Johan Simons inszeniert Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise durch die Nacht“ am Schauspielhaus Bochum
Ein zerstörtes Haus, vier zerstörte Leben
von Simone Hamm
Ein geiziger Vater, eine morphiumabhängige Mutter, ein trunksüchtiger Sohn und dessen Bruder, der die Schwindsucht hat. Und jeder gibt dem jeweils anderen die Schuld an seinem Verhalten, seiner Krankheit, seinem Unglück. Das ist Eugene O’Neills „Eines lange Tages Reise durch die Nacht“, das Johan Simons am Schauspiel Bochum in Szene setzt.
Pierre Bokba als Vater James Tyrone und Elsie de Brauw als Mutter, Foto: Armin Smailovic
Johan Simons hat diese Stück zeitlos gestaltet, läßt es nicht, wie von Eugene vorgesehen, in den USA von 1912 spielen. Die Familie und die Rollen, die jeder in ihr zu erfüllen hat – das ist ein ewiges Thema.
Es beginnt mit einem ohrenbetäubenden Knall. Das kleine weiße Holzhäuschen, das Feriendomizil der Familie fliegt in die Luft (Bühne: Victoria Born). Aus den Trümmern ziehen Vater (Pierre Bokba)) und Mutter (Elsie de Brauw) Stühle, eine Topfpflanze, einen Tisch hervor. Und eine Whiskeykaraffe mit Gläsern. Getrunken wird unterbrochen an diesem Abend. Nur so können die Familienmitglieder einander ertragen. Sie sprechen nicht über ihre Probleme. Sie lügen sich selbst und die anderen permanent an. Sie verklären oder verdammen ihre gemeinsame Vergangenheit. Jeder hat einen anderen Blick darauf. Sie widersprechen sich.
Als der tuberkulosekranke Sohn mit der Diagnose vom Arzt kommt, will die Mutter, die längst ahnt, dass er sterben wird, nichts hören, der Arzt tauge ohnehin nichts, auch nicht seine Diagnosen. Sie plappert munter von ihrem Tag.
Sie wollte Schauspielerin werden oder Nonne, hat sich aber in einen gut aussehenden Schauspieler verliebt und ist mit ihm auf Tournee übers Land getingelt. Elsie de Brauw spielt sie als Opfer. Dabei dominiert Mary Tyrone doch die Familie. Hat ganz andere, monströse Facetten. Johann Simons lässt sie diese Seite ihrer Person nicht ausagieren.
Die Mutter, gespielt von Elsie de Brauw, wird als Opfer dargestellt, Foto: Armin Smailovic
Der Vater James Tyrone (Guy Clemens) will Edmund in eine Sozialklinik schicken, weil das nichts kostet. Er rafft lieber sein Geld zusammen und kauft Grundstücke. Er ist ein alter Geck und fühlt sich, wie alle anderen, an seinem Niedergang nicht schuldig. Pierre Bokma gibt diesen Vater mal weinerlich, mal tyrannisch, fast immer selbstgerecht.
Edmund Tyrone ertrinkt in Selbstmitleid und versucht doch immer wieder, seinen älteren Bruder und die Eltern zu verstehen. Seine Gedichte werden in kleinen Lokalblättern abgedruckt. Alexander Wertmann spielt ihn mit heiligem Ernst.
Mit Edmund soll sich Eugene O’Neill ein alter ego geschaffen haben. So wie ihn Johan Simons interpretiert, so wie Wertmann ihn zeigt, ist das schwer vorstellbar.
Das Leben des älteren Bruders James Tyrone spielt sich in der Kneipe und im Bordell ab. Er ist immer eifersüchtig gewesen auf seinen kleinen Bruder, schreit ihn an, weil er ihn hasst. Wirft sich ihm im nächsten Augenblick zu Füßen.
Dann und wann blitzt ein kleines bisschen Humor auf, Selbstironie, wenn etwa die immer gleichen Geschichten, die bei den Tyrones wie in jeder Familie immer wieder erzählt werden, mit müdem Lächeln und abwinkenden Gesten kommentiert werden.
Mehr Ironie, mehr Abstand hätte dem Abend gut getan.
So aber plätschert alles vor sich hin. Nur einmal, nach der Pause, als sich Vater und jüngster Sohn auseinandersetzten, kommt etwas wie Spannung auf. Für einen Moment glaubt man, etwas könne sich entwickeln. Doch das hat O’Neill nicht vorgesehen. Es wird alles weitergehen wie bisher. Die Lügen, die Abhängigkeit von Drogen und Alkohol, die Selbsttäuschungen.