Alfred Roller oder Oskar Strnad und mit dem Komponisten Richard Strauss zusammen.
In seinen szenischen Vorschriften hielt der Dichter minutiös seine Vorstellungen von Bühnenbild und Kostümen fest.
Roller publizierte im Verlag Fürstner Vorlagen zu Bühnenbildern, Kostümen und Dekoration. Sie waren für sämtliche Opernhäuser verbindlich und prägten das Erscheinungsbild dieser Oper zumindest bis in die 1970er Jahre. Erst danach lösten sich Regisseure und Regisseurinnen von den Vorgaben und setzten neue Akzente – nicht immer zur Begeisterung von Zuschauer*innen, die sich an der alten Form erfreut hatten.
Höhepunkt der Zusammenarbeit dieser drei Künstler (von Hofmannsthal, Strauss und Roller) war die Entstehung von Strauss‘ populärster Oper „Der Rosenkavalier“.
Eindrucksvoll dokumentiert die Ausstellung die Arbeit am inszenierten Raum als einen symbolischen Raum, der Ideen und Inhalte transportiert. Exemplarische Bühnenbildentwürfe und Kostümfigurinen von Alfred Roller zur Oper „Der Rosenkavalier“, sowie Korrespondenzen zwischen Hofmannsthal, Richard Strauss und Alfred Roller unterstreichen dies eindrucksvoll.
Zusammen mit dem Theatermacher Max Reinhardt und dem Operndirektor Franz Schalk bemühten sich Hofmannsthal und Strauss ab 1917 um die Einrichtung eines jährlichen Theater- und Opernfestspiels. 1920 war es dann soweit, und die Salzburger Festspiele konnten zum ersten Mal stattfinden. Damit das Festival auch erfolgreich starten und beim Publikum auf Resonanz stoßen, wurde ein wahres Medienpaket aus Zeitungsartikeln, Interviews, Beiträgen in Fachzeitschriften, Vorträgen und Reklamebildern geschnürt.
Auch ein dunkles Kapitel: Gretys Situation im Exil, Foto: Alexander P. Englert
Aber auch die dunklen Seiten der Geschichte thematisiert die Ausstellung. Da ist einmal Hoffmannsthal Mitarbeit im Deutschen Kulturbund und seine Gedanken zu Sprache und Nation, die sich die Nationalsozialisten zu eigen machten und Hofmannsthal zu einem der ihren erklärten, und auf der anderen Seite die Verfolgung und Vertreibung seiner Frau Gerty nach Hofmannsthals Tod im Jahre 1929.
Insgesamt eine eindrucksvolle Ausstellung, die viele Facetten im Leben und Werk des Dichters „anspielt“ und mit den Besuchern in einen Dialog tritt – im Wechsel zwischen Archiv, Studierzimmer und Bühne.
Eine spezielle Führung gibt es mit Katharina Schaaf als „Rosenkavalier“, Foto: Walter H. Krämer
Der Ausstellungsraum gedacht als theatraler Raum mit einzelnen Szenen als verdichtete Augenblicke. In diesem Zusammenhang sei die Theaterführung mit Katharina Schaaf als „Rosenkavalier“ empfohlen: mit einer seiner Theaterfiguren auf den Spuren des Dichters – ein sinnliches und erkenntnisreiches Vergnügen.