Freies Schauspiel Ensemble Frankfurt – Seit 40 Jahren Theater für die Stadtgesellschaft
Brennende Fragen der Zeit mit den Mitteln des Theaters
Von Walter H. Krämer
1984 wurde das Freie Schauspiel Ensemble von Dagmar Casse und Reinhard Hinzpeter mit fünf weiteren Theaterleuten gegründet. Nach jahrelangen Erfahrungen am Stadt- und Staatstheater wollten sie in dieser Zeit des Aufbruchs für ihre Theaterarbeit Produktionsbedingungen schaffen, die ihnen mehr Raum und Zeit boten, ihre eigene Kreativität zu entfalten. Sie wollten nicht mehr mit Kolleg*innen zusammenarbeiten, die zum Teil entgegengesetzte Auffassungen von Handwerk, von Ästhetik und der Rolle des Theaters in der Gesellschaft hatten. Das, so war die Überlegung, behindere die eigene Kreativität und eine gemeinsame Ausrichtung. Gleichzeitig ließen sie damit auch die meist sehr autoritär und patriarchal geführten Strukturen hinter sich. Wollten selbst entscheiden, was und wie gespielt wird und sich nicht den Zwängen des Marktes unterwerfen.
Gründungsfoto aus dem Jahr 1984: Auf den Stufen der Alten Oper. Obere Reihe von links: Axel Siefer, Reinhard Hinzpeter, Georg Weber, Hermann Josephs, Untere Reihe von links: Dagmar Casse, Jane Hempel, Ernst-Leopold Strachwitz, April Hailer, Foto: FSEF
„Der Untergang der Titanic“ war das erste Stück, welches das Freie Schauspiel Ensemble auf die Bühne brachte. Damals noch in einem Saal der Alten Oper. Eine erste feste Spielstätte war seit 1987 das Philanthropin – eine der Schulen der ehemaligen israelitischen Gemeinde in Frankfurt am Main. Es bestand von 1804 bis zur Schließung durch die Nationalsozialisten 1942, und wurde zur Zeit der Gründung des Freien Schauspiel Ensembles 1984 als Frankfurter Bürgerhaus genutzt. Zu Beginn des Schuljahres 2006/07 zog die Schule, die seit 1966 im Jüdischen Gemeindezentrum im Frankfurter Westend untergebracht war, mit ihren nun 445 Schülern und rund 60 Lehrern ins Philanthropin um. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, neue Räume für das Freies Schauspiel Ensemble zu finden.
1987: „Spiel’s nochmal, Sam“ von Woody Allen, v.l.:Jane Hempel, Moritz Stoepel, Reinhard Hinzpeter, Foto: FSEF
Anspruch des Ensembles war es von Anfang an, sich mit den brennenden Fragen der Zeit zu beschäftigen, die Auseinandersetzung mit der sozialen Wirklichkeit zu suchen und dabei die Zuschauer*innen gefühlsmäßig und intellektuell mitzunehmen und zu begeistern.
Dabei blieb keine literarische Epoche außen vor: die Antike nicht mit „Antigone oder der Untergang der alten Welt“, „Atropia: Die Rache des Friedens“, „Medea“ und weder die Klassik mit „Faust 1 + 2“, „Die Wahlverwandtschaften“, „Maria Stuart“, noch die ,Klassiker der Moderne‘ wie die Stücke von Bertolt Brecht, „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, Henrik Ibsens „Rosmerholm“, „Die Frau vom Meer“, Edward Albee, „Die Zoogeschichte“, Ödön von Horváth, „Glaube Liebe Hoffnung“, Jean Genet, „Die Zofen“ und Botho Strauß, „Die Fremdenführerin“.
2010: „Kaspar Häuser Meer“ von Felicia Zeller, v.li: Neda Rahmanian, Bettina Kaminski, Naja Marie Domsel, Foto: FSEF
Immer wieder fühlt sich das Ensemble auch der neuen und neusten Dramatik verpflichtet und bringt diese auf der Bühne zum Klingen. Hier einige Namen: Gesine Danckwart, „Täglich Brot“, Falk Richter, „Gott ist ein DJ“, Helmut Krausser,“ Lederfresse“, Konrad Baier,„Kasperl am elektrischen Stuhl“, Felicia Zeller,„Kaspar Häuser Meer“, Roland Schimmelpfennig,„Peggy sieht das Gesicht Gottes“.
