Der Paulsplatz in Frankfurt: so oder so oder so …
Anmerkungen zu einem neuen Architekten-Vorschlag
Von Uwe Kammann
Ein Haus der Demokratie als Ergänzung der Paulskirche: Was dieses „Lieblingswohlfühlprojekt“ (FAZ) von Ex-OB Feldmann nicht alles ausgelöst hat. Ersonnen wurde es vor gut sechs, sieben Jahren, als die Sanierung der Paulskirche anstand. Realisiert hat sich seither konkret: nullkommanichts.
Paulskirche, Paulsplatz und Kämmerei, aus: Deutsches Architektumuseum (DAM), Ein Denkmal unter Druck (2019), Foto: Moritz Bernoully
Weder wurde die Paulskirche im letzten Jahr zumgefeierten 125jährigen Jubiläum der Nationalversammlung bauseits saniert und technisch ertüchtigt, noch hat sich irgendetwas Konkretes beim Projekt des Demokratiehauses ergeben – außer einer weit aufgefächerten Kontroverse. Die extremen Eckpunkte dabei: eine dringend benötigte, per Anschauung wirkende Stärkung der Demokratie auf der einen Seite; auf der anderen hingegen: das Ganze ist nichts als ein symbolisch aufgeladenes Wolkenkuckucksheim.
Zu den Stationen der Generaldiskussion gehörte anfangs ein Totalverriss der Paulskirche aus hohem Munde. „Keine Aura“, befand (im Auftrag der damaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters) der prominente Politologe Herfried Münkler. Wahrscheinlich hatte er auch die hochpolemische Generalkritik des „Zeit“-Journalisten Benedikt Erenz verinnerlicht, der mehrfach mit wachsender Inbrunst an der bestehenden Paulskirche kein gutes Haar gelassen hatte. Es folgten weitere Einmischungen ins eigentlich Frankfurter Geschäft durch den Bund, später das Land Hessen (wobei natürlich Geldzusagen lockten). Es verschränkten sich kleinere und größere Expertenwerkstätten, unterfüttert von höchstpräsidentiellen Ermutigungen.
Das alles mündete in eine offizielle Kommissions-Expertise, die sich für ein direkt mit der Paulskirche verbundenes Haus der Demokratie aussprach, zu errichten als ‚signature architecture’ – was wohl heißen soll: als markantes architektonisches Ausrufezeichen mit aufsehenerregenden Formen (Bilbao lässt grüßen).
Historische Kulisse: Bürgerverein Demokratieort Paulskirche (mit Vorsitzender Bettina Wiesmann) diskutiert neuen Vorschlag der Architekten Till Schneider (links) und Christoph Mäckler (rechts), moderiert von Carsten Knop, Foto: Petra Kammann
In Frankfurt gründete sich unterdes ein Bürgerverein Demokratieort Paulskirche, der das Thema aus vielen Blickwinkeln umkreist, mit durchaus positiver Tendenz, was Sinn, Zweck, Ausgestaltung und bauliche Realisierung eines eigenen Hauses als ein die Paulskirche ergänzender Lernort betrifft. Aber, und dies ist sehr positiv zu sehen: Die Vorsitzende des Bürgervereins, die CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Wiesmann, betont, die Diskussion um die Zukunft des Projektes müsse und solle „breit und kontrovers“ geführt werden.
Das dies speziell beim Thema Paulsplatz der Fall ist, erstaunt nicht. Denn wenn dort, wo seit fünfzig Jahren ein streng gerasterter Platanenhain den Platz markiert, das besagte Paulskirchen-Pendant errichtet werden soll (der Kommissionsvorschlag zielt genau darauf), dann müssten die Bäume weichen. Das wäre, leicht vorherzusagen, in den Augen vieler Bürger sicher ein ökologischer Frevel, verbunden mit dominierenden Zeitgeist-Forderungen, Freiflächen nicht anzutasten und/oder tunlichst gar nicht mehr zu bauen.
