Kultur pur: Eindrücke einer Wein- und Gastronomie-Reise durch Burgund
Ein französisches Kernland ist stolz auf seine Weine und seine kulinarische Tradition (1)
Von Uwe Kammann (Text) und Petra Kammann (Fotos)
Ob die Winzer im Rheingau, im Ahrtal oder in Rheinhessen schon die Gelegenheit hatten, im letzten Jahren nach Burgund zu reisen? Wie auch immer: Wenn ja, werden sie diese klassische Weinlandschaft Frankreichs um eine Einrichtung glühend beneiden, die seit einem Jahr Furore macht: die Cité des Climats et Vins de Bourgogne. Wer immer Wein trinkt, liebt oder zumindest seine große Bedeutung für die Kultur eines Landes erkennt, wird hier sein Wissen steigern und seine Neugierde vielfältig schweifen lassen.
Frisch eingeweiht: die Cité des Climats et Vins de Bourgogne in Beaune, Alle Fotos: Petra Kammann
Das Herzstück dieses Zentrums für Weinliebhaber ist sicher in Beaune zu sehen, doch gibt es zwei weitere traditionsreiche und symbolträchtige Orte, die zum Ensemble gehören, mit Beaune ein Netzwerk bilden: Chablis und Mâcon. Doch eines ist sicher: das Haus in Beaune, das nun seinen ersten Geburtstag feiern kann, ist schon vom Äußeren her die Krönung. Und dies, weil das Gebäude in dieser Stadt, die weithin bekannt ist für ihre klassische Baukultur – und natürlich auch wegen der berühmten farbigen Dächer wie beim ehemaligen Hospiz, dem Hôtel-Dieux –, weil es hier den größtmöglichen Kontrast bildet. Mit einer kühnen modernen Architektur, die schon von weitem auffällt, mit ihren spiralartigen schneeweißen Betonringen, die den kreisförmigen Kern mit seinen fünf Etagen umschließen. Natürlich, das erinnert ein wenig an das schwungvolle Guggenheim-Museum in New York, ist allerdings in seiner Ausstrahlung viel leichter.
Leicht und transparent ist das Gebäude und voller Aussichten auf die begnadete Landschaft
Das Material sprechen zu lassen und die Schwerkraft zu besiegen, das gehörte zu den Grundideen der Architektin Emmanuelle Andreani, die den Wettbewerb überzeugend gewonnen hatte – ein weiterer Erfolg ihres in Lyon ansässigen Büros, das zuletzt mit drei internationalen Preisen ausgezeichnet wurde. In seinem Vorwort zu einer ausführlichen Werkbeschreibung beschwört der Bürgermeister von Beaune, Alain Suguenot (der zugleich auch Präsident der Agglomeration Beaune Côte et Sud ist), wie sehr der Wein als „produit naturel“ sich einer vielfältigen Symbiose verdankt, zu denen die Pflanzen, die Früchte, das Klima, die Böden und die Menschen mit ihrer Arbeit jeweils wesentliche Elemente beitrügen – und die auch eine Verbindung von Boden und Himmel signalisiere.
Der um die Cité des Climats et Vins de Bourgogne angelegte Park in Beaune
Deshalb sei es auch angemessen, diesem nun seit zweitausend Jahren bestehendem Kulturgut – von der Unesco für ganz Burgund als immaterielles Kulturerbe geadelt – einen Bau zu widmen, der mit seiner umlaufenden Rampe als neue Variante klassischer Türme gesehen und verstanden werden könne, umgeben von einem nagelneuen Park, der mit seiner Biodiversität alle Überlegungen und Bemühungen spiegele, die Natur in ihrer Kraft und ihrer natürlichen Vielfalt sprechen zu lassen.
Wer sich der Cité nähert, wird von den theoretischen Überlegungen natürlich wenig erahnen. Aber er wird spüren, dass er etwas Besonderes erleben wird. Und die vorgelagerte Skulptur – meterhohe, aus Stahlstäben gefertigten Weinflaschen – stimmt schon im großen Maßstab auf das nach zwanzig Schritten zu erreichende Großthema ein: das Erkunden des Natur- und Kulturwunders Wein.
