Frühe Bilder des britischen Fotografen Martin Parr im Fotografie Forum Frankfurt
Aus dem schwarz-weißen Frühwerk des Magnum-Fotografen
Von Petra Kammann
Mit einer Auswahl von mehr als fünfzig selten gezeigten Schwarz-Weiß-Fotografien, die zwischen 1970 und 1985 entstanden, konzentriert sich die Ausstellung „Early Works“ von Martin Parr im FFF auf die Feinheiten der unbemerkten Episoden des Alltags: Gleich ob es sich um die von lokalen Traditionen in England und Irland geprägten Gemeinschaften, das Straßenleben oder das triste Inselwetter handelt, immer schärft sich der humorvolle Blick des weltweit bekannten Fotografen an teils skurrilen Details des menschlichen Zusammenlebens. FFF-Direktorin Celina Lunsford kuratierte die Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit dem Dokumentarfotografen, Fotojournalisten, Produzent und Sammler Parr und der Martin Parr Foundation in Bristol. Ein weiterer Höhepunkt im Jubiläumsjahr 40 Jahre Fotografie Forum Frankfurt!
Hier gehts zur Ausstellung „Early Works“ von Martin Parr im Fotografie Forum Frankfurt, Foto: Petra Kammann
Eigentlich wirkt dieses großaufgezogene Foto vom Dorfbankett von Martin Parr gleich am Eingang zur Ausstellung „Early Works“ wie aus der Zeit gefallen. Oder doch nicht?
Am liebsten würde FFF-Geschäftsführerin Sabine Seitz vor Parrs Eingangsfoto das Jubiläumsbuffet aufbauen, Foto: Petra Kammann
Die Mode der auf dem Foto gezeigten Personen jedenfalls stammt wohl aus einer anderen Zeit, die uns Lichtjahre entfernt zu sein scheint. Aber unabhängig davon: hat sich das Verhalten vor den Buffets, Gedränge , Geschiebe und die Gier bis heute eigentlich geändert? Das Köstliche wird dem Nachbar geneidet und vor der Nase weggeschnappt. Also ein Klassiker …
Für die künstlerische Leiterin des FFF Prof. Celina Lunsford war Parr schon seit Beginn ihrer Berufstätigkeit ein starkes Vorbild, Foto: Petra Kammann
In all seinen Motiven spielt auf den Schwarz-Weiß-Fotos des inzwischen 72-jährigen Martin Parr das Licht – oder sagen wir besser – das fehlende Licht eine Rolle. Und das ist durchaus im doppelten Sinne zu verstehen, handelt es sich dabei vor allem auch um Szenen ganz schlichter einfacher Menschen, auf die bislang selten das Licht fiel, weder von Malern, noch von Fotografen.
Sie aber stehen nun ganz real da draußen mit den absonderlichsten Details, oft irgendwo am Straßenrand, wo die Natur eher schäbig ist, oder vorbeieilend, etwa, um sich vor dem Regen zu schützen, weswegen sie den nächstbesten Pappkarton als Kopfbedeckung umfunktionieren. Auf etlichen Bildern nieselt und nebelt es in den Ländern nahe des Atlantik. Da strahlt das Licht aus einem kleinen Kirchlein von innen durch die beleuchteten Fenster.
Es wird gepilgert und gebetet im katholischen Irland, wo Martin Parr einige Jahre lebte und fotografierte, natürlich auch in England. Wunderbar, der Mann der im offenen Fenster auf der Leiter hangelt und balanciert, um die Ankunft des Papstes zu erspähen und fotografieren zu können zum Beispiel, oder seine Sicht auf Stonehenge aus dem Jahre 1976. Die megalithischen Steinsäulen des renommierten Kulturmonuments zeigt er nur ausschnittweise, stattdessen aber Wächter und Besucher, die einfach einander nur den Rücken zukehren.