Neuer Vorschlag renommierter Architekten
Sicher überraschend ist deshalb, dass zwei renommierte und in der Stadt mit prominenten und vielfach geschätzten Bauten vertretene Frankfurter Architekten – nämlich Christoph Mäckler und Till Schneider – jetzt bei einer aktuellen Veranstaltung des Bürgervereins das Thema Paulsplatz mit einem positiven Paukenschlag intonierten.
Vorgeschlagen: Ein Häuserblock zwischen Paulskirche und der dann beidseitig bebauten Straße Neue Kräme, Foto: Petra Kammann
Das Projekt Haus der Demokratie war für sie dabei dezidiert nachrangig: Es könne, wenn gewollt, auch an anderer Stelle in Nähe der Paulskirche realisiert werden. Wesentlich und vordringlich sei etwas ganz anderes: nämlich am Paulsplatz eine Stadtreparatur zu betreiben; und zwar in Form einer Bebauung des jetzigen grünen Paulsplatzes mit einem variationsreichen Häuserblock, der die Paulskirche auf der östliche Seite rahmen könne und der Neuen Kräme zwischen Berliner Straße und Braubachstrraße eine richtige Straßenfassung gäbe.
Das entspricht genau der Linie, die gerade Christoph Mäckler seit jeher vehement vertritt und die auch immer wieder im von ihm geleiteten Institut für Stadtbaukunst thematisiert wird: sich bei allen Planungen auf die so genannte Europäische Stadt zu besinnen. Zu der einige grundlegende Gestaltungsprinzipien gehören: wie beispielsweise klare Straßen- und Platzräume, gefasst durch Außenwände der umgebenden Häuser, die wiederum für die Straßen und Plätze gleichsam zu Innenwänden werden. Es geht dabei auch um erkennbare Bezugspunkte und Orientierungslinien, um eine Rhythmisierung der städtischen Raumfolgen, um kontinuierliche Raumerlebnisse mit wechselnden Volumen und Perspektiven.
Christoph Mäckler erläutert den städtischen Grundriss mit altem Paulsplatz, Foto: Petra Kammann
Bei der jetzigen Gestaltung eines offenen Paulsplatzes, so Mäckler, werde das Wechselprinzip von Enge und Weite nicht respektiert, weil die freie Fläche neben der Paulskirche in die Weite des Römerbergs übergehe, während es früher – also vor den Kriegszerstörungen – den Übergang von der engen Nord-Süd-Verbindung der Neuen Kräme zur offenen Platzform des Römerbergs gegeben habe. Der damalige Paulsplatz selbst sei viel kleiner gewesen, als Vorplatz der Paulskirche, gegenüber deren Turmportal gefasst von der Nordfassade des Rathauses.
Ein plausibler und reizvoller Bebauungsplan
Alles, was Schneider und Mäckler vortrugen, war aus städtebaulicher – und vor allem: stadträumlicher – Sicht durchaus reizvoll und plausibel. Es ging und geht ihnen nicht um eine weitere historische Rekonstruktion, wie sie mit einer Wiedererrichtung der Alten Börse verbunden sein könnte, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit weiteren Häusern Pauskirche und Neue Kräme trennte und deren Ruinenreste als Nachkriegsfolge beseitigt wurden, um auf der Brache dann ganz profan einen Parkplatz anzulegen. Ähnlich also, wie lange zwischen Dom und Römer, bevor dort ein Beton-Höckerfeld über einer großen Tiefgarage entstand, als Perspektivversprechen für eine Bebauung, die dann mit der Römer-Ostzeile (vielfach als Disneyland geschmäht) begann und mit der neuen Altstadt abgeschlossen wurde.
