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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Eldad Stobezki – Der Wörter- und Geschichtensammler

Funkelnde Kiesel: Humorvoll kuriose und tiefgründige Miniaturen

Von rumänischem Blumenkohl, von Sehnsucht, Fusel und Anrichten

Von Petra Kammann

Ich kann in der Welt kaum etwas bewegen, aber ich kann zwei Schritte zur Seite gehen“, heißt es in einer der Momenterfahrungen im Alltag des Autors Eldad Stobezki. Die respektvolle Begegnung mit einer Fahrradfahrerin, welcher der täglich in der Stadt umherstreifende Fußgänger Eldad den Vortritt gewährt, lässt aufhorchen. Er ist rücksichtsvoll und gibt damit indirekt ein Vorbild ab. Haben wir es etwa vergessen, die schlichten Regeln der Höflichkeit, die immer auch Respekt dem anderen gegenüber bedeutet, zu befolgen? Nur einer der facettenreichen Splitter aus der gerade in der Edition W erschienenen Erzählungssammlung des neugierigen Flaneurs Stobezki „Rutschfeste Badematten und koschere Mangos“

Eldad Stobezki bei den Frankfurter Premieren, links: Sonja Vandenrath, Foto: Petra Kammann

Ein andermal sind es die „reisfeldgrünen Augen“ im Buchtitel der kanadischen Autorin Kim Thúy, die den Autor, einen passionierten Wörtersammler, in den Bann ziehen. Er sammelt aus diesem Grund auch  Lexika oder Werbesprüche im Supermarkt, wenn er einkaufen geht.

Dann wiederum sind es die Knöpfe aus der Kaffeeblechdose seiner Mutter, die Erinnerungen an sie und komische Assoziationen an das oft auch karge Leben im Israel der Nachkriegszeit, wo er bis zu seinem 27. Lebensjahr gelebt hat, in ihm hervorrufen. Vom Stopfen auf einem Holzpilz bis hin zu Sicherheitsnadeln und Gummibänder, die in Höschen eingefädelt wurden. Seine blitzgescheiten Beobachtungen springen hin und her.

Wer im strengen Lockdown der Coronazeit, schlangestehend vor Aldi, darauf hoffte, eine Rolle Toilettenpapier zu ergattern, war ob der misslichen Lage verstummt. So reflektiert der Flaneur durch den Frankfurter Alltag über die Maske als Mauer, die den schlichten Austausch unter Menschen verhindert, vor allem aber über den Minjan, nach dem im orthodoxen Judentum stets zehn männliche Beter gefordert sind. Er bemerkt neun Personen, die darauf warten, in die heiligen Hallen von ALDI eingelassen zu werden. Toilettenpapier gibt’s dann immer noch nicht, dafür aber Weinangebote.

Frankfurter Premiere am 1. Oktober mit Eldad Stobezki im vollen Saal der Villa Metzler, moderiert von Sonja Vandenrath, Foto: Alexander P. Englert 

Ja, und was rät der Erzähler einer verzweifelten Frau, die nach vielen Ehejahren von ihrem Mann verlassen wurde? „Fang an, das Geschirr zu spülen.“ Lösen kannst du das Problem eh‘ nicht, könnte man ergänzen. Oder mach‘ was Praktisches. Beschäftige dich erst einmal mit dem Alltäglichen. Das sagt er natürlich nicht. Solche Schlussfolgerungen lässt er bewusst in der Schwebe und damit die abschließende Betrachtung und Raum für eigene Assoziationen den Lesern.

Entsetzt ist Eldad, der Lesebegierige, wenn er in einer Buchhandlung in seinem Viertel aushilft, und einem Käufer, den er geschickt ins Gespräch verwickelt, um seine Interessen herauszufinden, Empfehlungen geben soll, er dann aber an sich halten muss, als der Käufer präzisiert: „Ich suche einen Roman ohne Juden und ohne Holocaust“.

Aber es finden sich auch köstliche Gedanken etwa zur absurden political Hypercorrectness, wenn sich der Literaturvermittler Stobezki über „die Diskussionen, wer welche Rollen spielen oder welche Texte übersetzen darf“, äußert. Hier urteilt er kurz und knapp: Sie „sind nicht nur dumm, sie sind gefährlich“.

Er, Eldad Stobezki, 1951 in der Nähe von Tel Aviv in Israel geboren, lebt nach seinem Coming out im damals stockkonservativen Israel seit 1979 gerne mit seinem Partner Lothar Ruske in Frankfurt. Und doch  switcht er ständig gleichzeitig real und fiktiv in (mindestens) zwei Welten hin und her, in Deutschland, dem Sehnsuchtsland der Jeckes in Israel, und mit der eigenen Erinnerung in Israel.