Parr zeigt dem Fotografen, wie kippelig die Lage ist, Foto: Petra Kammann
Es sind die scheinbaren Nebensächlichkeiten, denen der Fotograf sowohl Aufmerksamkeit als auch einen unnachahmlichen humorvollen Blick schenkt. Köstlich etwa, wie zwei Ehepaare in einem struppigen abschüssigen Gelände sitzen, parallel ausgestreckt die Beine in Gummistiefel und nebeneinander durch ihre Ferngläser in die Weite starren. Parr fotografierte in den siebziger Jahren Menschen in ihrem Alltag: beim Telefonieren, beim Essen, beim Schlange stehen oder beim Einkaufen im Supermarkt, in der Kirche, im Pub, am Strand, als Touristen, Tänzer, Vogelkundler, Wildhüter, gelangweilte Paare, Junge und Alte. Und unvermittelt tauchen schwarze Schafe, Kühe, Rinder, Hunde, und Mäuse neben den Menschen in freier Wildbahn auf.
Blick in die Ausstellung, Foto: Petra Kammann
Als der 1952 im britischen Epsom geborene Parr in den siebziger Jahren im ärmlichen England und in Irland begonnen hatte, als Fotograf zu arbeiten, wurde der Fotografie in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Deutschland schon sehr viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt – vor allem in Frankreich durch Fotografen wie den Magnum-Fotografen Henri Cartier-Bresson oder Robert Doisneau. In Deutschland wiederum entwickelte sich durch Bernd und Hilla Becher die konzeptionelle Industriefotografie als eigenständige Kunstform. Becher-Schüler wie Andreas Gursky machten als Vertreter der „Düsseldorfer Fotografenschule“ weltweit Karriere.
Parallel zu deren Arbeit gelangte die Farbfotografie aus den USA nach Europa, und Parr, der bis dahin nur in Schwarz-Weiß fotografiert hatte, wollte sich nun auch auf diesem Gebiet ausprobieren, experimentierte mit Farbe, stieg um und kehrte nie wieder zur Schwarz-Weiß-Fotografie zurück. Denn er hatte eine neue Ausdrucksform gefunden.
Kuratorin Sonja Kruchen in der parallel stattfindenden Ausstellung „Martin Parr in Colour“ in der Leica-Galerie, Foto: Petra Kammann
Mit der Farbe hatte sich Parrs Blick verändert. Er wurde „kritischer“, teilweise auch zynischer und unbarmherziger, denn er wollte die Massengesellschaft, die sich völlig unbefangen und schamlos auch in Hässlichkeit an den Stränden wie im spanischen Benidorm oder am Gardasee zur Schau stellte, demaskieren. In den „Latest Resorts“ und mit seinen grell-bunten und teilweise geschmacklosen Fotos wurde Parr schließlich hyperberühmt. Er hatte der Gesellschaft einen Spiegel vorgehalten, so dass es wehtat.
Aber auch diese Fotos sind durchzogen von seinem Humor und teils bitterer Ironie, welche die Wohlstandsgesellschaft charakterisiert. Mit ihnen wollte er zugleich unterhalten und kritisieren. „Wenn die Leute beim Betrachten meiner Bilder gleichzeitig weinen und lachen, dann ist das genau die Reaktion, die die Bilder auch bei mir hervorrufen. Die Dinge sind weder grundsätzlich gut noch schlecht. Ich bin immer daran interessiert, beide Extreme darzustellen“, sagt Martin Parr. Seine bewusste Übertreibung fordert den Betrachter heraus, über die dargestellten Szenen hinauszublicken und die komplexen, manchmal widersprüchlichen Aspekte des modernen Lebens im ungehemmten Konsum zu reflektieren.
