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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Amazônia. The World of Sebastião Salgado“ – Deutsche Uraufführung in der Alten Oper

Die Urgewalt der Natur und der Klangraum der Bilder

Von Petra Kammann

Seit mehr als einem halben Jahrhundert dokumentiert der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado die Schönheiten der Natur wie auch ihre Gefährdung durch den Menschen. Für seine sozialdokumentarische Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet. Die Alte Oper Frankfurt stellte vom 19. bis 21. September 2024 den Fotografen in einem dreitägigen Festival „Amazônia. The World of Sebastião Salgado“ vor und rückte dabei seine grandiosen Fotoarbeiten, die im Amazonasgebiet entstanden, in den Kontext von Musik, Film und Gespräch. Der Auftakt mit der deutschen Uraufführung von „Floresta do Amazonas“ des brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos unter der mitreißenden Leitung der brasilianischen Dirigentin Simone Menezes war ein Erlebnis der Sonderklasse.

„Amazônia. The World of Sebastião Salgado“ in der Alten Oper, Foto:Salar Baygan/Alte Oper Frankfurt

Wie kann es anders sein? Zunächst einmal ging es um Salgado als charismatische Identifikationsfigur selbst. Er wirbt mit seinem leidenschaftlichen Engagement für die Wiederaufforstung des brasilianischen Regenwalds. Seine Hingabe für den Schutz der Natur und die Rechte indigener Völker spiegelt sich in seinen eindringlichen großformatigen Schwarz-Weiß-Bildern wider. Salgado hat sich mittels seines außergewöhnlichen fotografischen Werks eben nicht nur als Künstler, sondern auch als engagierter Umweltschützer profiliert.

Voller Leidenschaft spricht Salgado über die so geheimnisvoll reiche wie fragile Schönheit des Regenwalds, Foto: Petra Kammann

Schon vor einigen Jahren hat Salgado sein fotografisches Großprojekt, das Amazonas-Gebiet zu dokumentieren, bereichert, indem er es mit einem musikalischen Werk in Beziehung setzte, das ebenfalls vom brasilianischen Regenwald erzählt, und von dem eine starke emotionale Kraft ausgeht. Gemeinsam mit der brasilianischen Dirigentin Simone Menezes brachte Salgado das große Musik-Bild-Projekt „Amazônia“, das nach Aufführungen in London, Paris und Rom nun erstmals in Deutschland in der Alten Oper Frankfurt als umfassendes Festival zu erleben war, auf die Bühne. Dabei kombinierte er seine großformatigen Fotografien vom Urwald mit jenen Klängen, die sein Landsmann Heitor Villa-Lobos 1958 als Hommage an den Amazonas komponiert hatte.

Die Dirigentin Simone Menezes leitete das Sinfonieorchester des hr, Foto:Petra Kammann

Da Frankfurt musikalischer Kooperationspartner des Projekts ist, wurde dieses opulente sinfonische Oratorium „Floresta do Amazonas“ dann unter der Leitung von Simone Menezes als Suite für Orchester und Sopran mit dem hr-Sinfonieorchester erarbeitet. Die klangmächtige Regenwald-Suite von Heitor Villa-Lobos folgt dabei der Dramaturgie Salgados, dessen eindrückliche Fotos vom Amazonas-Gebiet im Hintergrund auf der Großleinwand projiziert wurden. Amazônia fand gewissermaßen zweimal statt: einmal in kürzerer Form, gedacht für Kinder und Jugendliche, einmal erweitert um einen Auszug aus Philip Glass’ Amazonas-Hommage „Águas da Amazônia“. Diese Fassung taktete Salgado Sequenz für Sequenz mit einer Auswahl seiner Fotos und schuf damit ein Bild-Ton-Gesamtkunstwerk rund um den Amazonas. „Eine perfekte Verbindung, fast so als ob die Musik von Villa-Lobos für diese Fotos von Salgado geschrieben worden wäre“, beschrieb Simone Menezes das Ergebnis, auch wenn die beiden lange miteinander gerungen hätten, wie sie im späteren Gespräch mit hr-Moderatorin Christiane Hillebrand erzählte.

