Ein Auftragsstück fürs Kölner Schauspiel als knallbuntes Spektakel
Iphigenie im Babydoll
Jorinde Dröse inszeniert Tine Rahel Völkers „We Are Family“
Von Simone Hamm
Die Hetäre Phryne (Hilke Altefrohne) muss sich übergeben. So vieles hat sich in den letzten zweieinhalbtausend Jahren angesammelt an Ungerechtigkeiten, Frauenverachtung. Das muss erst mal raus. Und im übrigen könnten die Mythen der alten Griechen nicht auch ganz anders erzählt werden – aus feministischem Blickwinkel. Phryne ist Moderatorin, Kabarettistin und Schauspielerin zugleich.
Tine Rahel Völcker hat sich viel vorgenommen. Sie hat die großen antiken Dramen von Sophokles, Aischylos und Euripides durchforstet, einzelne Szenen herausgepickt und das Ganze neu zusammengesetzt. Grausam und lustig zugleich erzählt Phryne die Geschichte des Patriarchats – und wie es hätte anders ausgehen können.
Jorinde Dröse inszeniert „We are Family“ dann auch als quirlige Revue.
Die Schauspieler stehen vor einer halbrunden hölzernen Wand mit Türen. Das erinnert an ein Büro – oder Regierungsgebäude (Bühne: Magdalena Gut).
Agamemnon (Ronald Kukulies) in goldenem Brustpanzer und Feinrippunterhosen (Kostüme: Juliane Kalkowski) muss gar nicht lange überlegen, als er die Entscheidung trifft, seine Tochter Iphigenie (Hannah Müller) töten zu lassen. Macht ist ihm wichtiger als es die Familienbande sind. Denn der Wind, der seine Flotte gen Troja treiben soll, wird nur aufkommen, wenn Iphigenie geopfert wird.
Sein Bruder Menelaos (Benjamin Höppner) hält sich für den bessere Herrscher, der schöne, eilte Achill (Leonhard Burckhardt) will unbedingt mit in den Krieg ziehen. Ziemlich armselige Gestalten hat Völcker aus den großen Kriegsherren gemacht.
Klytaimnestra und (Yvon Jansen) und Iphigenie tauchen im Kriegslager auf, völlig unpassend gekleidet in kurzen Röckchen und hohen Schuhen. Iphigenie trägt einen Brautschleier. Sie glaubt, sie werde Achill heiraten, findet sich aber, als gehorsame Tochter, damit ab, geopfert zu werden. Dieser Iphigenie ist der Trost auf ein Priesteramt fern der Heimat nicht gegeben. Als Untote geistert sie fortan über die Bühne.
Inzwischen hat sich Klytaimnestra mit der Hetäre Phryne zusammengetan, hat ihren Mann Agamemnon ermordet und regiert in Mykene. Sie streitet sich mit Phryne, will ihre Politik den Realitäten anpassen. Phryne will, dass alles gerecht geteilt wird und die Menschen im Einklang der Natur leben. Das sei mit dem Volk nicht zu machen, weiß Klytaimnestra.
Die Männer sind zu weißen Statuen geworden, erinnern so an ihre einstige Macht. Sie plädieren dafür, dass alles so bleibt, wie es ist. Vergleiche mit derzeitigen Präsidenten oder Expräsidenten sind gewollt.
Hinzu kommt Elektra (Maddy Frost). Sie wirft ihrer Mutter Klytaimnestra an den Kopf, dass nichts besser werde, wenn sie wie ein Mann agiere. Lange will sie Rache. Ihr Bruder Orest soll ihre Mutter töten, weil die ihren Vater umgebracht hat.
Regisseurin Jorinde Dröse bringt als Orest ein Kind auf die Bühne. Iphigenie tritt auf, als lila Monster verkleidet und redet allen ins Gewissen. Rache erzeugt nur wieder Rache. Elektra will nun keine Rache mehr. Alle fassen sich wie beim Spielkreis im Kindergarten an die Hände und tragen gute Wünsche vor. Männer wollen ihre Verletztheit zeigen, divers sein dürfen, Frauen wollen, dass Carearbeit anerkannt wird.
Manches ist gar zu direkt und platt an diesem Abend. Dann wieder blitzen Humor und Witz auf, wenn Achill etwa allzu besorgt um seine Ferse ist. Es darf herzlich gelacht werden an diesem Abend – und das ist ja nicht das Schlechteste.