Hier werden die geologischen Strukturen des Terroirs untersucht
Man muss kein Kenner oder ein bereits passionierter Weinliebhaber sein, um schnell zu begreifen, welch’ kultureller Reichtum sich mit den Burgunderweinen verbindet. Der Rundgang in der abgedunkelten Raumfolge offenbart an den zahlreichen Stationen mit ihrer hochmodernen multimedialen Ausstattung immer neue Einblicke und vermittelt in vielfältiger Art das Wissen um die Besonderheiten des regionalen Weinbaus. Dazu kommt, ebenso wesentlich, das Entfalten der Historie. Die – und da werden viele Besucher staunen – vor Millionen von Jahren mit den Ablagerungen des Meeres begonnen hat, das einst diesen Teil Frankreichs bedeckte. Wein: auch ein ferner Ableger eines früher gewaltigen Klimawandels – der in sich eine große geologische Vielfalt hinterließ.
Blick in die Tiefenstruktur der Terroirs in der Cité des Climats et Vins de Bourgogne
Dies, so ist zu lernen, steckt auch in der Bezeichnung climat, die für die jeweils in sich kleinen Anbauparzellen steht, welche mit ganz individuellen Eigenschaften – von der Lage über die Bodenneigung und -beschaffenheit bis zu den Eigenheiten des terroir – die Qualitäten der dort angebauten jeweiligen Weine bestimmen und ausmachen. Welch’ ein Sinnes-Abenteuer dabei, an den Öffnungen großer Glaskugeln die spezifischen Duftnoten kennenzulernen – die jeweils hervortretenden und damit die Charakteriska eines jeweiligen Weins beherrschenden Kompositionen werden jeden Tag neu in den Glasballons arrangiert, um das Verblassen der Noten zu vermeiden.
Unmittelbar lassen sich die besonderen Aromen der Burgunderweine erschnuppern, Foto: Petra Kammann
Am Schluss des Rundgangs wird ein Glas Wein der gewünschten Sorte zum direkten Kennenlernen und zum Aromavergleich serviert – aus einer ummantelten Flasche, damit sich kein Winzer übervorteilt sieht. Außerhalb des Rundgangs gibt es die Möglichkeit, an Verkostungskursen oder Workshops teilzunehmen – die dafür vorgesehenen Räume vermitteln über ihr fast steriles Ambiente eine äußerste Neutralität, haben also mit Weinseligkeit nichts zu tun. Wer ganz natürlich eine exemplarische Auswahl an burgundischen Weinen und kleine regionale Gerichte genießen möchte, kann dies in der Bar tun, die mit ihren raumhohen Glaswänden einen Ausblick in den zeittypisch-modernen umliegenden Park erlaubt – wobei der Aufgang zur Dachterrasse natürlich noch eine Steigerung erlaubt.
In der „Bar les Accords“ kann man glasweise bestimmte Weinsorten verkosten, Foto: Petra Kammann
Ist diese neue Cité des Climats et Vins de Bourgogne in Beaune mit den beiden Dependancen in Chablis und Mâcon nun eine direkte Schwester der bereits 2016 in Bordeaux eröffneten Cité du Vin? Nein, keineswegs. Denn das Weinzentrum in Bordeaux versteht sich als universale Wein-Vermittlungsinstanz, zieht weit ausholende Linien, trumpft als weithin sichtbarer Tourismusmagnet auf – mit einer ultramodernen Architektur, die jedoch mit ihrer ebenfalls Spiralmotiv zitierenden Glashülle ganz andere Dimensionen aufweist.
