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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die grandiose Isabelle Huppert als Bérénice in Romeo Casteluccis Inszenierung  von Jean Racines Tragödie.

Hoffen, Lieben, Leiden

Von Simone Hamm

Kaiser Titus entscheidet sich gegen seine große Liebe, die judäische Königin Bérénice und für die römische Staatsraison, die ihm verbietet, eine Ausländerin zu heiraten. Jean Racines „Bérénice“ aus dem Jahre 1670 gilt es eines der größten, wenn nicht das größte französische Theaterstück. Es ist eine Tragödie von Verzicht, Macht und unerfüllter Liebe.Für Romeo Castelucci ist Racines Sprache völlig unzeitgemäß – und paradoxerweise gerade dadurch absolut zeitgenössisch. Castelucci treibt Bérénice bei der diesjährigen Ruhrtriennale auf die Spitze:

Isabelle Huppert hinter dem Gazevorhang, Foto: © Alex Majoli

Von den sieben Sprechrollen hat er sechs gestrichen. Es spricht und spielt nur Isabelle Huppert. Für Castelucci Isabelle Huppert die Schauspielerin per definitionem. Er hat eine große Elegie für sie geschaffen.

Nebel steigt vom Boden auf. Es ist drückend heiß. Zu einem Piepton flackern die Namen der chemischen Elemente auf, aus denen der menschliche Körper besteht. Als „Gold“ zu lesen ist, betritt Isabelle Huppert die Bühne. Den ganzen Abend steht sie hinter einem Gaze Vorhang, bleibt verschwommen.

Sie trägt ein zartes Mousselinkleid von Iris van Herpen. Noch ist Bérénice glücklich. Noch freut sie sich auf die bevorstehende Hochzeit, bleibt dabei aber sehr verhalten. Dann wird sie zu Titus, zeigt dessen Kampf, spricht dessen Text. Jetzt gehen die Personen ineinander über. Nicht immer weiß man, wem Isabelle Huppert gerade ihre Stimme leiht.

Isabelle Huppert als Bérenice, Foto: Jean Michel Blasco

Ihre Stimme kommt über Lautsprecher, manchmal verzerrt, dann glasklar. Scott Gibbons, Castelluccis langjähriger Ton-Meister, hat ihre Stimme elektronisch verfremdet. Dazu Trommelschläge, ein Gong, Metall, über das gestrichen wird, Hall. Die Requisiten sind spärlich und erklären sich nicht: eine Ballettstange, eine Heizung, eine Waschmaschine. Meist ist Isabelle Huppert allein  auf der Bühne.

Einmal kommen zwei dürre Tanzer, die Titus und Antiochus darstellen und machen unbeholfene pantomimische Bewegungen. Dann tragen 12 Männer Titus auf einem Kreuz. Sie sind nackt. Dessen hätte wirklich nicht bedurft.

Regisseur Romeo Castellucci, Foto: Luca Del Pia

Der Abend gehört allein Isabelle Huppert. Sie ist verliebt, ernüchtert, wütend. Sie ist kühle, stolze Königin, selbst in ihrer Verzweiflung erhaben. Sie ist sanft, sie schreit. In einer roten Robe sinkt sie zu Boden, trauert, bleibt stark, wird weiterleben. Sie, die die Verse Racines so perfekt vorgetragen hat, kann am Ende kaum noch sprechen, würgt die Worte heraus. Das ist der stärkste Moment des Abends. Sie sucht nach Worten, schaut hin und her. Sie ist keine stolze Königin mehr, übergangslos ist sie zu einer verletzten Frau geworden.

Dann, ganz am Schluss, fällt der Gaze Vorhang und die Zuschauer können endlich Isabelle Huppert sehen, ihr Gesicht, ihre Mimik. Sie aber fährt das Publikum an: „Ne me regardez pas – Schaut mich nicht an.“  Dann: Schweigen. Es dauert lange, bis der Vorhang fällt.  Dieser Abend wird noch lange nachklingen.

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