Und nicht zu vergessen die Liederabende wie „Cosí fun tutti“ – „Frauen Brecht Männer“, „Ich zieh mich an und langsam aus“, „Heute Nacht oder nie“ mit Dagmar Casse – Diva, Chansonnette und Spielerin in einer Person…
Dagmar Casse in „Frauen Brecht Männer“ Foto: Kaleb Utecht
Nächste feste Spielstätte war ein Raum im dritten Stock in der Schmidtstraße. Etwas weit weg und außerhalb der City. Das machte sich auch an den Zuschauerzahlen bemerkbar. Es kamen immer weniger und man war bemüht, so schnell wie möglich einen neuen Spielort zu finden. Auch ein Hinweis: Es ist eben nicht unwesentlich, wo eine Spielstätte liegt und wie gut sie verkehrstechnisch angebunden ist. Selbst der Star des gehobenen Boulevards Yasmina Reza mit ihrem Stück „Drei Mal Leben“ konnte nicht viele Menschen in die Schmidtstraße locken. Das sah bei „Kunst“, damals noch im Philanthropin gespielt und zu sehen, ganz anders aus. Dahin strömten die Leute – zumal das Freie Schauspiel Ensemble das Stück zum ersten Mal in der Stadt zeigte. Später, viel später war es dann auch im Fritz-Rémond-Theater (das Haus gehört leider der Geschichte an, es wurde 2023 geschlossen!) und im Schauspiel Frankfurt zu sehen.
Im Sommer 2010 ist es dann soweit: Das Freie Schauspiel Ensemble bezieht nach aufwendigen Umbauarbeiten unter der Leitung des langjährigen – die Ästhetik des Theaters maßgeblich prägenden – Bühnenbildners Gerd Friedrich das Titania in der Basaltstraße 23 in Bockenheim als Hauptnutzer. Ein geschichtsträchtiger Ort. Hier hielt Rosa Luxemburg am 26. September 1913 eine leidenschaftliche Rede über „Die politische Situation und die Aufgabe der arbeitenden Bevölkerung“ und forderte die Frankfurter Arbeiter auf, sich zu weigern, gegen ihre französischen Brüder die Waffe zu erheben. Ein anwesender Journalist denunzierte Rosa Luxemburg und sie wurde daher im Februar 1914 wegen „Aufruf zur Befehlsverweigerung“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Eine Gedenktafel an der Außenwand des Gebäudes erinnert uns heute noch an dieses denkwürdige Ereignis.
Endlich ein angemessener und stimmiger Ort und Raum für das Freie Schauspiel Ensemble. Theaterleuten, die sich immer wieder gesellschaftlichen Fragen und Auseinandersetzungen mit den Mitteln des Theaters stellen und sich auch mit dem Stadtteil und diesem geschichtsträchtigen Ort auseinandersetzen. So wird ein Stück über Rosa Luxemburg entwickelt – „Ich werde sein“ – und man inszeniert und spielt immer wieder Stücke, die sich intensiv mit Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in unserer Gesellschaft – also auch derer im umliegenden Stadtteil – auseinandersetzen und beschäftigen. So beispielsweise „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, „Gigli: Eine von uns“, „Das Himberreich“, „Tschernobyl“.
Ein Theater, das die Nähe zu seinem Publikum und die Verortung in einem lebendigen Stadtteil braucht, wie das tägliche Brot und sich in der Auseinandersetzung immer wieder neu erfindet und zu neuen Themen und Spielweisen kommt. Insofern ist der neue Spielort, den sich das Ensemble mit der Gruppe theaterperipherie teilt, eine wahre Fundgrube und ein Glücksfall. Die Ensemblemitglieder fühlen sich einer psychologisch differenzierten Spielweise verpflichtet, meist in einem großzügig gestalteten, oft sehr kargen, aber assoziationsreichen Bühnenraum. Das ist ein Vorteil dieser Spielstätte, dass die Räume für die Inszenierungen immer wieder anders gestaltet werden können und so das Verhältnis Bühne und Zuschauer*innen immer wieder neu gedacht werden kann.
Ob Neuinterpretationen von Klassikern, Gegenwartsdramatik, frei entwickelte Projekte oder die Adaption von nicht-dramatischen Texten für die Bühne: Alle Aufführungen des Ensembles setzen sich engagiert mit den Problemen unserer Zeit auseinander. Das Rahmenprogramm aus Publikumsgesprächen und Podiumsdiskussionen macht das „Titania“ zum Bürgerforum, wo die durch die Inszenierungen aufgeworfenen Fragen von Experten und Zuschauern weiter behandelt werden.