Beaune wiederum ist erdverbundener, mit einem sehr menschlichen Maßstab, mit einem ‚nahbaren’ Beton. Vor allem aber: Die burgundische Cité ist ein hochsympathisches Bekenntnis zur eigenen Landschaft, lässt sich erleben als eine große regionale Liebeserklärung. Die Winzer, die in den Einspielfilmen zu Wort kommen, auch prominente Weinkenner wie der durch seine erfolgreichen Literatursendungen bekannt gewordene Bernard Pivot oder der große französische Schauspieler Pierre Arditi oder ich zuletzt die Bewohner, welche zu den großen Weinereignisse befragt werden wie zu den fulminanten Festen der traditionellen Bruderschaft in Clos de Vougeot: Sie alle, die in den Filmen zu sehen sind, vereint in ihren Zeugnissen ein Wort: fier.
Der Stolz der Weinbruderschaften über die legendären alljährlichen Weinversteigerungen
Das heißt eben nichts anderes als stolz zu sein auf das von Wein geprägte Leben in dieser Kulturregion, die immer schon ein geschichtsträchtiges Kernland im östlichen Frankreich bildete. Mit einer Fläche von gut 30.000 Quadratkilometern ist es ungefähr so groß wie Belgien und zählt heute rund 1,8 Millionen Einwohner. Regionalpolitisch ist es heute aufgeteilt in vier Departements: im Osten ist es das Departement Côte-d’Or mit der Hauptstadt Dijon, im Norden ist es Yonne (Auxerre), im Westen Nièvre (Nevers) und im Süden Saône-et-Loire (Mâcon).
Auf der Route der „Grands crus“ mit der sanften hügeligen Landschaft empfiehlt es sich, sich Zeit zu nehmen
Mithin: Die Größe ist überschaubar, es sind also nicht die ganz großen Distanzen zu durchqueren, auch wenn der nördliche Ausleger des Weingebietes mit der dortigen Hauptstadt Auxerre gut 150 Kilometer entfernt ist. Nach Dijon hingegen, Hauptstadt des östlichen Burgund, sind es weniger als 50 Kilometer. Wer es eilig hat, wird die Autobahn nehmen. Wer hingegen Reisen als Genuss versteht, wer hier fast wie in der Vergangenheit eine Landschaft als reine Verkörperung der Douce France, also des lieblichen Frankreich, erleben will, der wird die Landstraßen bevorzugen. An bestimmten Stellen wecken sie schon mit ihren Bezeichnungen himmlische Erwartungen, so mit der Route des Grands Crus, also der Straße der Großen Gewächse, in deren Mitte Beaune liegt.
Auch am Abend bei Regen für Jugendliche attraktiv: die Place de la Libération vor dem Palast der Herzöge in Dijon
In Dijon, natürlich, werden die Reisenden sich zuallererst vom Palast der Herzöge von Burgund beeindrucken lassen, der die großzügige, halbkreisförmige Place de la Liberation im Herzen der Stadt dominiert. Aber inzwischen ist auch eine andere Adresse, nahe des Bahnhofs an der Ringstraße außerhalb des kleinen Kerns gelegen, zu einem Muss geworden: die Cité Internationale de la Gastronomie et du Vin (im Kürzel: CIGV). Auch dieser Tempel der französischen Gaumengenüsse ist vergleichsweise blutjung, weil er erst im Mai vor zwei Jahren eröffnet wurde. Aber inzwischen hat er sich schon ein bedeutendes Renommee verschafft – als höchst attraktiver Ort, um sich in Theorie und (kulinarischer) Praxis auf das einzulassen, was Frankreich auszeichnet. Hier geht es also, was die Historie und Typologie der Gaststätten oder auch die professionelle Entwicklung der Gastronomie betrifft, über Burgund hinaus.
Ein Riesenlomplex ist die Cité Internationale de la Gastronomie et du Vin in Dijon
Wieder wird stolz auf die Unesco verwiesen, welche die gastronomische Tradition Frankreichs neben der burgundischen Weinkultur als immaterielles Welterbe ausgezeichnet hat. All’ diese Werte, so das zentrale Motiv dieser Cité, sollen sowohl „erzählt“ werden als auch direkt in einer „Teilhabe“ erlebbar sein – im Dienst am guten Geschmack, im modellhaften Vorzeigen des Savoir-Faire der Gastronomie und im Zuschaustellen der vielfältigen Produktqualitäten.
