The LOKAL Listener: Gregor Praml trifft Katharina Deserno in der Romanfabrik
Weitgespannte Bögen
von Petra Kammann
Gastgeber Gregor Praml wollte ursprünglich mit der in Frankfurt aufgewachsenen Cellistin Katharina Deserno über ihre Arbeit, ihre Konzert-, Lehr- und Forschungstätigkeit wie auch über ihr italienisches Instrument sprechen. Er wollte sie auch auf ihrem Violoncello von Carlo Antonio Testore von 1715, das ihr von einem Mäzen zur Verfügung gestellt wird, spielen hören, um über das Spiel auf einem alten, wertvollen Instrument zu sprechen, um dieses Erlebnis auch mit den Gästen der Romanfabrik zu teilen. Dann kam als Überraschungsgast ein Dritter hinzu. Deserno hatte ihren Klavierpartner, den renommierten serbischen Pianisten Nenad Lecic, mit dem sie auch ihre CDs eingespielt hat, mitgebracht. Das Zusammenspiel der drei ganz unterschiedlichen Solisten im doppelten Wortsinn machte den Abend zu einem ungewöhnlich lebendigen und runden.
Katharina Deserno erzählt dem Bassisten Gregor Praml, wie organisch bislang ihre musikalische Karriere verlief, Foto: Petra Kammann
Die Cellistin Katharina Deserno ist in Frankfurt keine Unbekannte, hat sie doch in ihrer Heimatstadt die Schule bis zum Abitur besucht und dort auch ihre musikalische Ausbildung begonnen und genossen, dann aber den Bogen weiter gespannt, nach Paris und nach Köln, wo sie damals schon intensiv mit dem Mitstudenten Nenad Lecic übte, bevor sie bereits 2008 als jüngste Lehrende an der Hochschule für Musik und Tanz Köln unterrichtete. 2015 wurde sie dann als Professorin an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt berufen. Und seit dem letzten Jahr hat die Professorin Deserno einen Lehrstuhl an der Musikhochschule in Würzburg inne. Trotz ihrer akademischen wie auch ihrer musikalischen Karriere hat sie nichts Professorales an sich.
Wie war denn der Leiter der Romanfabrik Gregor Praml auf sie aufmerksam geworden? Empfohlen wurde sie ihm von der ebenso virtuosen wie witzigen Sängerin, Schauspielerin, Musikerin und Regisseurin Sabine Fischmann, bekennt er. Doch bevor es mit den beiden ins Gespräch ging, gab Katharina Deserno erst einmal mit ihrem außergewöhnlichen Cello – „es hat schon einiges durchgemacht, und ich liebe diese Spuren der Geschichte“ – den musikalischen Ton an und spielte zur Einstimmung „Rosen“, eine hoch poetische Suite der rumänischen Komponistin Violeta Dinescu. Rosen sind bekanntlich so verführerisch wie stechend, wissen wir spätestens seit Goethes „Heidenröslein“. Genau diese gegensätzlichen emotionalen Erfahrungen waren auch in der Suite der vor Ceausescu aus Rumänien geflüchteten Komponistin zu erleben. Wohl aus Heimweh verbindet diese ihre Erinnerung an rumänische Volksweisen mit experimentellen Tontransformationen und passt sie dem Saiteninstrument Cello an. Ähnlich wie der ungarische Komponist Béla Bartók – wenn auch tonal und rhythmisch völlig anders – es mit seinen frühen „Rumänischen Tänzen“ getan hat.