Salgado signiert noch kurz vor Konzertbeginn seinen Bildband „Amazônia“ aus dem Taschen Verlag, Foto: Petra Kammann

Inmitten der Konzertveranstaltung trat Salgado dann auch noch einmal auf die Bühne, um mit seiner engagierten Rede an Herz und Portemonnaie des Publikums zu appellieren, indem er die Bedeutung des Themas „Amazonien“ anschaulich darstellte. Da die Amazonas-Region mit dem wasserreichsten Fluss der Erde samt seiner indigenen Bevölkerung eine der artenreichsten und wertvollsten Naturschätze ist, die wir haben, bedeute, die Schönheit der Landschaft zu zeigen, eben auch, für ihren Schutz zu werben. Denn – so Salgados Plädoyer – die Welt mit ihrer reichen Biodiversität, die er selbst bestens kenne und durchwandert habe, sei auch unser aller Welt. Und diese phantastische Welt sei eben durch den Verlust von Artenvielfalt, durch Umweltverschmutzung und Klimakrise zutiefst bedroht. Daher seien Spenden für die Pflanzung neuer Bäume, dort, wo schon Raubbau getrieben wurde, in unser aller Interesse.

Salgado appelliert an das Publikum, für die Wiederaufforstung an das Instituto Terra zu spenden, Foto: Petra Kammann

So wundert es nicht, dass die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung dieses Festival unterstützt, die seit über 200 Jahren weltweit das System Erde in  Vergangenheit und Gegenwart erforscht, und außerdem Prognosen für die Zukunft formuliert. So empfindet Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft, einen gewissen Stolz darüber, Partner von „Amazônia. The World of Sebastião Salgado“ zu sein, zumal renommierte Senckenberg-Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der Amazonas-Region unter anderem die Säugertierpopulationen im Jahresverlauf  untersuchen sowie die Amphibien- und Reptilienpopulationen, welche die Entwicklung der Wälder modellieren.

Leuchtend und geschmeidig sang die Sopranistin Camila Provenzale die Canti, Foto: Petra Kammann

Doch nach dem starken Plädoyer des Fotografen wieder zurück zu den Fotografien und zum musikalischen Programm, das an diesem Abend nicht allein auf der Bühne stattfand. Da die meisten oft nur die „Bachianas Brasileiras“, diese Synthese zwischen Bach und Brasilien, oder die Sinfonien von Villa-Lobos kennen, ist ihnen nicht bewusst, dass er für den Amazonas die „Floresta do Amazonas Suite“ komponiert hat, die zudem aus konzerttauglichen Gründen von 75 auf 43 Minuten reduziert wurde. Das ließ sich 1 zu 1 nicht auf die Fotografien übersetzen. Insofern hat Salgado jeder Sequenz seine Bilder thematisch zugeordnet. Eine lautete „Der Wald“. Salgado war daran gelegen, in Luftaufnahmen die ungeheuren Ausmaße und die gleichzeitige Dichte des brasilianischen Waldes zu zeigen. Im zweiten Teil zeigte er das „Innere des Waldes“, das fotografisch vor allem von der sich ständig verändernden Flusslandschaft vom Boot aus zu fotografieren war. Da stehen bisweilen wegen der variierenden Flusspegel von bis zu 25 Metern Höhenunterschied die Bäume unter Wasser. Bei niedrigem Stand waren es vor allem die unglaublichen Wolkenlandschaften, die Salgado dem organischen Fluss der Musik zugeordnet hat.

Als weitere Partner stehen außerdem der Word Wide Fund, der WWF, wie auch die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) als Kooperationspartner hinter dem Projekt. So sichert die ZGF zusammen mit den Behörden vor Ort Nationalparks und etabliert mit der lokalen Bevölkerung nachhaltige Landnutzung im Amazonasgebiet, während sich die KfW Entwicklungsbank im Auftrag der Bundesregierung für den Erhalt biologischer Vielfalt in Entwicklungs- und Schwellenländern engagiert und die KfW eine direkte Zusammenarbeit mit dem Instituto Terra verbindet, das 1998 von Lélia Wanick Salgado und Sebastião Salgado gegründet wurde und damit die Wiederaufforstung in Sebastião Salgados Heimat im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, im Atlantischen Regenwald finanziell unterstützt.