Blick in die Gourmet-Ladenstraße der Cité
Was sofort auffällt: Der große Gesamtkomplex dieser Cité in Dijon vereint im großen Stil ganz verschiedene Zeitebenen: eine mittelalterliche mit einem großzügigen, weitläufig angelegtem Hospiz, das noch bis 2015 als Krankenhaus fungierte; und eine heutige, die dem perfekt restaurierten Altbaukomplex einen hochmodernen Eingangs- und Funktionsbau angegliedert hat. Er dient vornehmlich der Außendarstellung der französischen Esskultur mit ihren vielen Facetten, ist auch ein Konferenz- und Ausbildungszentrum, beherbergt ein Multiplex-Kino, verbindet sich mit einem Hotelkomplex.
Historischer Teil der Anlage der Cité Internationale de la Gastronomie et du Vin – das weitläufige ehemalige Hospiz mit Kapelle
Das, was im Französischen als „se régaler“ bezeichnet wird, also schlicht „genießen“, das lässt sich am besten ganz lebendig erfahren in den kleinen Einkaufsstraßen, die in der ehemaligen Hospiz-Anlage eingerichtet wurden. Über ein Dutzend Geschäfte finden sich hier, zwei Restaurants laden ein, dazu gibt es einen in dieser Art sicher einmaligen Höhepunkt: den Cave de la Cité, einen Weintempel, in dem auf zwei Ebenen weit über 2000 regionale Weine angeboten werden, die den ganzen Reichtum der Bourgogne auf die Zunge zaubern. Auch hier, wie an einigen anderen Orten, hat eine Neuerung Einzug gehalten: Es gibt Automaten, die per Vorwahl den gewünschten Wein – in kleiner oder mittlerer Menge – direkt ins Glas füllen, und dies, so wird versichert, ohne jeglichen Qualitätsverlust.
Im Weinkeller der Cité werden „Grand Crus“ und über 2000 regionale Weine auf zwei Ebenen angeboten
Architektonisch ist das Ganze (dessen Baukosten die ursprünglich veranchlagten 200 Millionen Euro natürlich überschritten haben) einer generationsübergreifenden Kooperation zu verdanken: des für den modernen Part verantwortlichen Anthony Bechu (in Paris hat er im Défense-Viertel einen eleganten Glasturm realisiert) sowie des auf hoher Ebene auf historische Bauten spezialisierten Alain-Charles Perrot, der auch Präsident der Académie de Beaux Art ist. Da der sternegekrönte Koch Eric Pras als kulinarischer Direktor des CIGV nominiert wurde, ist gleichsam ein Hochamt des Genusses rund um Tafel und Wein entstanden.
Typisch für die historischen Stadtpalais in Dijon sind die farbiggebrannten Dachziegeln
Dijon sieht sich – so ist zu hören– inzwischen im vollen Umfang bestätigt, dass es als Sieger aus dem nationalen Wettbewerb hervorging, welche Stadt am besten dieses besondere Kapitel der französischen Kultur in Szene setzen könnte. Zu den Konkurrenten zählten auch Beaune, Lyon, Tours und Versailles. Begünstigt hat die Entscheidung sicher nicht zuletzt, dass Dijon die noch junge, erst 1971 gegründete Universität von Burgund über einen Unesco-Studiengang für Wein und Kultur verfügt und über einen Önologie-Schwerpunkt Winzer aus- und fortbildet.