2010: „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ von Bertolt Brecht, v.li:. Axel Gottschick, Stefan Maaß, Mathias Schabow, Naja Marie Domsel, Michaela Conrad, Hans-Peter Schupp, Foto: FSEF
Das Profil des Ensembles ist die Vielfalt, ein bunter Reigen an Texten und literarischen Vorlagen unterschiedlichster Art, für die dann jeweils eine andere ästhetische Form der Umsetzung gesucht und gefunden wird. Manch einer möge sich dabei fragen, ob es denn nötig und sinnvoll sei, sich beispielsweise an Shakespeares „Hamlet“ zu wagen – das Ergebnis besticht durch die Präsenz und das sprachliche Vermögen der Spieler*innen und durch die Rauminszenierung auf einer großen Schräge.
Immer wieder sind auch die finanziellen Mittel – Fördermittel durch die Stadt, das Land und den Bund – ein Thema. Unabhängig davon, dass Frankfurt, bezogen auf die Einwohnerzahl und im Vergleich zu anderen Städten mit die höchsten Summen für Freie Theater ausgibt, ist es immer zu wenig. Trotzdem kann Reinhard Hinzpeter, Mitglied des Leitungsteams des Ensembles, konstatieren: „Das Freie Schauspiel Ensemble hätte sich nie zu dem entwickeln können, was es ist, wenn nicht die Kulturpolitiker*innen der Stadt sich immer wieder dafür stark gemacht hätten.“
Kommen Theaterleute in die Jahre, ergibt sich die Notwendigkeit von Veränderungen. So ist bemerkenswert, dass in den letzten Jahren Bettina Kaminski – seit 1991 dabei und die tragende Schauspielerin des Ensembles – vermehrt Regiearbeiten übernimmt und man verstärkt junge Kräfte an das Theater holt und bindet. Allen voran sei hier Ives Pancera genannt, der nicht nur als Kostümbildner und Schauspieler beeindruckt, sondern mittlerweile auch Teil des Leitungsteams des Freien Schauspiel Ensembles Frankfurt ist.
Zum Schluss seien noch einige Weggefährt*innen des Freien Schauspiel Ensembles Frankfurt genannt: Moritz Buch, Michaela Conrad, Naja Marie Domsel, Axel Gottschick, Jana Saxler, Hans-Peter Schupp, Adrian Scherschel, Magali Vogel, Bernhard Bauer, Jürgen Beck-Rebholz, Michaela Ehinger, Niklas Fiedler, David Földszin, Mario Linder, Stefan Maaß, Neda Rahmanian, Moritz Stoepel, Mathias Schabow, Axel Siefer, Carmen Wedel, Gerd Friedrich.
Am 5. Oktober feiert das Freie Schauspiel Ensemble ab 19.30 Uhr im Titania 40 Jahre ihrer Theatergeschichte. Ein Abend voller Theater, Erinnerungen, Drinks, und Tanz.
Die neuesten Inszenierungen des Freien Schauspiel Ensembles:
Sie beschäftigen sich mit Ingeborg Bachmann und mit Gerhart Hauptmann:
DAS DREIßIGSTE JAHR von Ingeborg Bachmann
Der Aufführung „Das 30 Jahr“ liegt eine Theaterbearbeitung der gleichnamigen Erzählung von Ingeborg Bachmann zugrunde. Einer Erzählung, die in ihrem Bilderreichtum, ihrer Musikalität, ihrer existentiellen Leidenschaftlichkeit und Radikalität Prosa, Drama und Lyrik zugleich ist.
Vorstellungen
Fr., 15.11.2024, 20 Uhr
Sa., 16.11.2024, 20 Uhr
https://freiesschauspiel.de/programm/spielplan/das-dreissigste-jahr
EINSAME MENSCHEN nach Gerhart Hauptmann
Vorstellungen
Premiere ist am Samstag, den 26.10 um 20 Uhr
Weitere Vorstellungen
Fr., 01.11., 20 Uhr
Sa., 02.11., 20 Uhr
Sa, 09.11., 20 Uhr
So, 10.11., 18 Uhr
Sa, 30.11., 20 Uhr
So, 01.12., 18 Uhr
https://freiesschauspiel.de/programm/spielplan/einsame-menschen