Gespräch zwischen der Cellistin Katharina Deserno und Georg Praml nach dem ersten Spiel, Foto: Petra Kammann
Deserno übersetzt die Dinescu-Komposition auf ihr spezielles Spiel. Sie atmet tief und konzentriert ein, schließt die Augen, bevor sie mit dem Bogen weit ausholt und die Bewegungen des Windes organisch aufzunehmen scheint. Zum warmen melancholischen Celloton ihres kostbaren Instruments stimmt sie dazu einen betörenden Gesang an. Fein ziseliert sind die leisen Töne, die aus der Tiefe des Raums zu kommen scheinen und sich in einen Moment der Stille verwandeln und so etwas wie Hoffnung, Sehnsucht und Schönheit aufscheinen lassen. Und dann wiederum klingt es so, als würde der Bogen auf der Saite abrutschen. Schon werden die Risse hörbar und die Härten durch das Anschlagen der Saiten des Cellos in den Pizzicati spürbar, die Stimme laut. Der letzte Ton verklingt und eine anhaltende Stille breitet sich auch im Raum aus, die alle erst einmal hätte sprachlos machen können…, hätte der versierte Moderator Praml nicht gleich durch seine Fragen an die Musikerin wieder die Erdung gefunden.
Er befragte Katharina Deserno nach ihrem familiären Umfeld, ob es da zum Beispiel schon Musiker gegeben habe. Und so sprudelt es aus der Cellistin nur so heraus. Tatsächlich habe Musik in ihrer Familie eine große Rolle gespielt. Da wurde mit Herzenslust musiziert, gesungen, Klavier und von ihrem Bruder Bratsche gespielt, niemals jedoch mit professionellem Anspruch. So sei es ihr selbst zunächst auch nicht klargewesen, dass sie selbst wirklich Musikerin hat werden wollen, und das, obwohl sie als Kind schon mit einem kleinen Viertel-Cello zu spielen begonnen hat. Schreiben und Malen seien ihr ebenso wichtig gewesen. In ihrer Traumwelt konnte sie sich vielleicht damals allenfalls als „Königin der Nacht“ vorstellen, setzt sie scherzhaft hinzu, was sich jedoch schon dann bald als unrealistisch dargestellt habe. Und dann sei ihr Lehrer Gerhard Mantel für sie ein großes, auch pädagogisches Vorbild gewesen, dass man mit künftigen Musikern nicht nur streng sein, sondern vielmehr ihnen Mut zusprechen solle.
Der Pianist Nenad Lecic, inzwischen auch Salzburg erprobt, Foto: Petra Kammann
Ganz anders erging es ihrem serbischen Duo-Partner, dem Pianisten Nenad Lecic, in dessen Zuhause niemand Musiker war. Er aber spielte schon intensiv als Fünfjähriger Klavier und nahm Unterricht, dann trat er bereits seit seinem elften Lebensjahr als Konzertpianist auf, wurde mit 13 schon “Young European Top Talent” und wurde danach in Belgrad an der Musikhochschule der jüngste Student. Das alles klingt auf Anhieb nach hoher Begabung einerseits, andrerseits aber auch nach sehr viel mehr Stress, zumal die Ausbildung in den osteuropäischen Ländern um einiges strenger war. Heute jedenfalls wirkt er konzentriert und ruhig. Seine Lehrer waren auf der Musikhochschule in Köln dann der Pianist Pierre-Laurent Aimard und Arbo Valdma. Aimard muss ihn sehr beflügelt haben, denn der wurde auch später ebenso sein Kammermusikpartner wie auch András Schiff oder Tamara Stefanovich.
Als Solist wiederum trat Nenad Lecic mit verschiedenen großen Orchestern auf wie dem Chamber Orchestra of Europe, The Philharmonia Orchestra, mit den Bamberger Symphonikern, den Belgrader Philharmonikern. Und er spielte in renommierten Konzertsälen wie dem Muziekgebouw Amsterdam oder der Kölner Philharmonie und unternimmt Tourneen nach Japan und Korea. Bei den Salzburger Sommerfestspielen war in diesem Jahr die Pianistin Tamara Stefanovich seine musikalische ,Sparringspartnerin‘. Außerdem wirkt Nenad Lecic als engagierter Interpret zeitgenössischer Musik bei zahlreichen Uraufführungen mit. Spannend für das Publikum, auch ihn dabei zu haben!