Zu einer Balade Gourmande gehört die Verkostung verschiedenster Spezialitäten – zum Beispiel der dijonspezifischen Lebkuchen
Natürlich tut die Stadt viel, um ihrem Ruf als kulinarische Metropole gerecht zu werden. Zu den Angeboten zählen deshalb neben dem Rundgang im Zeichen des Wappentiers, der Eule, zu den größten Sehenswürdigkeiten in der malerischen Altstadt auch balades gourmandes, welche die Spezialitäten in den Traditionsmanufakturen und –läden entdecken lassen. Viele Namen sind Kennern vertraut, so die Senfmarken des Hauses Edmond Fallot oder die Patisserie-Raffinessen (mit luftig-leichten Gewürzbroten) von Mulot & Petitjean. Die Ladenbesitzer sind sichtlich stolz auf ihre Produkte und ihre handwerklichen Fähigkeiten, geduldig erklären sie die Herkünfte der Ingredienzien und die Herstellungsprozesse. Die Besucher sind für sie keine lästigen Touristen, die nur wegen der Einnahmen willkommen wären – nein, auch hier zeigt sich, wie bei den Winzern, eine ganz natürliche Verbundenheit mit Werten und Traditionen.
In der Senfmanufaktur von Fallot wird Dijoner Senf in den verschiedensten Aromen hergestellt
Zum ‚Eigentlichen’ gehört in Dijon natürlich auch der Cassis, der Likör aus schwarzen Johannisbeeren. Richtig, viele sehen ihn vor allem als Erzeugnis dieser Stadt, doch ist die regionale Herkunft natürlich weiter zu ziehen. So gibt es auch in Beaune ein als Védrenne firmierendes Unternehmen, das seit den 1930er Jahren viele Varianten herstellt, dabei auch andere Spirituosenmarken in ein kooperatives Geschäftsmodell einbezogen hat – wichtig für die Marktpräsenz, auch international. In der so pittoresken Innenstadt lockt eine Boutique des Hauses, um die vielfältigen Liköre – Cassis gibt es mit und ohne Alkohol – zu verkosten. Doch viel reizvoller ist es, sich die Herstellung direkt vor Ort anzuschauen und erklären zu lassen.
Aurore zeigt, wie die besondere schwarze Johannisbeere in Nuits-Saint-Georges bei Beaune per Hand gepflückt wird
Die Fahrt geht in ein reines Gewerbegebiet, die große Produktionshalle mit dem Firmenlogo Védrenne sieht so gar nicht nach Genuss aus. Doch schon beim Betreten der vorgelagerten, elegant eingerichteten Empfangshalle, der als Verkostungs- und Verkaufsraum dient und in ein kleines Cassis-Museum übergeht, ahnt man die Subtilität der fruchtigen Genusswelten. Wer sich dann einer sehr charmant präsentierten Führung anschließt, dem offenbaren sich viele Aha-Erlebnisse und Momente des Staunens angesichts der Sortiermaschinen, Pressen, großen Stahltanks, in denen vielfältige Sorten reifen. Allein schon das Farbspiel der Flaschen – gut eine Millionen werden pro Jahr gefüllt – ist von hohem Reiz.
In großen Stahltanks reift die Crème de Cassis
Und wieder ein Beleg dafür, warum die Bourgogne so viele Besucher anzieht und gerade für ausländische Touristen attraktiv ist: für sie ist die Region die sechstbeliebteste in Frankreich, dem Welt-Tourismus-Magneten schlechthin.
Der Cassis freut sich in der frühen Werbung schon großer Beliebtheit
Was sofort auffällt: Es ist kein Massentourismus. Der 22.000 Beschäftige zählende Sektor übertrifft zwar mit 2,2 Milliarden Euro Umsatz sogar den Weinbau, doch stellt sich nie das Gefühl ein, hier nur als Zahlgast willkommen zu sein. Was zählt, sind individuelle Qualitäten, fernab der Standardisierung. Das gilt auch für die Hotellerie, die eine Vielzahl von schönen Häusern aufweist, in die sich gerade Besucher aus Deutschland sofort verlieben können – eben, weil sie (schon äußerlich) Tradition und Charme vereinen, nichts zu tun haben mit standardisierten Kettenangeboten.