Vergleichsweise schlicht und in eine Häuserzeile eingebunden: die Alte Börse. Für diesen Ort schlagen Mäckler und Schneider einen kleinteiligen Häuserblock vor Archivbild
Wieder und wieder betonten die beiden Architekten, dass auf gut 10.000 Quadratmetern eine „ganz normale“ Gebäudemischung aus Wohnungen (120 könnten es sein) und Geschäften errichtet werden könne, an einem zentralen und attraktiven städtischen Ort, der sich mit der relativ kleinteiligen Umgebung verbinde. Das Argument des Baumfrevels suchte Mäckler mehrfach auszuhebeln: die derzeit in Betonringen eher schlecht wachsenden Platanen ließen sich ohne Probleme versetzen und anderswo anpflanzen.
Richtig ist ja, dass der Platanenhain einst eher eine Notlösung war, hervorgegangen aus einem städtebaulichen Wettbewerb im Jahr 1975. Den ersten Preis hatte dabei das Büro Bartsch, Thürwächter und Weber (auf ihre Autorenschaft ging auch das inzwischen abgerissene Technische Rathaus zurück) mit einem abgetreppten Gebäude um einen Innenhof gewonnen, während die zweiten Preisträger vielfältige Aktivitäten unter einer gemeinsamen Dachkonstruktion vorgesehen hatten.
Der Platanenhain als zukunftsoffene Lösung
Doch realisiert wurde schließlich der drittplatzierte Entwurf der Studentengruppe ASPLAN: eben mit ihrem Plan eines streng gerasterten Platanenhains. Allerdings, ein Element wurde gestrichen: eine ‚Wand’ aus Wasserfontänen als nördliche Begrenzung der Paulskirche zur Berliner Straße. Die Begründung für diese Anti-Stein-Lösung des dritten Preises war schlüssig: Mit der Baum-Lösung würden spätere Optionen zur Bebauung nicht verstellt.
Nicht einmal zehn Jahre später, nämlich 1983, suchte ein weiterer Wettbewerb dann nach solchen Alternativen – getrieben auch vom Wunsch des damaligen Oberbürgermeisters Walter Wallmann, nicht nur der Paulskirche eine innere und äußere Historisierung nach früherem Aussehen angedeihen zu lassen (Repräsentation!), sondern auch das direkte Umfeld aufzuwerten.
Ohne positive Entscheidung: der 1983er Wettbewerb, im Uhrzeigersinn: Bart, Thürwächter und Weber; Alexander von Branca; Jordan und Müller; Oswald Matthias Ungers; Hans Hollein; Goldapp und Klumpp; darunter das von Ungers vorgeschlagene Tor-Hochhaus über dem Theatertunnel
Illustre Namen waren beim auf sechs Büros beschränkten Wettbewerb dabei, so Hans Hollein, Alexander Freiherr von Branca, Jourdan und Müller und Oswald Matthias Ungers. Auch Thürwächter zählte zu den Eingeladenen. Wobei er wieder – wie beim Technischen Rathaus – den großen Maßstab propagierte, hier mit einem geschlossenen Block. Ansonsten aber. Es war die hohe Zeit der Postmoderne, die der Gründer des Architekturmuseums, Heinrich Klotz, damals zu seinem Herzensprojekt gemacht hatte.
Auch 1983 konnte keine Paulsplatz-Option überzeugen
Vor diesem Hintergrund entsprossen allerlei Ideen zur Umspielung der Paulskirche. Das Spektrum reichte von einem die Kirche umfangenden Kreissegment (von Branca) und einem schmalen, die Bäume bewahrenden Riegel (Jourdan und Müller) über eine Zeile aus Stadthäusern in Kombination mit einem Hochhaus über der Berliner Straße (Ungers) bis zu einer, die föderale Struktur symbolisierenden Bogenwand (Hollein) und schließlich auch bis zu einer den gesamten Platz rahmenden Mauer (Goldapp und Klumpp).