Er fragt sich, was Heimat bedeutet, gibt es doch im Hebräischen dafür einen Plural. Ja, warum wohl? Natürlich kann er „die Hölle“, den 7. Oktober 2023, nicht außen vorlassen und mag sich gar nicht vorstellen, wie der Nahostkonflikt noch in 200 Jahren nachfolgende Generationen betreffen wird.

Stobezki empfand es als große Ehre, dass die meist in Berlin lebende israelische Verlegerin Daniella De-Nur wegen seiner Buchpremiere nach Frankfurt kam, Foto: Petra Kammann

Nach den kostbaren Kieseln, wie einige der Momentaufnahmen übertitelt sind, heißt es dann plötzlich in einer Überschrift „Schleuderstein“. Der ewige Kampf zwischen David und Goliath hat eine lange Geschichte… Oder wenn er über das Verlegen von Stolpersteinen spricht, die jetzt in Frankfurt in seinem Viertel Bornheim für Verwandte von ihm verlegt wurden, ruft er dann in Erinnerung, dass 70 seiner Verwandten alleine in Polen ermordet wurden.

In seinen Träumen, die eine ebenso große Rolle spielen, begegnen wir seiner polnischen Großmutter, die Deutsch oder Jiddisch mit ihm sprach, wobei ihm das Jiddische wohl eher den Sinn für Humor mitgegeben hat, seine erste Sprache aber ist das Hebräische, das er in der Schule gelernt hat. Immer auf der Suche nach Redewendungen und einzelnen Wörtern „in meiner Muttersprache und in der Sprache meiner Mutter „ würzen ihm den Alltag und überraschen ihn ständig von neuem.

Neben vielen kleinen amüsanten Geschichten gibt es auch immer wieder unter die Haut gehende Momente, wenn er etwa über seine früheren Schulkameraden Ahuva und Ehud aus Israel spricht, die ständig entlang der alten rostigen Bahnschienen wandern, was man als Selbsttherapie posttraumatischer Störungen erlebt.

Dann wiederum sinniert er über das Wort „Frieden“ und wie es auf Polnisch heißt: „pokój“. Aber es bleibt ihm fremd wie auch die polnische Sprache oder das Land Polen selbst, das seine Großmutter verließ, für ihn ein schwarzer Fleck bleibt. Dabei würde er so gerne die Poetin Wislawa Szymborska im Original lesen.

Er liebt die hebräische Sprache, manchmal sogar die biblische, aber auch die deutsche Sprache mit manchen Ungereimtheiten oder stocksteifen Ausdrücken, die ihm auch nach den Jahren immer wieder neue Perspektiven eröffnet.

Immer auf der Suche nach der adäquaten Formulierung ähnelt er in manchem der Italienerin Maria Gazetti, der bis 2010 langjährigen Leiterin des Frankfurter Literaturhauses, die Jahre später dann „Direttrice“ der Casa di Goethe in Rom wurde. Auch sie war /ist in zwei Sprachen zuhaus, im Italienischen und im Deutschen, und fasziniert von beiden, war in Frankfurt vertraut und fremd zugleich. Sie schrieb ein kluges Nachwort zu Stobezkis teils schrägen Geschichten mit dem kuriosen Titel „Rutschfeste Badematten und koschere Mangos“, die zunächst auf Facebook erschienen und sich auf diese Weise eine Fangemeinde eroberten. Behutsamkeit, Aufmerksamkeit, Humor und Distanz gegenüber neugierig machenden Wörtern und Sprachbildern machten aus den beiden so verschiedenen Literaturwissenschaftlern fremde Freunde.

Wenn man die Fährten, die Stobezki auslegt, aufnimmt, kann man sich aus ihnen eine Art Autobiografie des Autors zusammenreimen.

 

 

Eldad Stobezki

Rutschfeste Badematten und koschere Mangos

Mit einem Nachwort von Maria Gazetti

Edition W

150 Seiten. gebunden

ISBN, 9783949671159

16,00 €

 

 

 

Nun, und wer wissen will, was es mit den rutschfesten Badematten und koscheren Mangos auf sich hat, der sollte sich auch einmal auf der Straße und in Supermärkten genau umschauen oder einfach das Buch zur Hand nehmen und in den häufig vergnüglich-versöhnlichen Geschichten, die oft auch ganz „down to earth“ sind, nach des Rätsels Lösung suchen. Dümmer wird man nimmer und Lesespaß ist garantiert. Versprochen. Von der ersten bis zur letzten Zeile.

Cool“ wie der Supermarktverkäufer sagt, als Eldad ihm erklärt, dass er aus dem Herkunftsland des ausgezeichneten Obstes kommt und er spontan mit „Shalom Chaver“ reagiert.

 

 

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