Fast familiär die Atmosphäre eines typisch französischen Hôtel particulier im Cèdre, wenn der Küchenchef nachfragt, ob es geschmeckt hat
Ein Musterbeispiel ist in Beaune zu erleben, benannt nach einem Baum, der Zeder. Le Cèdre ist im Kern ein altes Wohnpalais, ein Typus, der in Frankreich sinnigerweise hôtel particulier heißt. Die Trakte umschließen einen romantischen Hof, der schon zum Frühstück einlädt, dann zum Entspannen, später auch zum Dinieren. Es ist eine Mixtur aus innerer Modernität und bewahrtem Zauber früherer Raumfluchten (welch’ einladende Treppenhäuser früher gebaut wurden!), aus zeitgenössischen Angeboten für Konferenzen und Seminare und dem umsorgten Wohlleben für privat reisende Gäste.
Whirlpool im Spa des einstigen Weinkellers des „Cèdre“
Wer kann schon ein Spa (das auch für das städtische Publikum offensteht) in den magischen Gewölben des früheren Weinkellers anbieten – und gleich neben dem Empfang und der Bar eine gemütliche Lounge, in der auch Burger nicht verpönt sind?
Sehr persönlich geführt das „Clos du Cèdre“: Sternekoch Jordan Billan mit seiner Frau Gwëndoline, der Empfangschefin
Doch besonders stolz ist der Hotelmanager Cyrill Cioppa natürlich auf das hauseigene Spitzenrestaurant Clos du Cèdre, Küchenchef Jordan Billan, der eine fünfzehnköpfige, international zusammengesetzte Brigade steuert, inspiriert und motiviert, wurde schon vor zwei Jahren mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Wohin man schaut: Das Niveau ist hoch in diesem Fünf-Sterne-Haus, das gleichwohl entspannt-ungezwungen, also nonchalant, sein Spektrum öffnet. Während also am Eingangstor ein Mercedes-Maybach parken kann, erscheinen zum Frühstück auch schon mal Radler in voller Montur. Da der Fahrradtourismus boomt, gehört eine Velostation zum Willkommenskonzept.
An einem Spätsommertag lässt sich im Cèdre auch draußen im idyllischen Garten frühstücken
Ganz anders die Hostellerie du Vieux Moulin in Autun, der früheren gallo-romanischen Hauptstadt. Leicht außerhalb des Zentrums liegt diese restaurierte alte Mühle, deren als Restaurant dienende angebaute Veranda auf einen lauschigen kleinen Garten schaut, der bei schönem Wetter unter alten Bäumen zum Essen einlädt. Der allgegenwärtige Hotelchef kocht und bedient selbst. Auf der Karte steht der französische Allzeit-Klassiker Steak-Frites, und er schmeckt, begleitet von einem regionalen Wein aus Beaune, hervorragend. Das gilt auch für das Frühstück, alte französische Schule mit unnachahmlich duftendem Kaffee aus offener Porzellankanne, mit Croissants, Baguette, Butter und Konfitüre, sonst nichts.
Hier im Gasthaus der Alten Mühle bedient der Chef des Hauses selbst
Die Vieux Moulin ist natürlich eine ganz andere Preisklasse als das elegante, in sich perfekte Clos du Cèdre mit seiner Sternenküche. Aber alles an diesem lauschigen Platz in Autun ist sehr reell, authentisch und sympathisch; und dazu noch ein work in progress, weil der Besitzer, früher in internationalen Hotels gearbeitet hat, bevor er sich in die Mühle verliebte, weiter restaurieren und renovieren will.
Frühstücksraum und Bistro im Vieux Moulin in Autun
Auch in Dijon ist zu erleben, was individuelle Liebe vermag. Hier, lediglich drei, vier Gehminuten von der Place de la Libération und damit vom Palast der burgundischen Herzöge entfernt, ist ein klassizistisches Bürgerhaus im Inneren zu einem wunderschönem Stadthotel umgebaut worden, so klein wie fein. Kein Aufzug im Hôtel du Palais, natürlich nicht, dafür ein edles Treppenhaus, das zu neun perfekt ausgestatteten und individuell eingerichteten Zimmern führt.