Kein Entwurf konnte überzeugen, das Ganze blieb ergebnislos. So wie auch das parallel ventilierte Ansinnen scheiterte, der Paulskirche mit innerer Galerie und einem steilen Dach über dem Oval die Charakteristika der Ursprungszeit wiederzugeben. Der strenge, auf Abstraktion und Schlichtheit setzende Wiederaufbau der Kirche durch Rudolf Schwarz war für eine große Mehrheit immer noch mit Abstand die richtige architektonische Antwort auf die Frage, wie sich die Zeitschichten erschließen und ein zukunftsweisender Aufbau darstellen ließen: als Aufgang aus der Düsternis zum Licht, zu einem erhabenen Raum der Aufklärung.
Till Schneider vor dem Plan (1861) mit äußerst dichter Bebauung – jetzt plädiert er für heutige „Körnigkeit“ im Einklang mit der Umgebung, Foto: Petra Kammann
Vor dem Hintergrund des unbefriedigenden, im Ergebnis zu disparatem, zu selbstverliebten Wettbewerbs ist der heutige Vorschlag von Mäckler und Schneider grundsympathisch. Er nimmt die Maßstäblichkeit der im Grunde schlichten Alten Börse auf, setzt eher auf unspektakuläre ‚Normalität’, bezieht sich in der kleinteiligen Baustruktur (Schneider: „Körnigkeit“) auf die Umgebung, schafft leicht erkennbare Räume, sowohl die Kirche respektvoll begrenzend, als auch die Neue Kräme nun nach altem Muster beidseitig konturierend. Das alles kann überzeugen, hat nichts mit einer auftrumpfenden Geste oder piefiger Historisierung zu tun.
Den Platz in der jetzigen Gestalt belassen
Und doch, ja, und doch: Es spricht vieles dafür, den Paulsplatz – und das ist jetzt eben unmissverständlich der heutige, bis zur Neuen Kräme reichende Platz – in seiner jetzigen Gestalt zu belassen. Das Hauptargument ist so einfach wie gewichtig: Der Platz hat jetzt, nach nunmehr einem halben Jahrhundert, seine eigene Geschichte, ist zu einem vertrauten Teil Frankfurts geworden – in einer Stadt des hektischen Um- und Neubaus durchaus ein grundpositiver Zug. Und: Er hat mit dem strengen Platanenhain eine markante Struktur und Form gefunden, ist neben der Quadratpflasterung vor der Paulskiche deutlich zu erkennen als eigenständiges, gleichwohl aber zugehöriges Element eines großzügigen Platzensembles, das mit dem Römerberg korrespondiert, nicht konkurriert. Dazu kommt, ganz einfach und nicht zu übersehen: Er wird angenommen.
Heitere Atmosphäre beim letztjährigen Paulskirchen-Jubiläumsfest, Foto: Uwe Kammann
Richtig ist natürlich, dass die jetzige Erscheinung nicht einem stadträumlichen Ideal entspricht, das durch Platzwände entsteht. So beispielsweise, wie es allenthalben und idealtypisch am Campo in Siena gerühmt wird; ein Platz, der sich auch noch dadurch auszeichnet, dass die umlaufenden Hauswände gleichmäßig aus rötlichen Ziegeln bestehen. Auch die Place Vendôme in Paris ist ein Musterbeispiel eines fest umschlossenen Platzes, dazu noch in strenger achteckiger Grundform. Allerdings, ein anderes berühmtes Patzbeispiel aus Paris hat nur eine ‚Wand’-Seite und zeigt ansonsten nur Garten- und Baum-Begrenzungen: die Place de la Concorde.
Viele Beispiele ließen sich aufführen, um zu zeigen: Auch die Europäische Stadt, wie sie Christoph Mäckler zu Recht als unübertroffenes Muster immer wieder allen Planern ans Herz legt, hat vielfältige Lösungen gefunden, die trotz der Verschiedenheit eines schaffen: räumliche Klarheit und Geborgenheit, verlässliche Orientierung und – beileibe nicht zuletzt – den Eindruck von Schönheit zu vermitteln.