INDIGENES TERRITORIUM DER XINGU im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso, 2005. Sebastião SALGADO / „Amazônia. The World of Sebastião Salgado“ Alte Oper Frankfurt 

Sanfte musikalische Passagen wurden den Bildern von Frauen oder Frauen mit Kindern zugeordnet, während die stärker aggressiven Anteile der Musik mit maskulinen, kriegerischen Bildern von bemalten Männern mit spitzen Pfeilen gegenübergestellt wurden, denen auch die bedrohlicheren Trommelwirbel der Suite entsprachen. Salgados unglaubliche Licht- und Naturstrukturkompositionen in Schwarz-Weiß mit ihren unendlichen Schattierungen standen den wohlklingenden, an Filmmusik angelehnten Sounds gegenüber, welche von rhythmischen Elementen und Einschüben durchmischt waren. Die hochmotivierten sieben Schlagzeuger des hr strahlten eine hohe Energie aus und kamen ebenso zur Geltung wie die gewaltige Blechbläser-Besetzung oder auch die kraftvollen Streicher.

Drei leidenschaftliche Künstler beim Schlussapplaus: v.l.: Dirigentin Simone Menezes, Sebastião Salgado und die Sopranistin Camila Provenzale, Foto: Petra Kammann

Und wie gelangte Salgado selbst zur Musik? In einem Interview berichtete er, dass sein Vater auf der Rinderfarm in Aimorés in Minas Gerais damals das einzige Radio der Gegend besaß, das den jungen Sebastião mit dem riesigen Land Brasilien vertraut gemacht hatte und seine Lust, dieses gewaltige Land näher zu entdecken, anfachte. Er schilderte auch die Bedeutung des Singens für ihn. Die Rinder mussten nach Campos geführt werden, was damals bedeutete, dass man mit dem Pferd 45 Tage lang unterwegs war. Dieser Weg wurde dann durch Gesang begleitet, auch, um den Jaguar oder das Gürteltier zu vertreiben. Unterwegs habe er dann zunächst die Popmusik von Villa-Lobos kennengelernt und sich damit seinen Namen gemerkt. Später entdeckte er dann den großen Komponisten. Auf dem Internat schon sang er im Schulchor die heiligen Messen. Und mit 19 traf er dann auf die damals 17-jährige Lélia, seine spätere Frau Lélia Wanick Salgado, die ihm Chopin vorspielte. Da war es um ihn geschehen. Er entdeckte die „klassische Musik“.  Hinzukam, dass Lélias Mutter zur Musik von Villa-Lobos sang.

Christiane Hillebrand im Gespräch mit dem hr-Perkussionisten Konrad Graf, Foto: Petra Kammann

Auf dem Programm  der Alten Oper standen zunächst zur Einstimmung das Prelúdio aus den „Bachianas Brasileiras“ Nr. 4 von Heitor Villa-Lobos aus dem Jahre 1942 und dann ein sehr überraschender Auszug aus Philip Glass’ Regenwald-Hommage „Aguas da Amazonia“, der statt des typischen Glass’schen Minimalismus stärker die Atmosphäre und die ungezügelte Urgewalt der „grünen Hölle“ rüberbrachte, die gleichzeitig auch den Quell allen Lebens widerspiegelte. Das Konzert wurde eingefasst durch ein Künstlergespräch mit Sebastião Salgado vorab im Großen Saal und einen abschließenden Talk an der Bar mit hr-Moderatorin Christiane Hillebrand, dem Solo-Schlagzeuger und stellvertretenden Solo-Pauker Konrad Graf und der deutsch-brasilianischen Autorin Paula Macedo Weiß mit der in Frankreich lebenden brasilianischen Dirigentin Simone Menezes.

Spannend, wie der Solo-Schlagzeuger Konrad Graf erzählte, dass er sich eigens Schlaginstrumente für die Amazonas-Suite aus natürlichen Materialien gebaut hatte und alte Instrumente aus dem Keller wieder aktiviert hatte und jetzt ein völlig neues Brasilien kennengelernt hatte als zu seiner ersten professionellen Reise mit dem hr 1991, die sich eher an touristischen Elementen und klassischerer Musik orientiert habe.

