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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der Reiz der Ruhrtriennale liegt in den Spielstätten. Und wie war es 2024?

Future Proche vom Opera Ballett Vlaanderen in der Jahrhunderthalle in Bochum

von Simone Hamm

Imposante alte Industriebauten zu Spielstätten machen: das ist die Grundidee der Ruhrtriennale. Industriebauten, die weit mehr sind als Kulisse. Es gibt Regisseure, die sich erst die Spielstätten in Hüttenwerken, Glasbläsereien, Zechen, in der Jahrhunderthalle mit ihren unendlichen Möglichkeiten umzubauen anschauen, bevor sie entscheiden, was und wie sie etwas inszenieren.

Begehrte Spielstätte der Ruhrtriennale – die Jahrhunderthalle in Bochum am Abend, Foto: Ruhrtriennale

Luc Perceval ließ sich von der Maschinenhalle der ehemaligen Schachtanlage Zweckel mit ihrer riesigen Fensterfront inspirieren. Genau dorthin gehörte sein grandioser „Macbeth“. Willy Deckers hat für Tristan und Isolde einen magischen Raum in der Jahrhunderthalle geschaffen. Zwei strahlend weiße Rechtecke vor einem schwarzen Nichts. Heiner Goebbels schickte in seiner Inszenierung von „de Materie“, der Oper von Louis Andriessen eine Herde Schafe auf die Bühne der Kraftzentrale in Duisburg. In der Bochumer Jahrhunderthalle inszenierte Kornél Munduczó György Ligetis „Evolution“. Die Bühne in der Jahrhunderthalle öffnete sich nach hinten in eine unglaubliche Tiefe. Es schien, als käme der Chor aus unendlicher Ferne aus tiefem Blau.

Blick in die Tiefe des Raumes der Jahrhunderthalle in Bochum, Foto: Jörg Brüggemann

Auch Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov hat die Möglichkeiten der Jahrhunderthalle in Bochum perfekt genutzt. An die Seiten der 70 Meter langen Spielfläche hat er ein dreigeschossiges Gerüst aus Stahl bauen lassen, enge Gänge, die mit ihren Gittergeländern an ein Gefängnis erinnern. Dort und im Gefängnishof selbst stehen und gehen die Zuschauer bei Janacek Oper nach Dostojevskis Episodenroman „Aus einem Totenreich“. Die „Aufzeichnungen aus einem Kellerloch“ trug Nina Hoss ganz oben in der Mischanlage der Kokerei auf der Zeche Zollverein vor. Die Zuschauer gingen vorbei an alten Walzen, rostigen Stahlträgern, guckten in tief Industrieschächte. Genau das macht für mich den großen Reiz der Ruhrtriennale aus, das unterscheidet sie von allen anderen Festivals.

Davon war in diesem Jahr leider nichts zu spüren. Schon Barbara Frey hatte im vergangenen Jahr bei ihrem Eröffnungsabend. dem „Sommernachtstraum“ die großartigen Spielstätten außen vor gelassen.  Dieser „Sommernachtstraum“ war ein Stück für eine konventionelle Bühne. Es mag an den vielen Koproduktionen liegen oder daran, dass etwas schon aufgeführt worden ist, dass die Räume auch in diesem Jahr so wenig genutzt worden sind.

„Future Proche“ auf der Ruhrtriennale 2024, Foto: Katja Illner

Auch „Future Proche“ vom Opera Ballett Vlaanderen wurde schon einmal aufgeführt. Premiere war 2022 auf dem Festival in Avignon, dann tourten sie mit dem Stück.

Zu rhythmischer zeitgenössischer Cembalomusik tanzen zehn Tänzer und sieben Tänzerinnen sind im Raum. Jeder, jede macht andere Bewegungen. Zunächst nur mit den Händen, den Armen. Einer macht einen Schulterstand, ein anderer verrenkt die Beine, eine dreht Pirouetten und der Rock bauscht sich. Jemand springt von der Bank, eine andere läuft darum herum. Jeder tanzt für sich allein und doch schafft Jan Martens eine Choreografie, in der alles zusammen passt, alles aufs Beste zusammen findet.

Jeder  ist sein eigener Solist selbst dann, als es es vor der Videokamera, die das Geschehen live auf eine große Leinwand überträgt, um Sex und Lust geht. Eher Selbstverliebtheit denn Eros.

„Future Proche“ auf der Ruhrtriennale 2024, Foto: Katja Illner

Einmal gehen sie zusammen im Gleichschritt. Marschieren. Eine andere Zusammengehörigkeit gibt es nicht. Flüchtig leuchtet die auf, wenn die Tänzer in Vierer,- und Dreiergruppen in einen riesigen, mit Wasser gefüllten Bottich steigen. Scheu machen sie sich gegenseitig den Rücken nass. Dann klettern sie behende aus dem Zuber hinaus.

Tänzer für Tänzer wird in einen Lichtkegel getaucht. Immer wieder. Besser lassen sich Individualismus und auch die Einsamkeit, die so oft damit einhergeht, tänzerisch nicht darstellen. Eine Meisterleistung der Tänzer, die ja selten ein Gegenüber haben, jemanden, an dem sie sich festhalten, ausrichten könnten. Da ist nur die hochdynamische Musik. Die Cembalistin Gośka Isphording gönnt den Tänzern nur wenige Momente der Ruhe, treibt sie vielmehr an, richtet sie auf.

Es ist ein unglaublich präzises, gekonntes Zusammenspiel. Ganz allein – und das gibt Hoffnung – sind die Tanzenden also doch nicht.

 

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