Aus dem Blick von Martin Parr spricht Anteilnahme an dem, was Menschen bewegt, Foto: Petra Kammann
Im Jahr 1994 wurde Parr schließlich auch als Mitglied in der berühmten Fotografenagentur Magnum Photos aufgenommen
Auch wenn Parr zum französischen Magnum-Fotografen Cartier-Bresson, der über die britische geschmacklose Kultur spottete, keinen Zugang fand, und der ihn am liebsten aus dem Magnum Verbund entfernt hätte, so gab es 2023 unter dem Titel „Reconciliation“ eine gemeinsame Ausstellung, in der die britische Freizeitgesellschaft in drei verschiedenen Epochen gezeigt wurde. Cartier- Bresson bleibt für Parr aber bis heute für ihn ein Wesen wie von einem anderen Stern.
Parrs Farbfotografien erscheinen bei allem doch weniger den Menschen in Sympathie und Empathie zugetan als die frühen Schwarz-Weiß-Fotografien, die man sich im Fotografie Forum unbedingt anschauen sollte, wo man außerdem noch ein Spektrum der Fotos vom Mitgliedern des Fotografieforums anlässlich des 40jährigen Jubiläums anschauen kann.
Infos
Die Ausstellung „Early Works“ im Fotografie Forum Frankfurt, Braubachstraße 30-32 60311 Frankfurt am Main ist noch bis zum 5. Januar 2025 zu sehen.
Die Ausstellung „Martin Parr in Colour“ ist noch bis 4. Januar 2025 in der Leica Galerie Frankfurt, Großer Hirschgraben 15, 60311 Frankfurt am Main von Montag bis Freitag von 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr und am Samstag von 10.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
Beide Ausstellungen bilden zusammen einen sich ergänzenden Überblick über das breite Spektrum der Arbeiten von Martin Parr.
Begleitend zur Ausstellung ist im FFF außerdem die Publikation „Early Works“ erhältlich, die 2019 von der Martin Parr Foundation in Zusammenarbeit mit RRB Photobooks herausgegeben wurde.
Biografie Martin Parr
Martin Parr (Martin Parr, geboren 1952 in Epsom, Surrey, Großbritannien, studierte Fotografie am Manchester Polytechnic und begann seine Karriere in den 1970er Jahren mit Schwarz-Weiß-Fotografien. Seine Arbeit zeichnet sich durch die Verwendung kräftiger Farben und die satirische Darstellung sozialer Themen aus.
Seit 1994 ist er Mitglied der renommierten Fotoagentur MAGNUM. Parr hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und seine Werke wurden weltweit ausgestellt. Neben seiner fotografischen Tätigkeit ist er auch als Kurator und Sammler tätig. Die 2014 gegründete Martin Parr Foundation hat seit 2017 ihren Sitz in Bristol.
RAHMENPROGRAMM
KURATORINNENFÜHRUNGEN
mit CELINA LUNSFORD und ANDREA HORVAY
DI, 24.09., 29.10., 26.11. 15 Uhr
ÖFFENTLICHE FÜHRUNGEN
immer mittwochs, 17.00
WORKSHOP EYES ON Frankfurt – INTO THE NIGHT mit MARKUS SEIBEL
SA, 21.09., 18:30–22 Uhr
BUCHVORSTELLUNG
PETER LOEWY „TO THE ARTISTS“
mit einer Einführung der freuen Kuratorin Dorothee Strauss
DO, 26.09., 17 Uhr
Jubiläumsausstellung im FFF
PASSIONATELY – FFF MEMBERS SHOW
vom 13. September 2024 bis 05. Januar 2025
Mit einer umfangreichen Werkauswahl gibt die Schau einen Überblick über die Sehnsüchte und Interessen der Mitglieder, die das Fotografie Forum Frankfurt persönlich mit dem Medium Fotografie verbinden. Anlässlich des 40. FFF-Jubiläums waren alle FFF-Mitglieder in einem Open Call eingeladen, eigene Arbeiten für eine Ausstellung einzureichen, die von einer Jury bewertet wurden. Eine Auswahl aus den über 200 Einsendungen sind Teil der Wand- und Rauminstallation. Ergänzend werden zahlreiche Serien und Einzelfotos aller Teilnehmenden auf großformatigen Monitoren gezeigt.