Mit der Cellistin Katharina Deserno spielt er bereits seit 2002 im Duo. Und die beiden haben einige gemeinsame CDs herausgebracht. Heute ist Nenad Lecic Dozent an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Von der Zusammenarbeit der beiden Solisten gab es in der Romanfabrik dann auch mehrere fabelhafte Kostproben zu hören: die „Méditation Hebraïque“ des Komponisten Ernest Bloch (1880-1959), eine Art jüdischer Litanei, inspiriert von chassidischen Melodien und jiddischen Liedern des ins Exil gegangenen Komponisten, außerdem Rachmaninows Cellosonate, aus der Sonate von Luise Adolpha Le Beau sowie die Romanzen von Clara Schumann in der Fassung von Katharina Deserno für Violoncello und Klavier. In der Kombination des Pianisten mit der expressiven Cellistin war die Darbietung ausgesprochen gelungen, technisch von hoher Präzision, und geprägt von der Übereinstimmung der beiden Musizierenden. Das Glück, ihrem Spiel zu lauschen, konnten an diesem außergewöhnlichen Abend die Frankfurter Zuhörerinnen und Zuhörer teilen.
Wenn man nur aufeinander hört, kann man auch Klassik und Jazz verbinden: Die klassische Cellistin und der Jazzbasist Praml; Foto: Petra Kammann
Die energiegeladene Katharina Deserno sprach aber auch über ihre genderspezifische Doktorarbeit, in der sie sich speziell den Interpretinnen und Komponistinnen gewidmet hatte, und die es näher ins Licht zu rücken gelte. Sind Interpretinnen nur Ausübende? Und warum hatten die Kompositionen von Frauen bislang so wenig Verbreitung?
So gab es neben den romantischen Komponistinnen noch weitere Werke von Violeta Dinescu zu hören, die Katharina Deserno auf ihrer aktuellen solo CD „Deserno plays Dinescu“ aufgenommen hat: Lythaniae und Abendandacht, letzteres wurde zu einer Uraufführung einer Fassung für Cello und Kontrabass, da sich der Jazzer Georg Praml improvisierend mit seinem Kontrabass einstimmte.
Zum Abschluss gab es einen ganz besonderen Höhepunkt: das Aufeinandertreffen von Rachmaninovs berühmter Cello-Sonate auf das Werk „Gehen wir zu Gruschenka“ von Violeta Dinescu für „Cello con Voce“, ein für Katharina Deserno komponiertes Stück mit Dostojewski-Texten. In der Expressivität war nicht nur Dostojewski präsent, sondern auch die Cellistin mit ihrer positiven Energie und der Spannbreite ihrer Ausdrucksmöglichkeiten, vom Flüsterton bis zum Schrei. Eine Art Psychogramm einer weiblichen Seele? In der Expressivität war nicht nur Dostojewski präsent, sondern auch die Cellistin mit ihrer positiven Energie und der Spannbreite ihrer Ausdrucksmöglichkeiten, vom Flüsterton bis zum Schrei. Eine Art Psychogramm einer weiblichen Seele?
Beglückt über das aufmerksame Publikum: der Pianist Nenad Lecic, die Cellistin Katharina Deserno und der Moderator und Bassist Georg Praml, Foto: Petra Kammann
Ein unvergesslich dichtes Erlebnis! Auch melancholische Musik kann glücklich machen, vor allem wenn sie mit Pablo Casals emblematischem „Gesang der Vögel“ – der Hymne auf die Freiheit – als Zugabe endet… Glockenrein klangen dabei auch die tirilierenden Vogelstimmen vom Flügel.
Ja, Musik tut gut, wenn die durch sie hervorgerufenen Emotionen einen so spannungsreich differenzierten Ausdruck findet. Dadurch lassen sich zwar die aktuellen Probleme – wie etwa auch die heutigen Exilerfahrungen – nicht etwa lösen, aber sie sind dank der Musik vielleicht besser zu ertragen.
Links zu den CDS
Dinescu
https://www.musikeditionen.de/katalog/edition-kaleidos/deserno-dinescu/
Rachmaninov
https://www.musikeditionen.de/katalog/edition-kaleidos/grechaninov-rachmaninov/
Clara Schumann
https://www.musikeditionen.de/katalog/edition-kaleidos/hommage-a-clara-schumann/