Eröffnung der Ruhrtriennale 2024 mit PJ Harvey Songs
„I want absolutely Beauty“
Der neue Intendant Ivo van Hofe eröffnet die Ruhrtriennale mit einer eigenen Inszenierung, einer Revue aus Songs von PJ Harvey. Sandra Hüller rockt dazu.
von Simone Hamm
I Want Absolute Beauty, Regie: Ivo Van Hove. Sandra Hüller © Jan Versweyveld
Bei Eröffnung der Ruhrtriennale schlüpft Sandra Hüller in „I Want Abosoluty Beauty“ in die Rolle der Kultsängerin PJ Harvey. Und singt. Pausenlos. Anderthalb Stunden lang. In 26 songs von PJ Harvey wird deren Geschichte erzählt. In vier Kapiteln: „Grow“, „Love and Personal and Political Disappointments“, „Big Exit“, „Back Home“. PJ Harvey hat Songs von Schmerz und Sex und Gewalt und Krieg geschrieben. Sandra Hüller interpretiert sie weniger punkig, versucht erst gar nicht wie PJ Harvey, die übrigens im Publikum saß, zu klingen.
Sandra Hüller ist eine grandiose Schauspielerin, eine hervorragende Performern, also eher eine singende Schauspielerin als ein rising Rockstar. Doch sie hat ganz offensichtlich viel Spaß und das überträgt sich aufs Publikum.
Eine Frau auf der Suche. Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Wie werde ich gesehen? Sandra Hüller braucht etwas Zeit, bis sie wirklich auf der Bühne angekommen ist, bis die Songs wirken. Dann aber tanzt, performt und singt sie, als ob es um ihr Leben ginge, sanft, dann kraftvoll rockig. Dann wieder legt sie Verzweiflung in ihre Stimme, wechselt leidenschaftlich von sehr laut zu flüsternd leise. Begleitet wird sie von großartigen Musikern (Neil Claes, Alban Sarens, Liesa Van der Aa, Anke Verslype), von denen ich gern mehr gehört hätte, Soli, Duette.
Braune Erde ist auf dem Boden der kargen Jahrhunderthalle ausgeschüttet worden, über der Band eine riesige Videoleinwand. Wer Lust hat auf einen anderthalbstündigen Videoclip mit einer Sängerin, um die herum getanzt wird: hier kommt er.
v.l.: Ivo Van Hove, (LA)Horde: Arthur Harel, Jonathan Debrouwer, Marine Brutti © Jan Versweyfeld
In der fast immer chaotischen, grausamen Welt, die der neue Intendant der Ruhrtriennale Ivo van Hofe und die Choreografen Marine Brutti, Jonathan Debrouwer, Arthur Harel der Gruppe (La)Horde auf die Bühne bringen, kann es den Gleichklang nicht geben. Nicht den der Sängerin mit dem Live Video. Hüllers Lippenbewegungen sind nicht synchron.
Und auch nicht der Tänzer und Tänzerinnen. Die Tänzer und Tänzerinnen aus Marseille agieren scheinbar frei, jeder, jede im eignen Rhythmus. Sie treten nacheinander, werfen sich zu Boden, schlagen sich blutig. Sie tanzen um Hüller herum wie die Backroundtänzer um Helene Fischer oder Madonna. Für letztere hatten die Choreografen von „I Want Absolutely Beauty“ auch die Celebration Tour choreografiert.
Wenn Sandra Hüller vom Krieg singt, robben Tänzer und Tänzerinnen durch den Matsch, ist Militär das Thema, marschieren sie, singt sie von sexueller Gewalt umschlingen sie sie, greifen ihr an die Brüste, zwischen die Beine, stürzt sie sich ins Nachleben, werfen die Tänzer sie in die Höhe, träumt sie von Liebe, kommt ein schöner Mann und schmust mit ihr.
Und damit die Zuschauer bis hin zur letzten Reihe auch wirklich verstehen, worum es geht, wird das noch einmal unterstrichen durch Filme von einer Welt im Feuer, von Wassermassen, von öden Friedhöfen, von endlosen Tunneln und von der New Yorker Chinatown, von Clubs, in denen ausgelassen getanzt wird. Dazu die Songtitel in Großbuchstaben.
Das ist viel zu einfach, viel zu eindimensional, viel zu banal, viel zu klischeehaft. PJ Harvey Texte sind vielschichtiger, sind Poesie.
Einmal kommt eine andere Ebene hinzu. Dann, als Sandra Hüller als PJ Harvey zu ihrer Großmutter singt “I Talk to you“: In Großaufnahme im Video: Isabelle Huppert. Huppert (die später auf der Ruhrtriennale zu Gast sein wird) und Hüller teilen Geheimnisse. Solche Brüche hätte ich mir öfter gewünscht.
Want Absolute Beauty, Regie: Ivo Van Hove. Sandra Hüller, (LA)HORDE © Jan Versweyveld
Was bleibt, sind eine großartige Sandra Hüller, die eine leise Hoffnung, eine Sehnsucht, einen Wunsch hat in der Welt der Extreme: „I want absolutely beauty“.