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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Magier des Welttheaters Bob Wilson erzählt „Moby Dick“ als Märchen auf der Bühne

Zur Saisoneröffnung am Düsseldorfer Schauspiel

von Simone Hamm

Hermann Melvilles großer Roman erzählt die Geschichte von Kapitän Ahab, der fast um die ganze Welt segelt, um den weißen Wal zu töten, von dem er glaubt, er habe ihm den Unterschenkel abgebissen: Moby Dick. Und Bob Wilson versucht natürlich erst gar nicht, dieses über 1000 Seiten lange Epos von menschlicher Überheblichkeit und furchtbarem Scheitern umzusetzen. Er pickt sich Stellen heraus, er erzählt ein Märchen.

„Moby Dick“ von Herman Melville; Regie, Bühne, Licht: Robert Wilson, Foto: Lucie Jansch

Wie alle Inszenierungen von Bob Wilson ist auch „Moby Dick“ ein hochästhetisches Spiel aus Licht und Schatten. Wie immer tragen die Schauspieler außergewöhnliche Kostüme, in Düsseldorf lange geometrische Roben. Die bestimmenden Farben sind schwarz, grau und weiß, nur selten rot. Wie immer überästhetisiert Wilson das Geschehen, wie immer werden Textstellen wiederholt und wiederholt. Und wie immer zieht er die Zuschauer von der ersten Minute an in seinen Bann.

Moby Dick, Co-Bühnenbild: Serge von Arx, Co-Lichtdesign: Marcello Lumaca, Foto: Lucie Jansch

Bevor noch irgendetwas auf der Bühne geschieht, beeindruckt schon das düstere Bild vom riesigen, springenden Wal mit dem großen Maul, dem wilden Auge. Er ist schwarz, nicht weiß. Im Hintergrund das weiße Segel eines Schiffes, das sich im Wind neigt. Dazu laute Musik.

Melville erzählt vom Handwerk der Walfänger, von ihrem engen Zusammenleben, von ihrer Sehnsucht nach Zärtlichkeit, von einem wahnsinnigen Kapitän, der nur eines will: den weißen Wal töten, koste es, was es wolle. Und sei es auch sein Leben und das der Besatzung. „Moby Dick“ ist nicht frei von Pathos.

Wilson macht einen Boy (Christopher Nell) zur Hauptfigur. Er wirkt wie „der fliegende Robert“ aus dem Struwwelpeter, turnt auf dem Boot herum, singt, springt, hopst, ist verspielt, naiv. Das bringt eine humoristische Note auf die düstere Bühne. Boy könnte der Schiffsjunge sein oder dessen alter ego oder aber ein Verwandter des einzigen Überlebenden der Walfangexpedition, Ismail (großartig: Killian Pohnert). erzählt von der Geschichte der Waljagd. Wie eine Puppe aus einem asiatischen Spiel bewegt er seinen Mund. Stoisch.

Belendjwa Peter, Jonas Friedrich Leonhardi, Michael Fünfschilling, Roman Wieland, Moritz Klaus, Yaroslav Ros, Jürgen Sarkiss, Christopher Nell, Kilian Ponert, Foto: Lucie Jansch

Vielleicht hat der Boy die Geschichte schon so oft gehört, dass er sich hineinversetzen kann, dass er glaubt, alles selbst erlebt zu haben. Oder er hat es wirklich erlebt. Wir erfahren es nicht. Er ist der Narr. Sein heller Gesang ist glasklar, seine Grimassen sind bisweilen überzeichnet, ja nervend. So komisch geht es auf dem Schiff dann doch nicht zu.

Rosa Enskat als Kästen Ahab ist eher kühl, ja kalt, aber wer sagt schon, dass nicht auch Kühle wahnsinnig sein können? Sie gibt einen herrischen, unnachgiebigen Ahab. Sie ist Herrscher(in), von Kopf bis Fuß eine Bob Wilson-Figur.


Rosa Enskat, Roman Wieland, Heiko Raulin Foto: Lucie Jansch

Im Hintergrund sind einmal Szenen aus John Hustons Moby Dicks Verfilmung von 1956 zu sehen, und zwar nicht Gregory Peck, sondern die Statisten mit den wettergegerbten Gesichtern, die am Hafen warten. Das ist sehr eindrücklich. Wilson weiß, dass auch diese Projektionen sein poetisches Spiel auf der Bühne nicht überlagern, ihm, im Gegenteil, mehr Tiefe geben.

Mehrmals schwebt ein weißes Haus auf die Bühne. Ruhe, Komfort bietet es nicht. Eine vage Erinnerung an Heimat.

Die britische Singer-Songwriterein Anna Calvi hat die Musik komponiert: laute Metallklänge, zarte Lieder, ein sehnsüchtiges „Wanderlust“, ein bluesiges „Every Sailer is a Butcher“. Die Musiker vom Düsseldorfer Schauspielhaus sind großartig. Anna Calvis so vielseitige Musik treibt die Handlung voran. Ein Abend für alle Freunde der Inszenierungen von Bob Wilson. Ein großer Abend.

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