Nach dem Konzert: Gespräch der Dirigentin Simone Menezes mit der in Frankfurt lebenden brasilianischen Autorin Paula Machedo Weiß, Foto: Petra Kammann

Die seit gut 30 Jahren in  in Frankfurt lebende Juristin und interdisziplinär arbeitende Kuratorin und Autorin Paula Machedo Weiß sprach darüber, was Brasilien ihr aus der Distanz bedeute und verwies auf die Größe des Landes, die für uns unvorstellbar erscheint. Simone Menezes wiederum berichtete von ihren ersten Europa-Eindrücken, als sie zum ersten Mal im Winter nach Italien kam. Die Kälte sei für sie unvorstellbar gewesen. Heute lebt sie ebenso in Paris wie Salgado, der Brasilien 1969 wegen der Militärdiktatur verlassen hatte.

Der Klangkosmos Amazonien wurden an diesem langen besonderen Abend sowohl optisch als auch akustisch in Frankfurt präsent mit einer Außen- und einer Innen-Perspektive.

Sebastião Salgado wurde 2019 in Frankfurt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, Foto: Petra Kammann

Sebastião Salgado, geboren 1944 in Minas Gerais in Brasilien, zählt zu den wichtigsten sozial engagierten Fotografen unserer Zeit. Seine Schwarz-Weiß-Fotografien wurden in der Presse, in Büchern und in zahlreichen Ausstellungen in aller Welt veröffentlicht. Salgado studierte zunächst Ökonomie in São Paulo. 1969 floh er mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado vor der brasilianischen Militärdiktatur nach Paris. Dort fand er zufällig zur Fotografie und begann 1973 eine Karriere als professioneller Fotograf. Er arbeitete mit namhaften Bildagenturen, darunter Magnum Photos, zusammen, bevor er 1994 mit Lélia die Agentur Amazonas Images zur Vermarktung seiner Projekte gründete. Salgado bereiste mehr als 100 Länder für seine fotografischen Arbeiten. In seinen Langzeitprojekten dokumentierte er vor allem Missstände und soziale Probleme in Afrika, Europa und Südamerika. Besonders intensiv widmete er sich dem brasilianischen Regenwald.  Für das Großprojekt „Amazônia“ war er sieben Jahre in den entlegensten Gebieten des Amazonas-Urwalds unterwegs war. Parallel zu seiner fotografischen Arbeit engagiert sich Salgado seit den 1990er Jahren in dem von ihm und Lélia gegründeten Umweltprojekt Instituto Terra für den Erhalt des Regenwalds. Auch für dieses soziale Engagement erhielt Salgado international Anerkennung, unter anderem wurde er 2019 in Frankfurt mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Sebastião Salgado und Lélia Wanick Salgado 2019 in Frankfurt, Foto: Petra Kammann

Lélia Wanick Salgado ist eine brasilianische Umweltschützerin, Designerin und Szenografin. Sie studierte zunächst in Brasilien Klavier, Französisch und Malerei, dann in Paris Architektur und Stadtplanung. Ihr Interesse an der Fotografie begann in den frühen 1970er Jahren und wuchs im Laufe der Zeit. In den 80er Jahren arbeitete sie für Fotomagazine, bevor sie Direktorin der Pariser Galerie Magnum wurde. Seit dieser Zeit arbeitet sie an der Konzeption und Gestaltung der meisten Fotobücher Sebastião Salgados und all seiner Ausstellungen. 1994 wurde sie Direktorin von Amazonas Images, einer von ihr und Sebastião Salgado gegründeten Presseagentur in Paris, die sich ausschließlich dem Werk Salgados widmet. Lélia erhielt mehrere Auszeichnungen für ihre Umweltaktivitäten am Instituto Terra, das sie und ihr Mann 1998 gegründet hatten und das mittlerweile zu einer weltweiten Referenz für die Wiederherstellung von Ökosystemen, die der Erhaltung der Umwelt dienen, geworden ist. 2023 wurde Lélia für ihr Engagement mit dem Gulbenkian-Preis für Menschlichkeit geehrt. „Sie hat sich auf lokaler Ebene für die Wiederherstellung und den Schutz des Landes und der biologischen Vielfalt eingesetzt, die für das gesunde Funktionieren unserer gesamten Erde und die Abschwächung der Auswirkungen des Klimawandels entscheidend sind“,hieß es in der Begründung der Gulbenkian-Stiftung.

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Ebenfalls auf der Großleinwand war der Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ von Wim Wenders und Salgados Sohn Juliano Ribeiro Salgado, die beide den Fotografen bei der Arbeit begleitet haben, zu sehen, begleitet von Podiumsgesprächen mit Sebastião Salgado und dem Regisseur Wim Wenders.

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