Klassizistische Öffnung: die Place de la Bourse in Bordeaux, Foto: Uwe Kammann
Sicher, beim Paulsplatz wird dessen gerade im Sommer durchaus zu empfindende entspannt-heitere Anmutung durch eine ausufernde, an hässlichem Mobiliar nicht sparende Gastronomie spürbar beeinträchtigt. Aber er hat für ein nicht zahlungsüppiges Publikum durchaus auch etwas Normales, Einladendes; das gilt auch für den Weihnachtsmarkt. Und das ohne jede pädagogische Aufdringlichkeit, an diesem Ort nun Revolutions- und Demokratiegeschichte ahnen oder gar begreifen zu müssen.
Dies, apropos, ist ja ohnehin die Crux bei der scheinbar so hehren Idee eines Hauses der Demokratie als attraktiver Lernort. Denn wer kann ernsthaft annehmen, dass ein zentraler Ort, so attraktiv aufgeladen er auch sein mag, demokratisches Bewusstsein in der Fläche, im weitesten Bevölerungskreis schaffen kann? Denn klar ist doch: Formale politische Bildung beginnt in der Schule (der immer das Elternhaus vorausgeht), setzt sich fort in einer ganzen Reihe von Institutionen, nicht zuletzt den Landeszentralen und der Bundeszentrale für Politische Bildung (deren Etat gekürzt werden soll …).
Bildung ist die Grundlage demokratischen Lebens
Wenn das alles jetzt als völlig ungenügend beurteilt wird, weil die mit diversen und noch zunehmenden Zentrifugalkräften konfrontierte moderne Gesellschaft an vielen Stellen auseinanderdriftet, dann ist die Antwort mehr als kühn, eine Kombination aus Paulskirche und Demokratie-Lernort könne zaudernde, zornige oder system-rebellishe Menschen über einen anschaulichen Weg der Aufklärung wieder (oder überhaupt) auf einen gesellschaftlichen Tugendpfad führen.
Jeder Euro, der in die alltägliche Bildung und Kultur auf allen Ebenen an allen Orten des Landes gesteckt wird, ist sicher eine bessere Anlage, um demokratisches Bewusstsein zu entwickeln, zu stärken oder überhaupt erst zu wecken – orientiert immer auch an den individuellen oder kollektiven Lebensumständen. Und die – Binsenweistheit – sind in vielen Teilen des Landes höchst unterschiedlich.
Großzügige Einladung zur Bildung: Der Adorno-Platz auf dem Westend-Campus der Universität, Foto: Uwe Kammann
Aber dieser kurze Ausflug zu einem der Ursprünge der aktuellen Paulsplatz-Diskussion hat natürlich nichts mit allgemeinen städtebaulichen Wünschen oder Konsequenzen zu tun. Dass man dies auseinanderhalten sollte, ist tatsächlich ein wichtiges Verdienst des jetzigen Vorstoßes von Mäckler und Schneider. Die damit unbedingt nach vorne schauen wollen bei der Entwicklung einer lebenswerten Stadt mit schönen Platz- und Straßenräumen. Ob hier die vorgesehenen städtebaulichen Ideenwettbewerbe mehr bringen als die bisherigen – eine so spannende wie offene Frage.
Frankfurt und seine Plätze
In der Diskussion beim Bürgerverein fiel aus dem Publikum wieder ein oft wiederholtes Verdikt: „Frankfurt kann keine Plätze“. Das ist allerdings so sattsam plakativ wie falsch. Der Opernplatz und der Römerberg sind durchaus schöne Plätze – und als solche haben sie eine hohe Anziehungskraft. Wer sich an ihre späten Nachkriegsursprünge erinnert, der weiß auch, wie umstritten deren Gestaltung war.
