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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Museum Wiesbaden ehrt Alison Knowles mit Retrospektive

Die Poesie des Alltäglichen im Werk der Pionierin von Fluxus

von Hans-Bernd Heier

Alison Knowles nahm bereits 1962 an den „Fluxus Internationalen Festspiele Neuester Musik“ im Museum Wiesbaden teil. Diese kulminierten in der legendären Zerstörung eines Konzertflügels mit Axt und Säge und sorgten international für Schlagzeilen. Jetzt bringt eine Überblicksausstellung das Werk der Künstlerin zurück nach Wiesbaden. Erstmals wird im deutschsprachigen Raum in einer großen Schau das bis heute über 60 Jahre umfassende Schaffen der US-Amerikanerin präsentiert. Nach der Premiere im „Berkeley Art Museum and Pacific Film Archive“ ist Wiesbaden die zweite Station der Ausstellungstournee.

Besucherin vor Alison Knowles „The Identical Lunch“, ©Alison Knowles; Foto Museum Wiesbaden Bernd Fickert

Bei den „Fluxus Internationalen Festspiele Neuester Musik“ war Alison Knowles die einzige weibliche Mitbegründerin der damals noch weitgehend unbekannten Bewegung. Alison rasierte im Rahmen der Performance „Danger Music“ den Kopf ihres Ehemanns Dick Higgins. Die vierwöchigen Festspiele mit der Zerlegung eines Konzertflügels sorgten weltweit für Aufruhr. Der Kommentar vieler Wiesbadener lautete: „Die Irren sind los“.

Die spektakuläre Klavier-Zerstörung ging in die Kunstgeschichtsschreibung ein und das Festival wurde als Geburtsstunde einer neuen, damals noch revolutionären Kunst-Bewegung angesehen: Fluxus. Eine verbindliche Definition dieser Kunstbewegung gibt es nicht, ebenso wenig existiert eine fest umrissene Künstlergruppe. Fluxus bedeutet fließend und ist bis heute eine offene, gattungsübergreifende Kunstform, in der künstlerische Ausdrucksformen wie Tanz, Theater, Performances, Happenings, Film, Musik, Rezitation, Literatur, Pantomime und bildende Kunst neue Verbindungen und Kombinationen eingehen. In diesem Sinne bezeichnet die neue Kunstrichtung einen fließenden Übergang von Kunst und Leben.

Knowles Performing „A Shoemaker’s Asssistant“, Courtesy Alison Knowles, Foto: Copyright The Nan Hoover

Alison Knowles war von Anfang an mittendrin bei den Fluxus-Aktivitäten und maßgebliches Mitglied dieser Vereinigung von „Neudenkern“. Die umfassende Retrospektive im Wiesbadener Landesmuseum beleuchtet nun ihr Lebenswerk in sieben Räumen: von den Anfängen der Fluxus-Bewegung, ihrer künstlerischen Herangehensweise, ihren Performances und Künstlerpublikationen bis hin zur raumgreifenden Installation „The Boat Book“. Die höchst unterhaltsame Schau bietet bis zum 26. Januar 2025 mit über 100 Exponaten aus allen Schaffensphasen, darunter viele internationale Leihgaben, einen Einblick in das facettenreiche Werk der Künstlerin, die eine zentrale Position der amerikanischen Nachkriegskunst innehat.

Charakteristisch für Knowles‘ Arbeiten: „Sie verarbeitet einfühlsam und poetisch Alltägliches in ihrer Kunst“, betont Kuratorin Jana Dennhard. „Ihre intermediale Kunst und Performances haben seit den 1960er Jahren sowohl innerhalb als auch außerhalb von Fluxus wichtige Themen wie Gastfreundschaft und Gemeinschaft aufgegriffen. Doch trotz ihrer internationalen Vernetzung und Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen wurde ihr Gesamtwerk bislang nicht umfassend gewürdigt. Umso mehr freut es mich, dass wir diese Lücke im deutschsprachigen Raum nun schließen können“.

Alison Knowles „The House of Dust“, 1967/2021, 3D gedruckt von WASP; © tinyBE #1; Foto: Wolfgang Günzel

Alison Knowles studierte zunächst Kunst am renommierten Pratt Institute in Brooklyn Sie trat in den 1960er Jahren der Fluxus-Bewegung bei, nahm als einzige weibliche Künstlerin an der europäischen Fluxus-Tournee teil und entwickelte ikonische Werke wie „The Big Book“ und „The House of Dust“. Ihr Werk, das oft Alltagsobjekte einbezieht, erstreckt sich über verschiedene Medien wie Malerei, Siebdruck, Skulpturen, Installationen, Performances, Poesie und Publikationen sowie Soundkunst. Die 91-jährige ist bis heute künstlerisch aktiv, erhielt zahlreiche Auszeichnungen und ehrte ihre Verbundenheit mit Wiesbaden durch ihre Teilnahme an Projekten wie „tinyBE. Living in a Sculpture“. Bei diesem Projekt in der Rhein-Main-Region ging es 2021 um Antworten auf die Frage, wie kann man auf engem Raum leben.

Ausstellungsansicht mit Collagen von Alison Knowles; Foto: Hans-Bernd Heier

Knowles‘ Arbeiten zeichnen sich insbesondere durch ihr Interesse an Lebensmitteln und alltäglichen Materialien aus, den „Geheimnissen der gewöhnlichen Dinge, wie sie in einem ausführlichen Video beschreibt. Ihre Kunst regt zum Austausch und Mitmachen an und eröffnet neue Perspektiven auf Gewohnheiten und das tägliche Leben.

Ein besonderes interaktives Klang- und Erfahrungserlebnis vermittelt die begehbare Installation „Bean Garden“. Besucherinnen und Besucher können einen mit getrockneten Bohnen gefüllten Holzkasten betreten. Unter den Bohnen sind Klangkörper versteckt, die die Besucher durch ihre Schritte mit den Füßen aktivieren. Dazu merkt die Künstlerin lakonisch an: „Bohnen klingen nicht alle gleich“. Die Frage, wie Bohnen in ihren Ohren klingen, können aufgeschlossene Besucher auf Kalender-Blättern mit „Abreißgedanken“ notieren, die in mehreren Räumen hängen.

Die durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain und die Terra Foundation for American Art und James Fuentes geförderte Retrospektive ist noch bis zum 26. Januar 2025 im Hessischen Landesmuseum für Kunst und Natur zu erleben. Im Anschluss wandert die Ausstellung in das Musée d’art Moderne et Contemporain Saint-Étienne Métropole.

Weitere Informationen unter:

www.museum-wiesbaden.de

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