Das Hotel du Palais ist in der historischen Altstadt gelegen
Die Besitzer – sie stellen sich bescheiden nur als Eve und Sébastien vor – sind Kenner und Liebhaber der burgundischen Kultur, verfügen über eine reiche, auch internationale Erfahrung in der Hotellerie, der Gastronomie und im Weinbau. Und sie haben jetzt ein Kleinod geschaffen, das Entdeckungsreisen in die umliegende Welt des Weines einschließt.
Historisches und zeitgenössisches Ambiente im Frühstücksraum des Hotel du Palais
Auch hier wieder: der Zauber des Individuellen, des Persönlichen, ganz ohne Aufdringlichkeit zu finden in einer Gastfreundschaft, die genau dem in vielen Facetten so sanften, einladenden Charakter dieses gesegneten Landstrichs entspricht, zu dem der weite Begriff der Kultur so gut passt. Denn er geht ja auf die Urtätigkeit des Menschen zurück, auf das erfahrungsgesättigte Anbauen, das wissende Bearbeiten, das kluge Bewirtschaften: Agriculture ist der französische Begriff für Landwirtschaft. Kurz: es geht um das Kultivieren. „Il faut cultiver son jardin“, heißt der berühmte Satz in Voltaires „Candide“, und man muss ihn keineswegs ironisch oder abwertend einstufen.
Eine Delikatesse des Prés aux Clercs: Weinbergschnecken auf Toast in schwarzen Knoblauchöl gebacken mit Petersiliensauße
Burgund, eine Kulturlandschaft, ja, unbedingt. Dort darf man als deutscher Besucher folglich auch probieren, was die heimischen Gärten hervorbringen, hier aber kaum mehr auf einer Speisekarte auftaucht: Schnecken. Die Augen des Kellners im Le Prés aux Clercs am so prächtigen zentralen Platz Dijons leuchten, als er nach seiner Empfehlung für die Vorspeise gefragt wird. Natürlich, unbedingt heimische Schnecken, die Escargots Dijonnais d’Hervé Ménelot en Persillade. Für 23 Euro nicht geschenkt, aber wirklich köstlich. Wie auch die anderen Regionalgerichte in diesem Restaurant, das im Stil einer Brasserie eingerichtet ist und sehr städtisch, modern und lässig wirkt, in dem aber das traditionelle Handwerk perfekt beherrscht wird. Dass der Drei-Sterne-Koch Georges Blancs die Karte mitentwickelt hat, lässt sich an vielen Details erkennen. An den Wänden prangen in großen Buchstaben mal launige, mal ernste Zitat-Weisheiten aus der Welt des Essens – es sind hier zungenscheinlich keine leeren Worte.
Im Le Pré aux Clercs wird der Spruch von Henri IV beherzigt: „Bonne cuisine et bon vin, c’est le paradis sur terre“ („Gute Küche und guter Wein, das ist das Paradies auf Erden“)
Schon wenige Tage des Eintauchens in diese Wunderwelt einer so tief verwurzelten wie alltäglichen Kultur reichen, um etwas vom Wesen dieses französischen Kernlandes mit seiner bedeutenden Geschichte zu verstehen, vor allem aber auch, es schätzen und lieben zu lernen. Die Burgunder im deutschen Nibelungenlied sollte man dabei nicht suchen. Denn das ist eine ganz andere Geschichte. Und die neueste Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, auch auf nur ein einziges Glas Wein lieber zu verzichten? Sie ist sicher am grünen Tisch entstanden, aber nicht in einem Land, das seit 2000 Jahren mit dem Edelsten lebt, was Trauben hergeben – Kultur pur eben.
Weiterführende Informationen für Burgund-Reisen :
https://www.burgund-tourismus.com/
Die Reise wurde unterstützt durch die nationale französische Organisation atout-france.