Denn die „Grünen“ wollten damals unbedingt eine Wiese statt des steinernen Platzes an der Alten Oper, der Lucae-Brunnen (heute eine ganz alltägliche Attraktion) galt als Zeichen hierarchischer Feudalarchitektur. Die Errichtung der den Römerberg schließenden Fachwerk-Ostzeile war dem Großteil der Architektenschaft und des Kulturmilieus ein Graus, gar ein ästhetisch-moralischesVerbrechen an der Moderne, so wie später auch die Altstadt. Die nachherige praktische Erfahrung einer mehr als erfreulichen Wiederbelebung gilt vermutlich als Kollateralschaden an der hochmoralisch grundierten Theorie.
Der Hühnermarkt als Mittelpunkt der Altstadt zeigt beispielhaft, welche Wirkung mit welchen Mitteln erzeugt werden kann, dort natürlich auch ein Ergebnis der homogenen Platzwände und sorgfältig-penibler Vorgaben im Detail. Beim Liebfrauenberg erstaunt deswegen, dass selbst eine heterogene Hausumgebung einen Platz nicht unbedingt verdirbt. Der neue, rein steinerne Adorno-Platz auf dem Westend-Campus wiederum belegt, was im großen Maßstab möglich ist, wenn Planer mutig und konsequent sein dürfen.
Auch dafür gab es einst einen Plan: die Schachtelebenen des zentralen Frankfurter Platzes, der Hauptwache, Foto. Uwe Kammann
Ein Faktor, der leicht übersehen wird, wenn Frankfurt die Unfähigkeit zur Platzgestaltung nachgesagt wird, ist indirekter Art. Denn unbedingt zu berücksichtigen ist, dass die Platzwände zum Großteil aus banaler, langweiliger Allerweltsarchitektur vornehmlich der 60er, 70er und 80er Jahre bestehen. Wie sollte, pars pro toto, die Konstablerwache – deren Platzproportionen gar nicht so schlecht sind – ästhetisch im Ganzen überzeugen?
Urbane Scheußlichkeiten en masse
Zumal die Plätze – so wie auch die Hauptwache, der Willy-Brandt-Platz oder der Bahnhofsplatz – vor allem eines beweisen: Frankfurt beherrscht meisterhaft die Kunst, seine Plätze gründlich zu verhunzen: mit dem hässlichsten Mobiliar, mit schäbigen Materialien, mit Einbauten, die aus dem Musterkatalog urbaner Scheußlichkeiten stammen. Man schaue sich nur die Panzersperren (seit vielen Jahren ungenutzte Disco-Niedergänge) auf dem Rossmarkt an oder die ungeschlachte Fahrrad-Abstellanlage an der Konstablerwache an: eine Dauereinladung zur optischen und tatsächlichen Vermüllung des öffentlichen Raumes.
Seit bald 20 Jahren ungenutzt: alter Disco-Eingang am Rossmarkt, Foto: Uwe Kammann
Hier, unbedingt, ist anzusetzen, hier ließe sich mit vergleichsweise geringen Finanzmitteln eine große Wirkung erzielen. Doch auf diesen Augen sind Frankfurts Entscheider anscheinend völlig blind. Das zeigt sich auch daran, dass die wirkungsmächtigsten Gestalter und Macher des Stadtbildes im Mobilitätsdezernat zu finden sind. Was hier in kürzester Zeit im Namen der Velo-Allseligkeit an ästhetischen Zumutungen geschaffen wurde, verschlägt einem den Atem. Verbrämt werden sie gerne mit dem Schlagwort der Aufenthaltsqualität – das reine Gegenteil wird erreicht.
Dies alles ist unbedingt zu bedenken, wenn es um die Frage geht, ob der jetzige Paulsplatz – ganz unabhängig von einem Haus der Demokratie – umgestaltet werden sollte, eventuell eben auch mit einer Bebauung nach dem jetzigen aktuellen Vorschlag. Wobei eines sicher klar ist: Die hochgemute Expertenvision einer „signature architecture“ auf dem Platz ist vom Tisch. Die wenigstens werden deshalb einer vertanen Jahrhundertchance nachweinen.
Aber auch Christoph Mäckler und Till Schneider müssen nicht unbedingt Trauer tragen, sollte ihr Plan nicht realisiert werden und der Platanenhain erhalten bleiben. Denn auch bei einer Teilbebauung entlang der Neuen Kräme ist das frühere historische Bild einer mit klaren Platzkanten umbauten Paulskirche nicht wiederherzustellen. So wird neben der benachbarten jetzigen Kämmerei sicher ein Durchblick bleiben – die dahinterstehende, den früheren OB Walter Kolb ehrende (und prächtig gewachsene) Eiche wird mit hoher Wahrscheinlichkeit niemand antasten wollen, so wie der umgebende kleine (Park-)Platz kaum dicht bebaut werden wird.
Wird kaum angetastet werden: die Kolb-Eiche an der Berliner Straße, Foto: Uwe Kammann
Und nördlich der Paulskirche (dort, wo die Platanen-Studenten eine trennende Wasserwand installieren wollten), wird weiter nichts als die Berliner Straße die natürliche Grenze bilden. Mithin: Dort bliebe hinter der Kirche ein freier Raum, der auch nicht zu kaschieren wäre, wenn dort eine Baumreihe nach Art einer Allee gepflanzt würde. Dass die jetzige mobile Mauer aus geparkten Bussen nicht der Weisheit letzter Schluss ist, das wiederum ist auch klar.
Bei einer Forderung aus dem Plenum, der Platz müsse schon für die urdemokratische Praxis von Demonstrationen offen bleiben, konnte sich Mäckler einen (sarkastisch-ironischen?) Seitenhieb nicht verkneifen: dafür könne dann demnächst der Mainkai genutzt werden (die Straße soll bekanntlich nach dem Willen einer kräftigen Lobby autofrei werden).
Behutsame Weiterentwicklung des Status Quo
Eine Schlussfolgerung lässt sich nach der aktuellen Neu-Akzentuierung der Debatte um Paulskirche, Haus der Demokratie und Paulsplatz ziehen: Für Verbesserungsmöglichkeiten gibt es eine Reihe an Optionen, einer (behutsamen!) Weiterentwicklung des Status Quo steht nichts im Wege.
Was unbedingt zu denken geben sollte: Wie überaus schnell sich Strömungen, Vorlieben und Überzeugungen ablösen, wie gleichsam von heute auf morgen städtebauliche Grundideen und architektonische Stilrichtungen wechseln. Man lese nur die Jurybegründungen zum Rathaus-Gebirge, zur Schirn, zur ganz auf Moderne setzenden, dann verworfenen Erstentscheidung beim Dom-Römer-Areal, und man wird sehen: Auch idealiter Langlebiges ist vor kurzfristigen Moden in keiner Weise gefeit.
Weiter Sinnbild friedlicher Koexistenz? Der Paulskirchen-Turm und Platanenarme, Foto: Uwe Kammann
Übrigens, hier noch eine Anregung, wenn es um eine am historischen Stadtgrundriss orientierte kleinteilige Bebauung geht. Genau dies hat in Berlin der in Fragen der kritischen Rekonstruktion sehr engagierte ehemalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann bei Schinkels Friedrichwerderscher Kirche befürwortet. Das Ergebnis – allerdings mit einem im Gegensatz zu früher hypertrophen Höhenmaßstab – ist mehr als ernüchternd.
Eines allerdings ist beim Mäckler/Schneider-Vorschlag zu sehen: Zwischen der Paulskiche und dem skizzierten neuen Baublock ist eine Platanenreihe erhalten. Ein Abstand wäre also gewahrt. Auch das ist ein Zeichen von Respekt. Und das ist das Mindeste, was die Paulskirche verdient: als (Achtung, Alleinstellungsmerkmal!) wahres Haus der Demokratie in Frankfurt!